Zum Rücktritt des Philologen-Chefs: Warum Mannke kein Opfer ist

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MAGDEBURG. Na bitte, meinen jetzt manche. Der Rücktritt von Jürgen Mannke, bis dato Vorsitzender des Philologenverbands Sachsen-Anhalt, belege doch, dass es in Deutschland keine echte Meinungsfreiheit gebe – wie derzeit so oft behauptet wird. Wer gegen den „Mainstream“, gegen die Doktrin der „political correctness“ verstoße, müsse dafür büßen, heißt es. Wie eben Mannke, der sich im Editorial einer Philologen-Zeitschrift kritisch zu Flüchtlingen geäußert hatte. „Dem Vertrauen in unsere freiheitlich demokratischen Grundrechte fügt jedes solcher Ereignisse weiteren Schaden zu“, meint beispielsweise ein Leser im Forum von News4teachers zum Rücktritt. Was der Leser übersieht: Mannke ist kein Opfer. Ihm passiert – so gut wie nichts.

Erklärung auf der Seite des Philologenverbands Sachsen-Anhalt, Screenshot.
Erklärung auf der Seite des Philologenverbands Sachsen-Anhalt, Screenshot.

Mannke hat das Vertrauen des Philologenverbands Sachsen-Anhalt verloren und kann deshalb nicht mehr für dessen Mitglieder sprechen. Er verlässt ein Amt, für das beiderseitige Loyalität unabdingbar ist. Das ist alles. So geht dem Schulleiter vom Goethe-Gymnasium in Weißenfels eine sicher ganz nett dotierte Nebentätigkeit flöten. Mehr aber auch nicht. Er bleibt Schulleiter, er bleibt Lehrer, er bleibt Landebediensteter. Seine Existenz ist nicht gefährdet – anders als die derjenigen übrigens, über die er so flott in seinem Artikel „Flüchtlingsdebatte: Anpassung an unsere Grundwerte erforderlich“ in der Zeitschrift des Philologenverbandes Sachsen-Anhalt geschrieben hatte.

Dafür hat er Kritik einstecken müssen, die besonders geschmerzt haben dürfte – die von früheren Schülern nämlich. Drei Abiturienten des Jahrgangs 2006 initiierten einen offenen Brief, dem sich insgesamt zwei Dutzend Ehemalige unterschiedlicher Jahrgänge anschlossen. „Ihr Beitrag nutzt einerseits neu-rechte und von rechtskonservativen Autoren geprägte Begriffe wie ‚Invasion‘ und ‚ungehemmte Einwanderungsströme‘. Sie greifen andererseits auch auf klassische kulturrassistische Ressentiments zurück, indem Sie das Trugbild des (ungebildeten) virilen muslimischen jungen Mannes als Bedrohung (weißer) deutscher Frauen imaginieren. Die Reduktion des komplexen Themas Flucht und Asyl auf die Angst um ‚unsere‘ Mädchen und ‚unsere Werte‘ sowie die fragwürdigen Spekulationen über die Sexualität muslimischer Männer sind eines Pädagogen unwürdig“, so schrieben ihm die ehemaligen Schüler vom Domgymnasium Merseburg, wo Mannke lange als Deutsch- und Geschichtslehrer arbeitete, ins Stammbuch.

„Wir bestreiten die Herausforderungen nicht, vor denen der Rechtsstaat und die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland stehen“, so meinten die jungen Männer und Frauen. „Dass eine sinnvolle Integration nur über Spracherwerb und positiven Bezug auf geteilte Werte gewährleistet werden kann, ist unzweifelhaft. Lehrerinnen und Lehrer dürfen, wenn sie sich mit den zunehmend heterogenen Klassenzusammensetzungen und Sprachkompetenzen überfordert fühlen, damit nicht allein gelassen werden. Statt Ängste mit Halbwahrheiten zu schüren, die häufig ganze Lügen sind, sollten gerade Sie als Geschichtslehrer wissen, dass Wandel und Verflechtungen die Grundlagen jedweder Geschichte sind.“ Man könne sich beim Gedanken daran unbehaglich fühlen, dass ein Wandel, den man selbst nicht gewollt habe, die eigene Welt verändern werde. Doch das gebe niemandem das Recht, Menschen zu diffamieren.

Dann wurden die Autorinnen und Autoren des offenen Briefes persönlich – auf anrührende Art: „Ihr Unterricht und die Zusammenarbeit mit Ihnen haben uns geprägt. Im Deutschunterricht haben Sie uns mit der überwältigenden Prosa des Kosmopoliten Stefan Zweig oder den beklemmenden, die schrecklichen Folgen von Propaganda und Nationalismus entlarvenden Werken von Erich Maria Remarque vertraut gemacht. Im Geschichtsunterricht halfen Sie uns, uns mit den erschreckenden Mechanismen der Demagogie in Victor Klemperers ‚LTI‘ auseinanderzusetzen. Zudem führten Sie uns – nicht zuletzt auf Grundlage Ihrer eigenen Biografie als Nachfahre der Hugenotten – deutlich vor Augen, dass Migration als ein Grundbestandteil der Geschichte Europas und der Welt zu begreifen ist. Umso überraschender und bedauerlicher ist es nun für uns, gerade von Ihnen einen solchen Artikel zu lesen. Wir sind ebenso empört darüber, wie Ihre Zeilen dazu beitragen, das Bild eines intoleranten und rassistischen Sachsen-Anhalts zu vermitteln.“

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Mit einem Appell an Mannke endeten die ehemaligen Schüler: „Wir hoffen, Sie für diese notwendige Debatte zu gewinnen. Ihren Unterstellungen und Ihrem kulturell basierten Rassismus widersprechen wir deutlich. Wir sind enttäuscht und traurig.“ Tatsächlich dürften die jungen Leute den Direktor zum Nachdenken gebracht haben: Er distanzierte sich später von seinen Äußerungen und versicherte, sich für seine Formulierungen zu schämen. Er will seine Schule sogar nun zur „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ machen.

Das Vertrauen seines Verbandes allerdings hatte er da allerdings wohl bereits verspielt. Der Rückzug ist ehrenwert. Dass die Philologen in Sachsen-Anhalt sich einen neuen Vorsitzenden wählen, ist allerdings auch ihr gutes Recht. Wer wollte es ihnen verwehren? Nie hat in Deutschland ein Lehrerverbandschef mehr politisches Porzellan zerschlagen und für mehr Unmut in den eigenen Reihen gesorgt als Mannke. Empört gab etwa Helmut Siegmon, Vorsitzender des Philologenverbands Schleswig-Holstein, zu Protokoll: „Unser Leitbild ist geprägt durch das humanistische Bildungsideal, das jegliche Hetze zutiefst verabscheut.“

Als Lehrer scheint Jürgen Mannke genau das vermittelt zu haben. Und unterrichten, das kann er – befreit vom Verbandsamt – jetzt wieder öfter. Was ist mit dem Ansehensverlust, den der Zurückgetretene derzeit zweifellos hinnehmen muss? Die Delle währt nicht lange, dafür gibt es gute Beispiele, Margot Käßmann etwa. Sie steht heute, fünf Jahre nach ihrem Rücktritt als Landesbischöfin und EKD-Ratsvorsitzende, glaubhafter und prominenter da denn je. ANDREJ PRIBOSCHEK

Zum Kommentar: Was wir jetzt brauchen: Eine Bildungs-Offensive gegen die Hass-Kultur!

 

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Georg
8 Jahre zuvor

Der Offene Brief von ehemaligen Schüler*innen an Mannke war wirklich sehr gut. Ruhig, bedächtig, treffend und brilliant formuliert.

https://offenerbriefmannke.wordpress.com/2015/11/10/2/

Etwas deftiger und spitzer, Mannkes Rohrkreppierer aber nicht weniger gut vorführend, ein anderer.

http://www.lavievagabonde.de/2015/11/06/offener-brief-an-den-philologenverband-sachsen-anhalt/

Milch der frommen Denkungsart
8 Jahre zuvor

Zuvorderst: Herr Mannke hat sich zweifellos sowohl in Wortwahl wie Denkungsrichtung, die heillos an jenen lüsternen Judenjungen aus Hitlers „Mein Kampf“ gemahnt, der nur darauf lauere, die arische Rasse durch sexuellen Kontakt zu bastardisieren, unselig verrannt, was zumal einem Historiker nicht hätte unterlaufen
dürfen; insofern war sein Rücktritt als Verbandsfunktionär konsequent, ja unausweichlich.

Richtig aber freilich ist und bleibt, daß derartige Probleme ungezogener wie unsittlicher Übergriffigkeit, wie
sie mit jungen Männern patriarchalisch-islamisch geprägter Sozialisation tatsächlich zu verzeichnen sind, gerne unter dem Deckmantel allgemeingesellschaftlicher Kriminalitätsphänomene („Das machen ja auch Deutsche“) wegerklärt, ad acta gelegt und mithin verharmlost werden, da sie eben nicht in das rosarot-plüschige Bild überbordender Willkommenstrunkenheit passen wollen.
Aber eine ihren Titel tatsächlich verdienende Integration muß nun einmal klare Schranken setzen im simplen Sinne eines wortwörtlichen „unanständig“; dies sowie seine Skepsis über den realen Durchsetzungswillen solcher Selbstverständlichkeit in einer politisch korrekt durchgestylten Gesellschaft artikuliert haben zu wol- len, möchte ich Herrn Mannke redlich unterstellen, – wenn auch mit völlig mißratener Diktion.

Ursula Prasuhn
8 Jahre zuvor

Das unterstelle ich Herrn Mannke auch und bedaure, dass seine ehemaligen Schüler nicht so differenziert urteilen wie Sie.
Zwar sind sie voller Lob für seinen Unterricht und betonen, dass gerade er sie vorbildlich über die Folgen von Nazipropaganda aufgeklärt hat und sie lehrte, „dass Migration als ein Grundbestandteil der Geschichte Europas und der Welt zu begreifen ist“, doch bleibt die Tatsache, dass sie trotz dieser Erinnerung auf ihren Lehrer ähnlich eindreschen wie andere Kritiker, die ihn nicht kennen.
Auch sie werfen ihm u.a. Rassismus vor – wohl wissend, dass dieser so gar nicht zu ihm passt.
Warum musste es überhaupt ein offener Brief sein und kein persönlicher bei so viel positiver Erinnerung und früherer Verbundenheit? Warum sollte alle Welt mitlesen und teilnehmen an der (anklagenden) Enttäuschung und Traurigkeit? Und warum wurden die Medien an der Aussage beteiligt, „Wir hoffen, Sie für diese notwendige Debatte zu gewinnen“, wenn es für diese Einladung stillere und persönlichere Wege gibt?

Herr Mannke hat mit seinem Artikel zweifellos einen schimmen Fehler begangen, den niemand mehr bedauern wird als er selbst. Dass sich deswegen aber einige seiner früheren Schüler, die seinen Unterricht ausdrücklich loben, berufen fühlen, mit seiner Person öffentlich und zusätzlich ins Gericht zu gehen, entzieht sich meinem Verständnis.

Martin Schuster
8 Jahre zuvor
Antwortet  Ursula Prasuhn

Ich hätte auch erwartet, dass die Schüler sich vor ihren Lehrer stellen und seinen Artikel in der Philologen-Zeitschrift zwar verurteilen, ihn vor Rassismus- und Hetzervorwürfen aber in Schutz nehmen. Stattdessen stimmen sie ein in den Chor der Ankäger und benutzen seinen vorbildlichen Unterricht für einen weiteren, diesmal persönlichen Vorwurf, sie nämlich enttäuscht und traurig gemacht zu haben.
Das muss nach meiner Vorstellung für Herrn Mannke eine Ohrfeige der besonderen Art gewesen sein.

Bernd
8 Jahre zuvor

Warum es eine öffentliche Entgegnung sein musste, haben die Ex-Schüler ja begründet: „Wir sind (..) empört darüber, wie Ihre Zeilen dazu beitragen, das Bild eines intoleranten und rassistischen Sachsen-Anhalts zu vermitteln.“

Die jungen Leute haben offenbar verstanden, was viele andere (ältere) in Deutschland derzeit nicht begreifen: Dass Menschen, die sich in die Öffentlichkeit begeben und ihr Recht auf Meinungsfreiheit wahrnehmen – und dazu zählen auch Äußerungen auf Demonstrationen oder in Internet-Foren – für das, was sie damit auslösen, mitverantwortlich sind. Herr Mannke hat seinen Beitrag ja nicht in privater Runde vorgetragen. Er hat ihn veröffentlicht und hat damit eine gesellschaftliche Wirkung erreicht. Ob es die intendierte war, sei mal dahingestellt.

Nirgends ist in dem offenen Brief der ehemaligen Schüler aber davon die Rede, dass Herr Mannke Rassist sei – die Kritik bezieht sich ausdrücklich auf den von ihm veröffentlichten Text. Im Gegenteil, die Schüler attestieren Herrn Mannke, dass er im Unterricht andere Werte vertreten hat. Einen größeren Gefallen hätten sie ihm kaum tun können. Denn wenn der Verdacht aufgekommen wäre, dass Mannke ähnliche Thesen im Unterricht vertritt, hätte ihn das seine Lehrerstelle kosten können. So bleibt das Bild eines guten Pädagogen, der sich wohl von einer derzeit grassierenden Hysterie hat anstecken lassen – ärgerlich, aber verzeihlich.

geli
8 Jahre zuvor
Antwortet  Bernd

Es lohnt sich, gründlich zu lesen, auch wenn der Wunsch noch so groß ist, anderen über den Mund zu fahren und in die eigene Denkrichtung zu bewegen.
Ist „kulturell basierter Rassismus“ kein Rassismus? Ihn machen die ehemaligen Schüler Herrn Mannke ganz klar zum Vorwurf, was mich übrigens auch wundert und unangenehm berührt bei der Kenntnis dieses Mannes und bei dem Unterricht, den sie bei ihm genossen haben.
Auf die Beantwortung meiner Frage dürfen Sie gern verzichten, denn sie beantwortet sich durch besseres Lesen von selbst.