Duale Ausbildung: Hochgelobt – und schwer angeschlagen. Wirtschaft hofft jetzt auf junge Flüchtlinge

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BERLIN. Die neuen Ausbildungszahlen bestätigen den Trend: sachte, aber stetig bergab. Immer weniger junge Leute gehen in eine Lehre, dafür wollen immer mehr an die Uni. Hoffnungen richten sich nun auf Flüchtlinge.

Immer mehr Betreibe tun sich schwer, Azubis zu finden. Foto: THREESIXTY / flickr (CC BY-NC-SA 2.0)
Immer mehr Betreibe tun sich schwer, Azubis zu finden. Foto:
THREESIXTY / flickr (CC BY-NC-SA 2.0)

Im Ausland bewundert, von jeder Bundesregierung in den höchsten Tönen gelobt – und bei Schulabgängern immer unbeliebter. Dem deutschen dualen Ausbildungssystem von Lehrbetrieb und Berufsschule geht es wie dem sprichwörtlichen Propheten, der im eigenen Land nichts gilt. Es wird immer schwieriger für die Wirtschaft, Nachwuchs zu gewinnen. Flüchtlinge sind in der Statistik noch nicht wirklich angekommen.

Wie sehen die aktuellen Lehrlingszahlen aus?

Das Statistische Bundesamt meldet seit Jahren ein Rekordtief nach dem anderen. Auch am Mittwoch wieder: Noch nie starteten in Deutschland so wenige Menschen in eine duale Ausbildung wie 2015 – mit 516.000 waren es noch einmal 0,4 Prozent weniger als im Jahr davor. Die meisten jungen Frauen und Männer gingen in die Industrie (309.000), wo der Rückgang mit 1,1 Prozent aber auch besonders spürbar war. Das Handwerk (137.000) hatte mit 0,2 Prozent ein geringeres Minus zu verkraften. Ende 2015 befanden sich knapp 1,34 Millionen Menschen in Ausbildung – 1,6 Prozent oder 22 400 weniger als ein Jahr zuvor.

Welche Gründe nennen die Wiesbadener Statistiker?

Einerseits die demografische Entwicklung: Es gab – zumindest vor den Auswirkungen des enormen Flüchtlingsandrangs Ende 2015 – insgesamt weniger junge Menschen «in der für die duale Ausbildung typischen Altersgruppe», heißt es. Andererseits die Studierneigung der Schulabgänger mit Hochschulreife: Rund 53 Prozent eines Jahrgangs in Deutschland beginnen derzeit laut Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ein Studium oder einen anderen sogenannten tertiären Bildungsgang wie Meister oder Techniker.

Wie haben sich die Studentenzahlen entwickelt?

Gegenläufig zur den Azubi-Zahlen. Exakt 2.759.267 Studenten gab es im Wintersemester 2015/16 an deutschen Hochschulen – doppelt so viele wie in der dualen Ausbildung. Vor 15 Jahren waren es nur knapp 1,8 Millionen Studierende. 503.600 Menschen nahmen nach den Daten des Statistischen Bundesamtes im vorigen Jahr erstmals ein Studium auf – die aktuellen Lehrlingszahlen liegen also nur noch minimal darüber.

Ist der Ruf der dualen Ausbildung denn so mies?

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Im Gegenteil – zumindest offiziell. Kanzlerin Angela Merkel und Bildungsministerin Johanna Wanka schwärmen bei jeder Gelegenheit, wie gut das System funktioniere. Viele ausländische Staatsgäste sind begeistert und würden die Kombination Lehrbetrieb/Berufsschule am liebsten in ihrem Land übernehmen. Auch die OECD sieht zum Studium «eine attraktive Alternative durch eine berufliche Ausbildung» in Deutschland, wirbt aber dennoch weiterhin für die Hochschulbildung.

Ist ein Studium für Job- und Verdienstchancen die bessere Lösung?

Die OECD verweist auf Zahlen, wonach der Anteil der Erwerbstätigen unter Hochqualifizierten – etwa mit Studienabschluss – bei 88 Prozent liege. Ein abgeschlossenes Studium sei der zuverlässigste Schutz gegen Arbeitslosigkeit und ermögliche ein gutes Gehalt. Skeptiker wie der gegen einen «Akademisierungswahn» in Deutschland zu Felde ziehende Ex-Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin, aber auch Wirtschaftsverbände halten dagegen. «Mit völlig absurden Botschaften wie „Wer studiert, verdient im Lauf seines Lebens eine Million Euro mehr“» werde jungen Leuten der Kopf verdreht, sagt Nida-Rümelin.

Was tut die Bundesregierung?

Die zuständige Ministerin Wanka setzt dieses Jahr einen Schwerpunkt bei der Berufsausbildung – mit Programmen, die sich speziell an Schüler, Schulabgänger und Studienabbrecher richten, etwa «Jobstarter» als Förderprogramm für mehr Lehrstellen. Zudem beschloss die CDU-Politikerin mit Wirtschaft, Gewerkschaften und Bundesländern 2014 eine «Allianz für Aus- und Weiterbildung», unterfüttert mit ambitionierten Ausbildungszahlen. Hauptziel: Man wolle «die Bedeutung und Attraktivität der beruflichen Bildung deutlich aufwerten».

Könnten Hundertausende junge Flüchtlinge gegen den Mangel helfen?

Darauf setzen Wirtschaft, Arbeitsämter und Regierung. So sollen rund 10.000 junge Flüchtlinge rasch mit einem Qualifizierungsprogramm für die Ausbildung im Handwerk fit gemacht werden. Wanka stellt dafür 20 Millionen Euro zur Verfügung, und Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer betont: «Wir brauchen keine Schubkarrenschieber, wir brauchen Fachkräfte.» Die Bundesagentur für Arbeit zieht mit. Auch die Industrie- und Handelskammern haben ein Aktionsprogramm gestartet, um Flüchtlinge für die duale Ausbildung zu gewinnen. Von Werner Herpell, dpa

Zum Bericht: Duale Ausbildung: Ein Erfolgsmodell – trotzdem ein Auslaufmodell?

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21 Kommentare
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xxx
7 Jahre zuvor

Gemäß
http://www.rolandtichy.de/gastbeitrag/asylkrise-fuer-sozialen-frieden-geschenke-an-hartz-iv-empfaenger/
dürfte die Integration und die Vermittlung in Arbeit bei den meisten Flüchtlingen sehr schwierig werden, zumal die meisten der Flüchtlingen mit den besonders schwierig zu vermittelnden einheimischen Menschen um dieselben Arbeitsmöglichkeiten konkurrieren.

GriasDi
7 Jahre zuvor

Die OECD hat ja lange genug auf das deutsche Ausbildungssystem schlecht geredet. Unsere Politiker haben das natürlich kritiklos geglaubt, bis es dann auch die Bürger geglaubt haben. Jetzt muss jeder Abi machen und es will keiner mehr ne Ausbildung machen.

m. n.
7 Jahre zuvor
Antwortet  GriasDi

Wie wahr, GriasDi!

Marcus Petzold
7 Jahre zuvor

Unser Problem in Deutschland ist nicht, dass wir zuwenig Menschen haben um die freien Stellen zu besetzen. Die vorhandenen Menschen sind nur nicht für die Jobs qualifiziert. Und auch die Flüchtlinge müssen qualifiziert werden. Man versucht ein qualitatives Problem mit Quantität zu lösen…das kann nur schief gehen.

U. B.
7 Jahre zuvor
Antwortet  Marcus Petzold

Stimmt!! Es wird aber immer wieder bestritten, dass wir ein qualitatives Problem haben. Solange nicht eingesehen wird, dass dies so ist, wird sich an der Bildungspolitik auch nichts ändern.

xxx
7 Jahre zuvor
Antwortet  U. B.

Die Bildungspolitiker lösen das qualitative Problem (bzw. erhöhen die Bildungsqualität) ganz einfach durch Erhöhung der Abiturquote. Punkt. Aus. Fertig. Das ist einfach, kostet kein oder kaum Geld und kommt kommt in der wahlberechtigten Bevölkerung gut an. Für Politiker ist das eine win-win-win-Situation, für alle anderen und die Zukunft des Landes eher weniger.

mehrnachdenken
7 Jahre zuvor

In meiner Region erhielten fast 60 Handwerker ihre Meisterbriefe.
Nach einer aktuellen Studie des Institutes für Arbeitsmarkt und Berufsforschung sei ein Meisterabschluss die beste Garantie gegen Arbeitslosigkeit.
Mit zwei Prozent liege die Arbeitslosigkeit bei Meistern noch um 0,5 Prozent unter der von Akademikern.
2005 soll die Erwerbslosenquote bei Personen mit einer Meisterqualifikation noch bei 6,7 Prozent gelegen haben.

Allerdings ist von einer „Ecke“ in Niedersachsen die Rede, in der die allg. Arbeitslosigkeit sowieso schon deutlich unter dem Bundesdurchschnitt liegt.
Wie war das noch mal mit dem Handwerk und dem „goldenen Boden“?

dickebank
7 Jahre zuvor
Antwortet  mehrnachdenken

Wie viele von denen bleiben denn noch übrig, wenn Sie die mit einem Familienbetrieb im Rücken abziehen?

mehrnachdenken
7 Jahre zuvor
Antwortet  dickebank

Von eigenen Betrieben ist in der Meldung gar keine Rede.

dickebank
7 Jahre zuvor

Handwerksberufe??? Gesellen in einigen Handwerksbereichen (Augenoptik) verdienen in der Regel so wenig, dass sie unterhalb der 2.100 EUR bleiben, die sie nach 40 Jahren ununterbrochener Berufsausübung vor der sozialen Grundsicherung schützen würde. Der Gehaltssprung, der sie überkommt, wenn sie einen Meister haben, ist definitiv lächerlich.

mehrnachdenken
7 Jahre zuvor
Antwortet  dickebank

Sie mögen ja DEN Überblick besitzen. Mir fällt aber auf, wie oft Sie den Handwerksberuf schlecht reden.
Zumindest in meiner Gegend leben eine Menge Handwerker und denen scheint es prächtig zu gehen.

2100 EURO Rente sind nun mal nicht so schlecht, wenn Sie z.B. Ihr Häuschen bis dahin abbezahlt haben und
auch sonst frei sind von nennenswerten finanziellen Belastungen.

xxx
7 Jahre zuvor
Antwortet  mehrnachdenken

Nicht 2100€ Rente. 2100€ brutto während des Erwerbslebens, was weniger als 1000€ Rente entspräche und damit in etwa Grundsicherung. Davon riestern dann einige, damit der mühsam zusammengehungerte Ertrag mit der Grundsicherung verrechnet wird.

Umgekehrt entsprechen 2100€ Rente mindestens 4000-4500€ brutto. Davon kann man mit entsprechendem Eigenkapital tatsächlich ein Häuschen abbezahlen.

mehrnachdenken
7 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Danke für den Hinweis.

Kurz mal gegoogelt:

Tabellarisch stellt sich das Gehalt als Augenoptiker in Abhängigkeit vom Alter wie folgt dar

25 Jahre = 1.824 Euro brutto
30 Jahre = 1.996 Euro brutto
35 Jahre = 2.179 Euro brutto
40 Jahre = 2.284 Euro brutto
45 Jahre = 2.333 Euro brutto
50 Jahre = 2.393 Euro brutto

Auswirkung der Firmengröße auf das Monatsgehalt

bis 500 Mitarbeiter = 2.056 Euro brutto
501 bis 1000 Mitarbeiter = 2.297 Euro brutto
über 1000 Mitarbeiter = 2.422 Euro brutto

Nun, dieses Zahlenwerk kommt schon etwas freundlicher daher. Ich gebe aber zu, dass es schwierig sein könnte, als alleiniger Verdiener mit 30 Jahren eine Familie zu gründen.

mehrnachdenken
7 Jahre zuvor
Antwortet  mehrnachdenken

Es gibt eine riesige Verdienstspanne bei Meistern der Augenoptik.
Während in Schwerin 2000 € gezahlt werden, bekommt jemand in Augsburg 4000 €.

Ein Blick in die folgende Tabelle macht schlau:

http://www.gehalt-tipps.de/Gehaltsvergleich/Gehalt/Augenoptikermeister/6822.html

In Bezug auf den Verdienst im Augenoptikerbereich deutet einiges darauf hin, dass es sich „dickebank“ wohl zu leicht macht.

dickebank
7 Jahre zuvor
Antwortet  mehrnachdenken

Ich habe von Augenoptikergesellen geschrieben. Der weitüberwiegende Teil der Angestellten wird mit diesem formalen Kammerabschluss sein Berufsleben bestreiten und lediglich ein kleinerer Teil den Meister, einen staatlich geprüften Augenoptiker oder einen Bachelor der Optometrie erlangen.

Hinzu kommt dass in vielen Betrieben die Zahl der ausgebildeten Augenoptiker stark abnimmt und im Vertrieb Verkäufer eingesetzt werden.

Wir müssen es aber nicht bei Augenoptikern belassen, wie können auch Hörgeräteakkustiker und Orthopädiemechaniker gerne hinzunehmen. Des Weiteren wären dann da auch noch medizinische Fachangestellte, die allerdings von den IHKs geprüft werden und nicht zum Handwerk gehören.

Die Beispiele aus SN und A sind ja nett gemeint, nur um zu argumentieren ist das durchschnittseinkommen oder meinetwegen auch noch der Median aussagekräftiger als die Minima und Maxima einer Tabelle.

dickebank
7 Jahre zuvor
Antwortet  mehrnachdenken

Augenoptiker im Angestelltenverhältnis mit mindestens 50 Berufsjahren. Das ist ein echter Kracher:)

Ende der Ausbildung mit 20 und dann eben mal bis zum Siebzigsten durchgearbeitet.

Sollten Ihre Zahlen allerdings das Durschnittseinkommen der 25- bis 50-jährigen Augenoptikerkohorten repräsentieren, dann ist die Familiengründung auch mit 35 noch nicht zu empfehlen.

dickebank
7 Jahre zuvor
Antwortet  mehrnachdenken

Lesen Sie auch die Beiträge? Ich schrieb, um eine Rente oberhalb der Grundsicherung zu bekommen, muss man 45 Jahre lang ein (Durchschnitts-)Einkommen von 2100 Euro erlangt haben. Die höhe der Rente beträgt nämlich 43% von 2100 Euro – also 903 EUR/Monat.

jenny
7 Jahre zuvor

welcher Mangel??? Laut Kommentar BVerfG aus den 1980ern müssten, um Berufswahlfreiheit einzuhalten auf 100 Bewerber mind. 112 Ausbildungsstellen kommen die frei sind, damit das Angebot auswahlfähig ist nd dies wird seit den 1980ern bis heute NICHT eingehalten!

und nicht nur das: die einzigen Mangelbranchen, dennen Azubis fehlen sind der versammelte Niedriglohnsektor und Ausbeutungssektor, wo eine Ausbildung direkt in Altersarmut führt

https://www.bibb.de/ausbildungsmarkt2015

guckt euch die Zahlen an und vergesst nicht immer die ALTBEWERBER der Vorjahre!!! es sind keine 112 offene Plätze auf 100 Bewerber

es gibt mehr Nachhfrager als Plätze, ergo eine Phantomdebatte ! Des weiteren verweise ich auf die Bücher des Berufspädagogen Georg Rothe — kann man mal durchlesen „die duale Ausbildung und Lisssabon 2000“

Des Weiteren ist die Ausbildung keineswegs im Ausland so bewundert, wie hier behauptet wird, steht ebenfalls in o.g. Buch und geht auch hieraus hervor z.B.:

http://sverigesradio.se/sida/artikel.aspx?programid=2108&artikel=5365040

sobald es den Beruf im Ausland als Studium gibt, gilt die Ausbildung als schlechter qualifizierend – mein Bekannter hat 5 Jahre Erzieher in DE gelernt und darf im Ausland damit nur als Assistent arbeiten, also den dortigen Bachelors assistieren

Paul
7 Jahre zuvor

Es fehlt eindeutig an Fachkräften in technischen Berufen. Und hier wurden die Weiterbildungsmöglichkeiten von der Regierung jetzt kürzlich auch erst verbessert (Stichwort Meister-Bafög). Es lohnt sich also in einigen Branchen definitiv, eine Ausbildung zu machen und dann einen Meister draufzusatteln. Hier gibt’s eine kleine Beispielrechnung, was eine Weiterbildung zum Meister einen effektiv kosten würde nach Abzug aller Förderungen: http://www.fain.de/klug-investiert/

dickebank
7 Jahre zuvor
Antwortet  Paul

Wenn es einen Mangel gäbe, wären die Vergütungen höher. Was nutzt der meister, wenn es keine entsprechenden Planstellen gibt und der Meister weiterhin auf einer Facharbeiterstelle bleibt. Das Unternehmen schöpft die zusätzliche Qualifikation bei einer geringfügigen Entgelterhöhung gem. ERA ab. Oder der Meister wird zum AT-Angestellten und kann eine Überstundenbezahlung vergessen, da er ja jetzt der Vertrauensarbeitszeitregelung unterliegt und sich selbst ausbeuten darf.

Tariflöhne, von denen man leben kann, gibt es evtl. in großen Unternehmen, die sich an die Tarife der IGM oder IBBCE halten. In allen anderen Tarifbereichen sind dei Entgelte eher Almosen als leistungsgerecht.
Ein Augenoptikermeister im Angestelltenverhältnis bekommt brutto gerade einmal weniger als 400 Tacken mehr als ein Geselle – Leistung muss sich ja wieder lohnen …

Markus Ritt
7 Jahre zuvor

Unsere Politiker wie auch die Bürger reden immer schlecht über Handwerksberufe. Die Bezahlung ist meist geringer als bei Uniabgängern, was ebenfalls ein gravierender Punkt ist, warum so viele nur mehr den Weg: Abi->Studieren->leitende Position anstreben verfolgen. Ich kenne sehr viele erfolgreiche Fachkräfte, die ihr Handwerk beherrschen und gutes Geld verdienen. Eine tolle Karriere, wie auch in diesem Ratgeber http://www.bigkarriere.de/ bestätigt, kann man auch ohne Abi machen!