Knutschend an der Kollegin: Wie ein echter Lehrer die RTL-Serie „Der Lehrer“ sieht

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KÖLN. In eine bestehende Serie einzusteigen, ist eines der letzten großen Abenteuer, die das deutsche Fernsehen noch bietet. „Der Lehrer“ läuft seit vergangener Woche donnerstags nun wieder zur Prime Time auf RTL. Der Start der vierten Staffel war (mal wieder) ein Quotenerfolg – rund 3,2 Millionen Menschen schauten zu. Beim jüngeren Fernsehpublikum lag die Sendung damit vorne. Wir wollten wissen: Wie beurteilt denn ein echter Pädagoge die Serie? Und haben deshalb einen gebeten, sich für uns eine Meinung zu bilden: Christian Pocher, Berufsschullehrer und Autor, hat Folge 1 gesehen.

Beziehungstrubel im Klassenzimmer: Stefan Vollmer (Hendrik Duryn) und Karin Noske (Jessica Ginkel). Foto: RTL
Beziehungstrubel im Klassenzimmer: Stefan Vollmer (Hendrik Duryn) und Karin Noske (Jessica Ginkel). Foto: RTL

Schon der Titel „Der Lehrer“ erinnert an große Serienklassiker wie „Der Alte“ und „Der Chef“, und deutet schon mal an, wo der Hammer hängen wird. Doch erst mal hängt Lehrer Stefan Vollmer mitten in Köln knutschend an Kollegin Karin Noske, um dann schnell wieder heimlich zu tun, als der Schulleiter Rose im Hintergrund die beiden sieht. Doch der hat nichts mitgekriegt, da er ein Alkoholproblem hat und deshalb von der schönen klugen Frau Noske vertreten wird, womit der Recap gleich zu Beginn schnellst möglich abgewickelt ist.

Denn dieser Vollmer hat keine Zeit, er ist ein Hansdampf in allen Gassen, und muss permanent darauf bedacht sein, auf eine neue Mission Impossible zur Rettung der Schüler gerufen zu werden. Da kann er sich auch nur bedingt mit so Lappalien wie Unterricht aufhalten: Wer von den Schülern meckert, soll in seiner Chemiestunde halt nach vorne kommen und selbst erklären.

„Lehrer schütteln das doch eh so aus dem Ärmel und brauchen keine Vorbereitung“, meint er angriffslustig gegenüber seiner Klasse. Da stehen dann zwei Minderbegabte mit und ohne Migrationshintergrund und stammeln sich unter dem Gelächter der Mitschüler etwas über das Vakuum zurecht.

Immerhin ein pädagogischer Achtungserfolg für Vollmer, da diese grobe Karikatur andeutet, dass das Klischee „Lehrer haben vormittags recht und nachmittags frei“ doch nicht so ganz stimmt.

Aber sich detaillierter um Unterricht zu kümmern, dazu fehlt ihm die Zeit auf dem Bildschirm, muss er doch einen gemobbten Schüler retten, indem er ihm kurzerhand mal eine geöffnete Mülltonne mit Plastikabfällen als Sprunggrube auf der Flucht vor seinen Peinigern zur Verfügung stellt. Denn Problemkind Tom trat dem dicken Mobber, der ihn zuvor als Mamasöhnchen aufgezogen hatte, kurzerhand mal in die Eier. Nun muss er zur Läuterung wenig später Waffeln (mit Ei) backen, um zu beweisen, dass er in Bezug auf die Sozialkompetenz nix an der Waffel hat.

Das misslingt, weil die anderen Kinder ihn wieder ärgern und Super-Lehrer Vollmer gerade mal wieder mit Flirten beschäftigt ist, um Schlimmeres zu verhindern. Somit wird das Waffelbuffet im Streit verwüstet. Alle sind dreckig, zur Not geht’s wie vorher auch für Lehrer Vollmer zum sauberen Sex mit Kollegin Noske in die Waschstraße. Ob diese Symbolik absichtlich oder unfreiwillig komisch ist, mag jeder selbst entscheiden.

Die Grundidee bleibt, dass Lehrer Vollmer fleißig gegen die Konventionen, bzw. das, was die Drehbuchautoren dafür halten, anspielt – mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass wir über das eigentliche Unterrichtsgeschehen wenig erfahren. Was wir sehen, ist haarsträubend weit weg von der Realität: So führt ein Schüler eine Knallgasprobe durch ohne Schutzbrille. Jedem Chemielehrer würden sämtliche Sicherungen durchbrennen, muss er doch peinlich genau jeden Versuch und die pädagogische Notwendigkeit dokumentieren und der Gefahrstoffverordnung mit einem immensen Formularaufwand gerecht werden. Zugegebenermaßen: ziemlich unsexy – also das genaue Gegenteil zu Vollmer, der das Hemd aus Hose trägt und das frischgeföhnte Brusthaar aus dem T-Shirt schauen lässt….

Sein Unterricht selbst bleibt weitgehend eine Black-Box. Denn wie er unterrichtet, das sehen wir im Detail nicht, wir müssen ihm einfach glauben, dass er das „gaaanz toll“ macht, weil er ja ein „Guter“ ist.

„Wir machen ja keine Dokumentation“, sagen in solchen Momenten immer die Drehbuchautoren, wenn sie sich um der Geschichte willen nicht mit Realität belasten wollen. Klar, dass niemand sehen möchte, wie Lehrer Vollmer Notenlisten schreibt, Entschuldigungen abzeichnet oder Geld für den Wandertag einsammelt. Über diese Niederungen wäre vermutlich das RTL-Werbeumfeld auch „not amused“.

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Lehrer Vollmer reiht sich ein in die große Riege der Lebensberater des Privatfernsehens, die als Rosin Restaurants retten, als Zwegat von Schulden befreien und als Super-Nanny kleine Quälgeister wieder zu Kuschelkindern transformieren.

Er ist einfach so ein toller Typ, dass selbst Schülerinnen bei ihm zu Hause auftauchen, um sich über Sexual- und Beziehungsprobleme auszuweinen, denn Vollmer ist halt allzeit bereit, auch zum Helfen zu jeder Tag- und Nachtzeit.

Davon wird auch Direktor Rose nicht verschont, dessen Alkoholentzug umschreibt Vollmer gegenüber dem Kollegium aus Rücksichtnahme so missverständlich, dass alle meinen, er hätte einen Burn-Out gehabt. Das ist nun der Auftritt der „lustigen dicken Lehrer“, die dem Direktor mit aufgesetzter Empathie zur Langsamkeit und einem Feierabendbierchen raten. Soll man sich an dieser Stelle über den schlecht gespielten Flachwitz empören, angesichts besorgniserregender Burn-Out und Suchtprobleme innerhalb der deutschen Lehrerschaft?! Ist man ein Spielverderber, wenn man hier nicht mitgrinst?

Damit die Folge rund wird, kommt Vollmer dem eigentlichen Problem des aggressiven Tom auf die Schliche: Es heißt Mutter und ist zudem Vollmers Kollegin, der man von der Statur allerdings kaum zutraut, dass sie aufgrund pädagogischer Überforderung ihren Sohn grün und blau geschlagen hat.

Schnell wird Vollmer klar, dass hier jetzt nur die rhetorische Pumpgun helfen kann, die noch jede Serienfolge gerettet hat: Du brauchst jetzt Hilfe! (Dass wir von den „Niederungen“ dieser angebotenen Hilfe nichts sehen, versteht sich von selbst. Denn Helfen ist wie Unterrichten, es kostet Zeit, ist von Rückschlägen begleitet, ist oft nicht linear – kurzum: es lässt sich kaum auf einen konventionellen 45 Minuten Plot trimmen.)

Zudem muss Vollmer sich gegen Ende der Folge auch nun wieder den persönlichen Ausprägungen seines Testosteronspiegels widmen und knutscht Kollegin Noske vor der versammelten Schulklasse, was sicherlich einer standesamtlichen Trauung mehr als gleich kommt. Um die Szene noch zu verstärken, kommt wie zufällig eine Delegation des Schulamts oder der Schulinspektion vorbei, um die Qualität der Schule zu begutachten… und findet nun einen kollegialen Zungenkuss vor.

Ein Lehrer, der als ganzer Mensch auch innerhalb der Schule sichtbar ist, nicht nur Grips im Kopf, sondern auch Eier in der Hose hat – das zumindest ist bei aller Überzeichnung ein klarer Gegenentwurf zur Schulbürokratie, die in ihren Schulinspektionen darauf pocht, wie formalisiert und genauestens dokumentiert pädagogische Abläufe sein sollten und wie austauschbar dabei doch der einzelne Lehrer in diesem Getriebe sein sollte!

Nach 45 Minuten mahnen mich meine jugendlichen Mitseher auf der Fernsehcouch: „Schreib nicht nur schlechtes, ok?!“ Was war denn positiv, frage ich sie. „Der Lehrer hat Verständnis für die Schüler und die Schüler haben auch Verständnis für Lehrer. Das peppt das negative Lehrerbild etwas auf.“

Folge 2 wird am kommenden Donnerstag, 14. Januar, um 20.15 Uhr auf RTL ausgestrahlt. Titel: „Und Gehirn war nicht dabei?“

Zum Bericht: Neue Staffel der RTL-Serie: „Der Lehrer“ überzeugt mit Charme und Witz

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Julia
8 Jahre zuvor

Dass eine Serie, die zur Prime Time im Fernsehen (erfolgreich) läuft, keine Dokumentation darstellen möchte, kann man doch irgendwie verstehen. Was ist denn Dokumentation? Nicht zwangsläufig gute Unterhaltung.
Und dass generalisierte, akribisch dokumentierte und durchaus teilweise trockene Arbeitsabläufe im pädagogischen Arbeitsbereich kein Stoff für eine solche Serie ist, empfinde ich auch als nachvollziehbar.

Letzten Endes greift der Lehrer für mich aber etwas anderes auf: Klischees. Ob nun das vom Lehrertypen selbst, das von der Schule, das Geschehen hinter den Türen im Lehrerzimmer oder aber die Frage, ob Lehrer tatsächlich Menschen außerhalb des Schulgebäudes sind – sie werden adressiert. Und dabei sollte ein Augenmerk auch unbedingt auf der Machart liegen: Denn diese Klischees werden mit Humor angegangen und vermittelt; auch heikle Themen, die gerne mal todgeschwiegen werden. Und ob nun durch Witz und Sprüche oder auch mal ernste Sequenzen – mit diesen Klischees wird gespielt und innerhalb der Folge immer wieder gerne mit ihnen gebrochen. Da ist nicht alles schwarz und weiß.
Die Serie macht aufmerksam, wenn man zuschauen und hinhören will und sich dabei gleichzeitig noch (gut) unterhalten lassen möchte.

Jeder Zuschauer begenet der Serie mit einer eigenen Erwartungshaltung: Denn schließlich kennen ja alle Lehrer, Schulen, sind als Eltern irgendwann wieder „Teil“ des Schullebens… (und daher schimpfen sich doch auch alle gerne gleich Experten?)
Wer eine Eins zu Eins Darstellung seines Beruf sucht, wird eher nicht fündig. Aber ganz ehrlich: Wann trifft man denn schon auf eine perfekte Darstellung seines (subjektiven?) Empfindens?

Die Serie sollte, glaube ich, weniger an der Intention, den Lehrerberuf akribisch genau und perfekt darzustellen, gemessen werden; sondern an den vielen Themen, die sie in jeder einzelnen Folge durchaus intelligent verpackt darstellt und daran, mit wie viel Witz und Humor der Zuschauer dabei am Ball gehalten wird. Wer sich darauf einlässt (und will), findet auch etwas zum nachdenken (und das gar nicht mal so versteckt).