Pubertierende erleben persönliche Veränderungen weniger dramatisch – doch starke Lehrerpersönlichkeiten bleiben gefragt

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TÜBINGEN. Mit dem Beginn der Pubertät finden in Körper und Persönlichkeit von Jugendlichen tiefgreifende Veränderungen statt. Zu kaum einem Zeitpunkt erfordert die Verantwortung für die Entwicklung der ihnen anvertrauten Jugendlichen eine höhere Sensibilität von Lehrern. Der Umgang mit den werdenden Erwachsenen ist dabei keineswegs einfach, zumal diese die „Sturm-und-Drang-Zeit“ offenbar selbst nicht so dramatisch erleben wie ihre Umwelt, wie jetzt Tübinger Wissenschaftler herausgefunden haben.

Die Glieder werden länger, die Hormone geraten durcheinander, die Emotionen werden unberechenbar, der Geist wird kritisch. Die Pubertät stellt Jugendliche vor große Herausforderungen und pubertierende Jugendliche stellen oft ihre Umwelt vor große Herausforderungen.

Das davon besonders Lehrer betroffen sind, ist ganz natürlich, denn für die meisten Jugendlichen stellt die Schule neben der Familie immer noch die wichtigste soziale Gemeinschaft dar, in der sie sich bewegen. Die Persönlichkeit ihres Lehrers ist für Schüler von zentraler Bedeutung. Sich der daraus resultierenden Verantwortung bewusst zu sein, ist eine der Hauptaufgaben von Lehrern im stark auf kognitive Wissensvermittlung gerichteten Schulalltag. (Lesen Sie dazu auch den Gastbeitag von Peter Maier!)

Eltern erscheint die Pubertät ihrer Kinder geradezu als Sturm und Drang. Teenies erleben die Veränderungen offenbar weniger gravierend. (Das Foto zeigt die Besucher eines Rockkonzerts). Foto: Tom Cochrane / flickr (CC BY-NC-SA 2.0)
Eltern erscheint die Pubertät ihrer Kinder geradezu als Sturm und Drang. Teenies erleben die Veränderungen offenbar weniger gravierend. (Das Foto zeigt die Besucher eines Rockkonzerts). Foto: Tom Cochrane / flickr (CC BY-NC-SA 2.0)

Jugendliche suchen mit Beginn der Adoleszenz nach authentischen Persönlichkeiten, die zur Selbstreflexion in der Lage sind und Sachverhalte von verschiedenen Seiten bewerten können, ohne zu vorschnellen Urteilen zu gelangen. Das Vertrauen in ihre Lehrperson ist gerade in den frühen Jahren der Pubertät für Teenager elementar. Auf der praktischen Seite erfüllt die Vertrauensbeziehung dabei auch eine strukturierende und stabilisierende Rolle für den Unterricht. Vertrauen erhöht grundsätzlich, Motivation und Leistungsbereitschaft von Schülern , betonen etwa Melanie Misamer und Barbara Thies von der TU Braunschweig.

Mit dem beginnenden Erwachsenwerden ändert sich auch der Blick der Jugendlichen auf die Welt und die Realität um sie herum. Das kommt nicht zuletzt in einem starken Gerechtigkeitsbedürfnis zum Ausdruck, dem Lehrer gerecht werden müssen. Zusätzlich verkompliziert wird die Schüler-Lehrer-Beziehung noch dadurch, dass Jugendliche die Reibung mit Autoritäten geradezu suchen.

Bedürfen Jugendliche in der frühen Adoleszenz mithin einer sensiblen Unterstützung, ist es meist keineswegs so, dass sie sich nach außen hin als verunsicherte Persönlichkeiten zeigen, die diese Unterstützung aktiv suchen. Jugendliche empfinden weitaus mehr Stabilität in ihrer Persönlichkeit und erleben die psychischen Veränderungen die mit ihnen vorgehen weniger problematisch, als die Erwachsenen um sie herum, haben jetzt Wissenschaftler der Universität Tübingen in einer Studie herausgefunden.

Die Wissenschaftler untersuchten, wie sich fünf persönlichkeitsbildende Faktoren in der Phase der frühen Adoleszenz verändern: emotionale Stabilität, Verträglichkeit, Extraversion, Offenheit und Gewissenhaftigkeit. Dabei befragten sie die Jugendlichen selbst sowie deren Eltern.

Die Ergebnisse zeigen, dass vor allem Eltern tiefgreifende Veränderungen in der Persönlichkeit von Heranwachsenden sehen. Während Eltern ihre Kinder zunehmend kritischer, weniger offen und zurückgezogener beschreiben, zeigen die Selbstberichte von Heranwachsenden keine dramatischen Veränderungen.

Neben den Unterschieden zwischen Eltern und Kindern fanden die Forscher heraus, dass die Persönlichkeitsentwicklung im Jugendalter nicht dem typischen Bild der Reifung folgt: Werden wir dem Reifungsprinzip nach im Laufe des Lebens gewissenhafter, verträglicher, emotional stabiler und weitgehend auch geselliger und offener für neue Erfahrungen, verringerten sich in der Phase der frühen Adoleszenz besonders Verträglichkeit und Offenheit.

„Überrascht hat uns, dass beim Punkt Gewissenhaftigkeit die Schüler sich selbst kritischer sehen, als die Eltern das tun“, sagt Richard Göllner, Erstautor der Studie. Sie waren der Meinung, weniger leistungsbereit, diszipliniert und zuverlässig geworden zu sein. Die Eltern haben in diesem Punkt jedoch fast keine Veränderung ihrer Kinder feststellen können.

Bei der Extraversion war es umgekehrt: Die Eltern erlebten ihre Kinder zunehmend weniger kontaktfreudig, als diese sich selbst beurteilten. „Möglicherweise rührt das daher, dass die Eltern ihre Kinder zum größten Teil zu Hause erleben, die Jugendlichen aber ihr Verhalten in ihrem Freundeskreis im Blick haben“, erklärt Göllner.

Die Mädchen waren im beobachteten Zeitraum übrigens insgesamt verträglicher, gewissenhafter und offener als die Jungen und die Extravertiertheit stieg bei ihnen schneller an. „Das könnte daran liegen, dass typische, auch biologische Reifungsprozesse bei Mädchen früher einsetzen als bei gleichaltrigen Jungen“, mutmaßt Göllner. (zab, pm)

• zum Bericht: Studie: Unerträglich, aber unverschuldet – Gehirnentwicklung erklärt Verhalten von Jugendlichen
• zum Gastbeitrag von Peter Maier: Schule unter Reformdruck – Plädoyer für eine Pädagogik des Herzens

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3 Kommentare
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sofawolf
7 Jahre zuvor

In diesem Interview gibt es interessante Aussagen dazu.

AUSZUG 1: „Zur pädagogischen Führung gehören etwa klare Anweisungen, transparente Ziele und damit verbunden ein gut strukturierter Unterricht. Der hilft besonders den schwächeren Schülern, die sich selber nicht so gut organisieren können. Hinzu kommt aber auch der souveräne Umgang mit Störungen. Erfahrene Lehrpersonen erkennen früh mögliche Störherde und greifen angemessen ein. Gewisse Routinen können Lehrer in ihrer Ausbildung üben, andere eignen sie sich erst im Laufe ihres Berufslebens an.“

AUSZUG 2: „Es ist ein Fortschritt, dass in Deutschland über pädagogische Autorität zu reden kein Tabu mehr ist. Dennoch tun sich viele Lehrer mit dem Wort schwer. Genau wie mit der Disziplin, die eine Voraussetzung ist für Unterricht und Erziehung. Diese Selbstverständlichkeiten werden bis heute eher vertuscht, wenn etwa von „Lernpartnerschaften“ oder von der Lehrperson als „Begleiterin von Lernprozessen“ die Rede ist. Statt Frontalunterricht propagiert man das sogenannte offene und selbstständige Lernen. Dahinter steckt die Illusion, Lehrer und Schüler würden ein symmetrisches Verhältnis pflegen können.“

Der ganze Text: http://www.zeit.de/2010/41/Autoritaet-Interview

GriasDi
7 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Lernbegleiter, wenn ich das Wort schon höre. Sollten Lehrer Lernprozesse nicht initiieren statt nur begleiten???

Pälzer
7 Jahre zuvor
Antwortet  GriasDi

Die Antwort variiert mit der Parteizugehörigkeit.