WITTEN. Die Digitalisierung des Unterrichts benötigt digitale Lehrmaterialien. Doch wie angesichts des Urheberrechts eine flächendeckende Versorgung der Schulen sichergestellt werden soll, ist bislang unklar. Glaubt man Maximilian Heimstädt von der Uni Witten/Herdecke, liegt die Lösung in der systematischen Förderung lizenzfreier Medien (Open Educational Resources – OER). Dazu müsste allerdings nicht mehr und nicht weniger als das bisherige Finanzierungsmodell für Schulbücher umgekrempelt werden. Wie das gelingen kann, zeigt der Forscher in einer aktuellen Studie.
Die Digitalisierung von Lernmaterialien stellt Lehrende, Schülerinnen und Schüler zunehmend vor Probleme: Zwar wird es immer einfacher, digitale Unterrichtsmaterialien zu nutzen, zu verändern oder neu zusammenzustellen. Das ist aber nach dem Urheberrecht eigentlich nicht erlaubt. „Außerdem prüft niemand, wie gut die zahlreichen Angebote von Lehrmaterialien im Internet überhaupt sind. Vor allem Bildungsmedien wirtschaftsnaher Anbieter sind oft nicht neutral oder von geringerer Qualität“, stellt Maximilian Heimstädt von der Universität Witten/Herdecke fest.
Einen Lösungsansatz sieht er in der systematischen Förderung von „Open Educational Resources“ (OER). Dabei handelt es sich um Medien wie zum Beispiel Schulbücher – gedruckt oder digital – die unter freier Lizenz verfügbar sind. Normalerweise unterliegen in Deutschland alle Werke, die eigene geistige Schöpfungen sind, dem Urheberrecht. Doch diese Regelung sollte laut Heimstädt für digitale Schulbücher aufgehoben werden, damit alle Interessierten kostenlosen Zugang zu ihnen erhalten und die Materialien genutzt, bearbeitet und weiterverbreitet werden dürfen. Gemeinsam mit Leonhard Dobusch, Professor für Organisation an der Universität Innsbruck, hat er für das Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung (FGW) eine Studie erstellt, die sich mit dem Potenzial dieses Ansatzes beschäftigt.
„Durch den Einsatz von Open Educational Resources würde man Rechtssicherheit für die Lehrerinnen und Lehrer schaffen. Die verzichten aufgrund der unsicheren rechtlichen Lage oft noch auf den Einsatz moderner Unterrichtsmittel oder sie sind auf das wohlwollende ‚Weggucken‘ der Verlage bei alltäglichen Urheberrechtsverletzungen angewiesen“, so Heimstädt. „Staatlich geprüfte OER-Schulbücher könnten den Umgang mit digitalen Materialien vereinfachen und das bisher oft mangelhafte Onlinematerial deutlich verbessern.“
Dazu müsste aber das bisherige Finanzierungsmodell für Schulbücher geändert werden: „Die zentrale Stellschraube der Bildungspolitik in NRW ist es hierbei, den Schulen zu erlauben, ihr Lernmittelbudget nicht mehr nur für die Refinanzierung urheberrechtlich geschützter Bücher zu verwenden, sondern auch für die Vorfinanzierung offener Bücher“, so Heimstädt.
Anhand verschiedener Szenarien haben die Forscher Handlungsempfehlung für die Landespolitik erarbeitet. Als „besonders empfehlenswert“ bewerten sie die öffentliche Ausschreibung von Pilotbüchern durch die Politik und die Entwicklung von OER-Schulbuch-„Rohlingen“. Heimstädt: „Bei der Ausschreibung von Pilotbüchern müsste die bestehende vereinzelte Förderung von Pilotprojekten zu Schulbüchern […] stark ausgeweitet werden. Dadurch könnten deutlich mehr Schulbücher zu verschiedenen Fächern vorfinanziert werden. So würde auch weiteres Wissen rund um die Produktion und Nutzung von frei lizensierten Schulbüchern aufgebaut.“
Vorbild für dieses Szenario sei unter anderem Norwegen, wo seit 2006 rund 20 Prozent des Schulbuch-Budgets in die Entwicklung von OER-Materialien investiert und damit sukzessive die Bestände erhöht würden.
Bei der vorgeschlagenen Entwicklung von OER-Rohlingen sollten hingegen keine „fertigen“ Schulbücher gefördert werden, sondern freie Entwürfe auf Basis der Qualitätsanforderungen des Schulministeriums NRWs. „Bildungsmedienanbieter könnten dann durch Ergänzen von multimedialen Inhalten relativ einfach ein deutlich hochwertigeres OER-Schulbuch erstellen und müssten sich nicht mehr um die offene Lizenzierung der grundlegenden Inhalte kümmern. Außerdem könnten die Rohlinge leicht auf die Erfordernisse in anderen Bundesländern angepasst werden“, erläutert Heimstädt. Vorteil dieser Idee sei es, dass sie staatliche Förderung mit den qualitätsfördernden Mechanismen des Wettbewerbs kombiniere. „Die Rohlinge würden es erlauben, OER-Schulbücher trotz Bildungsföderalismus und unterschiedlicher Kernlehrpläne der verschiedenen Bundesländer auf Bundesebene zu fördern. Wir halten dieses Szenario für sehr empfehlenswert, da die Umsetzung recht einfach, der positive Einfluss auf die OER-Entwicklung in NRW und Deutschland aber sehr hoch ist.“
Für mittelfristig vielversprechend halten die Forscher auch die Refinanzierung offener Schulbücher je nachdem, wie häufig sie genutzt werden. „Im Grunde könnte das ganz ähnlich der Vergütung von Musik über die GEMA funktionieren”, so Heimstädt. „Über repräsentative Nutzungserhebungen würde die Verbreitung der OER-Materialien erfasst werden, je mehr Schülerinnen und Schüler mit einem Buch arbeiten, desto höher die Ausschüttung an die Schulbuchersteller”. (zab, pm)
Macht das intelligente Schulbuch der Zukunft den Lehrer überflüssig?
Das klingt wie eine gute Idee. Vielleicht dürfte die Bundesregierung das sogar fördern?
editierbarkeit brauche ich sogar nicht. pdf-Datei und ggf. geändertes zitatrecht würden mir reichen.
die schulbuchlobby wird diesen Vorschlag wahrscheinlich so lange wie möglich verhindern wollen, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass die Gewinne dadurch so bleiben wie sie sind oder sich erhöhen. neben dem offenen digitalen müssen sie nach wie vor Papierbücher entwickeln und vertreiben.
Das es seit über 15 Jahren http://www.4teachers.de gibt, scheinen viele der OER Fans nicht mitbekommen zu haben …
Es geht aber um das Urheberrecht _aller_ Teile, aus denen ein zur Verfügung gestelltes Material besteht. Das gilt insbesondere für Bilder, Tabellen usw. Es dürfte so gut wie keinen Lehrer geben, der für jedes Arbeitsblatt ausschließlich urheberrechtsfreie Quellen verwendet und diese auch noch korrekt zitiert.