Kindergesundheit: Vierzig Prozent der Jugendlichen klagen über Rückenschmerzen – Lebensstil wird zunehmend ungesund

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MÜNCHEN. Rückenschmerzen sind eines der häufigsten Erwachsenenleiden. Ein sitzender Lebensstil und mediennutzungsgeprägte Freizeit mit wenig Bewegung gelten als die häufigsten Ursachen; Faktoren die auch den Lebensstil von Schülern zunehmend prägen. Mittlerweile gehören Rückenschmerzen schon zu den häufigsten Beschwerden bei Kindern und Jugendlichen, berichtet die Stiftung Kindergesundheit in einer aktuellen Stellungnahme.

„Noch in den 1980er Jahren war es eine weitverbreitete Lehrmeinung, dass Rückenschmerzen bei Kindern selten auftreten und wenn doch, dann seien sie fast immer Symptome einer ernstzunehmenden Erkrankung“, berichtet Stiftungsvorsitzender Berthold Koletzko. „Inzwischen haben jedoch mehrere große Untersuchungen ergeben, dass Rückenschmerzen auch bei Kindern und Jugendlichen ein weit verbreitetes Phänomen sind und in den letzten Jahren massiv zugenommen haben“.

Mehr als drei Viertel aller 11- bis 17jährigen Kinder gaben etwa in der Kinderstudie KiGGS des Robert-Koch-Instituts an, in den letzten drei Monaten Schmerzen gehabt zu haben. Fast die Hälfte von diesen Kindern klagte über Rückenschmerzen.

Kinder und Jugendliche sind zunehmend von Rückenschmerzen betroffen. Foto: Patrice_Audet / pixabay (CC0 Public Domain)
Kinder und Jugendliche sind zunehmend von Rückenschmerzen betroffen. Foto: Patrice_Audet / pixabay (CC0 Public Domain)

Eine vor kurzem veröffentlichte Umfrage unter Kinder und Jugendärzten ergab: Die Zahl der Jungen und Mädchen mit Rückenschmerzen hat in den vergangenen zehn Jahren spürbar zugenommen. Die Probleme beginnen meist schon bei der Einschulung und treten besonders oft bei den 11- bis 14-Jährigen auf.

Organische Erkrankungen wie Skoliose oder die Scheuermann-Krankheit finden Ärzte allerdings bei höchstens 15 Prozent von Kindern und Jugendlichen, die über „Rücken“ klagen. Als häufigste Ursachen nannten die Ärzte vor allem:

• Die Kinder und Jugendlichen bewegen sich zu wenig in der Freizeit (98 Prozent);
• sie verbringen zu viel Zeit mit Medien und PC (95 Prozent);
• die Eltern regen die motorische Entwicklung ihrer Kinder nicht genug an (91 Prozent);
• die Kinder erhalten zu wenig oder schlechten Schulsportunterricht (60 Prozent).

Andere Untersuchungen bestätigen diese Ergebnisse. So erreichen nach der KiGGS-Studie nur 27,5 Prozent der 3- bis 17-jährigen Kinder und Jugendlichen den WHO-Richtwert von täglich einer Stunde moderater bis starker Bewegungsaktivität. Je älter die Kinder werden, umso stärker lassen dabei ihre Alltagsaktivitäten nach. Von den Jungen zwischen 14 und 17 Jahren sind nur noch 15 Prozent in dem von der WHO empfohlenen Maß aktiv – immerhin noch doppelt so viele wie die Mädchen mit lediglich acht Prozent

In den vergangenen 20 Jahren hat sich die körperliche Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler um rund zehn Prozent verschlechtert. Nach einer Untersuchung von Professor Dr. Klaus Bös am Institut für Sport und Sportwissenschaft der Universität Karlsruhe verbringen Grundschüler etwa neun Stunden am Tag im Sitzen, ebenfalls neun Stunden im Liegen, fünf Stunden stehend und lediglich eine Stunde in Bewegung. Die Folgen zeigen sich besorgniserregend:

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• 43 Prozent der Kinder und Jugendlichen können beim Rumpfbeugen das Fußsohlenniveau nicht erreichen.
• 35 Prozent schaffen es nicht, zwei oder mehr Schritte auf einem drei Zentimeter breiten Balken rückwärts zu balancieren.
• Ihre Leistungen beim Weitsprung aus dem Stand haben sich im Laufe von zwanzig Jahren um 14 Prozent verschlechtert.
• Nach Ansicht Kölner Sportmediziner benötigen 30 bis 50 Prozent aller Grundschulkinder eine motorische Förderung.

Geht der Anteil bewegungsorientierter Freizeitgestaltung bei den Jugendlichen zurück, beansprucht die Nutzung von Medien einen immer höheren Anteil der Zeit von Kindern und Jugendlichen. Über 70 Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren können ein Leben ohne Handy nicht mehr vorstellen. Acht von zehn Jugendlichen sehen regelmäßig fern, nach eigenen Angaben durchschnittlich 113 Minuten am Tag.

Fernsehzeit stellt naturgemäß keine Bewegungszeit dar, geht jedoch häufig mit einem erhöhten Kalorienkonsum einher. Die europaweite IDEFICS-Studie zu Ernährung, Lebensstil und sozialen Determinanten von zwei- bis neunjährigen Kindern ergab eindeutige Ergebnisse: Mit jeder zusätzlichen Stunde, die ein Kind am Tag vor dem Fernseher verbrachte, erhöhte sich die Wahrscheinlichkeit um 22 Prozent, zur Gruppe mit dem größten Zuwachs des Body-Mass-Index zu gehören. Diese Gefahr wächst um 33 Prozent, wenn das Fernsehgerät im Kinderzimmer steht und um 22 Prozent, wenn während des Essens ferngesehen wird.

Damit beginnt jedoch oft eine besorgniserregende Spirale, so die Stiftung Kindergesundheit: Dicke Kinder bewegen sich weniger wegen ihres Körpergewichts. Ihre Inaktivität führt zu einem ständig schlechteren Abschneiden in sportlichen Leistungen. Die so entstehende Frustration führt dann oft zu noch mehr Essen, noch mehr Sitzen, noch mehr Rückenschmerzen.

Keineswegs kann dabei beruhigen, dass sich die Kinder in ihrem Freizeitverhalten dem Lebensstil ihrer Eltern angleichen. Sollten die Eltern eigentlich bessere Vorbilder sein, belegen Untersuchungen eher das Gegenteil: Laut Robert-Koch-Institut Berlin (RKI) treiben ab 18 Jahren 37,4 Prozent der Männer und 38,4 Prozent der Frauen in Deutschland überhaupt keinen Sport. Weitere 20,9 Prozent der Männer und 28,4 Prozent der Frauen sind weniger als zwei Stunden pro Woche sportlich aktiv.

Um die Bewegungsdefizite von Kindern und Jugendlichen auszugleichen, sind viele Maßnahmen nötig, betont die Stiftung Kindergesundheit und nennt Beispiele:
• Sport- und Gesundheitsunterricht für Kindergarten- und Schulkinder so oft wie möglich, am besten täglich.
• Eine konsequente Verkehrsberuhigung in Wohngebieten und die verstärkte Ausweisung von Spielstraßen.
• Die Schaffung von attraktiven Bewegungsräumen, wo Kinder gefahrlos und weitgehend unbeaufsichtigt spielen können. Dadurch hätten sie die Chance, dort auch ungeplant andere Kinder zu treffen, die als Spielpartner bei allen Bewegungsaktivitäten benötigt werden. Wer allein spielt, bewegt sich wenig.
• Das Schaffen von bewegungsfreundlichen Rahmenbedingungen in Ausbildungsstätten.
• Rigorose Kontrolle des Medienkonsums durch die Eltern.
(pm)

• zum Bericht: Probleme mit Stimme und Rücken sind häufigste Lehrerleiden

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ysnp
7 Jahre zuvor

Vielleicht noch in Ergänzung ein kleiner, unwesentlicher Punkt:
Früher ist man als älterer Schüler in der Regel mit dem Fahrrad zur Schule gefahren und beförderte diesen auf dem Gepäckträger, was den Rücken nicht belastete. Heute ist das „uncool“. Der Schulranzen wird auch beim Fahrradfahren auf dem Rücken getragen.

xxx
7 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

Fahrradfahren? Das Kind wird mit dem elterlichen SUV bis in den Klassenraum gefahren. Belastet den Rücken genausowenig wie es die Rückenmuskulatur kräftigt …

ysnp
7 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Stimmt natürlich. Allerdings gibt es bei uns noch genug fahrradfahrende Schüler.

Pälzer
7 Jahre zuvor

Welche Rolle spielt die (nicht mehr eingeübte) Erinnerung an gerades Sitzen und das damit verbundenen Training der Rückenmuskulatur? Ich habe diesen Zusammenhang erst als Erwachsener gelernt.

GriasDi
7 Jahre zuvor
Antwortet  Pälzer

Man soll ja gar nicht mehr statisch sitzen.

Pälzer
7 Jahre zuvor
Antwortet  GriasDi

a) ist dynamisches Sitzen grundsätzlich was anderes als Zappeln?
b) In jedem Fall ist nicht zu erwarten, dass Kinder bei unserer Lebensweise ohne entsprechende Anleitung ihre Rückenmuskulatur gut ausbilden.

GriasDi
7 Jahre zuvor

Zitat:
„Die Kinder und Jugendlichen bewegen sich zu wenig in der Freizeit (98 Prozent)“
gibt es nicht dafür die „Bewegte Schule“

„Sie verbringen zu viel Zeit mit Medien und PC (95 Prozent)“
soll es laut manchen Experten nicht noch mehr werden???

Pälzer
7 Jahre zuvor
Antwortet  GriasDi

Stimmt, „Bewegte Schule“ war bei einer Gesamtkonferenz 1998 mal Thema.

Karen
7 Jahre zuvor

In Anbetracht des Ausbaus der Ganztagsschulen sollten den Schülern viel mehr bewegte Pausen eingeräumt werden. Immerhin: Meine Tochter sitzt in der Schule auf einem ganz tollen Stuhl, das gab es zu meiner Grundschulzeit nicht. Bin gespannt, wo das hinführt, wer nicht rechtzeitig an eine Sportart herangeführt wird, die in der Freizeit ausgeübt wird, hängt ach der Schule wohl nur noch am Smartphone oder jagt maximal Pokemons (da läuft man zwar herum, aber immer mit gesenktem Kopf…)

Marina
6 Jahre zuvor

Das ist echt erschreckend zu lesen, insbesondere wenn man die Zahlen dazu noch sieht.
Bestätigen kann ich den Aspekt, dass Eltern nicht nur Vorbild sondern auch Treiber für mehr Sport sind bzw. sein sollten.
Ich bin in einem sportlich Aktiven Umkreis aufgewachsen und das hat auch meine Lebensweise geprägt. Und das ist nicht nur bei mir der Fall.
Ein Problem ist sicherlich auch der Umgang mit dem Smartphone. Kinder im jüngeren Alter hängen mit gebeugten Kopf for ihrem Handy. Welche Langzeitauswirkungen diese Haltung auf die Gesundheit hat, kann sich sicherlich jeder ausmalen. Wie sieht die Zukunft aus? Aus Trendsicht finde ich Augmented Reality sehr spannend, aber das ist wieder ein anderes Thema