Ganztagsunterricht, Inklusion und Lehrermangel: Lorz‘ Baustellen beim Schuljahresbeginn in Hessen

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WIESBADEN. Das neue Schuljahr beginnt in Hessen mit einigen Baustellen, denen sich Kultusminister Alexander Lorz (CDU) annehmen muss. So sehen es jedenfalls Lehrer, Eltern und Schüler. Einige davon gibt es schon länger – und manche sind nur schwer zu beheben.

Hat gut zu tun: Alexander Lorz, Kultusminister von Hessen. Foto: Martin Rulsch, Wikimedia Commons, CC-by-sa 3.0/de
Hat gut zu tun: Alexander Lorz, Kultusminister von Hessen. Foto: Martin Rulsch, Wikimedia Commons, CC-by-sa 3.0/de

Manche Eltern finden keinen geeigneten Betreuungsplatz für ihre Kinder nach der Schule, andere klagen über Unterrichtsausfall und überlastete Lehrer. Auf die Pädagogen kommen immer mehr Herausforderungen zu. Das stellen sogar die Schüler fest. Die fünf größten Baustellen der Schulpolitik in Hessen aus Sicht von Lehrern, Eltern und Schülern:

INKLUSION: Beim gemeinsamen Lernen von Behinderten und Nicht-Behinderten schneidet das Land in Studien schlecht ab. Das Gelingen von Inklusion lasse sich aber nicht in Rankings messen, sondern hänge vom Elternwunsch und dem Bedarf ab, heißt es im Kultusministerium. Allerdings halten sowohl der Landeselternbeirat, als auch Lehrerverbände und Schüler das Thema für eine der größten Baustellen der Schulpolitik. «Da fehlt uns die Verve», stellt der Landeselternbeiratsvorsitzende Reiner Pilz fest. «Eltern und Lehrer sind zunehmend frustriert.»

Die Inklusion könne nur mit kleinen Klassen und Doppelbesetzung – also einem Lehrer aus der Förderschule und einem Pädagogen aus der allgemein bildende Schule – funktionieren, sagt die stellvertretende GEW-Landesvorsitzende Maike Wiedwald. «Da müssen auf jeden Fall mehr Lehrkräfte hinein.» Der Mangel an Personal und Räumen sei das Hauptproblem, stellt der Landesvorsitzende des Lehrerverbandes Bildung und Erziehung (VBE), Stefan Wesselmann, fest.

INKLUSIVE SCHULBÜNDNISSE: Kultusminister Alexander Lorz (CDU) will solche Kooperationen zwischen allgemein bildenden Schulen, Förderschulen und Förderzentren innerhalb der nächsten zwei Jahre in ganz Hessen einrichten. Ziel ist es, sonderpädagogische Lehrerstellen an allgemein bildenden Schulen und Förderschulen flexibler zu verteilen und dem Elternwillen entgegen zu kommen. Die im vergangenen Schuljahr begonnenen Bündnisse überzeugen die Lehrerverbände aber nicht. «Wir wissen noch nicht, was sich das Land genau darunter vorstellt», sagt Wiedwald von der GEW. Auch der VBE-Landeschef Wesselmann sagt, es sei völlig unklar, wie diese Bündnisse vor Ort aussehen sollen.

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GANZTAGSSCHULEN: Dabei schneidet Hessen mehreren Studien zufolge bundesweit auch nicht besonders gut ab. Im Schuljahr wird es dem Kultusministerium zufolge an 584 von insgesamt 653 weiterführenden Schulen ein Ganztagsangebot geben. Dies entspreche einer Quote von mehr als 89 Prozent. Darunter seien aber kaum echte (gebundene) Ganztagsschulen mit einem verbindlichen täglichen Nachmittagsprogramm, kritisiert die GEW.

Die Bildungsgewerkschaft verlangt vor allem für Grundschulen deutlich mehr Geld und Personal, damit diese rhythmisierten Ganztagsunterricht (also vor- und nachmittags) anbieten können. Der von der Landesregierung voran getriebene «Grundschulpakt am Nachmittag» sei eine Mogelpackung, weil dies lediglich ein Angebot zur Betreuung sei. «Mit Ganztagsschulen hat das nichts zu tun.»

LEHRERMANGEL: Lehrer, Eltern und Schüler fürchten, dass im neuen Schuljahr nicht alle Lehrerstellen besetzt werden können. Besonders groß ist die Sorge mit Blick auf die Grund- und Förderschulen, aber auch auf manche Fächer am Gymnasium. Zu Beginn des vergangenen Schuljahres hätten mehrere Grundschullehrer gefehlt und der Minister habe deshalb einen Drei-Punkte-Plan erarbeitet, sagt der Vorsitzende des Landeselternbeirats Pilz. Nun werde sich zeigen, ob dieser gegriffen habe.

«Den Mangel an Lehrkräften kann man nur beheben, wenn man die pädagogische Arbeit aufwertet», sagt Wiedwald von der GEW. Die mangelnde Wertschätzung des Lehrerberufs ist auch nach Einschätzung des VBE ein Grund für den Mangel. Grundschullehrer hätten zudem derzeit die höchste Unterrichtsverpflichtung bei gleichzeitig niedrigster Besoldung.

BELASTUNG DER LEHRER: Das Schulgesetz und seine zahlreichen Verordnungen muten den Lehrern nach Ansicht der Schülervertretung zu viel Zusätzliches zu, ohne sie dafür zu qualifizieren. Der VBE fordert, die Lehrerausbildung «endlich den Realitäten anzupassen». Themen wie der Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten, Unterricht an der Ganztagsschule, Elternarbeit, Deutsch als Zweitsprache, Gewaltprävention und die Intervention bei Konflikten seien für den Berufsalltag elementar, spielten aber im Studium keine große Rolle. «Wir können nicht weiter machen wie seit hundert Jahren», sagt VBE-Landeschef Wesselmann. Von Ira Schaible und Thomas Maier, dpa

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D.Orie
6 Jahre zuvor

«Den Mangel an Lehrkräften kann man nur beheben,“ wenn man endlich einmal die Zahl der Professuren an den Unis und Hochschulen erhöht (und nicht nur wiss. Mitarbeiter einstellt).

xxx
6 Jahre zuvor
Antwortet  D.Orie

… oder Lehrkräfte für besondere Aufgaben. Auf zwei Jahre befristete Stellen, Bezahlung nach TV-L 13, aber Lehrauftrag über mindestens 13 SWS oder so (zzgl. der Korrekturzeit). Professoren haben um die 6 SWS bei einem mindestens doppelt so hohem Brutto-Einkommen und die Korrekturen übernehmen die Doktoranden oder andere Assistenten.

D.Orie
6 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Die Zustände sind für alle nicht rosig. Allerdings habe ich noch nie von Prof.-Stellen mit nur 6 Semesterwochenstunden (das wären nur 3 Seminare pro Semester) gehört und das Lesen der vielen Hausarbeiten wird (vielleicht bis Ausnahmen) NICHT den Doktoranden aufgebrummt. 60- 80 Wochenstunden sind die Regel.

xxx
6 Jahre zuvor
Antwortet  D.Orie

Ich gebe zu, das war zu meiner Studentenzeit in Naturwissenschaften (4 SWS Vorlesung und 2 SWS Seminar bei damals noch C2-Professuren). Heute kann das mehr sein, jedoch bei Weitem nicht das Pensum, dass die LbAs machen müssen. Die darüber hinaus gehenden Aufgaben von Professoren kann ich nicht abschätzen. Betreuung von Doktoranden, eigene Forschung, Abschlussprüfungen, ganz viel Bürokratie usw. gehören mit Sicherheit dazu. Die von Ihnen genannten 60 Wochenstunden am Arbeitsplatz halte ich für plausibel, 80 Wochenstunden finde ich zu viel, weil 16h bei einer Fünf- und 12h bei einer Sechstagewoche PRO TAG.

Man muss aber bedenken, dass es in den Naturwissenschaften viel mehr Mitarbeiter gab als bei den Geisteswissenschaften (einschließlich der Sprachen).

klexel
6 Jahre zuvor

Liebes Team,
wir haben den Artikel auf der FB-Seite von 4teachers geteilt. Da lacht uns eine Dame entgegen. Diese Dame auf dem Bild ist Ministerpräsidentin im Saarland.
Und wenn man jetzt diesen Artikel teilen will, wechselt das Bild noch immer zu Frau Kramp-Karrenbauer…