Besondere Belastungen – wenig Geld: Studie zeigt Unterfinanzierung der Grundschulen auf. VBE: „Skandal“

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FRANKFURT/MAIN. Die Lage ist zwar nicht mehr ganz so angespannt wie vor Jahren: Ein angesehener Bildungsforscher zeigt in einer Untersuchung aber auf, dass die Grundschulen immer noch unterfinanziert sind. Unter den Bundesländern gibt es zudem eklatante Unterschiede. Der Grundschulverband – der die Studie in Auftrag gegeben hat – beklagt die Situation, verweist aber auch auf die gute Leistungsbilanz der Grundschulen: Bei den internationalen IGLU-Vergleichsstudien erreichten die deutschen Schüler in den vergangenen Jahren Plätze im oberen Viertel.

Es geht ums Geld. Foto: Shutterstock

Rund 5600 Euro pro Grundschüler: So viel hat der deutsche Staat 2013 für die öffentlichen Grundschulen ausgegeben. Damit sind die Zuwendungen seit der Jahrtausendwende bundesweit auf mehr als 155 Prozent gestiegen. Doch zugleich sind auch die Aufgaben gewaltig gewachsen – etwa durch Ganztagsangebote oder die Inklusion Behinderter in allgemeinen Schulen.

Im internationalen Vergleich steht Deutschland im Grundschulbereich weiterhin nicht besonders gut da. In einem am Dienstag in Frankfurt am Main veröffentlichten Gutachten weist der renommierte Bildungsökonom Prof. Klaus Klemm (Essen) darauf hin, dass Deutschland bei den Ausgaben für die Grundschulen hinter den USA, Großbritannien, Schweden, der Schweiz und Österreich rangiert.

Dies gilt auch für den Unterricht. Im Schnitt der OECD-Länder haben Kinder während der ersten vier Schuljahre 3000 Zeitstunden, in Deutschland sind es nur gut 2800 Stunden. In Europa liegen die Niederlande mit 3640 Stunden ganz vorne.

Mal mehr, mal weniger Wochenpflichtstunden

Doch auch unter den 16 Bundesländern gibt es bei den Wochenpflichtstunden eklatante Unterschiede. Bayerns Grundschüler kommen an der Spitze über alle vier Grundschuljahre hinweg auf insgesamt 104 Stunden (Jahr 2013/2014), in Berlin und Hessen sind es dagegen nur 92. Bundesweit liegt der Schnitt bei 96,9. «Die Bayern gehen viereinhalb Jahre in die Schule, die Berliner vier Jahre», hat Klemm ausgerechnet.

Auch bei der Frage, was den einzelnen Bundesländern die Grundschulen wert sind, dokumentiert das Gutachten gravierende Differenzen. Der Bundesschnitt liegt bei 5600 Euro. Spitzenreiter mit weitem Abstand ist der Stadtstaat Hamburg, der 8700 Euro (Vergleichsjahr 2013) pro Schüler ausgibt. In Hamburg gibt es praktisch für alle (96,7 Prozent) auch eine Ganztagsschule.

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Das Schlusslicht Nordrhein-Westfalen kommt bei den Ausgaben lediglich auf 4800 Euro pro Schüler. Auch bei den Klassenfrequenzen liegt NRW mit 23,1 Schülern am oberen Ende. Bei dieser Kennzahl sind Sachsen-Anhalt (19,0) und Niedersachsen (19,1) am besten aufgestellt.

GrundschulverbandAllerdings sind die Zahlen nur bedingt aussagekräftig – weil es zahlreiche unterschiedliche Variablen und Etats in den Ländern gibt. Und auch innerhalb der Bundesländer verzeichnet die Studie oft noch ein erhebliches Gefälle. Als Auftraggeber von Klemms Gutachten folgert der Grundschulverband daraus, dass die Bedürfnisse jeder Schule individuell ermitteln werden müssten.

Besondere Belastungen

Der Grundschulverband, der die Studie in Auftrag gegeben hat, verweist in einer Pressemitteilung auf die besonderen Belastungen der Grundschulen.  Darin heißt es:

  • „Im Vergleich zu anderen Schulformen sind die Grundschulen am weitesten in der Entwicklung zu inklusiven Schulen. Die führt angesichts der knappen Personaldecke – insbesondere bei Ausfällen durch Krankheit – regelmäßig zur Überforderung der Kolleg/inn/en im Alltag, zum Beispiel bei der Versorgung körperbehinderter Kinder.
  • Auch das Ganztagsangebot ist im Grundschulbereich am größten. Wenn der Nachmittag nicht zu einem bloßen Anhängsel werden soll, sind die Grundschulen in einem besonderen Maße bei der Planung, Abstimmung und Betreuung der pädagogischen Angebote gefordert. Hier fehlt Zeit und Geld.
  • Und drittens zur Bildungsgerechtigkeit: In vielen Grundschulen kommen 30 Prozent oder mehr der Kinder aus Armutsfamilien. Das macht schon den Fachunterricht  erheblich schwieriger, es überfordert die Lehrer/innen aber auch oft in ihrer Zusatzfunktion als Sozialpädagogin oder Sozialarbeiter.“

Ein «Gießkannenprinzip» sei wenig hilfreich, wenn sich an manchen Grundschulen die Probleme häuften, sagt Maresi Lassek. Wie Klemm hält der Verband die Ganztagsschule in gebundener Form – also mit Angeboten über den Tag hinweg – für positiv. Wer Grundschulkinder allerdings nachmittags freien Hort-Trägern zum «Aufbewahren» überlasse, betreibe «Etikettenschwindel».

Klemms Gutachten ist zugleich auch Wasser auf die Mühlen der Lehrerverbände. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) fordert als Konsequenz deutlich mehr Investitionen in den Primarbereich. Man könne die Grundschulen nicht zu Drehkreuzen für Integration und Inklusion machen, ohne sie dafür angemessen auszustatten, erklärt der Vorsitzende Udo Beckmann. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) verlangt, Grundschullehrer bei der Bezahlung endlich gleichzustellen. Von Thomas Maier, dpa

Hier geht es zum Gutachten im Auftrag des Grundschulverbandes.

„Unbeschreiblicher Skandal“: Was die GEW und der VBE zur Studie meinen

BERLIN. Die Unterrichtsverpflichtung für Grundschullehrkräfte müsse gesenkt und ihre Bezahlung verbessert werden. Das hat die GEW mit Blick auf die heute veröffentlichte Grundschulstudie des Bildungsforschers Prof. Klaus Klemm gefordert. Der VBE schlägt in dieselbe Kerbe.

„Die Grundschulen müssen endlich deutlich mehr finanzielle Mittel erhalten als in der Vergangenheit. Nach dem Motto ‚Kleine Kinder – kleines Geld, große Kinder – großes Geld‘ werden Grundschullehrkräfte bis heute schlechter bezahlt als die Lehrerinnen und Lehrer an den anderen Schularten. Gleichzeitig geben sie mehr Unterrichtsstunden. Diese Benachteiligung muss endlich beendet, Grundschullehrkräfte müssen gleichgestellt werden“, sagte Ilka Hoffmann, für Schulpolitik verantwortliches GEW-Vorstandsmitglied, am Dienstag in Frankfurt a.M. Für die schlechtere Bezahlung gebe es keine Gründe: So sei beispielsweise die Ausbildung der Lehrkräfte für Grundschulen an den Universitäten genau so lang wie die der Lehrkräfte anderer Schularten. Die Arbeit in der Grundschule sei gleichwertig und Belastungen ebenso intensiv wie an anderen Schularten.

„Die hohe Unterrichtsverpflichtung lässt den Lehrkräften zu wenig Zeit für die Schülerinnen und Schüler. Kooperation und Beratung kommen häufig zu kurz“, betonte Hoffmann. „Mehr Zeit“ sei insbesondere mit Blick auf den Ausbau der Inklusion an Grundschulen sehr wichtig. Zudem wies sie darauf hin, dass Grundschulen mehr multiprofessionelle Teams aus Fachkräften für Sonderpädagogik und Schulsozialarbeit sowie den Lehrerinnen und Lehrern brauchten.

Die GEW-Schulexpertin machte deutlich, dass auch die Schulleitungen mehr Entlastung benötigten: „Es darf nicht sei sein, dass die Arbeitszeit der Leitungskräfte von Verwaltungsaufgaben aufgefressen wird und dann für die eigentlichen Aufgaben fehlt.“ „Das alles ist nicht zum Nulltarif zu haben. Doch wenn wir die wissenschaftlichen Erkenntnisse ernst nehmen, dass es gerade auf den Anfang der Lernbiografien der Kinder in Kita und Grundschule ankommt, müssen wir genau an dieser Stelle ansetzen. Mehr Geld für die Grundschulen ist ein aktiver Beitrag, Bildungsbenachteiligung von Kindern auszugleichen und einen Beitrag zu mehr Chancengleichheit zu leisten“, unterstrich Hoffmann.

Dafür bedürfe es nicht zuletzt auch einer besseren räumlichen und materiellen Ausstattung der Grundschulen. Dies sei insbesondere wegen der teils sehr unterschiedlichen Ausstattung der Grundschulen in den Bundesländern, oft sogar von Kommune zu Kommune, sehr wichtig, die den Anspruch aller Kinder auf gleiche Lebensbedingungen in Deutschland verletze.

Der VBE-Bundesvorsitzende Udo Beckmann erklärte zur Studie: „Uns wundert das Ergebnis nicht. Die Politik nutzt das enorme Engagement der Lehrkräfte schamlos aus. Sie verteilt immer mehr Aufgaben und macht Schule in Sonntagsreden zum Dreh- und Angelpunkt von Inklusion und Integration – alles, ohne die notwendigen Rahmenbedingungen bereitzustellen.“

Beckmann führte aus: „Die Unterfinanzierung der Grundschule ist ein gesellschaftspolitischer Skandal. Schließlich bildet die Grundschule ein wesentliches Fundament für alle weiteren Bildungsstufen. Wer hier spart, spart an der Zukunft unserer Kinder.“ Eine besondere Herausforderung sei die durch den Bildungsföderalismus entstehende Bildungsungerechtigkeit. Besonders zeige sich das in den stark divergierenden Ausgaben der Länder, die sich auch in der Zahl der Unterrichtsstunden pro Schüler und Schüler pro Lehrerstelle widerspiegeln. Der VBE-Chef beklagte: „Von der Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit, die von der KMK immer wieder beschworen wird, sind wir in Deutschland meilenweit entfernt.“

Neben der immer wieder festgestellten Abhängigkeit der Bildungschancen von der sozialen Herkunft gebe es eine zusätzliche Abhängigkeit der Bildungschancen vom Wohnort. „Dies ist ein unbeschreiblicher Skandal für ein so ein reiches Land wie Deutschland“, kommentierte Beckmann. N4t

 

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Anonym
7 Jahre zuvor

Das Argument „Aufwand“ ist verständlich! Aber wiederum kann man auch ohne diesen ein (guter) Lehrer sein und jeden Tag um 13/14 Uhr seine Arbeit beenden und der Kontrollaufwand ist z.B.nicht so hoch.
Ist die finanzielle Gleichberechtigung denn berechtigt, wenn das Studium-Sek.I/Primarstufe doch einfacher ist und im Umfang tlw. geringer ist?
Würden nicht viele Lehrkräfte dann lieber in Die Grundschule gehen?

dickebank
7 Jahre zuvor
Antwortet  Anonym

Die Eingruppierung findet aber nicht nach dem Aufawand bzw. der zukünftigen Arbeitsbelastung sondern nach den formalen Kriterien des Bildungs-/Berufsabschlusses statt.

Voraussetzung für die Übernahme in den gehobenen Dienst sind ein Fachhochschulstudium oder ein Bachelorabschluss und der erfolgreich absolvierte Vorbereitungsdienst als Anwärter.

Voraussetzung für die Übernahme in den höheren Dienst sind ein Hochschulstudium oder ein Masterabschluss und der erfolgreich absolvierte Vorbereitungsdienst als Anwärter.

Die fachlichen Inhalte sind vollkommen irrelevat, die Begründung für die Einstufung von Lehren an GS, HS und RS erfolgt auf der Grundlage der vormals um ein Semester kürzeren Regelstudienzeit. Die regelstudienzeiten für Lehramt GHR udn Lehramt GY/BK sind aber angeglichen worden, genauso wie die formalen Abschlüsse (Master).

Hochschulabsolventen mit Masterabschluss z.B. im Bereich Bauingenieurwesen werden einheitlich nach bestandenem Vorbereitungsdienst in den höheren Dienst übernommen. Hier ist die Frage, ob der Abschluss an einer Technischen Universität oder einer Hochschule für angewandte Ingenieurwissenschaften erlangt worden ist, belanglos für die Eingruppierung.

So viel zum Thema Gleichbehandlung.

Hinzu kommt dass z.B. im Geschäftsbereich der Polizei oder der allgemeinen Verwaltung der Aufstieg in das Verzahnungsamt zwischen gehobenem und höherem Dienst (A13) wesentlich einfacher ist und auch wesentlich häufiger ermöglicht wird. Jede Kreispolizeibehörde verfügt über mehr Planstellen für Hauptkommissare mit vier silbernen Sternen (A13 besoldet) als die Schulen der Sekundarstufe I im gleichen Kreisgebiet. Das selbe gilt für die allgemeine Verwaltung, der Stellenschlüssel für Oberamtsräte ist höher als der für A13 besoldete Lehrkräfte an Grund-, Haupt- und Realschulen sowie Gesamtschulen. Wohlgemerkt ich rede von Lehrern, nicht von Studienräten.

Palim
7 Jahre zuvor
Antwortet  Anonym

Habe ich das richtig verstanden: Sie sind der Meinung, man könne ohne Aufwand ein guter Lehrer sein und seinen Arbeitstag um 13.30 Uhr beenden?

dickebank
7 Jahre zuvor
Antwortet  Palim

Ob die Unterrichtsvorbereitung nach 14:00 Uhr oder nachts um 2:00 Uhr direkt vor dem Unterrichtsbeginn um 8:00 beginnt ist doch egal:)

Wer früh aufsteht, kann eher Feierabend machen! – Oder sollte der anonyme Poster das doch anders gemeint haben?