Gewalt gegen Lehrkräfte (und andere Staatsdiener) – es reicht! Kraft kündigt Initiative zur Strafverschärfung an

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DÜSSELDORF. Immer mehr verbale und körperliche Angriffe auf Lehrer, Polizeibeamte und andere Staatsbedienstete – es reicht! Meint jedenfalls die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Die SPD-Politikerin kündigte eine Bundesratsinitiative an. Gerichte sollen Straftaten gegen Amtsträger und Nothelfer künftig „deutlich strafverschärfend“ ahnden können. „Jedes Verhalten, das eine gemeinwohlgefährdende Haltung erkennen lässt, muss zu einer höheren Bestrafung des Täters führen“, erklärte Kraft. Dazu soll das Strafgesetzbuch ergänzt werden. Der VBE – der erst in der vergangenen Woche eine Umfrage zum Thema Gewalt gegen Lehrkräfte veröffentlicht hatte – begrüßt den Vorstoß.

Wird initiativ: NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Foto: Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen / Foto: Oliver Tjaden
Wird initiativ: NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Foto: Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen / Foto: Oliver Tjaden

Drohen, mobben, beleidigen – jeder vierte Lehrer ist schon einmal Opfer psychischer Gewalt von Schülern gewesen. Das geht aus einer repräsentativen Forsa-Umfrage hervor, die der Lehrerverband Bildung und Erziehung (VBE) vergangene Woche vorgestellt hatte. Demnach ist fast ein Viertel (23 Prozent) der befragten Lehrer bereits Ziel von Diffamierungen, Belästigungen und Drohungen gewesen –  Aggressoren waren hauptsächlich Schüler, aber auch Eltern. Sechs von 100 Lehrern sind der Umfrage zufolge sogar schon einmal körperlich von Schülern angegriffen worden. Hochgerechnet seien damit mehr als 45.000 Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen aller Formen bereits Opfer von tätlicher Gewalt geworden. Zu den körperlichen Angriffen gehörten etwa Fausthiebe, Tritte, An-den-Haaren-Ziehen oder das Bewerfen mit Gegenständen.

VBE-Umfrage zu Gewalt in der Schule: Hochgerechnet 45.000 Lehrkräfte in Deutschland wurden schon zu Opfern körperlicher Angriffe

Was ist die Ursache für die wachsende Verrohung? „In unserer Gesellschaft ist etwas verrutscht“, glaubt Kraft. Eine einfache Erklärung habe sie nicht. Ein Forschungsprojekt zu Gewalt gegen Einsatzkräfte gehe derzeit auch dieser Frage auf den Grund – Ergebnisse sollten zum Jahresende vorliegen. Dieselbe Entwicklung werde auch in den anderen Bundesländern beobachtet. Daher rechnet die Regierungschefin auch mit Zustimmung im Bundesrat für den NRW-Vorstoß. „Wir müssen deutlich Flagge zeigen an dieser Stelle.“

Wichtig sei, dass eine härtere Bestrafung nicht erst einsetze, wenn es schon zu einer „körperlichen Widerstandshandlung“ oder einer Gewaltattacke gekommen sei. Schon Beleidigung und Bedrohung müssten entsprechend geahndet werden, betont die Regierungschefin. Diejenigen, „die für uns jeden Tag den Kopf hinhalten“, hätten den Schutz des Staates verdient.

Zahlt das Land die Anwaltskosten?

Zudem ist angedacht: Eine Gesetzesänderung, die Landesbediensteten finanziell helfen soll, die im Dienst Opfer von Gewalt geworden sind. Bisher müssen etwa Polizeibeamte Schmerzensgeldansprüche direkt gegen den Angreifer durchsetzen – und gehen leer aus, wenn der nicht zahlen kann. Das Land will Kraft zufolge demnächst in Vorleistung gehen und übernehmen, wenn der Täter zahlungsunfähig ist. Stärker engagieren will sich die Landesregierung einem Bericht der „Rheinischen Post“ zufolge auch, wenn es um Gewalt gegen Lehrer geht. „Wir debattieren darüber, dass das Land die Rechtskosten übernimmt, wenn Lehrer angegriffen werden“, sagte Kraft. Es habe sie erschüttert, wie wenige Lehrer solche Übergriffe überhaupt den Schulleitungen und Schulbehörden melden. Die Neuerung werde zügig noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt, verspricht die Ministerpräsidentin.

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„Die Politik hat das Alarmsignal gehört. Wir unterstützen die Bundesratsinitiative der Landesregierung von NRW für härtere Strafen bei Gewalt gegen Landesbedienstete einschließlich der Lehrkräfte ausdrücklich“, kommentiert Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung, die Ankündigung.

Über die Strafverschärfung hinaus fordert der VBE weiter:

  • Gewalt gegen Lehrkräfte darf kein Tabu-Thema mehr sein.
  • Die Dokumentation von Vorfällen hat verpflichtend zu erfolgen.
  • Statistiken müssen geführt und veröffentlicht werden.
  • Die Lehrkraft muss die volle Unterstützung des Dienstherren erhalten.
  • Entwicklung klarer Strukturen, an wen sich Lehrkräfte wenden können und was nach einem Übergriff zu tun ist.
  • Unterstützung der Schulen durch multiprofessionelle Teams.
  • Ein breites Fortbildungsangebot.
  • Vermittlung von Medienkompetenz als Prävention gegen Cybermobbing.

Unterstützung für Kraft kommt auch von Lehrkräften aus Thüringen. „Wir freuen uns zu sehen, dass die vor wenigen Tagen vorgestellten Ergebnisse der Forsa-Studie zur Gewalt gegen Lehrer so schnell erste Früchte tragen“, erklärte Rolf Busch, Vorsitzender des Thüringer Lehrerverbands (tlv). „Die Initiative aus NRW dient auch dem Schutz der Lehrer und ist damit ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Situation.“

Nun sei es wichtig, dass die Bundesratsinitiative eine möglichst breite Unterstützung der Länder findet. „Wir werden deshalb unseren Ministerpräsidenten bitten, auch für Thüringens Lehrer einzustehen.“ Der Verband werde sich mit diesem Anliegen umgehend an Bodo Ramelow (Linke) wenden, kündigte Busch an. Nach den Ankündigungen von Kultusministerin Birgit Klaubert (Linke), die dem tlv eine enge Zusammenarbeit beim Thema Gewalt zugesagt hat, hege der Verband nun große Hoffnungen, dass auch Thüringens Landesregierung für die geplante Verschärfung eintritt. Agentur für Bildungsjournalismus / mit Material der dpa

VBE-Umfrage: Heutzutage müssen sich Lehrer vor gewalttätigen Schülern fürchten – und manchmal auch vor Eltern

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7 Kommentare
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xxx
7 Jahre zuvor

Für einen zahnlosen Tiger bringt ein locker sitzender Mundschutz auch nicht viel. Die Forderungen des VBE lesen sich nach viel Zusatzarbeit für die Lehrer.

Pälzer
7 Jahre zuvor

Ach ja, die härteren Strafen … die „Scharia-Polizei“ wurde heute freigesprochen …

mestro
7 Jahre zuvor
Antwortet  Pälzer

Ist das nicht die Polizei, die aufpasst, dass es in manchen Bezirken auch hübsch ordentlich nach den Schariageboten zugeht? Da muss dann eben auch manchmal mit etwas Gewalt nachgeholfen werden.
Wo kämen wir denn hin ohne die ausführenden (polizeilichen) Organe unserer Paralleljustiz?
Sie zu verurteilen wäre ganz klar ein Verstoß gegen die Religionsfreiheit und ein Zeichen für Islamfeindlichkeit und Fremdenhass.

sofawolf
7 Jahre zuvor

Grundsätzlich finde ich die Initiative gut, allerdings glaube ich, dass wir keine anderen oder schärferen Gesetze brauchen.

Wir brauchen vielleicht eher andere Richter?

Ich denke z.B. an den Fall mit der Freiheitsberaubung, als ein Lehrer Kinder nicht aus einem Raum ließ, weil sie eine Aufgabe noch nicht erfüllt hatten. Vor gut 20 Jahren urteilte ein Gericht, sowas sei keine Freiheitsberaubung. Unlängst urteilte ein Gericht, das sei eine Freiheitsberaubung. Na, was denn nun?!? Und wie verlässlich sind Gerichtsurteile noch für mich? An welche kann ich mich halten, ohne Sorge zu haben, dass ein Gericht vielleicht jetzt ganz anders entscheidet und doch nicht mehr gilt, was zuvor geurteilt worden war?!?

sofawolf
7 Jahre zuvor

Aber womöglich müssen „Strafrahmen“ geändert werden, damit Richter nicht mehr allzu sanft urteilen können?!?

Ich empfehle ohnehin die sozialwirksame Schule.

http://www.sozialwirksame-schule.de/

Achim
7 Jahre zuvor
dickebank
7 Jahre zuvor

Das Grundproblem liegt in der Gesetzeslage. Der Geschädigte muss das Schmerzensgeld zivilrechtlich durchsetzen. Der vielfach angesprochene Straftatbestand der „Beamtenbeleidigung“ ist nämlich nicht existent. Eine „Amtsperson“, die in Ausübung ihres Dienstes beleidigt wird, muss folglich genauso wie jeder andere klagen. In solchen Prozessen steht oft Aussage gegen Aussage, so dass in Folge des Rechtsgrundsatzes „in dubio pro reo“ der Beschuldigte „straffrei“ ausgeht bzw. die Klage gegen Zahlung eines Strafbescheides eingestellt wird. Hinzu kommt dass im Bereich Schule, Schulleitungen gerne negative „Presse“ vermeiden wollen und Vorfälle unter den Teppich gekehrt werden bzw. schulintern mit den Möglichkeiten der Ordnungs. und Erziehungsmaßnahmen geahndet werden. Sebst wenn die Entlassung von der eigenen Schule ausgesprochen wird, muss dieser Ordnungsrahmen noch von der Bezirksregierung (Schulaufsicht) bestätigt werden, um Bestand zu erhalten. Vielfach weist die Bez.-Reg. in solchen Fällen, wenn die Eltern Widerspruch einlegen, an die Schule zur Neuverhandlung zurück

Bei Beleidigungen oder körperlichen Angriffen auf Lehrkräfte bleibt somit nur der Weg über die Strafanzeige, die selten von den Staatsanwaltschaften zur Klageerhebung genutzt wird, und das zivilrechtliche Verfahren, um Schmerzensgeld zu erlangen. Letzteres führt aber nicht zu einem Strafeintrag.
Somit ist es zu begrüßen, wenn das Land als Dienstherr/Arbeitgeber in solchen Fällen zunächst in Vorleistung tritt und anschließend die Forderungen gegenüber dem Verurteilten durchsetzt. Derjenige, dem der Schadensersatz/Schmerzensgeld zusteht, hat nämlich nur ein Urteil, um dessen Vollstreckung er sich nämlich anschließend mit Hilfe eines Gerichtsvollziehers gegen Vorkasse bemühen muss. Aus diesem Grund wird häufig auf das gesamte Prozedere verzichtet, bringt nämlich außer Ärger nichts.