„didacta“: Ein Blick in die Glaskugel – Wo wird es mit der digitalen Bildung hingehen?

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KÖLN. Wie könnte digitale Bildung in Deutschland aussehen, wenn alle vorhandenen Möglichkeiten wirklich genutzt würden? Während die Schulen noch ganz am Anfang der Entwicklung stehen, zeigt die Bildungsmesse didacta, was technisch schon alles möglich ist. Individualisierung heißt hier das Zauberwort. Gemeinsam mit Ausstellern, Bildungsexperten und Kollegen können Lehrer einen Blick in die Zukunft werfen – und über Chancen und Probleme der Digitalisierung diskutieren.

Wo soll es in Zukunft hingehen. Diese Frage diskutierten Sascha Lobo (mitte) und Tilo Knoche unter dem Titel "Tablet oder Tafel?" auf der didacta 2016. Foto: Koelnmesse
Wo soll es in Zukunft hingehen? Diese Frage diskutierten Sascha Lobo (mitte) und Tilo Knoche unter dem Titel „Tablet oder Tafel?“ auf der didacta 2016. Foto: Koelnmesse

Es scheint so einfach zu sein: die Schulen müssten doch eigentlich nur die richtige Technik anschaffen und dann klappt es mit der digitalen Revolution im Klassenzimmer schon von ganz alleine. Aber ganz so simpel ist es dann leider doch nicht. „Technik ist nicht die Wunderlösung“, meint einer, der fast ausschließlich digital lebt, der Blogger und Autor Sascha Lobo. „Die Diskussion um die Technik führt von den Inhalten weg.“ Dabei müsste die Frage immer sein: Wie kann die Technik dem Inhalt dienen?

Lobo selbst spricht gerne von „Hybrid-Medien“: „Es gibt ja keine komplett getrennten Bereiche. Auch gedruckte Bücher machen Sinn. Und nicht jeder Schüler lernt gut mit Tablets.“ Jede Schule müsse also eine eigene Lösung finden – ein Konzept aus digitalen und analogen Medien. Nur sich der Entwicklung und den neuen Möglichkeiten ganz zu verschließen ginge nicht, schließlich müsse sie die Kinder auf die schnell wandelbare Welt vorbereiten. „Die Schule kann nicht so tun, als hätte sich nichts verändert.“

Die Sicht der Lehrer: Neues Rollenverständnis

Benjamin Seelisch ist Lehrer am Neuen Gymnasium Rüsselsheim und erwartet, dass sich auch seine Rolle als Lehrer in Zukunft ändern wird. „Lehrer werden mehr und mehr zu Coaches“, sagt Seelisch und spricht aus Erfahrung. Mit Unterstützung der Initiative „Digitale Bildung neu denken“ von Samsung konnte das Gymnasium in Rüsselsheim die komplette Oberstufe mit Tablets ausstatten und trägt inzwischen den Titel „Lighthouse School“. Jedoch wünscht sich Seelhaus für alle Stufen – unabhängig von der eingesetzten Technik –, dass bald das in der Oberstufe erprobte Prinzip des „Flipped Classrooms“ (umgedrehter Unterricht) greift. Das bedeutet, dass die Schüler den Unterrichtsstoff zu Hause vorbereiten und die Nachbereitung in der Klasse stattfindet. „Das gibt mir als Lehrer die Chance, in der nächsten Stunde individuell auf die einzelnen Schüler und seine Fragen einzugehen“, sagt Seelisch.

Gleichzeitig sei ein Umdenken der Schüler gefordert. „Die Tablets verändern ja nicht das Lernen, aber es kommen Kompetenzen hinzu“, so der Lehrer aus Rüsselsheim. Stichwort: Medienkompetenz. „Auch die Entscheidungskompetenz der Schüler wird erhöht: Sie lernen, wann welches Medium Sinn macht. Sie lernen auch die Grenzen des Tablets kennen und greifen vielleicht mal wieder auf ein Buch zurück.“ Sascha Lobo würde es wohl eine „Hybrid-Lösung“ nennen.

Probleme: Infrastruktur, Finanzierung und Ausbildung

Wenn man Benjamin Seelisch zuhört, scheint die Zukunft nicht mehr allzu weit weg zu sein, der Weg dahin gar nicht so kompliziert. „Willkommen in der digitalen Welt von morgen“, begrüßt das Schild eines Ausstellers die Besucher. Viele Unternehmen präsentieren auf der didacta ihr technisches Equipment für digitale Klassenzimmer. Schulbuchverlage stellen neben ihren gedruckten Werken auch die elektronischen Varianten vor. Online-Plattformen werben um User – die Zukunft ist nur einen Klick entfernt. Woran liegt es, dass Schulen noch in einer anderen Entwicklungsstufe stecken?

"Bildung 2020?" Lehre und Ausbildung müssen revolutioniert werden, meint Benjamin Seelisch (2.v.l.). Auf der didacta erzählte er von seinen Erfahrungen als Lehrer und diskutiert darüber mit dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner, dem Geschäftsführer des didacta-Verbandes, Reinhard Koslitz und Steffen Ganders von Samsung (v.l.). Foto: Laura Millmann
„Bildung 2020?“ Lehre und Ausbildung müssen revolutioniert werden, meint Benjamin Seelisch (2.v.l.). Auf der didacta erzählte er von seinen Erfahrungen als Lehrer und diskutiert darüber mit dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner, dem Geschäftsführer des didacta-Verbandes, Reinhard Koslitz und Steffen Ganders von Samsung (v.l.). Foto: Laura Millmann

Experten erwähnen in Diskussionsrunden immer wieder drei Problembereiche: Finanzierung, Infrastruktur und die Ausbildung der Lehrer. „Die Infrastruktur macht uns als Verlag Sorgen“, sagt der Geschäftsführer des Klett-Verlags und Didaktiker Tilo Knoche. Schwierig sei, dass ein Großteil – vor allem ländlicher Schulen – nicht wirklich an das Internet angeschlossen seien. Sascha Lobo pflichtet ihm bei. Bevor man über Offline-Zeiten spreche, müssten Schulen erst einmal flächendeckend „an ein einigermaßen schnelles Netz angeschlossen werden“. Seiner Ansicht nach müsse der öffentliche Druck auf die Politik erhöht werden.

Weiteres Problem ist die Finanzierung. „Man kann nicht einfach die Bücher ersetzen, man muss sie ergänzen“, benennt Reinhard Koslitz, Geschäftsführer des didacta Verbandes eine Schwierigkeit. Es kämen zusätzliche Kosten auf die Schulen zu. Das sieht der Lehrer Benjamin Seelisch weniger als Hinderungsgrund. Seiner Ansicht nach geht der Trend eh zu „Bring your own Device“, also dass die Schüler ihre eigenen Geräte mitbringen und nutzen. Um dadurch niemanden zu benachteiligen, gebe es auch Unterstützungsmöglichkeiten – von Unternehmen, Sponsoren oder der Politik. Für eine digitale Revolution braucht es aus seiner Sicht vor allem eines: eine Revolution der Ausbildung.

Diese Argumentation unterstützt auch Christian Lindner, Vorsitzender der FDP, der zusammen mit Reinhard Koslitz und Benjamin Seelisch zum Thema „Bildung im Jahr 2020“ diskutierte. Natürlich müsse man die Finanzierung sicherstellen, aber die benötigten Geräte seien heute ja günstiger als beispielsweise noch vor zehn Jahren, als noch mit Computerräumen gerechnet wurde. Investment müsse demnach eher in Menschen und Expertise gemacht werden. „Die Schüler von heute werden in Berufen arbeiten, die es jetzt noch gar nicht gibt“, so Lindner. „Sie haben ein Recht darauf, möglichst gut vorbereitet zu werden.“ Die Schulleitungen müssten eine digitale Strategie vorgeben und vorleben und die Politik müsste bei dem Ziel an einem Strang ziehen. Deshalb forderte der FDP-Vorsitzende während der Diskussion auch eine Abschaffung des Kooperationsverbotes.

Zauberwort Individualisierung

Philipp Gonzales-Scheller kümmert sich weniger um die politische Seite des Problems, sondern bemüht sich eher um eine technische Lösung. Er ist Leiter des Online-Portals Scook. Diese unabhängige, kostenlose Plattform für Schüler und Lehrer bietet zunächst E-Books der meisten Schulbuchverlage aus dem deutschsprachigen Raum – das sei der erste Schritt gewesen. Dazu käme, dass Lehrer ihre eigenen Materialien hochladen und sich mit Kollegen anderer Schulen darüber austauschen. „Co-Creation“ nennt Gonzales-Scheller dieses Prinzip, das zum Konzept des Open Educational Resources (OER) gezählt werden kann.

Aber vor allem haben Lehrer bei scook die Möglichkeit, individuelle Diagnosetests mit allen Schülern durchzuführen – natürlich anonymisiert. „Wir stellen uns immer die Frage: Wo geht es hin? Und wir betreiben auch Forschung dazu“, sagt Gonzales-Scheller. Und der nächste Schritt sei nun – nach der Digitalisierung –, immer mehr interaktive Elemente zu entwickeln. Nach seiner Vorstellung wird es bald keine klassischen Schulbücher mehr geben, sondern individualisierte, kleine Module, die den Schülern je nach Qualifikation zugeordnet werden könnten.

Also weg vom Frontalunterricht! Damit spricht der Leiter von Scook auch Benjamin Seelisch aus der Seele. Auch er glaubt an eine Revolution des Inhalts und des Lernens. Weg vom Stufen- und Klassenraumprinzip, hin zu Lerngruppen und Projektarbeit. „Je individueller das Lernen, desto besser“, sagt Seelisch. Laura Millmann (N4t)

Die didacta 2016 in Köln
Die didacta findet dieses Jahr in Köln statt. Sie gilt als größte Fachmesse zum Thema Lehren und Lernen. Noch bis Samstag, 16. Februar, können sich die Besucher zwischen 9 bis 19 Uhr über aktuelle Trends der Branche informieren.

Die didacta ist in fünf Bildungsbereiche gegliedert: Frühe Bildung, Schule/Hochschule, neue Technologien, Berufliche Bildung/Qualifizierung und Ministerien/Institutionen/Organisationen.

2017 findet die didacta vom 14. bis zum 18. Februar in Stuttgart statt

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