„Vitamine werden sie in diesen Mahlzeiten allerdings kaum noch finden“

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STUTTGART. Droht der deutschen Gesellschaft in Zukunft ein massiver Anstieg ernährungsbedingter Krankheiten und ist die Schule daran Schuld? Fast mag es so scheinen, denn um die gesunde Ernährung steht es an den deutschen Schulen überwiegend schlecht. Vorgekochtes Essen, stundenlang warmgehalten oder rasch im Konvektomaten wieder aufbereitet bestimmt vielfach die Situation. Streben Schulen eine Verbesserung an, sehen sie sich oft mit größeren Herausforderungen konfrontiert, denn was die Gestaltung der Verpflegung ihrer Schüler angeht, sind die meisten weitgehend allein gelassen. Das gilt auch für die Ganztagsschulen, für die das Schulessen noch mal einen besonderen Stellenwert haben sollte. Qualitätstandards für die Schulverpflegung gibt es fast nur als unverbindliche Empfehlungen. Fachleute fordern daher verbindliche Qualitätsstandards für die Kita- und Schulverpflegung.

Eltern geben Ganztagsschulen gute Noten. Das hat erst kürzlich wieder eine Umfrage von Infratest dimap im Auftrag der Bertelsmann Stiftung ergeben. Das Institut hatte deutschlandweit über 4.000 Eltern schulpflichtiger Kinder im Alter von sechs bis 16 Jahren befragt.

Doch auch wenn die Mehrheit der Eltern mit dem pädagogischen Angebot an den Ganztagsschulen zufrieden ist: Das Essensangebot stößt bei fast der Hälfte der Erziehungsberechtigten auf Kritik. Darauf weist jetzt die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) hin. „Ein großer Teil der Eltern hält das Essen für nicht gesund und ausgewogen“, sagt DDG-Geschäftsführer. Dietrich Garlichs.

Viele Schulen sind mit der Gestaltung des Schulessens allein gelassen. Grundsätzlich herrscht starker Preisdruck. Foto: Hans / pixabay (CC0 Public Domain)
Viele Schulen sind mit der Gestaltung des Schulessens allein gelassen. Grundsätzlich herrscht starker Preisdruck. Foto: Hans / pixabay (CC0 Public Domain)

Nur 60 Prozent der befragten Eltern waren zufrieden mit der Essensauswahl an den Ganztagsschulen, an den gebundenen Ganztagsschulen 53 Prozent. Die Halbtagsschulen schnitten noch schlechter ab: Hier zeigten sich nur 37 Prozent der Eltern zufrieden mit dem Angebot der Schulkantine. Damit zeige die neue Studie eindrucksvoll die Notwendigkeit, verbindliche Qualitätsstandards für die Schulverpflegung einzuführen. Die Fachgesellschaft sieht jetzt die Schulpolitik in der Pflicht, gesundes Essen an Schulen und Kitas zu fördern und so Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen zu bekämpfen.

Eine gesunde Kita- und Schulverpflegung könne einen nachhaltigen Beitrag leisten, um Übergewicht bei Kindern und jungen Erwachsenen zu vermeiden, betont Garlichs, zugleich Sprecher der Deutsche Allianz Nichtübertragbarer Krankheiten (DANK). Denn rund15 Prozent der drei- bis 17-Jährigen in Deutschland seien übergewichtig – Tendenz steigend. Ihnen drohten auch im Erwachsenenalter Übergewicht und die damit verbundenen Risiken für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Krebs oder Gelenkverschleiß.

Bereits im Jahr 2007 hatte die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) Qualitätsstandards zur Verbesserung der Kita- und Schulverpflegung erlassen. Doch bisher haben nur das Bundesland Berlin und das Saarland diese umgesetzt. Die Ministerien der übrigen 14 Länder verweisen stattdessen auf die Eigenverantwortung der Schulen und Kitas. Jedoch sind die Qualitätsstandards der DGE Umfragen zufolge nur bei 50 Prozent der Schulen und Kitas bekannt.

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Bisher gibt es nur wenige Schulen, die die Vorgaben einer gesunden Ernährung erfüllen. in 60 Prozent der Fälle werde das Essen gekocht angeliefert und stundenlang warmgehalten. „Für die Schulen ist dies die preisgünstigste Variante – Vitamine werden sie in diesen Mahlzeiten allerdings kaum noch finden“, sagt Professor Ulrike Arens-Azevedo von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg.

Zu selten würden dagegen frische Produkte angeboten. Nur bei einem Drittel der Schulen kommt täglich Gemüse oder Rohkost auf den Tisch. Geschmacklich könnten die meisten Schulkantinen auch nicht überzeugen: Die Hälfte der Schüler bewertet das Essen als schlecht, rund jeder Dritte verpflegt sich beim Imbiss, Bäcker oder Fast Food Restaurant, oft mit ungesunden und fettigen Snacks.

Die DANK fordert daher verbindliche Qualitätsstandards für die Kantinen in Schulen und Kitas. „Die repräsentative Bertelsmann-Umfrage macht einmal mehr deutlich, dass die Schulpolitik die Verantwortung für gesunde Schulverpflegung nicht länger auf die Schulen abschieben darf“, kritisiert Dietrich Garlichs. Neben den Qualitätsstandards der DGE können auch Qualifizierungsnachweise für Caterer und Mitbestimmungsrechte für Schüler und Eltern dazu beitragen, das Essensangebot an Schulen und Kitas nachhaltig zu verbessern. (zab, pm)

• Deutsche Allianz Nichtübertragbarer Krankheiten

• zum Gastommentar: „Ganztagsunterricht ist die Lösung für die G8-Probleme“
• zum Bericht: Das kleine Einmaleins der Ernährung: Schulen sollen mehr Wissen übers Essen und Trinken vermitteln

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2 Kommentare
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Steve
7 Jahre zuvor

Gesünderes Essen erfordert mehr Aufwand. Mehr Aufwand erfordert mehr Zeit und/oder mehr Personal. Mehr Zeit und/oder Personal erfordern mehr Geld. Mehr Geld sind weder die Schule bzw. deren Träger, noch die Eltern der Kinder bereit zu zahlen.
Konsequenz: Alles bleibt wie es ist bzw. der Trend geht weiter in die Richtung: einfach, schnell, unkompliziert und möglichst billig.

xxx
7 Jahre zuvor

Das Ganze lässt sich theoretisch sehr einfach umsetzen: Jede Schule bekommt eine eigene Küche und kocht alles selbst. Das erforderliche Personal kommt von der Kommune, also nicht von einem gewinnorientierten Unternehmen. Ferner wird das Essen für die Schüler kostenlos angeboten. Bei 8 Mio Schülern und 6€ pro Mahlzeit und Schultag komme ich auf etwa 10 Mrd € pro Jahr zzgl. der Gehälter und der Investitionen (200 Schultage). Durch eine Erhöhung der Erbschaftssteuer von durchschnittlich 2% auf einen noch immer geringem Anteil von durchschnittlich 10% lässt sich das locker finanzieren (250 Mrd € wird vererbt, 5,5 Mrd € Erbschaftsteuer bezahlt) und der Finanzminister behält noch ein hübsches Sümmchen übrig. Ersatzweise tut es auch eine saftige Vermögenssteuer für alle Millionäre.