Wie Martin Schulz versucht, mit dem Thema Bildung Fuß zu fassen

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BERLIN. Die medialen Analysten sind sich weitgehend einig: Will Martin Schulz noch eine Chance haben, im Herbst Angela Merkel im Kanzleramt zu beerben, muss er Profil gewinnen und Themen besetzen. Mit der Bildungspolitik machte er in Neukölln den Aufschlag. So richtig warm geworden schien er mit dem Thema nicht.

Einen schöneren Ort kann es für einen Martin Schulz nicht geben. Bücher, überall Bücher. «Ich fühle mich nicht nur sehr wohl, sondern auch zu Hause», sagt der frühere Buchhändler aus Würselen zu den Schülern und Jugendlichen, die sich in der Helene-Nathan-Bibliothek im Berliner Brennpunktbezirk Neukölln versammelt haben. Bildung ist hier ein besonders heißes Eisen: 29 000 Schüler, über 14 Prozent gehen ohne Abschluss ins Leben.

Sprach zuerst von 10 bis 12 Milliarden Euro Investitionen mehr pro Jahr, später von 30 Milliarden: Martin Schulz präsentierte in Berlin 13 Thesen zur Bildung. Foto: Von Michael Weiss, /Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.5)
Sprach zuerst von 10 bis 12 Milliarden Euro Investitionen mehr pro Jahr, später von 30 Milliarden: Martin Schulz präsentierte in Berlin 13 Thesen zur Bildung. Foto: Von Michael Weiss, /Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.5)

Nun aber ist Schulz kein Bücherwurm mehr, sondern ein Kanzlerkandidat im Krisenmodus. Der Hype ist vorbei, seine SPD hat in Saarbrücken, Kiel und in ihrer Herzkammer Nordrhein-Westfalen die Wahlen klar verloren. Die bundesweiten Umfragen nähern sich dem Niveau, das die SPD unter Parteichef Sigmar Gabriel hatte, die CDU liegt bis zu 12 Punkte vorne. Wochenlang wirkte Schulz wie abgetaucht.

Angekündigt ist das Event von der SPD als Aufschlag zur Bildungspolitik. So etwas wie das erste Kapitel eines «Zukunftsplans für Deutschland», den Schulz am Dienstag in der Bundestagsfraktion ins Schaufenster gelegt hatte.

«Ich möchte, dass Deutschland das weltweit stärkste Land in der Bildung wird», ruft er. So weit, so gut. Da kann niemand widersprechen. Die FDP ist mit diesem Slogan gerade ziemlich erfolgreich unterwegs. Was Schulz in 28 Minuten eher unstrukturiert und angespannt vorträgt, ist wenig kontrovers, gehört zum sozialdemokratischen Bildungs-Bauchladen. Kostenfreie Kitas, Unis, Meisterausbildungen. Das Kooperationsverbot abschaffen («In Verfassungsrecht gegossener Irrtum»), damit der Bund den Ländern mehr Kohle geben und mitreden kann.

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Dann wird Schulz konkreter. Eine Million Ganztagsschulplätze will die SPD schaffen, damit die Kinder nicht mittags auf der Matte stehen und die arbeitenden Eltern die Krise kriegen. Was kostet das konkret? «Sehr, sehr viel.» Schulz verweist auf den Industrieländer-Club OECD. Die Bildungsausgaben lägen im Schnitt bei 5,2 Prozent der Wirtschaftsleistung. Deutschland mit 4,3 Prozent sei nicht mal Mittelmaß, schimpft der Genosse. Und rechnet vor. Zehn bis zwölf Milliarden Euro extra seien nötig, um auf die 5,2 Prozent zu kommen. Eine «Riesenherausforderung». Aber besser angelegt als Milliarden für Steuersenkungen und neue Panzer, wie es die Union vorhabe.

Während er weiterredet, werden seine Berater unruhig. Ein Schulz-Sprecher reicht SPD-Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey während der Diskussion einen Zettel. Sie gibt ihn an Schulz weiter. Derweil hält ihm ein Lehrer vor, im Trüben zu fischen: «Vielleicht lassen Sie sich mal zu einer Zahl hinreißen. Fangen Sie nicht im Mittelmaß an.»

Schulz stutzt, guckt auf seine Karteikarten. «Hier steht fettgedruckt: Es reicht nicht, Durchschnitt zu werden.» Der Lehrer hakt nach. Die skandinavischen Länder würden um die sechs Prozent in die Bildung pumpen, wär das nicht was? Schulz ist sofort dabei, übernimmt einfach die Forderung. Nun soll es Spitzenniveau wie in Finnland und Schweden sein. «Vorausgesetzt, ich werde Kanzler der Bundesrepublik, dafür brauche ich ’ne Mehrheit, auch der Lehrer.»

Dann erlebt das Publikum eine Überraschung. Schulz hat sich den Zettel zu den Zahlen angeguckt. Er klärt auf, 30 Milliarden Euro seien fällig, um OECD-Durchschnitt zu packen. Nicht 10 bis 12 Milliarden. Und skandinavische Verhältnisse würden noch viel teurer werden.

Zum Ende hin legt ein 17-Jähriger aus Neukölln den Finger in die jüngsten SPD-Wahlwunden. Sein Vater stamme wie Schulz aus Nordrhein-Westfalen: «Ich habe mit Ihnen gelitten.» Die grüne Schulpolitik in der SPD-Regierung sei ja mit entscheidend für die Niederlage gewesen. Sei er für ein Abi in zwölf oder dreizehn Jahren, fragt er Schulz. «Ich persönlich war immer für das 13-jährige Abitur. Und bin auch nach wie vor dafür», antwortet der. Lehrer, Eltern und Schüler bräuchten mehr Zeit. ls fatal bezeichnete er die jahrelange Politik, Schüler so rasch wie möglich für den Arbeitsmarkt verfügbar zu machen. «Schule muss auch Spaß machen.» (Tim Braune, dpa)

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Axel von Lintig
6 Jahre zuvor

Der Ansatz der Politik ist wie immer der Gleiche:
Man versucht durch Änderungen der äußeren Schulstrukturen und ihrer Umgebung, Verbesserungen im Lernverhalten der Schüler zu bewirken,hat aber selbst keine Vorstellungen und keine analytischen Fähigleiten zur Erkennung der Zusammenhänge von Ursache und Wirkung im Lernverhalten der Schüler.
Diese könnte man aber durch eine staatliche Finanzierung großer Studien in den Schulen gewinnen.
Man will aber argumentativ-ideologisch begründet ,solange an den Lernmethoden nichts ändern, bis entsprechende Studien die gegenteiligen Effekte nachweisen, verweigert aber gleichzeitig die Finanzierung und Initiierung entsprechender Studien.
Also ist man auf die Ergebnisse im anglo-amerikanischen Schul-System angewiesen.
Es ist an der Zeit, dass sich diese Damen und Herren einmal mit diesem Kontex auseinandersetzen.

sofawolf
6 Jahre zuvor

ZITAT: „Eine Million Ganztagsschulplätze will die SPD schaffen, damit die Kinder nicht mittags auf der Matte stehen und die arbeitenden Eltern die Krise kriegen.“

Also geht es doch nur darum, die Kinder „sicher zu verwahren“. Ich kann das verstehen, aber ich meine, es reicht für Grundschüler. Die älteren tun mir eher leid, wenn das ganze Leben nur noch aus Schule bestehen soll.

Die hier nicht aufgefundene Forderung nach kostenloser Bildung von der Krippe bis zur Uni finde ich dagegen sehr gut.

13-jähriges Abitur finde ich unnötig, aber ich gönne den Schülern mehr Zeit für alles und eine längere Kindheit. Schuften auf dem Arbeitsmarkt können sie dann noch lange genug – und vermutlich auch immer länger.

sofawolf
6 Jahre zuvor

ZITAT: „«Schule muss auch Spaß machen.»“

Naja, wie könnte man da widersprechen, aber die Priorität finde ich falsch gesetzt.

Schule darf auch Spaß machen, ja, aber im Vordergrund soll schon das Lernen stehen. Dafür brauchen wir nicht vor allem mehr Spaß, sondern vor allem mehr Zeit !!!

xxx
6 Jahre zuvor

Warum muss Schule unbedingt Spaß machen? Gegen Freude habe ich nichts, Spaß ist aus meiner Sicht eher kontraproduktiv, weil nur auf kurzfristige Erheiterung und nicht nachhaltigen Erfolg ausgelegt. Das lässt sich allerdings im Gegensatz zu Spaß nicht werbewirksam verkaufen.

Jürgen Günther
6 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Ja, Freude halte ich auch für den besseren Begriff. Freude am Begreifen, am Lernen, am Denken, am Forschen, am Erfinden und an der Anwendung des Gelernten, an der Selbstwirksamkeit zum gemeinsamen Nutzen.
Um das zur Grundhaltung der Bildungspolitik zu machen, bedarf es mehr als nur politischer Phrasen sondern einer großen gesellschaftlichen Anstrengung und zweifellos auch den Einsatz großer finanzieller Mittel. Wenn Politiker Ernst genommen werden wollen, dann müssen sie sich an ihren Taten messen lassen, nicht am Geschwätz.

Küstenfuchs
6 Jahre zuvor

Ich frage mich, wie Schulz mit Bildung im Bundestagswahlkampf punkten möchte. In S-H und NRW war (vergeigte) Inklusion und G9 ein Thema, teilweise auch die Lehrerausbildung und der Lehrermangel. All diese Probleme sind aber vorrangig in den Ländern anzugehen.

geli
6 Jahre zuvor

„Mehr Geld für Bildung“ fordern alle Parteien. Damit wird Herr Schulz kaum punkten können.
Mich könnte er eventuell zur Wahl seiner Partei animieren, wenn ich wüsste, wofür die SPD das Geld im Einzelnen ausgeben will, außer für mehr Ganztags- oder Kitaplätze.
Beim Verharren auf ihrer sehr eigenwillig verstandenen Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit und mehr Geldausgabe für Maßnahmen in diese Richtung, wäre ich nicht begeistert.
Wofür mehr Geld verwendet wird, ist das Entscheidende.