Ärger über das Wirr-Warr in der Schulpolitik wächst – Forderungen nach „Deutschland-Abi“ werden lauter

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ESSLINGEN. Das Wirr-Warr in der Bildungspolitik müsse ein Ende haben, die Niveauunterschiede innerhalb Deutschlands seien «absolut ungut» und eine «riesengroße Ungerechtigkeit» – meint jedenfalls die Direktorenvereinigung Nord-Württemberg. Auch in Sachsen-Anhalt hat sich unabhängig davon eine Initiative formiert, die ein einheitliches Abitur für ganz Deutschland fordert.

Deutschland, einig Vaterland? In der Bildung eher nicht. Foto: Andreas Hermsdorf / pixelio.de
Deutschland, einig Vaterland? In der Bildung eher nicht. Foto: Andreas Hermsdorf / pixelio.de

Eine seiner Schülerinnen aus der zehnten Jahrgangsstufe sei mit ihrer Familie nach Kiel gezogen. Dort sei nach den Worten ihres Vaters die Differenz zu Baden-Württemberg «unfassbar groß», so berichtet der Vorsitzende der  Direktorenvereinigung Nord-Württemberg, Michael Burgenmeister. Es sei ein Unding, dass das Abitur von Bundesland zu Bundesland nicht vergleichbar sei. «Was soll man davon halten, dass ein hoch entwickeltes Land wie Deutschland es nicht schafft, die Schulabschlüsse wie das Abitur in den Bundesländern vergleichbar zu machen?» Schließlich hänge die Zulassung zu bestimmten Studiengängen von der Abschlussnote ab, betont der Schulleiter.

Die Initiative «Faires Abi» aus Sachsen-Anhalt sieht das ähnlich. Sie sieht Schüler des Landes   benachteiligt – und fordert deshalb ein einheitliches Abitur für alle Bundesländer. «In Sachsen-Anhalt sind die Hürden für das Abitur am höchsten»,  meint Winfried Borchert von der Aktionsgruppe aus Wernigerode. Die Leistungsanforderungen seien höher als in anderen Ländern und es gebe andere Bewertungsmaßstäbe. Diese führten dazu, dass die sachsen-anhaltischen Abiturienten nach dem Abschluss schlechter dastünden.

So müssten die Schüler in der 11. und 12. Klasse sechs Leistungskursfächer belegen, sagt Borchert. Im Nachbarland Sachsen seien es hingegen nur zwei. Zudem fließe jede Zeugnisnote in die Abitur-Endnote ein. In anderen Ländern könnten Schüler bis zu einem Viertel ihrer schlechten Noten einfach ausklammern. «Ein Schüler aus Sachsen-Anhalt mit exakt den gleichen Noten wie ein Schüler aus einem anderen Bundesland bekommt damit ein schlechteres Abiturzeugnis.» Das habe Folgen für die Zukunft der Heranwachsenden. «Die Schüler aus Sachsen-Anhalt haben schlechtere Chancen auf einen Studienplatz», meint  Borchert weiter. Viele Studiengänge seien mit einer Zulassungsbeschränkung, dem sogenannten Numerus Clausus, belegt. Sachsen-Anhalter befänden sich in den langen Bewerberlisten weiter unten und seien damit benachteiligt.

Die Initiative fordert neben dem bundesweit einheitlichen Abitur identische Prüfungsaufgaben über die Landesgrenzen hinaus. «Der Wohnort in Deutschland darf nicht mehr über die Chancen auf ein Abitur entscheiden», sagt Borchert. Schulleiter Burgenmeister wäre schon froh, wenn die Standards in seinem Bundesland Baden-Württemberg  angepasst würden: Dort nämlich sei das Abitur am beruflichen Gymnasium nicht gleichwertig mit dem am allgemeinbildenden Gymnasium. «Ich würde mir wünschen, dass die Abiture zumindest bei uns im Land einheitlicher würden», so Burgenmeister.

Die Kultusminister der Länder haben sich bereits 2012 auf einheitliche Leistungsanforderungen in vier Kernfächern geeinigt. Demnach sollen in Deutsch, Mathematik, Englisch und Französisch erstmals 2017 überall gleich schwere Abituraufgaben gestellt werden. Die nordrhein-westfälische Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) erklärte seinerzeit, es gehe darum, Verbindlichkeit und Gleichwertigkeit zu regeln, aber eben nicht um ein Einheitsabitur in Deutschland.

Bildungsminister Marco Tullner (CDU) wies unterdessen Kritik am sachsen-anhaltischen Abitur zurück. «Sachsen-Anhalt wird sich in keinem Fall an einem Wettlauf um das „billigste“ Abitur beteiligen», sagte der CDU-Politiker am Montag in Magdeburg. Verlässlichkeit und Berechenbarkeit sollen auch in Zukunft das Abitur im Land charakterisieren. Tullner betonte jedoch, dass Sachsen-Anhalt das gemeinsame Bemühen der Bundesländer unterstützt, wieder ein vergleichbares Abitur zu schaffen. Konkret wurde der Bildungsminister dabei nicht. News4teachers / mit Material der dpa

Zum Bericht: Abitur im Ländervergleich – Philologen kritisieren Ungerechtigkeit in den Anforderungen

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4 Kommentare
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xxx
7 Jahre zuvor

Ich fürchte allerdings, dass ein aufgelöstes Wirr Warr einer Einigung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner gleich kommt und damit zwar eine Vereinheitlichung der Anforderungen in Kraft tritt, jedoch der Niveauverlust noch eklatanter sein wird, weil kein Bundesland nach der Vereinheitlichung schlechter im Sinne von geringerer Abiturquote darstehen möchte als vorher.

Pälzer
7 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Ein möglicher Ausweg wäre, dass es mehrere bundesweite Standards geben könnte (möglichst weniger als 16 ;-)), und die Länder oder die Schulen entscheiden, welchen Standard sie fahren.

xxx
7 Jahre zuvor
Antwortet  Pälzer

Dann hält sich die Vergleichbarkeit wieder in Grenzen oder es läuft auf einen Selbstbetrug à la Standortfaktoren von Villenviertel auf dem platten Land bis sozialer Brennpunkt in der Großstadt hinaus. Besonders auf dem Land würden die Eltern keine Entscheidungsfreiheit zwischen einem Gymnasium auf niedrigem Niveau und einem Gymnasium auf erschreckend niedrigem Niveau haben, weil es im Umkreis nur ein einziges gibt.

PS an die Nörgler: Ich habe bewusst nicht hohes und niedriges Niveau geschrieben. Ferner geht es in dem Artikel hauptsächlich um das Abitur, weswegen ich mich auf das Gymnasium beschränkt habe.

dickebank
7 Jahre zuvor
Antwortet  Pälzer

Es ist doch müßig, die Länder in ihrer ausschließlichen Gesetzgebung beschränken zu wollen. Wenn überhaupt etwas geändert werden soll, dann muss das auf dem Wege einer Föderalismusreform geschehen. Bedeutet ganz konkret die Zusammenlegung/Fusion einer großen Zahl von Bundesländern mit dem Ziel 6 oder 7 Bundesländer mit annähernd 12 Mio Einwohnern.

Also Nds, HB, HH und SH zusammenlegen; die FNBL außer TH + Berlin; TH und HE; BW, RP und SL; lediglich BY und NRW bleiben eigenständig. Alternativ: BW eigenständig und lediglich die Fusion von RP und SL.

Aber das müssen die Einwohner dieser Länder wollen, das kann nicht vom Bund beschlossen werden. – Und genau daran wird es scheitern. , siehe Berlin/Brandenburg.

Bei so einer Verwaltungsreform treten dann die gleichen Probleme auf, wie bei der Kommunalreform in MV. Es entstehen tlw. „Verwaltungsgebiete“, die riesig sind. Vergleichen sie die Fläcje von NRW und die Einwohnerzahl mit dem territorium der FNBL + Berlin. Neben Berlin schrumpfen die anderen ehemaligen Landeshauptstädte zu Kleinstädten. Für den Großraum Berlin müsste der neue „Staat“ etwa 30% der Polizeikräfte vorhalten. Die anderen 70% müssten über die Fläche verteilt werden. Geht man von einer bestimmten Anzahl von Einwohnern je Polizist aus, werden die riesigen Flächenstaaten Probleme mit der „Bestreifung“ ganzer Landkreise bekommen.
Beim Schülertransport das gleiche, in den Ballungszentren kein Problem, in der Provinz kilometerlange Anreisen. Selbst wenn die finanzielle und wirtschaftliche Leistungskraft der sechs (neugebildeten) Bundesländer vergleichbar wäre, ergäben sich im Verwaltungsvollzug ungeheure Probleme bei der Schaffung annähernd gleicher Bedingungen.