Studie: Hausmusik ist immer noch ein bürgerliches Privileg

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GÜTERSLOH. Die Zahl der öffentlichen und privaten Förderprogramme, die Jugendliche an die Musik und an aktives Musizieren heranführen sollen, ist Legion. Doch an Haushalten mit geringem Einkommen gehen die bestehenden Fördermaßnahmen quasi spurlos vorbei, wie Wissenschaftler der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover ermittelt haben. Die soziale Ungleichheit des deutschen Bildungssystems setze sich in der musikalischen Bildung fort, so das bittere Fazait der Forscher.

Entwicklungspsychologische und neurowissenschaftliche Studien stützen schon seit Langem die These, das Musik Bildungs- und Lernprozesse fördert, wenn nicht schon vor der Geburt zumindest von der Kita bis ins hohe Erwachsenenalter. Wenn auch vieles noch erstaunlich wenig belegt ist, unterstützt aktives Musizieren schon als Gemeinschaftsaktion die Persönlichkeitsentwicklung und das Sozialverhalten.

Viele Familien können sich privaten Musikunterricht schlicht nicht leisten. Foto: woodleywonderworks / flickr (CC BY 2.0)
Viele Familien können sich privaten Musikunterricht schlicht nicht leisten. Foto: woodleywonderworks / flickr (CC BY 2.0)

Daneben gehört das Beherrschen eines Instruments nach wie vor zu einem bürgerlichen Bildungskanon. Selbst Musik zu machen ist noch immer ein Distinktionsmerkmal, auch wenn mit diversen öffentlich und privat geförderten Programmen versucht wird, mehr und auch benachteiligte Jugendliche an die Musik heranzuführen.

Doch In einer Band spielen oder im Chor singen, bei diesen musikalischen Aktivitäten geht in der Jugend die soziale Schere noch immer weit auseinander. Die aktuelle Studie „Jugend und Musik“ der Bertelsmann Stiftung zeigt: Je niedriger der Bildungsstatus und das Einkommen der Eltern, desto unwahrscheinlicher ist es, dass ein Jugendlicher Musik macht.

Die Studienautoren Andreas Lehmann-Wermser und Valerie Krupp-Schleußner von der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, ziehen ein geradezu bitteres Fazit: Die soziale Ungleichheit des deutschen Bildungssystems setze sich in der musikalischen Bildung fort. Besonders musikfern sind der Studie zufolge Jugendliche aus einkommensschwachen Haushalten, Jugendliche mit niedrigem Bildungsstatus und solche mit direktem Migrationshintergrund.

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„Gemeinsames Singen und Musizieren fördert Werte wie Gemeinschaft, Zusammengehörigkeitsgefühl und Toleranz. Musik ist damit ein wichtiger Teil der Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen. Daher sollte es nicht vom Bildungsstatus oder dem Einkommen der Eltern abhängen, ob ein junger Mensch ein Instrument spielt oder im Chor singt“, so Liz Mohn, stellvertretende Vorsitzende der Bertelsmann Stiftung.

Familiärer Hintergrund und Schulform haben erheblichen Einfluss

Insgesamt macht rund ein Viertel der 17-jährigen Jugendlichen in Deutschland Musik (24 Prozent). Mehr als die Hälfte (53 Prozent) von ihnen machen hauptsächlich Rock-, Pop-, Hip-Hop- und Technomusik, 27 Prozent klassische Musik und 20 Prozent Unterhaltungs- und Volksmusik.

Hat der Vater Abitur gemacht, verdoppelt sich die Wahrscheinlichkeit, dass ein Jugendlicher ein Instrument spielt oder singt. Auch die besuchte Schulform des Jugendlichen beeinflusst die musikalische Aktivität: Besucht ein Jugendlicher kein Gymnasium, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass er Musik macht, um 50 Prozent.
Im Vergleich zu anderen Schülern beginnen Gymnasiasten im Durchschnitt früher mit dem Musik machen (8 Jahre zu 10 Jahre), engagieren sich häufiger im Chor und Orchester der Schule (33 Prozent zu 16 Prozent) und erhalten häufiger bezahlten Musikunterricht (28 Prozent zu 10 Prozent).

Gerade bei Letzterem zeigt sich die soziale Selektivität musikalischer Bildung am stärksten: Während ein Drittel der Jugendlichen aus den einkommensstärkeren Haushalten (über 30.000 Euro Jahresnetto) Musikstunden erhalten, um Gesang oder ein Musikinstrument zu erlernen, sind es in Haushalten mit Einkommen unter 15.000 Euro Jahresnetto und niedrigem Bildungsstatus lediglich acht Prozent.

Soziale Schere bleibt erhalten – Fördermittel leichter zugänglich machen

Der Trend zwischen 2001 bis 2015 zeigt, dass immer mehr Jugendliche aktiv Musik machen. Nahmen 2001 bis 2005 nur 19 Prozent der Jugendlichen daran teil, so waren es 2010 bereits 28 Prozent und 2015 sogar fast 29 Prozent. Dieser Aufwärtstrend schließt aber die soziale Schere nicht. An Jugendlichen aus den einkommensschwächsten Haushalten geht er eher vorbei, während Jugendliche aus Familien mit mittlerem Einkommen verstärkt an bezahltem Musikunterricht teilnehmen.

Der Aufwärtstrend, so Prof. Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrats, zeigt: „Handgemachte Musik ist Trumpf bei Kindern und Jugendlichen. Schule und Musikschule müssen gestärkt werden, die soziale Schere zu Gunsten bildungsbenachteiligter Kinder zu schließen.“

Allein ein Mehr an den bestehenden Förderprogrammen reicht nicht aus, sind sich Deutscher Musikrat und Bertelsmann Stiftung einig. Neue Wege müssen entwickelt werden, die stärker als bisher benachteiligte Jugendliche ansprechen und einbinden. Ganztagsschulen aller Schulformen bieten dazu besondere Möglichkeiten. Zur Finanzierung dieser Angebote sollten Fördermittel, die im Bildungs- und Teilhabepaket des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales nicht abgerufen werden, den Kommunen flexibel und bedarfsgerecht zur Verfügung gestellt werden. (zab, pm)

• Kurzbericht zur Studie (Bertelsmann Stiftung)

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