Lernerfolg durch selbstreguliertes Lernen: Schüler sollen Lernstrategien üben

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DORTMUND. Den Lernprozess eigenverantwortlich zu steuern, selbstreguliert zu lernen – das kann den eigenen Lernerfolg positiv beeinflussen. Vorausgesetzt: Die Schüler haben gelernt, Lernstrategien richtig anzuwenden. Das ist eine Erkenntnis des 2. Dortmunder Symposiums der Empirischen Bildungsforschung.

Das Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS) der Technischen Universität Dortmund hatte dieses Jahr, wie schon 2015, zu Ihrer noch recht jungen Konferenzreihe eingeladen. Das Thema des Tages, „Bedingungen gelingender Lern- und Bildungsprozesse“, diskutierten Vertreter verschiedener Disziplinen, darunter Experten aus den Bereichen Erziehungswissenschaft, Fachdidaktik, Psychologie und Soziologie. Besonders dieser interdisziplinäre Charakter sei beliebt bei den Teilnehmern, so die IFS-Geschäftsführerin Nele McElvany. „Das ist sehr erfreulich und nicht selbstverständlich.“ Ebenso wie die Mischung aus Theorie und Praxis: Auf grundsätzliche Diskussionen, in denen sich Redner und Plenum Fragen stellten, wie Was ist Lernen? und Was ist Bildung?, folgten Aspekte, die näher an der Lehrerrealität liegen. „Wir sind schon allein wegen des Themas sehr nah an der Schulpraxis“, kommentierte McElvany die inhaltliche Zusammenstellung.

Professor Detlev Leutner von Universität Duisburg-Essen beschäftigt sich mit den Effekten selbstregulierten Lernens. Foto: Anna Hückelheim
Professor Detlev Leutner zeigt beispielhaft, wie unterschiedlich Schüler die Visualisierungstechnik nutzen. Foto: Anna Hückelheim

Die Qualität ist entscheidend

Zum Praxisbezug beigetragen hat auch Professor Detlev Leutner, Inhaber des Lehrstuhls für Lehr-Lernpsychologie an der Universität Duisburg-Essen, der sich in seinem Vortrag dem selbstregulierten Lernen widmete. „Es geht darum, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden“, so Leutner. Im Mittelpunkt stehen drei Schritte: Selegieren, Organisieren und Elaborieren. Verschiedene Methoden stehen Schülern dafür zur Verfügung. Wichtige Textstellen zu markieren, Mind Maps zu erstellen oder sich den Inhalt anhand von Bildern zu vergegenwärtigen, kann ihnen etwa helfen, einen Text besser zu verstehen.

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Eine Methode zu kennen ist aus Leutners Sicht jedoch lediglich der erste Schritt. Wichtig sei es, sie richtig anzuwenden, so der Essener Professor, der seine Position anhand eines Beispiels aus der Forschungspraxis verdeutlichte: Zwei Arbeitsergebnisse von zwei Grundschülern, einander gegenübergestellt, beides Visualisierungen zu einem Text zum Thema Schallwellen – und doch sind sie vollkommen unterschiedlich. Während die eine Seite lediglich eine große Fledermaus zeigt, kann Detlev Leutner anhand vieler kleinerer Bilder auf der anderen Seite dem Plenum den Text vollständig wiedergeben. Der entsprechende Schüler hat mit jeder Zeichnung eine wichtige Textstelle zusammengefasst. „Um den Inhalt malen zu können, müssen Schüler einen Text verstanden haben“, sagte der Essener Professor.

Die vollkommen unterschiedliche Qualität, mit der Schüler Lernstrategien nutzen, sei der Anstoß für Leutners These gewesen, dass ein gezieltes Training und eine dadurch verbesserte Umsetzungsqualität mit dem Lernerfolg korrelieren müssten. Eigene Forschungsergebnisse bestätigen ihn teilweise: Demnach zeigten Schüler bei Versuchstests ein besseres Textverständnis, wenn sie zuvor die Methode der Textmarkierung geübt hatten. Selbst drei Monate später sei dies immer noch festzustellen gewesen. Die zunächst ermittelte große Effektstärke habe zu dem Zeitpunkt noch bei einem mittleren Wert gelegen. Eine geringe Effektstärke habe sich bei Versuchen gezeigt, in denen Schüler mit Mind Maps lernten. Ähnlich das Ergebnis des Visualisierungstrainings, das zwar kurzfristig keinen, dafür aber langfristig einen geringen Effekt bewirkt habe. „Hier ist Prozessqualität gefordert. Schüler sollten die Lernstrategien nicht willkürlich einsetzen, sondern lernen, sie qualitativ zu nutzen“, sagte Leutner. Seine Lösung: Lernstrategieübungen in den Unterricht implementieren, „sie systematisch angehen und mit den Schülern trainieren“. Anna Hückelheim

Diskussion: Ein- vs. mehrgliedriges Schulsystem
Die Teilnehmer des 2. Dortmunder Symposiums der Empirischen Bildungsforschung diskutierten auch die äußeren „Bedingungen gelingender Lern- und Bildungsprozesse“. Das Dauerthema „Ein- vs. mehrgliedriges Schulsystem“ durfte dabei nicht fehlen.

Ein- oder mehrgliedriges Schulsystem? Darüber diskutierten Professor Klaus-Jürgen Tillmann und Professor Kai Maaz mit den teilnehmern des Symposiums. Foto: Anna Hückelheim
Ein- oder mehrgliedriges Schulsystem? Darüber diskutierten Professor Klaus-Jürgen Tillmann und Professor Kai Maaz. Foto: Anna Hückelheim

Der emeritierte Professor Klaus-Jürgen Tillmann von der Universität Bielefeld und Professor Kai Maaz vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) sollten jeweils eine Seite der Diskussion vertreten. Dabei waren sie sich insofern einig, dass die empirische Forschung bislang noch keine Antwort bietet, welches Schulsystem bessere Leistungen erzeugt. Mit Blick auf soziale Aspekte schlussfolgerte Professor Tillmann jedoch, dass eingliedrige Schulsystem sei pädagogisch vorzugswürdiger. „Das Ziel ist die Förderung aller Schüler. Damit leistet es einen Beitrag auf dem Weg zu mehr Bildungsgerechtigkeit.“ Er forderte die anwesenden Wissenschaftler gleichzeitig auf, politische Widerstände gegen ein eingliedriges System nicht einfach zu akzeptieren, sondern zu kritisieren und Politikern bessere Alternativen vorzuschlagen.

Professor Kai Maaz bezeichnete dagegen die Annahme, dass eingliedrige Schulsystem sei nicht selektiv, für eine Wunschvorstellung. „Die Selektion verschiebt sich dann auf die Ebene der Einzelschule“, so Maaz. Die Schulen würden in so einem System mehr Wert auf ihre Profilbildung legen, an Wettbewerben teilnehmen und anderweitig versuchen, sich von der Konkurrenz abzuheben. Eltern und Kinder würden wiederum diese Aspekte in ihre Schulwahl einbeziehen. „Die soziale Zusammensetzung der Schülerschaft einer Schule lässt sich nicht beeinflussen“, sagte Maaz. Die soziale Selektion erfolge schon bei der Anmeldung. Zudem lasse sich soziale Segregation nicht vermeiden, da sie häufig mit räumlicher Segregation einhergehe.

Zum Beitrag: Studie: Das Schulsystem ist durchlässig, doch die Ungleichheit bleibt

Titelbild: © Kzenon – Fotolia.com

 

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11 Kommentare
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GriasDi
7 Jahre zuvor

„kann den Lernerfolg positiv beeinflussen“
„Ähnlich das Ergebnis des Visualisierungstrainings, das zwar kurzfristig keinen, dafür aber langfristig einen geringen Effekt bewirkt habe.“

Überzeugend klingt das nicht.

xxx
5 Jahre zuvor
Antwortet  GriasDi

Ich stimme zu. Aus „Demnach zeigten Schüler bei Versuchstests ein besseres Textverständnis, wenn sie zuvor die Methode der Textmarkierung geübt hatten. Selbst drei Monate später sei dies immer noch festzustellen gewesen. Die zunächst ermittelte große Effektstärke habe zu dem Zeitpunkt noch bei einem mittleren Wert gelegen.“ folgt für mich, dass das gute alte analoge Unterstreichen wesentlich besser ist als der neumodische Hokuspokus, den Bildungsforscher als den ultimativen Bringer verkaufen wollen.

Palim
5 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Nein, nein,
es muss eine STRATEGIE sein, sonst hilft das nicht! 😉

Claudia Stauffer
5 Jahre zuvor

Jede Person lernt auf ihre eigene Art und Weise: Lernen ist so individuell wie ein Fingerabdruck. Es gibt keine allgemeingültigen Lernstrategien; die Anwendung solcher Strategien wird durch das lernenden Individuum „massgeschneidert“. Kinder und Jugendliche brauchen Unterstützung beim Entdecken ihres individuellen Lernwegs.

g. h.
5 Jahre zuvor
Antwortet  Claudia Stauffer

Selbstentdeckte Lernwege können unökonomsch und falsch sein, Frau Stauffer. Wenn jederm Lehrling, egal in welchem Handwerk, gesagt würde: „Hier hast Du das nötige Material und Handwerkszeug, entdecke selbst, wie Du damit dies und jenes baust oder reparierst“, gäbe es Riesenprobleme. Sie reden mir zu sehr aus schöner Theorie.
Außerdem: „Unterstützung beim Entdecken des individuellen Lernwegs“ setzt voraus, dass die Lehrer von jedem Kind den individuellen Lernweg per Hellseherei kennen, damit sie ihn überhaupt sinnvoll unterstützen können.

Claudia Stauffer
5 Jahre zuvor
Antwortet  g. h.

Es führen ja bekanntlich viele Wege nach Rom! Wer bestimmt, welcher Weg für einen Menschen der richtige ist? Zu Ihrem Beispiel aus der Berufslehre: Selbstverständlich lernen wir auch durch Nachahmung! Den korrekten Gebrauch eines Werkzeugs muss der Berufsbildner schon aus sicherheitstechnischer Sicht zeigen. Ein erfahrener, erfolgreicher Lerner kennt die Art und Weise, wie sie oder er am besten lernen kann. Sie verwechseln das WAS mit dem WIE.
Nicht die Lehrperson muss den individuellen Lernweg kennen, der Lernende entdeckt den eigenen Weg. Eine Lehrpserson kann diese Entdeckungsreise unterstützen, indem sie Rückmeldungen gibt und ermutigt. Wie schon Maria Montessori formulierte: „Hilf mir, es selbst zu tun.“

xxx
5 Jahre zuvor
Antwortet  Claudia Stauffer

Frau Montessori setzt aber einen Lernwillen voraus, an dem es besonders bei schwachen und den so genannten bildungsfernen Schülern hapert. Die brauchen eine starke Lehrerpersönlichkeit, die ihnen sprichwörtlich auf die Finger haut, wenn sie anfangen zu trödeln. Und gerade weil diese Schülerklientel länger braucht als lernstarke und -willige Klientel darf nicht zu viel Zeit vergeudet werden. Erfahrungsgemäß dauert selbstreguliertes entdeckendes Lernen länger als die direkte Instruktion durch den Lehrer. Leider gilt letztere derzeit als reaktionär und ist deshalb eine Durchfallgarantie für jeden Referendar.

Claudia Stauffer
5 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Nicht nur…………sondern auch. Entdeckendes, selbstverantwortliches Lernen will gelernt sein. Die motivierten Schülerinnen und Schüler dürfen wir auch nicht vergessen. Jeder Mensch hat grundsätzlich ein Recht auf Bildung. Gesellschaftspolitische Probleme kann die Schule allerdings nicht lösen; frühkindliche Bildung und Frühförderung wären da beispielsweise die Stichworte.
Es gibt keine Universallösung! Und einfach sind die Lösungen auch nicht.

xxx
5 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

„Entdeckendes, selbstverantwortliches Lernen will gelernt sein. Die motivierten Schülerinnen und Schüler dürfen wir auch nicht vergessen.“

Beides ist richtig. Falsch ist allerdings, aufgrund der (insbesondere erzieherischen) Defizite bei den schwachen Schülern, die motivierten Schüler erzwungenermaßen selbstverantwortlich lernen zu lassen. Leider ist das häufige Praxis.

geli
5 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

@Claudia Stauffer
Und weil es so viele Lösungen gibt, gute sowie schlechte und oft auch falsche, bin ich doch sehr dafür, die Kinder vor einem allzu „entdeckenden, selbstverantwortliches Lernen“ zu schützen, das in seiner Summe wahrscheinlich zu Ergebnissen und Leistungen führt, die zu Stirnrunzeln führen.
„Entdeckendes, selbstverantwortliches Lernen will gelernt sein“, sagen Sie und die Parole klingt außerirdisch schön. Können Sie auch verraten, wie dieser Lernprozess genauer aussieht? Besteht er einfach nur im Machenlassen? Oder gibt es da auch klare Regeln, Stopschilder und Schutzmaßnahmen vor Irrwegen und Irrtümern?
Und worin besteht die „Selbstverantwortlichkeit“ der Schüler? Selbstverantwortung bedeutet, für etwas geradestehen und die Folgen tragen zu müssen, wenn Falsches als richtig entdeckt wurde und die Folgen desaströs sind. Wie sieht es dann mit der Selbstverantwortung in der Praxis aus?

In der Schule gab und gibt es übrigens es seit jeher selbstentdeckendes Lernen, allerdings wohlüberlegt eingesetzt, wohldosiert und mit großer Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder von selbst zu einer korrekten Erkenntnis gelangen würden. Selbstentdeckendes Lernen mit seinem unbestreitbaren Wert sind also kein Geistesblitz moderner Pädagogikpredigt. Neu ist nur die methodische Verallgemeinerung und die Anwendungsempfehlung für möglichst alles Lernen.
Für Risiken und Nebenwirkungen scheint dann der Schüler mit seiner „Selbstverantwortung“ zu haften.
Oder ist mir da eine moderne und fortschrittliche Auslegung oder Umdeutung des Verantwortungsbegriffs entgangen?

Cavalieri
5 Jahre zuvor

„Professor Kai Maaz bezeichnete dagegen die Annahme, dass eingliedrige Schulsystem sei nicht selektiv, für eine Wunschvorstellung.“
Inhaltlich stimme ich da zu, aber orthografisch nicht. Es geht eben doch bergab mit der Rechtschreibung, allem Schönreden durch den Grundschulverband zum Trotz. Zudem ist „bezeichnen für“ auch seltsam, ich dächte eher an „bezeichnen als“. Deutschland schafft zwar noch nicht sich selbst, wohl aber seine Sprache allmählich ab. Wie muss das erst in den Grundschulen aussehen?