Eine Analyse: Soziale Abgrenzung durch Privatschulen nimmt zu – das sind die Hintergründe

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DÜSSELDORF. Immer mehr Kinder besuchen eine Privatschule. Damit wächst die soziale Kluft zwischen den Schichten. Welche Gründe und Folgen diese Entwicklung hat. Eine Analyse von Nina Braun.

Die Stuttgarter Nachrichten schreiben am 21. Juni: „In Stuttgart haben private Grundschulen Aufwind. Trotz strenger Auflagen gibt es Neugründungen. Die Nachfrage steigt. Die Angebote werden immer differenzierter.“ Professor Horst Weishaupt vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung hat die Entwicklung privater Grundschulen in Hessen untersucht und kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Nach seinen Berechnungen hat sich vor allem die Zahl der Grundschüler auf Privatschulen erhöht. Seit den 90er Jahren hat sie sich verdreifacht, während insgesamt die Zahl der Schülerinnen und Schüler in Hessen um 13 Prozent zurückging.

Privatschulen sind für den Staat günstig

Aus Sicht der Schulverwaltung bieten Privatschulen Vorteile. „Sie entlasten die Behörden gegenüber Reformwünschen von Eltern und sie senken die öffentlichen Schulausgaben“, sagt Professor Weishaupt. Denn die öffentliche Bezuschussung ist niedriger als die durchschnittlichen Ausgaben je Schüler im staatlichen Schulsystem. So schreibt beispielsweise die Schweizer Zeitung „ der Landbote“ im Juni 2016, dass die Stadt Winterthur dank Privatschulen 10 Millionen Franken pro Jahr spare.

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Warum Eltern immer häufiger eine private Grundschule wählen, hat zahlreiche Ursachen. Weishaupt vermutet vor allem eine fehlende Bereitschaft der Schulverwaltung, auf elterliche Erwartungen einzugehen. Ein Beispiel: In Hessen boomen vor allem private Ganztagsschulen. Auf staatlicher Seite ist der Ganztag eher unter weiterführenden Schulen und unter Kitas verbreitet. Zum Vergleich: 48 Prozent der Kinder im Kindergartenalter bekamen 2013 einen Ganztagsplatz, aber nur 13,4 Prozent der Schulkinder unter 11 Jahren. Hinzu komme eine zunehmend international orientierte Elternschaft, die eine zweisprachige Erziehung ihrer Kinder wünsche. Beliebt sind darüber hinaus Werte-orientierte Konzepte, etwa aus der Reformpädagogik, der Waldorferziehung oder von kirchlichen Trägern.

Ein wichtiges Element im Waldorf-Unterricht: die musisch-künstlerische Erziehung. Foto: g.pleger / flickr (CC BY-SA 2.0)
Ein wichtiges Element im Waldorf-Unterricht: die musisch-künstlerische Erziehung. Foto: g.pleger / flickr (CC BY-SA 2.0)

Wohlhabende Eltern wählen eher eine Privatschule

Die sozialen Folgen der Privatschulentwicklung lassen sich empirisch nachweisen: Nach Angaben von Professor Weishaupt korreliert die Besuchsquote privater Grundschulen hoch mit dem Bruttoinlandsprodukt der jeweiligen Kommune. Das heißt, in den wirtschaftsstarken Kreisen mit einer einkommensstarken Bevölkerung ist der Privatschulbesuch deutlich höher als in den weniger wirtschaftsstarken Kreisen. Außerdem bestehe eine Korrelation, die darauf hinweist, dass mit zunehmenden Migrantenanteil unter den Kleinkindern die Privatschulquote steigt.

Der Entwicklung hin zu Privatschulen, die die soziale Kluft zwischen Deutschen- und Nichtdeutschen sowie zwischen Wohlhabendenden und weniger Wohlhabenden verstärken, sollte entschlossen entgegengetreten werden, indem das Vertrauen der Eltern in das öffentliche Schulwesen wiedergewonnen wird. Die Entwicklung könne sich ansonsten, laut Professor Weishaupt „auf die Leistungsentwicklung der in den öffentlichen verbleibenden Schülerinnen und Schüler auswirken und erreichte schulpolitische Fortschritte möglicherweise zukünftig in Frage stellen.“

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sofawolf
7 Jahre zuvor

Aus meiner Sicht sind Privatschulen keine Alternative. Da sie nicht immer, aber doch oft schlechter zahlen als staatliche Schulen, arbeiten dort viele Lehrer, die anderswo keine Chance haben, eine Stelle zu finden. (Klar, das ist nicht überall so, aber doch tendenziell oft.) An den Privatschulen mischen sich Eltern ins alles ein. Das mögen sie selbst als Vorteil empfinden, für einen Lehrer ist es das aber nicht! Viele entfliehen den Privatschulen, sobald sie nur können!

Palim
7 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Das ist die Blickrichtung einer Lehrkraft. Die Blickrichtung der Eltern ist eine andere: Sie bezahlen und „leisten“ sich für ihr Kind „etwas Besseres“ – wirklich oder scheinbar, je nach Angebot und Ausstattung der Privatschule und der Regelschule.
Dadurch, dass viele dieser Eltern sich um ihre Kinder weit mehr kümmern als Eltern der Regelschulkinder es wollen oder können, findet sich dort eine besondere soziale Auslese wieder.
Dabei gibt es sicherlich regional recht große Unterschiede, für entscheidend halte ich auch, ob es mehrere Privatschulen gibt und ob Einzugsbereiche der Regelschulen aufgehoben oder eng begrenzt sind.

Pälzer
7 Jahre zuvor
Antwortet  Palim

Die soziale Auslese funktioniert in erster Linie so, dass zu den Privatschulen Eltern gehen, die über Schule nachdenken und bereit sind, sich zu engagieren. (dabei schließe ich die Paukschulen für Kinder reicher Leute nicht mit ein.)

mississippi
7 Jahre zuvor
Antwortet  Pälzer

Aber nicht alle Eltern, die über Schule nachdenken und bereit sind, sich zu engagieren, können sich so eine Schule finanziell leisten. Bei uns kostet ein Platz in der Freien evangelischen Realschule z. B. über 200 Euro im Monat. Bei meistens 3 Kindern pro Familie können sich unsere Eltern das nicht leisten. Außerdem kommen noch wöchentliche Arbeitszeiten der Eltern dazu, um Putzfrauen und Hausmeister zu ersetzen. Erlebe ich gerade in meiner Klasse so mit. Mit einem Seufzen haben die Eltern ihre Kinder alle in der Staatlichen Realschule angemeldet. Seufzen schon allein wegen den Klassengrößen.

ysnp
7 Jahre zuvor

Wenn die Privatschulen staatlich anerkannt sind, sehe ich kein Problem. Wir haben in der Gegend private Realschulen und vor allem Gymnasien mit einem guten bis sehr guten Ruf. Das belebt die Konkurrenz. Außerdem können Eltern, die Schulen nach ihrer persönlichen (Lebens)einstellung wählen. Das finde ich wichtig, denn staatliche Schulen folgen ja auch einem gewissen Leitgedanken. Gerade Montessorischulen und Walldorfschulen sind etabliert, wenn es auch manchmal mit der Kompatibilität hapert und die Schüler für Abschlüsse extra lernen müssen. (Das ist oft der Grund, weshalb ältere Schüler wieder zurückwechseln, hatte ich auch in der Verwandtschaft so.) Dennoch sehe ich Privatschulen als eine Bereicherung.
Es sollte nur nicht so sein, wie es sich z.B. in England entwickelt hat, dass private Schulen qualitativ wesentlich besser sind als staatliche Schulen. D.h. der Staat muss sich anstrengen, damit die staatlichen Schulen nicht zu Schulen 2. Klasse werden. Dadurch erreichen wir auch eine Qualitätssteigerung der staatlichen Schulen.

dixo
7 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

Auch in Frankreich und Italien sind private Schulen qualitativ erheblich besser als staatliche Schulen. Dasselbe gilt für die Hochschulen. Dafür hat derselbe Glaube gesorgt, der auch bei uns immer mehr Einzug hält, nämlich den an „eine Schule für alle“, in der kein Kind zurückgelassen werden darf.
Dies hat bereits vor Jahrzehnten zu einer Niveaulosigkeit geführt, die Privatschulen attraktiv machten. Sie schossen wie Pilze aus der Erde und haben die staatlichen Schulen inzwischen zu Restschulen gemacht.
Realitätssinn der Eltern schlägt hehre Ideologie von Bildungs“experten“, kann man da nur sagen.

sofawolf
7 Jahre zuvor

@ Palim, da stimme ich Ihnen zu.

sofawolf
7 Jahre zuvor

An den Privatschulen, die ich kenne (natürlich kenne ich nicht alle!), herrschte auch Mangelverwaltung. An allen Ecken und Ende wurde gespart. Es mag anderswo anders sein.

Pälzer
7 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Welche kennen Sie denn?

xxx
7 Jahre zuvor

An Privatschulen gehen auch die Kinder, die aus welchen Gründen auch immer an öffentlichen Schulen nicht klar gekommen sind. Das Leistungsniveau muss auch nicht zwangsläufig höher oder niedriger sein als bei staatlichen Schulen mit ähnlichen Bildungszielen.

dickebank
7 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Aber die Aufnahme an einer Privatschule oder Ersatzschule lässt sich super vermarkten.
In einer ehem. Kreisstadt mit über 60 Tausend Einwohnern gibt es vier GY.
Eines in freier Trägerschaft, das den kommunalen Haushalt je Schüler am stärksten belastet;
zwei sind in kirchlicher Trägerschaft, wobei eines von einem Trägerverein betrieben wird, dessen Anteile zur Hälfte bei der Kommune liegen;
eines ist in städtischer Trägerschaft.

Die normale Unterhaltung zwischen Eltern läuft dann in etwa so ab:

„Meines geht auf das ev. GY. Aber das von Familie XY geht an das städische GY.“
„Die mussten den ja auch nehmen.“

Im Tenor läuft das darauf hinaus, dass obwohl die Leistungen der GY in kirchlicher und städtischer Trägerschaft absolut vegleichbar sind. das städtische immer als gymnasiale Restetruhe angesehen wird.
Die einen sind nach einem „schwierigen Auswahlverfahren“ an einer „Privatschule“ aufgenommen worden, während die anderen lediglich an eine Schule in kommunaler Trägerschaft gehen, weil die ja jeden (der die Voraussetzungen erfüllt) nehmen muss.

sofawolf
7 Jahre zuvor

Auch dabei stimme ich aus Erfahrung zu, XXX.

Bernie
7 Jahre zuvor

Die finnische Schule hat den expliziten Auftrag, sozial bedingte Leistungsunterschiede zwischen den Lernenden möglichst klein zu halten. Chancengleichheit wird auch im deutschen Grundgesetz verlangt (Art. 7:….und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird).
In Finnland werden auch Privatschulen vom Staat bezahlt. Bedingung: Die Schulen müssen ihre Profile transparent machen. Beispiele: Montessori-Schulen, Steiner Schulen mit entsprechender Lehrer/innenbildung usw.
Eine Lösung, die in den deutschsprachigen Ländern unwahrscheinlich ist, weil zu viele private Anbietende gut verdienen an den Defiziten der öffentlichen Schulen.

xxx
7 Jahre zuvor
Antwortet  Bernie

Hier in Deutschland ist man auf dem besten Weg, die Leistungsunterschiede klein zu machen, allerdings durch Nivellierung auf einem niedrigen Niveau. Ob das gut für die Zukunft ist, wage ich aus heutiger Sicht mal anzuzweifeln.

Ach ja Finnland: Die guten PISA-Ergebnisse, auf die Sie indirekt ansprechen, waren noch die Nachwirkungen des erst kurz vor der Studie abgeschafften sehr lehrerzentrierten Unterrichtssystems.

Bernie
7 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

‚Ach ja Finnland: Die guten PISA-Ergebnisse, auf die Sie indirekt ansprechen, waren noch die Nachwirkungen des erst kurz vor der Studie abgeschafften sehr lehrerzentrierten Unterrichtssystems‘.

Diese Aussage von xxx entspricht nicht der tatsächlichen Entwicklung der finnischen Gemeinschaftsschule für alle‘.
,Das finnische Schulsystem hat sich seit Mitte der 1970er-Jahre zielgerichtet in die Richtung eines integrativen Systems entwickelt und ist so zu einer Schule für alle geworden, die den Schülern ungeachtet ihres Geschlechts, ihres sozialen Hintergrunds und ihrer ethnischen Zugehörigkeit gleichwertige Bildungsmöglichkeiten garantiert, wie es die finnische Verfassung schon immer verlangt hat. Die Schulgesetzgebung wurde diesem Ziel entsprechend geändert’.
R.Domisch in:
http://link.springer.com/article/10.1007%2Fs11618-009-0100-4

Eine Aussage von Rainer Domisch, die eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem finnischen Schulsystem aufdrängt.

xxx
7 Jahre zuvor
Antwortet  Bernie

Ihr Fachartikel aus dem Jahr 2010 wurde vor Finnland entzaubernden PISA-Studie veröffentlicht, ist daher kein Ihre These bestätigendes Argument. Die folgenden drei Artikel bestätigen meine Aussage von 17:19:

http://www.tagesanzeiger.ch/kultur/Darum-lesen-finnische-Schueler-ploetzlich-schlechter-/story/24838029

http://www.welt.de/politik/deutschland/article143637971/Finnlands-Pisa-Wunder-entpuppt-sich-als-Irrtum.html

http://www.tagesspiegel.de/wissen/finnische-schulen-in-not-der-pisa-riese-strauchelt/9822492.html

Milch der frommen Denkungsart
7 Jahre zuvor

Die Überschrift insinuiert, daß Privatschulen soziale Segregation beförderten, ja nachgerade zu verantworten hätten; dies ist in meinen Augen freilich eine Falschmünzerei der Wahrheit.
Tatsächlich boomen Schulen etwa in der Trägerschaft beider Kirchen bzw. katholischer Orden ja nur deshalb
in solchem Maße, weil – und hierin ist „dixo“ nachdrücklich zuzustimmen – eine Vielzahl von Eltern (und dies gilt meiner Erfahrung nach nicht nur für die wohlhabende Oberschicht) es zunehmend leid sind, ihre Kinder in wahllos zusammengewürfelte multiethnische Klassen stecken zu lassen, denen obendrein eine heil-, da konzeptlose Inklusion aufoktroyiert wird – letztlich also ein „stummer“ Protest gegen zwei als problematisch empfundene Erscheinungen, die freilich einem öffentlichen, gegen die political correctness verstoßenden Diskussionstabu unterliegen. „Pädagogische“ Programme, die Grundschüler sehenden Auges zu orthogra- phischen wie folglich leseschwachen Invaliden ausbilden, tun dazu ihr Übriges, staatliche Schulen – unter denen allerdings zweifellos noch qualitativ gute zu finden sind – in Verruf zu bringen.

Dies mag man nun als buchstäblich asoziale Flucht oder gar eine Form indirekter Apartheid brandmarken – und derlei Stimmen dürften auch in diesem Forum lautwerden -, doch am Befund ändert dies nichts.

Kurzum: Es prügelt den falschen Esel, wer vor den Defiziten der öffentlichen Schulen (die diese jedoch selten selbst zu verantworten haben) die Augen verschließt, deren sichtbare Folgen hingegen den priva- ten in die Schuhe schiebt. Diese sind nur das Symptom, nicht etwa die Ursache.

Palim
7 Jahre zuvor

Was hatte ysnp geschrieben?
„D.h. der Staat muss sich anstrengen, damit die staatlichen Schulen nicht zu Schulen 2. Klasse werden. Dadurch erreichen wir auch eine Qualitätssteigerung der staatlichen Schulen.“

mississippi
7 Jahre zuvor

Den Eltern kommt es doch auf kleinere Klassen, gehofft mehr individuelle Förderung und eventuell noch die religiöse Ausrichtung an.

sofawolf
7 Jahre zuvor

Ich erinnere mich dunkel, dass Flandern (als Teil Belgiens) bei PISA auch gut abschnitt, aber immer vergessen bzw. unterschlagen wird. In Flandern soll das dreigliedrige Schulsystem bestehen???

Die öffentlichen Schulen versuchen vieles zu kopieren bzw. machen es einfach auch, was an Privatschulen so gelobt wird. Da ist doch fast nichts mehr wie vor 20 Jahren – nur die Lernergebnisse werden schlechter, auch wenn immer wieder mit der Senkung der Anforderungen darauf reagiert wird. Zumindest sind sie nicht besser geworden.

Sowohl an den öffentlichen wie an der Privatschulen freuen sich die Kinder aufs Wochenende, auf Unterrichtsausfall und auf die Ferien.

sofawolf
7 Jahre zuvor

Einen interessanten Artikel zum Schulsystem in Flandern findest du hier:

http://www.zeit.de/2004/52/C-Flandern

sofawolf
7 Jahre zuvor

Ich kenne viele Privatschulen nicht (!!!), aber die, die ich kenne, würde ich niemandem empfehlen.