Forscher: Computer können Problemlösefähigkeiten von Grundschülern besser fördern

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TÜBINGEN. Tablets für Grundschüler ermöglichen durch ihre intuitive Bedienung den Einsatz digitaler Medien im Unterricht auch für Kinder, die mit der Steuerung eines Computers mit Tastatur und Maus noch überfordert wären. Doch ist das überhaupt sinnvoll? Und wie müssen die Angebote beschaffen sein – im Sinne klassischer E-Books mit vorgegebener Informationsreihenfolge oder als multimedial vernetzte Hypertext-Dokumente? – Je nachdem, wer lernt und was man erreichen will, ermittelten jetzt Tübinger Forscher.

Grundschüler profitieren von Tablet-Lernangeboten im Unterricht – aber nur, wenn diese an die jeweiligen Lernziele sowie die kognitiven Fähigkeiten des einzelnen Kindes angepasst sind. Zu diesem Schluss kommen Tübinger Wissenschaftler in einer Studie.

Beim Tablet-Einsatz gilt, was eigentlich immer gilt: Der Medieneinsatz muss auf die Lernziele und die Voraussetzungen der Nutzer zugeschnitten sein. Foto: NadineDoerle / pixabay (CC0 Public Domain)
Beim Tablet-Einsatz gilt, was eigentlich immer gilt: Der Medieneinsatz muss auf die Lernziele und die Voraussetzungen der Nutzer zugeschnitten sein. Foto: NadineDoerle / pixabay (CC0 Public Domain)

Tablet-Computer lassen sich intuitiv durch Bildschirmberührung und Steuergesten bedienen. Auch jüngeren Kindern machen Tablets prinzipiell den Zugang zu komplexen computerbasierten Lernangeboten möglich. Aber können sie derartige Angebote schon sinnvoll nutzen? Und führen komplexe Tablet-Apps für Grundschüler im Vergleich zu einfacheren Angeboten auch zu einem erhöhten Lernerfolg?

Um dies zu beantworten, verglichen die Forscher des Hector-Instituts für Empirische Bildungsforschung und des Leibniz-Instituts für Wissensmedien zwei verschiedene Tablet-Lernanwendungen und untersuchten, ob Kinder mit sogenannten Hypermedien ‒ das sind vernetzte Dokumente, die mit anderen Medien wie Grafik, Ton oder Video elektronisch verlinkt sind ‒ vertiefter lernen als mit einfacher strukturierten Tablet-Angeboten wie einem multimedialen E-Book zum Durchblättern.

Ihr Fazit: Das Lernen mit Hypermedien hat Vorteile für das mehrperspektivische Denken, also die Fähigkeit, ein Problem aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Dies funktioniert aber nur, wenn Schülerinnen und Schüler über ein hinreichend leistungsfähiges Arbeitsgedächtnis verfügen. Beim Faktenwissen schnitt die „einfache“ Lernumgebung eines E-Books besser ab.

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Für die Studie entwickelten die Wissenschaftler zwei Arten von Lernmaterialien für Tablets, mit deren Hilfe sich Kinder Wissen über das Thema Biodiversität von Fischen aneignen sollten. Fast 200 Viertklässler aus Baden-Württemberg sollten sich in die Rolle eines Aquariummitarbeiters versetzen und mit zwei Dutzend verschiedenen Fischarten beschäftigen. Mit Hilfe von Tablets bewältigten sie konkrete Aufgaben zu verschiedenen Themenbereichen: Welches Futter brauchen einzelne Fischarten? In welchem Gewässer sind sie zuhause? Leben sie als Einzelgänger oder im Schwarm? Die Aufgaben waren so gestellt, dass die Kinder insgesamt sechs solcher thematischen Perspektiven einnehmen und miteinander in Beziehung setzen mussten. Damit sollte über reines Faktenlernen hinaus auch mehrperspektivisches Denken geschult werden, das für komplexe Problemstellungen wichtig ist.

Die Kinder der einen Gruppe erhielten ein hypermediales Tablet-Lernangebot. Als Ausgangspunkt wurden alle Fischarten in einer alphabetischen Anordnung abgebildet. Wenn die Kinder eine der Abbildungen auf dem Bildschirm berührten, erhielten sie zusätzlich einen Text und ein Video mit Informationen zur jeweiligen Fischart. Außerdem gab es sechs Schaltflächen, mit denen die Kinder die Fische automatisch thematisch umsortieren konnten, zum Beispiel im Hinblick auf Essgewohnheiten, Lebensraum oder Sozialverhalten. Die Kinder der zweiten Gruppe wurden nicht durch diesen hypermedialen Perspektivenwechsel unterstützt. Sie nutzten auf dem Tablet ein multimediales E-Book zum Durchblättern. Dies enthielt zwar die gleichen Informationen zu den verschiedenen thematischen Perspektiven, die Informationen wurden aber in der Reihenfolge vorgegeben, wie sie zum Lösen der Aufgaben gebraucht wurden.

Gemessen wurde, wie gut Kinder die einzelnen Aufgaben mit dem Tablet bearbeiteten und wie gut sie sich später an die dafür relevanten Fakten erinnern konnten. Außerdem wurde erfasst, wie gut sie das am Fisch-Beispiel erlernte mehrperspektivische Denken auch auf neue Problemsituationen in anderen Bereichen anwenden konnten. Schließlich wurde erhoben, wie gut ihr Arbeitsgedächtnis in Bezug auf Sprache, Zahlen und visuelle Informationen funktionierte. Die Ergebnisse zeigen zum einen, dass die Schüler sich Fakten besser merken konnten, wenn diese in der einfachen E-Book-Version präsentiert wurden. Das vertiefte Lernen im Sinne eines späteren mehrperspektivischen Denkens bei einer Transferaufgabe wurde aber besser mit dem komplexen hypermedialen Tablet-Lernangebot geschult. Dieser Vorteil fiel umso größer aus, je besser das Arbeitsgedächtnis der Kinder funktionierte. Nur für Kinder mit einer unterdurchschnittlichen Arbeitsgedächtniskapazität konnte kein Vorteil der Hypermedia-App gefunden werden.

„Das heißt nun aber nicht, dass hypermediale Tablet-Anwendungen leichtfertig im Unterricht eingesetzt werden sollten“, erklärt Peter Gerjets vom Leibniz-Institut für Wissensmedien. Vielmehr kommt es immer darauf an, welches Lernziel man verfolgt und welche kognitiven Voraussetzungen die Schüler mitbringen. „Für Kinder, die über eine hohe Kapazität des Arbeitsgedächtnisses verfügen, scheinen Hypermedia-Apps jedoch potenziell nützlich zu sein, um vertiefte Lernprozesse anzuregen.“ (zab, pm)

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3 Kommentare
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xxx
7 Jahre zuvor

So liebe Forscher, schauen wir uns mal die Schwächen der Untersuchung an:
– Es wurden nur eBooks gegen Hypermedien getestet, klassische analoge Arbeitsblätter auf Papier als Referenz nicht.
– Der Mehrwert setzt ein hinreichend leistungsfähiges Arbeitsgedächtnis voraus. Wie man das erwirbt bzw. vermittelt, steht nicht in der Studie.
– Im abschließenden Satz „Für Kinder, die über eine hohe Kapazität des Arbeitsgedächtnisses verfügen, scheinen Hypermedia-Apps jedoch potenziell nützlich zu sein, um vertiefte Lernprozesse anzuregen.“ stecken mir mit „scheinen“, „potenziell“, „nützlich“ und „anregen“ zu viele Konjunktive, die das Verhältnis aus Kosten für das Tablet, Arbeitsaufwand für den Lehrer und Mehrwert im Sinne von besseren Schülerleistungen deutlich relativieren.

Für mich lautet das Fazit nüchterner: Gute Schüler lernen schnell und mehr, normale Schüler lernen normal und normal schnell, schwache Schüler lernen langsam und weniger. Dasselbe hat man aber auch bei klassischen Arbeitsblättern oder Schulbüchern. Digitalisierung ist damit nicht das von der Politik heraufbeschworene Allheilmittel, was immerhin am Ende des Artikels auch erwähnt wird.

Palim
7 Jahre zuvor

Mir reichte für diese Erkenntnis schon der erste Satz:
„Tablets für Grundschüler ermöglichen durch ihre intuitive Bedienung den Einsatz digitaler Medien im Unterricht auch für Kinder, die mit der Steuerung eines Computers mit Tastatur und Maus noch überfordert wären.“

Wie jung sollen diese SuS sein?
… genannt werden Grundschüler, die mit der Bedienung von Tastatur und Maus überfordert wären.
Die Studie wurde dann mit 4.Klässlern durchgeführt.

Wenn diese 4. Klässler nicht in der Lage sind, mit Tastatur und Maus umzugehen, haben sie vermutlich kein hinreichend leistungsfähiges Arbeitsgedächtnis.
Letztlich soll es doch nicht darum gehen, die Kinder medial mit irgend etwas zu beschäftigen, sondern die Lernumbegung so vorzubereiten, dass individuelles Lernen auf verschiedenen Niveaustufen ermöglicht wird, SuS Herausforderungen oder Hilfen erhalten und Lehrkräfte eine Rückmeldung pro SuS und Aufgabe bekommen.

Wenn es das gibt UND dazu auch die mediale Versorung an Schulen einschließlich Finanzierung, Wartung etc. geregelt sind, können wir uns über den Mehrwert unterhalten.

Pälzer
7 Jahre zuvor

Vermutlich geht es letzten Endes um’s Anfüttern, auf dass alle Tablets benutzen, sie nutzen, sie kaufen (oder besser von der Schule gekauft kriegen, denn das ist sozial gerechter) und unverzichtbar finden.
Bei uns sitzen sie in den Pausen, starr, Kopf vornüber gebeugt, und machen auf den kleinen Bildschirmen das, was immer noch am motivierendsten ist: Ballerspiele.