Übertarifliche Zulage soll neue Lehrer anlocken – und alte halten: Sachsen beschließt (endlich) Maßnahmenpaket gegen Bewerbermangel

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DRESDEN. 45 Prozent der neuen Lehrkräfte im laufenden Schuljahr waren Quereinsteiger: Sachsen hat Probleme, neue ausgebildete Lehrkräfte zu gewinnen und alte zu halten. Ein Maßnahmenpaket soll Abhilfe schaffen. Lange innerhalb der scharz-roten Koalition umstritten, ist nun die Einigung da. Allein in den kommenden beiden Jahren will der Freistaat stattliche 213 Millionen Euro dafür aufwenden. Die GEW meint trotzdem: „Der Kompromiss löst die Probleme nur partiell.“ 

Hofft auf mehr Lehrkräfte: Sachsens Kultusministerin Brunhild Kurth. (Foto: Sächsisches Kutlusministerium)
Hofft auf mehr Lehrkräfte: Sachsens Kultusministerin Brunhild Kurth. (Foto: Sächsisches Kutlusministerium)

Mit zusätzlich 213 Millionen Euro allein für die kommenden zwei Jahre will Sachsen dem Lehrermangel entgegenwirken. Vorgesehen sind neben 722 neuen Stellen auch Zulagen, mit denen neue Lehrkräfte in die Fläche des Freistaats gelockt und alte im Job gehalten werden sollen. Seiteneinsteiger, ohne die man auch in Zukunft nicht auskommen wird, sollen besser vorbereitet und qualifiziert werden. Grundschullehrer sollen entweder weniger arbeiten oder mehr verdienen können. Insgesamt soll die Attraktivität des Lehrerberufs mit den von der Koalition in der Nacht zum Mittwoch beschlossenen Maßnahmen deutlich erhöht werden.

Das Paket «zur Lehrerversorgung sichert den hohen Standard des sächsischen Bildungssystems», sagte Ministerpräsident Stanislaw Tillich. Mit der Einigung habe die Koalition «Handlungsfähigkeit» bewiesen, meinte sein Vize, Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD). Beide hatten letzte noch strittige Punkte des lange umstrittenen Pakets zur Chefsache erklärt und ausgeräumt. Worum es dabei konkret ging, wollten sie nicht verraten.

„Lehrer sind ein seltenes Gut geworden“

Tillich betonte, «dass Lehrer ein sehr seltenes Gut geworden ist», nicht nur in Sachsen. Der Mangel sei zum einen durch einen erhöhten Bedarf entstanden, zum anderen durch eine ungenügende Einschätzung der Entwicklungen der Schülerzahlen. Mit dem «insgesamt runden Paket» habe man nun eine «eigene Antwort» darauf gefunden.

«Wir können nun wirklich ausreichend Lehrerinnen und Lehrer einstellen», sagte Dulig. Zudem würden Lehrkräften Anreize geboten, «dass sie freiwillig mehr arbeiten». Das gelte insbesondere für Grundschullehrer, deren Wochenregelstundenzahl von 28 auf 27 abgesenkt wird – bei gleichzeitiger Vergütung der Mehrarbeit ab der ersten Stunde. Ein wohl lange strittiger Punkt: «Wir lassen es nicht zu, dass wir für fast alle Gruppen Antwort finden, aber für eine nicht: Grundschullehrer», sagte der SPD-Chef.

Außerdem sollen Seiteneinsteiger künftig nicht nur besser bezahlt, sondern durch eine dreimonatige Einstiegsvorbereitung auch besser auf den Job eingestellt und anschließend berufsbegleitend binnen zwei Jahren an einer Hochschule zum Abschluss gebracht werden.

Mit den übertariflichen Zulagen soll die Einkommenslücke zu anderen Bundesländern geschlossen werden. In Sachsen könne ein Junglehrer ab dem 1. Januar kommenden Jahres mit Zulagen 4112 Euro brutto verdienen statt der tariflich vorgesehenen 3054 Euro, sagte Bildungsministerin Brunhild Kurth (CDU). «Das sind Gehaltssteigerungen im besonderen Maße, die es noch nie gegeben hat.» Bekommen sollen diese Zulagen allerdings nur Lehrer, die in «Mangelregionen» auch «Mangelfächer» unterrichten wollen. Dadurch sei eine flexible und bedarfsgerechte Steuerung möglich.

„Ein wichtiges Signal für Pädagogen“

Die Regierungsfraktionen, die in die Ausarbeitung des Papiers einbezogen waren und seit Ende vergangener Woche teils in Nachtsitzungen daran gearbeitet hatten, begrüßten den Kabinettsbeschluss. «Das ist ein wichtiges Signal für Lehramtsstudenten, Pädagogen und auch die Eltern von Schulkindern», sagte der CDU-Bildungsexperte Patrick Schreiber.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Dirk Panter sprach von einer Kehrtwende: «Wir bezahlen unsere Lehrer künftig besser, wir bilden Seiteneinsteiger besser aus, wir haben Mittel und Wege, um junge Leute anzulocken und in Sachsen zu halten.»

Die Opposition sieht dagegen weiteren Handlungsbedarf. Im Vergleich mit anderen Bundesländern reichten die Maßnahmen nicht aus, um ausreichend Lehrer zu gewinnen, meinte die bildungspolitische Sprecherin der Linken, Cornelia Falken. Zudem würden verdiente ältere Pädagogen «nun zusehen müssen, wenn neu eingestellte Lehrkräfte hunderte Euro mehr erhalten als sie». Das sei «höchst ungerecht».

Auch die Grünen sehen eine «Ungerechtigkeit» in der Bezahlung. «Es kann nur ein erster Schritt sein – die Grundschullehrkräfte müssen nachziehen», forderte Bildungsexpertin Petra Zais.

«Das Paket ist insgesamt zwar besser als erwartet, aber ein wirklich mutiges Anpacken der Probleme sieht anders aus», konstatierte die sächsische GEW-Vorsitzende Uschi Kruse. Dass der Schwerpunkt auf der Nachwuchsgewinnung liege, würden die bereits tätigen Kollegen zu spüren bekommen. «Für sie wird sich der Belastungsdruck insgesamt weiter erhöhen, da die für sie vereinbarten Entlastungen nur sehr punktuell und bescheiden sind.» Und auch einkommensmäßig profitierten vor allem die neuen Lehrkräfte und Funktionsträger wie Schulleiter.

Lange hatte die Staatsregierung auch mit den Gewerkschaften über ein Maßnahmenpaket verhandelt. Ende September hatten beide Seiten die Gespräche für gescheitert erklärt. dpa

Zum Bericht: Lehrermangel in Sachsen: Sächsischer Lehrerverband fordert attraktivitätssteigernde Maßnahmen

 

Hintergrund: Was die GEW dazu meint
Hintergrund: Was die GEW dazu meint

Zu dem heute vom sächsischen Kabinett vorgelegten „Maßnahmenpaket zur Lehrerversorgung“ erklärt die sächsische Bildungsgewerkschaft GEW in einer Pressemitteilung:

„Der Inhalt des Paketes lässt den Einigungsdruck in der sächsischen Koalitionsregierung deutlich erkennen.  Die Handschriften beider Koalitionspartner, deren Positionen sich gerade im Schulbereich  gravierend unterscheiden, sind deutlich erkennbar. Dadurch wird dieses Maßnahmenpaket leider nicht konsistenter und wirkungsvoller. Es enthält auch nur Teillösungen und zu viele Kompromisse mit nicht zu Ende gedachten Folgewirkungen.

Die GEW-Landesvorsitzende Uschi Kruse erklärt: „Das Paket ist insgesamt zwar besser als erwartet, aber ein wirklich mutiges Anpacken der Probleme sieht anders aus. Die Folgen der klaren Schwerpunktsetzung auf die Nachwuchsgewinnung werden insbesondere die bereits im Schulsystem tätigen Kollegen zu spüren bekommen. Für sie wird sich der Belastungsdruck insgesamt weiter erhöhen, da die für sie vereinbarten Entlastungen nur sehr punktuell und bescheiden sind. Und auch einkommensmäßig profitieren vor allem die neu hinzukommenden Lehrkräfte und sog. „Funktionsträger“, wie Schulleiter und Fachberater von den im Paket enthaltenen Zulagen- und „Beförderungs“regelungen. Dadurch entstehen neue Verwerfungen, die nicht sehr motivierend auf die Kollegen im System wirken. Das war ja auch einer der Hauptgründe, warum es in unseren Verhandlungen mit dem Finanz- und der Kultusministerin zu keiner Einigung kam.“

Aus Sicht der GEW ist anzuerkennen, dass die Staatsregierung an einigen Konsenspunkten aus den Verhandlungen mit der GEW und dem Beamtenbund festgehalten hat und der kleine Koalitionspartner den CDU-Politikern an einigen Stellen Zugeständnisse abringen konnte:

  • Die Gleichstellung der Mittel-/Oberschullehrer mit den Lehrkräften der anderen weiterführenden Schulen bei der Bezahlung war lange überfällig und wird nun endlich vollzogen.
  • Mit der Senkung des Regelstundenmaßes der Lehrer an den Grundschulen von 28 auf 27 und der Erklärung, in den nächsten Jahren das Regelstundenmaß auf keinen Fall zu erhöhen, erfüllt die Staatsregierung eine der wesentlichen Forderungen der Lehrer in der Auseinandersetzung um die Lehrerbedarfsdeckung.
  • Das Einstellungsverfahren wird transparenter und bewerberfreundlicher gestaltet und den Schulen  mehr Einfluss darauf zugestanden. Hier wird es nun auf die konkrete Ausgestaltung angekommen.
  • Die Zulagenregelungen für Lehrer im Vorbereitungsdienst, zur Gewinnung von ausgebildeten Lehrkräften – auch aus anderen Bundesländern – und zur Bindung älterer Lehrkräfte sind finanziell so ausgestaltet, dass sie als echte Anreize wirken können. Entscheidend wird aber sein, wie das Kultusministerium damit nun konkret umgeht.
  • Die Qualifizierung von Seiteneinsteigern wird strukturell verbessert und finanziell stärker abgesichert. Es fehlen aber klare Regelungen zur Entlastung der Kollegen, die den Seiteneinstieg an den Schulen begleiten.
  • Das Kultusministerium hat den klaren Auftrag erhalten, für weitere Entlastung im Schulalltag zu sorgen und den Einsatz von Schulverwaltungsassistenten zu erproben.

Das sind erste Schritte in die richtige Richtung. Sie werden jedoch längerfristig nur wirken, wenn weitere Schritte folgen. Dabei haben für die GEW insbesondere bei der Bezahlung und der Arbeitszeit klare tarifvertragliche Regelungen Vorrang vor einseitig verordneten Maßnahmen auf der Basis von Regierungskompromissen.

„Das jetzt vorliegende Paket wertet den Lehrerberuf in Sachsen noch immer nicht grundsätzlich und nachhaltig auf.  Es trägt kaum zum Abbau des in den letzten Jahren deutlich gewachsenen Belastungsdrucks in den Schulen bei. Und es spaltet die Lehrerschaft weiter, weil es bestimmte Lehrergruppen noch stärker als bisher privilegiert und damit auch neue Ungerechtigkeiten schafft“, schätzt die GEW-Landesvorsitzende ein.

Besonders bedauerlich ist aus Sicht der GEW die Tatsache, dass die Überwindung einiger Verwerfungen bei der Bezahlung der Lehrer auch an der im vergangenen Jahr vom Beamtenbund tariflich vereinbarten Lehrer-Entgeltordnung  gescheitert ist. Die GEW wird ihre Mitglieder in der kommenden Woche in Regionalkonferenzen über den Inhalt des Regierungspaketes informieren und über Reaktionen darauf beraten.“ 

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sofawolf
7 Jahre zuvor

Das finde ich begrüßenswert:

„Das gelte insbesondere für Grundschullehrer, deren Wochenregelstundenzahl von 28 auf 27 abgesenkt wird – bei gleichzeitiger Vergütung der Mehrarbeit ab der ersten Stunde.“