Erstaunlich: Schulforscher Klemm empfiehlt Bildungsministerin Ernst mehr Stellen für die Inklusion – und die hört darauf

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KIEL. Die Regierung folgt dem Experten: Noch einmal 500 Stellen sollen in Schleswig-Holstein her, um die Inklusion an den Schulen besser zu bewältigen. Die Umsetzung wird allerdings nicht nur wegen der Mehrkosten ein Problem – Sonderpädagogen sind rar.

Will mehr Stellen für die Inklusion schaffen: Britta Ernst. Foto: SPD Schleswig-Holstein / flickr (CC BY 2.0)
Will mehr Stellen für die Inklusion schaffen: Britta Ernst. Foto: SPD Schleswig-Holstein / flickr (CC BY 2.0)

Bei der Inklusion ist Schleswig-Holstein in Deutschland ein Vorreiter, aber aus Expertensicht reicht das Personal nicht. Für den gemeinsamen Unterricht von Schülern mit und ohne Behinderung braucht das Land nach Berechnungen des Erziehungswissenschaftlers Prof. Klaus Klemm knapp 500 zusätzliche Stellen. Dem will die Landesregierung aus SPD, Grünen und SSW auch folgen.

Der Bedarf solle in der nächsten Wahlperiode gedeckt werden, sagte Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) am Montag in Kiel. In diesem Ziel sei sich die Landesregierung einig. Dafür werden über 20 Millionen Euro benötigt. Je Lehrer werden 50.000 Euro veranschlagt. Es gehe aber nicht nur um Sonderpädagogen, sondern auch um Erzieher und Schulassistenten, sagte Ernst.

Derzeit besetzen Klemm zufolge im Hinblick auf Schüler mit Förderbedarf Lehrer 82 Prozent von knapp 2900 Vollzeitstellen an allgemeinen Schulen (12.000 Schüler mit Förderbedarf) und Förderzentren (5000 Schüler). Diese Relation zum weiteren Fachpersonal hält Klemm für angemessener als den nur 40-Prozent-Anteil von Lehrern in Hamburg. Auf eine anzustrebende künftige Quotenverteilung in Schleswig-Holstein zwischen Lehrern und weiterem Personal wollten sich Ernst und Klemm nicht festlegen.

Ein gravierendes Problem besteht darin, dass nicht ausreichend Sonderpädagogen verfügbar sind. Mit neuen Kursen will die Regierung gegensteuern. Die Ministerin lässt auch prüfen, ob in die Sonderpädagogik auch Absolventen von Fachhochschulen einbezogen werden können. Die Studienplätze in Flensburg wurden schon aufgestockt. Zu Finanzierung des Stellenmehrbedarfs in den nächsten Jahren verwies Ernst auf 60 Millionen Euro, die in der mittelfristigen Finanzplanung für eine Bildungsoffensive vorgesehen und noch nicht konkretisiert seien. In den Haushaltsplänen für das Schuljahr 2017/2018 sind bereits 50 zusätzliche Stellen für Sonderpädagogen veranschlagt.

Schleswig-Holstein ist Vorreiter

Zwei Drittel aller Schüler mit Förderbedarf lernen in Schleswig-Holstein gemeinsam mit Mädchen und Jungen ohne Behinderung. Das ist die höchste Inklusionsquote aller deutschen Flächenländer. Der Norden hatte bereits vor 25 Jahren begonnen, Regelschulen für Schüler mit Behinderungen zu öffnen.

Aus Sicht der Lehrergewerkschaf GEW (siehe unten) sieht es mit der Ausstattung für die sonderpädagogische Förderung in den Schulen im Norden mau aus. Gemessen an Klemms Berechnungen würden mehr Sonderschullehrer benötigt. Schulassistentinnen seien keine Sonderschullehrer, sagte GEW-Landeschefin Astrid Henke. Stellen für Schulassistentinnen seien in den Grundschulen als Unterstützung für alle Kinder geschaffen worden und nicht als Ersatz für Sonderschullehrer.

Kritik kam auch aus der CDU. «Die notwendigen Personalbedarfe alleine mithilfe von Erziehern, Schulassistenten und einer Zusatzausbildung in Sonderpädagogik zu decken, ­ so wie es die Landesregierung vorhat, ­ wird den Anforderungen der Inklusion nicht gerecht», sagte die Bildungspolitikerin Heike Franzen.

Die Inklusion in den Schulen brauche mehr Ressourcen und speziell mehr Förderlehrer, sagte die Grüne Anke Erdmann. Das Nachsteuern werde aber nur Schritt für Schritt gehen, weil es kaum noch unbeschäftigte Förderlehrer gebe.

Der Personalbedarf sei nicht überraschend, meinte die FDP-Bildungspolitikerin Anita Klahn. «Eigentlich ist es beschämend, dass diese Landesregierung stolze zwei Jahre benötigt hat, um zu erkennen, dass ihre Verpflichtung zur Inklusion auch mehr Personal benötigt.» dpa

Zum Bericht: „Wie’n Knast“: Erster Ex-Förderschüler verklagt den Staat auf Schadenersatz – Elternverband: Trotz Inklusion werden immer noch Kinder ausgesondert

 

GEW: Immer noch zu wenig
GEW: Immer noch zu wenig

Die GEW hat in einer Pressemitteilung auf die Ankündigung von Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) reagiert, 500 zusätzliche Lehrerstellen für die Inklusion zu schaffen. Darin heißt es:

„Zur von Bildungsministerin Britta Ernst vorgestellten Bedarfsberechnung für den inklusiven Unterricht und die sonderpädagogische Förderung an den Schulen in Schleswig-Holstein sagte die GEW-Landesvorsitzende Astrid Henke:

„Professor Klaus Klemm ist ein renommierter Bildungsforscher. Er bestätigt mit seinem Gutachten unsere Forderungen nach einer deutlichen Aufstockung der sonderpädagogische Förderung in Schleswig-Holstein. Dafür brauchen wir vor allem mehr Sonderschullehrkräfte.“

Über 16.800 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf werden in den Schulen in Schleswig-Holsteins unterrichtet. Professor Klemm errechnete statt der aktuell dafür bereitstehenden 2.075 Sonderschullehrstellen einen Bedarf von 3.386  Sonderschullehrkräften. Für die Arbeit in Förderzentren und im gemeinsamen Unterricht in den allgemeinbildenden Schulen fehlen also gegenwärtig über 1300 Stellen. Wenn Regelschullehrkräfte, Heilpädagoginnen in den Förderzentren und auch die 271 Stellen für Schulassistenz zur Bedarfsdeckung herangezogen würden, bleibt laut Professor Klemm immer noch ein Defizit von 493 Stellen.

Aus Sicht der GEW ist diese Art der Bedarfsdeckung aber keineswegs akzeptabel. Astrid Henke: „Schulassistentinnen sind keine Sonderschullehrkräfte. Um Kinder mit Förderbedarf tatsächlich gut zu fördern, ist das Know how der Sonderschullehrerinnen und -lehrer unverzichtbar.“ Stellen für Schulassistentinnen seien in den Grundschulen als Unterstützung für alle Kinder geschaffen worden und nicht als Ersatz für Sonderschullehrkräfte. Sie nun bei den Bedarfen an Sonderschullehrkräften abzuziehen, sei genauso wenig hinnehmbar wie die fortlaufenden Versuche mancher Kreise,  sie bei den individuellen Schulbegleitungen „in Rechnung“ zu stellen.

„So manches Gutachten mit unangenehmen Wahrheiten ist schon in Schubladen verschwunden.  Der Bildungsministerin gebührt dafür Anerkennung, dass sie dieses veröffentlicht hat. Aber mit der Veröffentlichung ist es nicht getan. Jetzt müssen die richtigen Konsequenzen gezogen werden“,  appellierte die GEW-Landesvorsitzende an Frau Ernst.

Seit Jahren litten die Lehrkräfte an den Regelschulen unter der unzureichenden Ausstattung, weil sie ohne ausreichende sonderpädagogische Unterstützung dastünden. Den Sonderschullehrerinnen und -lehrern fehle die Zeit für ihre Aufgaben. Leidtragende seien letztlich Kinder und Jugendliche, die nicht genügend sonderpädagogische Förderung bekämen. „Die Umsetzung des inklusiven Unterrichts benötigt ausreichend Sonderpädagoginnen,  multiprofessionelle Teams mit Schulsozialarbeiterinnen und Heilpädagoginnen, kleine Lerngruppen und Zeit für Kooperation und Absprachen!“ forderte die GEW-Landesvorsitzende.

Um auf die zu geringe Anzahl an Studierenden und Bewerbungen für das Lehramt der Sonderpädagogik zu reagieren, plädierte Astrid Henke für die Schaffung von kurzfristigen Weiterbildungsmaßnahmen. Nur so könnten die offenen Stellen in den Förderzentren überhaupt besetzen werden. Darüber hinaus müssten die Heilpädagoginnen und Erzieherinnen in den Förderzentren mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung,  die als vollwertige Lehrkräfte unterrichteten, auch entsprechend bezahlt werden.“

 

 

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