„Strukturiertes Denken und Sprechen verkümmern“ – die „Fruchtbringende Gesellschaft“ kämpft dagegen an

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KÖTHEN. Sprache hat einen hohen Wert und muss gepflegt werden. Ein Auge auf unseren Wortschatz hat die „Fruchtbringende Gesellschaft“ im sachsen-anhaltischen Köthen. Ihre Tradition reicht 400 Jahre zurück. Die neue Generation der Mitglieder kämpft gegen Sprachverwahrlosung.

Medaille der "Fruchtbringenden Gesellschaft" von 1621. Foto: Wikimedia Commons
Medaille der „Fruchtbringenden Gesellschaft“ von 1621. Foto: Wikimedia Commons

Rolf-Bernhard Essig weiß, wovon er spricht, wenn er die Katze aus dem Sack lässt oder Butter bei die Fische gibt. Der Bamberger Experte für Sprichwörter ist Autor, Entertainer, Dozent und Literaturkritiker. Sprache ist seine Leidenschaft, weshalb ihm als Gast in der Ausstellung  „Erlebniswelt Deutsche Sprache“ in Schloss Köthen sprichwörtlich das Herz aufgeht. «Ich sollte zum Tag der deutschen Sprache im September die traditionelle Rede zur deutschen Sprache halten», sagt er. Doch ein Hexenschuss verwehrte ihm die Ehre, die ihm die Neue Fruchtbringende Gesellschaft zu Köthen damit erwies. «Aber wir holen das im Februar zum Internationalen Tag der Muttersprache nach.»

Wäre Essig schon vor 400 Jahren auf der Welt gewesen, wäre er mit großer Sicherheit ein «Fruchtbringer» geworden – einer jener Literaten und Feingeister, die Ludwig I. Fürst von Anhalt-Köthen (1579-1650) in die 1617 in Weimar gegründete erste deutsche Sprachakademie berief. Ihr Name: Fruchtbringende Gesellschaft.

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Woher kommt die seltsame Benennung? «Dass er Frucht und Sprache zueinander in Verbindung setzte, liegt in der vertrauten Bildwelt der Bibel im 17. Jahrhundert begründet», sagt Uta Seewald-Heeg, die der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft seit ihrer Gründung vor zehn Jahren vorsteht. «Die Gründer haben den biblischen Auftrag, Frucht zu bringen, auf die Sprache Deutsch übertragen, die sie zu einer dem Griechischen und Lateinischen ebenbürtigen Literatursprache entwickeln wollten.»

Die heute in ganz Deutschland und dem angrenzenden Ausland verteilten 350 Gesellschaftsmitglieder tun das mit viel Interesse und Akribie. Seit 2013 betreut und gestaltet die Gesellschaft die „Spracherlebniswelt“ im Schloss Köthen, schreibt Wettbewerbe für Schüler aus, veranstaltet Sprachtage und pflegt die Sprache in Öffentlichkeit, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.

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«Strukturiertes Denken und Sprechen werden in der Gesellschaft immer weniger gefördert und verkümmern dadurch», sagt Seewald-Heeg. Kinder und Jugendliche, so die Professorin der Hochschule Anhalt, bekommen Sprache heute vielfach portioniert in Sprechblasen oder Kraftausdrücken übermittelt. «Sprache ist der Schlüssel zu unserer Kultur. Wir müssen uns von Zeit zu Zeit unserer Wurzeln und unserer kulturellen Schätze erinnern.» Sprache, sagt die Sprachwissenschaftlerin und Computerlinguistin, sei das wichtigste Instrument zur Wahrnehmung und Gestaltung der Welt. Daher ist die Pflege der Sprache sehr wichtig.

Palme als Sinnbild

Wer durch die rund 400 Quadratmeter große Erlebniswelt geht, lernt unter anderem «Den Gekrönten», «Den Befreienden» und «Den Nährenden» kennen. Letzterer ist Fürst Ludwig selbst. Diesen Namen gab er sich als Gründer und Mitglied der ersten deutschen Sprachakademie. «Alle erhielten einen Namen und ein Sinnbild», sagt Seewald-Heeg. Inmitten der Räume steht eine Kunstpalme. Sie ist das Sinnbild der Gesellschaft, auch Palmenorden genannt.

Teile der Erlebniswelt-Ausstellung widmen sich dem Reformator und Bibelübersetzer Martin Luther (1483-1546), andere dem ersten deutschen Berufsschriftsteller Philipp von Zesen (1619-1689). Der erfand für viele Fremdwörter Verdeutschungen, die Eingang in die Sprache gefunden haben. Aus dem Dialekt wurde die Mundart, aus der Passion die Leidenschaft und aus dem Universum das Weltall. Und wer selbst Wörter zusammenbauen möchte, kann das am «Fünffachen Denckring der Teutschen Sprache» von Georg Philipp Harsdörffer (1607–1658) tun – auch interaktiv. «Wortschöpfungen und Wortbildungen gab es damals schon», sagt Sprichwortexperte Essig begeistert. «Heute spielt man eben Scrabble.»

Im Sommer wurde die Erlebniswelt Deutsche Sprache um das Thema «Übersetzen» erweitert. «Wir zeigen die wirtschaftliche Bedeutung des Übersetzens, die technischen Hilfsmittel und die einzigartigen Ausdrucksmöglichkeiten der Sprache», erklärt Seewald-Heeg. Perspektivisch möchte die Neue Fruchtbringende Gesellschaft ihre Aktivitäten rund um das Kulturgut Sprache gern auf 800 Quadratmeter Fläche ausdehnen. «Sprache ist absolut spannend», sagt die 54-Jährige. «Wir wollen viele Aspekte unserer Sprache präsentieren, damit der Funke richtig überspringt.» Von Sabrina Gorges, dpa

 

Schreibwettbewerb „Schöne deutsche Sprache“ für Schülerinnen und Schüler

Die Neue Fruchtbringende Gesellschaft zu Köthen / Anhalt hat gemeinsam mit der Theo-Münch-Stiftung für die Deutsche Sprache den Schreibwettbewerb 2018 zum Thema „Sprache ist Musik in meinen Ohren“ ausgeschrieben. Ziel ist es, Schülerinnen und Schüler der Stufen drei bis 13 dafür zu begeistern, ihre Sprache kreativ einzusetzen und selbst literarische Texte zu verfassen.

„Jede Sprache besitzt einen individuellen Charakter, einen bestimmten Klang und eine gewisse Musikalität. In den Texten können sowohl die Liebe zur Muttersprache als auch der Wohlklang und die Schönheit der deutschen Sprache thematisiert werden. Ebenso ist es möglich, eigene Erlebnisse und Situationen mit Sprache umzusetzen; auch ein Lob, ein freundliches Wort oder eine Liebeserklärung kann wie Musik in den Ohren klingen“, so heißt es in der Ausschreibung. Einsendeschluss ist der 30. April 2018.

Hier gibt es weitere Informationen.

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Pälzer
6 Jahre zuvor

Klingt wesentlich ergiebiger als das Tun der „Gesellschaft für deutsche Sprache“.