Warum lässt die digitale Revolution an Deutschlands Schulen immer noch auf sich warten? Inhalte fehlen

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BERLIN. Dass in Deutschlands Schulen Computer vergleichsweise selten zum Einsatz kommen, ist bekannt. In der Regel wird das mit der fehlenden technischen Ausstattung begründet, weshalb Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) versprochen hat, das von ihrer Noch-Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) in Aussicht gestellte Fünf-Milliarden-Euro-Programm für Investitionen in schulische Hardware bei den künftigen Koalitionsverhandlungen einbringen zu wollen, immerhin. Eine neue Studie von Professorin Birgit Eickelmann, Leiterin der ICIL-Studie (die deutschen Schülern in Sachen digitaler Medienkompetenz im internationalen Vergleich nur Mittelmäßigkeit attestierte) hat im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung eine Expertise vorgelegt, die den Fokus auf ein anderes Problem richtet: Es gibt offenbar gar nicht genug digitale Unterrichtsmaterialien, um den Computer-Einsatz für Lehrer attraktiv zu machen.

Das Internet ist voll von Inhalten - aber was davon ist für den Unterricht einsetzbar? Illustration: Shutterstock
Das Internet ist voll von Inhalten – aber was davon ist für den Unterricht einsetzbar? Illustration: Shutterstock

Es ist ein Teufelskreis. Weil in Deutschland so wenig mit dem Computer unterrichtet wird, gibt es hier zu Lande auch vergleichsweise wenige digitale Unterrichtsmaterialien. Für die Bildungsverlage lohnt sich deren Entwicklung bisher kaum. Und weil es (zu) wenige Materialien gibt, fehlen Anreize und Möglichkeiten für Lehrer, Computer im Unterricht einzusetzen. Ergebnis: eine Flaute. In kaum einem anderen Industrieland, so offenbarte ICILS („International Computer and Information Literacy Study“) 2013, wird im Fachunterricht so selten der PC genutzt wie in Deutschland. Daran dürfte sich seitdem wenig geändert haben.

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Eickelmann lenkt den Blick nun auf das Problem, dass Schulen digitale Möglichkeiten eben nur dann nutzen, wenn „Bildungsmedien systematisch über entsprechende Portale recherchiert und eingesetzt werden können, die nicht nur fachlich hochwertig, sondern auch mit den notwendigen Rechten für den Einsatz im Unterricht ausgestattet sind“, wie die KMK selbst in jüngst verabschiedeten Leitlinien festgestellt hat. Diese Erkenntnis, so Eickelmann, sei ein Schritt in die richtige Richtung. Denn: „Ergebnisse von Studien zeigen, dass die Rahmenbedingungen und Verfügbarkeit von digitalen Bildungsmedien eine entscheidende Rolle für die schulische Nutzung digitaler Medien und die Förderung entsprechender Kompetenzen spielen.“ Klar, ohne Inhalte macht der Einsatz wenig Sinn.

Die Vermutung, die Zurückhaltung könne in fehlender IT-Kompetenz und Fortbildungsmuffeligkeit der Lehrer begründet liegen (ein gern erhobener Vorwurf), weist Eickelmann zurück. „So nutzt der Großteil der Lehrpersonen in Deutschland (2013 bereits 96,7 % im Rahmen der ICILS-2013-Lehrerbefragung) das Internet für die Unterrichtsvorbereitung und zwei Drittel der im Rahmen von ICILS 2013 befragten Lehrpersonen der Sekundarstufe I gaben an, Unterricht, der den Einsatz von digitalen Medien beinhaltet, vorbereiten zu können. Die unterrichtliche Umsetzung und Nutzung digitaler Medien bleibt aber hinter den Möglichkeiten zurück. Die Länderindikatorstudie ‚Schule digital‘ konnte für das Jahr 2015 sogar aufzeigen, dass mit 86,3 Prozent mittlerweile die meisten Lehrpersonen berichten, dass sie davon überzeugt sind, aufgrund ihrer eigenen Kompetenzen Unterricht planen zu können, der die Nutzung von Computern beinhaltet.“ Heißt: Lehrer sind fit für den IT-Einsatz – jedenfalls fühlen sie sich so. Am mangelnden Interesse liegt es also nicht.

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Umso krasser der Kontrast zu dem, was die Schüler erleben. „Im Gegensatz zur selbsteingeschätzten Kompetenz in Bezug auf die Auswahl von geeigneten digitalen Medien für den Unterricht und die häufige Nutzung im Rahmen der Unterrichtsvorbereitung nutzte in Deutschland im Jahr 2013 weniger als ein Drittel der Lehrpersonen regelmäßig (mindestens wöchentlich) digitale Medien im Unterricht; der Großteil der Lehrpersonen deutlich seltener“, berichtet Eickelmann. „Auch die Häufigkeit der unterrichtlichen Nutzung digitaler Medien durch Schülerinnen und Schüler war in Deutschland entsprechend niedrig und im internationalen Vergleich weit unterdurchschnittlich.“ Aktuellere Studien zeigen zwar einen Anstieg der Nutzungszahlen. Aber nach wie vor gelte: „die Nutzung digitaler Medien ist bisher noch längst nicht in allen Schulen in Deutschland angekommen.“

„Wenig zielführend“

Mehr und mehr werde auf der Grundlage der Ergebnisse verschiedener Studien deutlich, dass für einen lernförderlichen Einsatz digitaler Medien in der Schule digitale Lehr- und Lernmaterialien wichtige Unterstützungselemente seien. Eickelmann: „Ohne digitale Inhalte, Strukturen, Materialien und konkrete, zu den Lehrplänen passende Unterrichtsmaterialien erweist sich die Integration digitaler Medien in unterrichtliche Lehr-Lernprozesse als zu aufwändig und wenig zeitgemäß. Passende, vor allem fachspezifische Materialien nicht digital und in ausreichender Qualität verfügbar zu haben, Unterrichtsergebnisse nicht online ablegen zu können und zusätzlich zum Tablet mit gedruckten, linearen, nicht interaktiven und überwiegend textbasierten Schulbüchern zu arbeiten, erscheint auf Dauer wenig zielführend.“

Kurz gefasst: Nur mit leicht zugänglichen, lernplankonformen Materialien, die sich ohne großen Zeitaufwand finden und im Unterricht anwenden lassen, ist Schwung bei der digitalen Bildung zu erwarten. bibo / Agentur für Bildungsjournalismus

Hier geht es zu der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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Palim
6 Jahre zuvor

Welche Erkenntnis!
Lehrkräfte erachten den Mehrwert als zu gering, als dass sie bei extrem hoher Arbeitszeit und Belastung noch Zeit, Kraft oder Mühe zusätzlich in das Erstellen von interaktiven Materialien investerien wollen.

Und: „Für die Bildungsverlage lohnt sich deren Entwicklung bisher kaum.“ – vermutlich weil der Aufwand, ein wirklich interaktives Material mit lizenz-reinen Bildern, Hörbeiträgen o.a. zu erstellen, beachtlich ist und über den Verkauf derselben nicht kostendeckend erfolgen kann.

Auch werden Schulen sich 3mal überlegen, ob der Etat für Interaktive Materialien ausgegeben werden soll, wenn vergleichbares, nicht interaktives Material bereits vorhanden ist…. wenn Netzwerke, Beamer und Boards auch nicht finanzierbar sind und/oder gekauft wurden, aber nicht gewartet werden und deshalb unbrauchbar sind.

Dazu kommt: Alle großen Board-Hersteller und IWB-Software-Anbieter haben oder hatten Plattformen für den Austausch der Materialien, auch bei 4teachers stehen interaktive Materialien unterschiedlicher Formate bereit. Aber es gibt eben nur wenige Lehrkräfte die die Arbeit auf sich nehmen (s.o.) und die Herstller konnten sich bisher nicht auf ein Format (.iwb) einigen.

GriasDi
6 Jahre zuvor
Antwortet  Palim

Und das, wo Studien zeigen, dass Schüler durch Verwendung von „wirklich interaktivem Material“ schlechter lernen als mit Büchern. Also lohnt es sich zweimal nicht.

xxx
6 Jahre zuvor

Dazu kommt noch das generelle urheberrecht.

Ich habe mal einen Verlagsmenschen gefragt, weshalb die Verlage anstatt ihrer seltsamen Flash-Versionen ihrer Bücher zumindest nicht für Lehrer die pdf-Version ihrer Bücher herausgeben. Die Antwort waren fehlende Bildlizenzen für Digital und Angst vor illegaler Verbreitung über Kopien. Letztere halte ich aber für unbegründet, weil sich Schulen als öffentliche Einrichtung selbst bei vollständiger Umstellung auf digital die illegalen Kopien nicht leisten können.