Viele Schüler weg, kaum noch Lehrer – aber erstmal macht die Förderschule doch nicht dicht: Was der Aufschub der Inklusion in NRW vor Ort bedeutet

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MÜNSTER. Die neue schwarz-gelbe Regierungskoalition in Nordrhein-Westfalen möchte nach eigenem Bekunden Förderschulen erhalten – anders als die rot-grüne Vorgängerregierung. Was heißt das nun vor Ort? An der Uppenbergschule in Münster zum Beispiel hatten sich schon alle mit der Schließung abgefunden. Hat diese Förderschule nun doch noch eine Zukunft? Andernorts bleibt es beim Aus zum 31. Juli.

Bleibt vorerst erhalten: die Uppenbergschule in Münster. Foto: Dietmar Rabich / Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0
Bleibt vorerst erhalten: die Uppenbergschule in Münster. Foto: Dietmar Rabich / Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0

Einzelförderung im Werkunterricht der Uppenbergschule in Münster: Der 13-jährige Ramadan lernt gerade Schweißen, angeleitet von seinem Lehrer Heinz Wessling. Bis vor kurzem war klar, dass diese Förderschule mit den Schwerpunkten Lernen sowie emotionale und soziale Entwicklung zum Schuljahresende 31. Juli für immer ihre Pforten schließt. Doch nach dem Regierungswechsel in Düsseldorf zeichnet sich nun doch noch eine Perspektive ab.

Die Uppenbergschule ist eine von landesweit 13 Förderschulen, die eigentlich Ende Juli geschlossen werden sollen. Am Mittwoch, zwei Tage vor dem letzten Schultag, wird jedoch der Landtag voraussichtlich noch die Weichen dafür stellen, dass möglichst viele auslaufende Förderschulen doch weitermachen können. Die Regierungsparteien CDU und FDP werden die Landesregierung auffordern, eine Mindestgrößen-Verordnung befristet auszusetzen. Die Schulträger, also etwa die Kommunen, sollen damit die Möglichkeit bekommen, zu klein gewordene Schulen doch noch zu erhalten. Schwarz-Gelb will damit bessere Wahlmöglichkeiten für die Eltern sichern.

Schwarz-Gelb startet Rettung der Förderschulen in NRW – Schulministerin Gebauer (FDP): „Wir brauchen ein flächendeckendes Angebot“

Im März hatte der Stadtrat von Münster wegen der zurückgegangenen Schülerzahlen die Auflösung der Uppenbergschule beschlossen. Kein Einzelfall: Seit 2010 verringerte sich die Zahl der Förderschulen in Nordrhein-Westfalen um rund 100 Standorte. Die rot-grüne Landesregierung hatte einen Rechtsanspruch auf inklusiven Unterricht eingeführt und den Unterricht behinderter Kinder in Regelschulen forciert. Nach heftiger Kritik von Eltern und auch Lehrern, die eine Verschlechterung der Betreuungsmöglichkeiten befürchten, will jetzt die neue Landesregierung viele Förderschulen erhalten.

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Die Stadt Münster will die neuen Rahmenbedingungen nutzen und die Uppenbergschule nun erstmal weiterlaufen lassen. Ebenfalls am Mittwoch berät der Stadtrat über eine Vorlage der Verwaltung, wonach der Auflösungsbeschluss vom März wieder aufgehoben wird. Eine endgültige Entscheidung soll im nächsten Schuljahr 2017/18 fallen. Laut Angela Stähler, schulpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, wollen die schwarz-grüne Mehrheit und die FDP im Stadtrat für die Vorlage stimmen. «Die Schule hat ein hervorragendes pädagogisches Konzept. Das gilt es weiterzutragen», sagt sie. Stähler betont die gute Vernetzung im Stadtteil Kinderhaus und die Bedeutung des Elternwillens: «Eltern können die Wahl nicht mehr treffen, wenn es keine Wahl mehr gibt.»

Nur noch 50 Schüler

Zählte die Schule vor zehn Jahren noch 290 Schüler, sind es aktuell nur noch 100, sagt der kommissarische Schulleiter Andreas Born (47). Und nach den Sommerferien werden es nur noch 50 sein. Die neue Lage sei für ihn «überraschend» gekommen. «Konzepte, wie es jetzt weitergehen soll, gibt es noch nicht.» Eigentlich war eine Fusion mit einer anderen Förderschule mit Schwerpunkt Lernen geplant. «Aber die kommt nun erstmal nicht.» Auch Born selbst wird die Schule verlassen. Er wird Schulleiter einer Grundschule in der Nähe. Nur sechs Lehrer werden an der Schule bleiben.

Auch die Stadtverwaltung Münster weiß noch nicht so recht, wie es weitergeht. Es sei «kaum einzuschätzen, ob und in welcher Anzahl die Uppenbergschule neue Schülerinnen und Schüler wird aufnehmen können», heißt es in der Beschlussvorlage für den Rat. Die bisherigen Schätzungen gingen von nur noch 40 Schülern im übernächsten Schuljahr aus. «Spätestens dann wäre der Schulbetrieb nicht mehr aufrechtzuerhalten, sodass – unabhängig von der Rechtslage – dann eine Auflösung unvermeidbar wäre.» Die Auflösung soll trotzdem erstmal gestoppt werden, da eine Neuerrichtung viel schwieriger wäre.

GEW: Schwarz-gelbe Rettungsaktion für Förderschulen ist “reine Symbolpolitik” – wo ist das Personal dafür?

Derweil beurteilen die Kommunen mit auslaufenden Förderschulen die geänderte politische Lage unterschiedlich. So will auch die Stadt Oer-Erkenschwick (Kreis Recklinghausen) eine eigentlich im Sommer 2018 auslaufende Förderschule erhalten. «Möglicherweise gibt es ja noch eine Chance», heißt es bei der Stadt. Der Kreis Heinsberg sieht dagegen keine Veranlassung, einen Schließungsbeschluss für eine auf Sprache spezialisierte Förderschule in Heinsberg für Ende Juli wieder aufzuheben. Das Gebäude werde künftig für Weiterbildungsangebote des Kreises genutzt, sagt ein Kreissprecher. Für eine Förderschule in Erkelenz, ebenfalls im Kreis Heinsberg, kommt die neue Lage dagegen zu spät. Bürgermeister Peter Jansen (CDU) hätte sie gerne weiterbetrieben. «Wir haben es nie gewollt, dass sie geschlossen wird, sie war eine erfolgreiche Förderschule.» Von Helge Toben, dpa

 

Gewerkschaften: Rettungsplan für Förderschulen unzureichend

ESSEN. Die Bildungsgewerkschaften GEW und VBE bewerten den Rettungsplan der schwarz-gelben Landesregierung für die Förderschulen in Nordrhein-Westfalen als unzureichend. Für ein Fortbestehen der Einrichtungen seien mehr Personal und Zeit nötig.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW NRW) bezeichnet den Rettungsplan der neuen Koalition als «reine Symbolpolitik». «Im Antrag von CDU und FDP steht kein Wort zur Personalausstattung. Wir befürchten wegen des Mangels an ausgebildeten Sonderpädagogen, dass Pädagogen aus den Regelschulen in die Förderschulen geschickt werden sollen, um diese zu retten», sagte die GEW-Landesvorsitzende Dorothea Schäfer jüngst.

Nach Informationen der GEW NRW sollen insgesamt rund 35 von der Schließung bedrohte Förderschulen erhalten bleiben. Es würden 500 Stellen für Förderschullehrkräfte kurzfristig benötigt, um alle kleinen Schulsysteme am Leben zu halten, verdeutlicht die GEW.

Auch der Verband Bildung und Erziehung äußerte Kritik. In einigen Fällen sei für einen Erhalt schon zu spät: Es sei nicht sinnvoll, einen Schließungsaufschub für eine Schule zu erreichen, die nahezu abgewickelt sei. Eine zeitliche Aussetzung der Verordnung befürwortet der VBE-Vorsitzende Udo Beckmann aber. Sie müsse jedoch von einer regionalen Entwicklungsplanung für Förderschulen begleitet sein.

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sofawolf
6 Jahre zuvor

Geht doch!

Heute hörte ich im Radio, dass MeVo nun auch nicht alle Förderschulen schließen will. Die neue Bildungsministerin meinte, es gäbe Schüler, die nicht an normalen Schulen lernen könnten und für die brauche man weiterhin Förderschulen. Insbesondere extrem verhaltensauffällige Schüler meinte sie. Vielleicht können die „Lehrerneuigkeiten“ ja auch mal darüber berichten?

Freut mich jedenfalls, wenn man da künftig nicht mehr nur eine politische Option hat, weil auch die SPD einlenkt.

xxx
6 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Immerhin nannte sie die extrem verhaltensauffälligen Schüler, die in so ziemlich allen anderen Bundesländern als ESEL-Schüler die Regelschule besuchen müssen. Im Zweifel wird es je eine solche Förderschule in Rostock, Schwerin und irgendwo im Wahlkreis von Angela Merkel geben. Wie der Schulweg der weit davon entfernt lebenden Schüler bewältigt werden soll, steht in den Sternen, zumal das Wort „extrem“ in extrem verhaltensauffällig sehr unterschiedlich ausgelegt werden kann. Bei keiner Schule weit und breit und Beförderungszwang seitens der Gemeinde ist das anders als eine zu füllende bzw. zu erhaltende Schule im Ort.

sofawolf
6 Jahre zuvor

@ xxx,

das war von mir eine sinngemäße Wiedergabe, keine wortwörtliche. 🙂

Ich betrachte es aber als ersten Schritt jenseits von CDU und FDP, doch nicht alle Förder- und Sonderschulen zu schließen und das finde ich begrüßenswert.

sofawolf
6 Jahre zuvor

Hier kann, wer mag, mehr dazu lesen.

AUSZUG: „“Es gibt eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern, die so verhaltensauffällig ist, dass man sie nicht integrieren kann. Für Kinder, die beißen, kratzen oder schlagen, müssen wir andere Lösungen finden“, zitierte das Blatt die Ministerin.“

Der ganze Text: https://www.abendblatt.de/region/mecklenburg-vorpommern/article211565775/Ministerin-Hesse-sorgt-fuer-Diskussion-um-Inklusionsfrieden.html