Abordnungs-Chaos in Niedersachsen: Heiligenstadt verteidigt Maßnahmen – Philologenverband spricht von „planerischer Inkompetenz“

1

HANNOVER. Niedersachsens Kultusministerin Frauke Heiligenstadt hat die Abordnungen von Lehrern an andere Schulen verteidigt. «Die Lage ist nicht einfach, aber deshalb sind alle gefordert», sagte die SPD-Politikerin am Freitag im Kultusausschuss des niedersächsischen Landtages. Abordnungen seien ein klassisches Instrument, um Engpässe bei der Unterrichtsversorgung zu überbrücken. Als befristete Maßnahme seien sie durchaus vertretbar. Der Philologenverband spricht dagegen von „planerischer Inkompetenz“. Zehn Tage nach Schuljahresbeginn sei noch immer kein geregelter Unterricht möglich.

Kultusministerin Frauke Heiligenstadt bei einem Schulbesuch auf Borkum. Foto: Matthias Groote / flickr (CC BY-NC-SA 2.0)
Kultusministerin Frauke Heiligenstadt bei einem Schulbesuch auf Borkum. Foto:
Matthias Groote / flickr (CC BY-NC-SA 2.0)

Der Ausschuss tagte auf Antrag der CDU-Fraktion. Neben Heiligenstadt nahm auch der Leiter der Landesschulbehörde, Ulrich Dempwolf, zur aktuellen Lage Stellung. 90.000 Stunden müssen dem Ministerium zufolge landesweit abgeordnet werden, um den Unterrichtsausfall flächendeckend so gering wie möglich zu halten. Vor allem in ländlichen Regionen gebe es Bedarf. Allein 30.650 Stunden fehlten an Grundschulen, um eine hundertprozentige Unterrichtsversorgung zu gewährleisten. Das Land Niedersachsen konnte zum Schuljahresbeginn angesichts der Bewerberflaute auf dem Lehrer-Arbeitsmarkt erst gut zwei Drittel seiner freigewordenen Stellen besetzen.

Im März ein Erlass

Die Abordnungen von Lehrern zum Start des neuen Schuljahres hatten für Unmut gesorgt: «Diese kurzfristigen Abordnungen sind im höchsten Maße ärgerlich», sagte der Vorsitzende des Schulleitungsverbandes Niedersachsen, Frank Stöber. Viele Gymnasien erhielten erst am letzten Ferientag den Auftrag, Lehrer für teils bis zu 100 Stunden an Grund-, Haupt- oder Oberschulen zeitweise abzugeben. Zu diesem Zeitpunkt waren die Lehrkräfte schon an der eigenen Schule verplant. Heiligenstadt betonte im Ausschuss, dass es schon im März einen Erlass aus ihrem Ministerium gegeben habe, in denen die Schulen auch darauf hingewiesen wurden, dass Abordnungen nötig werden.

Plötzlich Grundschullehrer: Was Niedersachsen seinen Gymnasial-Pädagogen zumutet – in Zeiten des Lehrermangels

Das stellt der Philologenverband allerdings anders dar. „Täglich erreichen uns empörte Meldungen aus den Gymnasien, dass sie erst jetzt überhaupt zu Abordnungen in großem Umfang verpflichtet werden – nachdem die Stundenpläne stehen und die Lehrer den Unterricht in ihren Klassen begonnen haben“, berichtet der Landesvorsitzende Horst Audritz. Zehn Tage nach Schuljahresbeginn herrsche immer noch Unklarheit darüber, wer wie viele Lehrerstunden an welche Schulen abordnen müsse.

Noch schlimmer treffe es Gymnasien, die nach den kurzfristig angewiesenen Abordnungen in der letzten Woche bereits neue Pläne gemacht hätten, jetzt aber erfahren würden, dass auch diese schon wieder Makulatur seien, weil sie noch weitere 40 oder 60 Stunden abzuordnen hätten. „Dies ist eine Zumutung für die Schulleitungen und uns Lehrkräfte“, meint Audritz. An manchen Schulen gebe es derzeit noch nicht einmal einen Stundenplan.

Lehrermangel-Chaos – Kurzfristige Abordnungen von Kollegen noch nach Schuljahresbeginn setzen Stundenpläne außer Kraft

Immer wieder sei auch festzustellen, dass die Berechnungen der Schulbehörden nicht aktuell seien und auf der Grundlage falscher Zahlen abgeordnet werden solle.  So komme es auch vor, dass Lehrkräfte an Grundschulen ihre Arbeit aufnehmen wollten, dort aber erfahren würden, dass sie zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr gebraucht würden, während gleichzeitig an ihrem Gymnasium der Unterricht ausfallen müsse. „Ein solches Chaos habe ich noch nie erlebt“, befand Audritz. Betroffen von dieser planerischen Inkompetenz seien aber nicht nur Lehrkräfte und Schulleitungen. „Es ist auch und vor allem eine Zumutung für die Schülerinnen und Schüler. Sie sind die auch langfristig Leidtragenden dieser Misere.“ Audritz‘ Fazit: „Diese planerische Inkompetenz des Kultusministeriums und der Landesschulbehörde ist nicht zu überbieten!“ Agentur für Bildungsjournalismus / mit Material der dpa

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

1 Kommentar
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Wolfgang Kuert
6 Jahre zuvor

Presseinformation
Nr. 192/2017 – Hannover, den 11.08.2017
Pressekontakt:

Robert Klein
Tel.: 0511 / 30 30 43 02
Fax: 0511 / 30 30 48 63
Mobil: 0176 / 329 105 94
E-Mail: robert.klein@lt.niedersachsen.de

Die FDP-Fraktion im Internet:

http://www.fdp-fraktion-nds.de
http://www.facebook.com/fdpfraktionnds
http://www.instagram.com/fraktionsleben

Schulpolitik
Björn Försterling: Abordnungen wurden viel zu spät angekündigt – Ministerin trägt Verantwortung für das Chaos in den Schulen
Hannover. Nach der heutigen Sitzung des Kultusausschusses steht für den bildungspolitischen Sprecher der FDP-Fraktion im Landtag Niedersachsen fest, dass der flächendeckende Unterrichtsausfall zu Beginn dieses Schuljahres vorhersehbar gewesen ist. „Die Ministerin trägt die Verantwortung für das Chaos zum Schuljahresbeginn und sie weigert sich, die aktuellen Probleme zur Kenntnis zu nehmen. Das ist mehr als ignorant“, so Försterling. Nach seiner Auffassung hat die Ministerin in ihrem knapp einstündigen Vortrag belegt, dass sie in einer anderen Welt lebt und versucht, sich diese mit vielen Zahlen schön zu rechnen. „Das Chaos in den Schulen scheint für Frauke Heiligenstadt mittlerweile Normalität zu sein. Wir wollen wieder Normalität in den Schulen und das Chaos im Kultusministerium beenden“, so der FDP-Politiker.
Nach den Ausführungen des Präsidenten der Niedersächsischen Landesschulbehörde sei bereits am 28.03.2017 klar gewesen, dass im kommenden Schuljahr an den Grundschulen über 30.000 Unterrichtsstunden pro Woche fehlen werden, was rund 1.095 Vollzeitlehrereinheiten entspräche. „Gleichwohl hat man nur 481 Stellen ausgeschrieben. Klar war damals bereits, dass es für das kommende Schuljahr umfangreicher Abordnungen bedarf. Aber die Ministerin hat die Augen vor diesem Problem verschlossen“, stellt Försterling fest. „Zum Schuljahresbeginn wurde das Problem so groß, dass man die Augen nicht mehr verschließen konnte. Jetzt müssen wieder einmal die Schulleiter und Lehrkräfte in Niedersachsen für die Kultusministerin den Karren aus dem Dreck ziehen“, so der Schulexperte.
Hintergrund: Die Kultusministerin hat heute den Kultusausschuss über Abordnungen von Gymnasiallehrern an Grundschulen unterrichtet. Diese waren aufgrund mangelnder Unterrichtsversorgung zum Ende der Sommerferien angeordnet worden.

http://www.facebook.com/fdpfraktionnds I http://www.instagram.com/fraktionsleben