Schock-Studie zum Lehrermangel: Politiker tun so, als hätten sie Lösungen parat – Beckmann: „Planerischer Wahnsinn“

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BERLIN. Die Reaktionen auf die Studie der Bertelsmann Stiftung zum Lehrermangel – die einen Fehlbedarf von 35.000 Grundschullehrern bis 2025 errechnet hat – fallen höchst unterschiedlich aus. Während verantwortliche Schulpolitiker wie der Vize-Präsident der Kultusministerkonferenz, Hessens Kultusminister Alexander Lorz, so tun, als habe die Prognose nichts Neues ergeben, zeigen sich Lehrerverbände alarmiert. Der VBE findet harte Worte.

Im Fokus der Kameras: VBE-Chef Udo Beckmann. Foto: VBE

Angesichts der Warnungen vor einem dramatischen Lehrermangel in Deutschland unterstrichen die Bundesländer ihr Engagement zur Lösung des Nachwuchsproblems. «Alle 16 Länder sind sich der Lage bewusst und ergreifen bereits landesspezifische Maßnahmen», sagte der Vize-Präsident der Kultusministerkonferenz, der hessische Kultusminister Alexander Lorz (CDU), in Berlin. Ein «Weckruf» der Bertelsmann Stiftung sei nicht nötig. Durch steigende Geburtenzahlen und Zuwanderung sei bereits prognostizierter Lehrermangel verstärkt worden. «Vorhersehbar war das in dieser Größenordnung nicht.» Von der Stiftung vorgeschlagene kurzfristige Maßnahmen – wie Erhöhung des Stundendeputats von Teilzeitkräften und Einsatz von Pensionären – würden in vielen Ländern bereits umgesetzt.

Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) kritisierte: «Die Bertelsmann-Studie zum bundesweiten Bedarf an Grundschullehrern bietet wenig Neues und manch Falsches.» Der Mangel sei bekannt, sagte Eisenmann. Zum Schuljahresbeginn fehlten in Baden-Württemberg dem Kultusministerium zufolge knapp 400 Lehrer bei den Grundschulen. «Wir haben bereits im Sommer 2017 eine ganze Reihe von Maßnahmen ergriffen, um die offenen Stellen zu besetzen und die Unterrichtsversorgung zu sichern», sagte Eisenmann. Zum Beispiel habe man bessere Zuverdienstmöglichkeiten für Lehrer, die auch im Ruhestand weiter unterrichten, geschaffen. Mittelfristig werde sich die nachträgliche Erhöhung um 200 zusätzliche Studienanfängerplätze für das Grundschullehramt auswirken.

„Zutreffend und richtig“

Nordrhein-Westfalens Schul- und Bildungsministerin Yvonne Gebauer (FDP) nannte die Analyse der Bertelsmann-Stiftung hingegen «zutreffend und richtig». «Durch die Verlängerung der Grundschullehrerausbildung und die zuwanderungsbedingt gestiegenen Schülerzahlen haben wir in Nordrhein-Westfalen aktuell einen erheblichen Mangel von Lehrkräften in den Grundschulen», sagte die Ministerin laut einer Stellungnahme am Mittwoch in Düsseldorf. Die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Linderung dagegen seien nicht neu, sagte Gebauer. Vieles davon werde in NRW bereits praktiziert. Die FDP-Politikerin verweist auf die Angebote für Lehrer von weiterführenden Schulen, befristet für zwei Jahre an Grundschulen zu unterrichten.

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Nach Ansicht der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) müssten die Kultusministerien jetzt vor allem um Quer- und Seiteneinsteiger werben. Diese müssten «sofort berufsbegleitend nachqualifiziert und durch Mentoringprogramme unterstützt werden», sagte Gewerkschaftschefin Marlis Tepe. Dafür müsse es bundesweit einheitliche Standards geben. Zugleich müssten die Ausbildungskapazitäten deutlich hochgefahren werden. «Es ist vollkommen unverständlich, dass es noch Studiengänge für das Lehramt an Grundschulen gibt, die mit einem Numerus clausus (NC) belegt sind.»

„Endlich vorausschauend handeln“

Susanne Lin-Klitzing, Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, forderte die KMK auf, „endlich vorausschauend und im akuten Mangelfall strukturiert handeln!“ Sie erwarte von der KMK eine jährlich aktualisierte, schulartspezifische Schülerprognose. „Das ist kein Hexenwerk!“, betonte die Philologen-Chefin. „Die statistischen Angaben der Länder müssen kontinuierlich zusammengeführt werden, um eine bessere Versorgung der Schulen mit Lehrkräften zu ermöglichen und Studienanfängerinnen und -anfängern Orientierung für ein zukünftiges Lehramtsstudium zu geben.“

Zweitens müssten die Länder dem Lehrermangel dadurch zukünftig begegnen, dass sie vorausschauend „und nicht nur kurzfristig monetär orientiert“ einstellen. Lin-Klitzing: „Es ist notwendig, einen Einstellungskorridor für die Referendarinnen und Referendare mit den jeweils besten Fachleistungen jedes Jahr zu schaffen und diese – auch über die aktuelle Notwendigkeit hinaus – einzustellen, um zukünftigem Mangel qualitätsvoll zu begegnen. Es kann nur im gemeinsamen Interesse der Schülerinnen und Schüler, der Eltern und der Schulen sein, dadurch schulartspezifisch ausgebildete Lehrkräfte kontinuierlich zu gewinnen!“

Scharfe Kritik kommt auch vom VBE. Verbandschef Udo Beckmann spricht von „planerischem Wahnsinn, den die Politik zu verantworten hat“. News4teachers / mit Material der dpa

„Schwere Versäumnisse“: Die Stellungnahme des VBE

BERLIN. „Die Berechnungen zeigen: Während der Bedarf steigt, kann die Personalplanung nicht einmal im Ansatz mithalten. Bis 2025 werden 105.000 Lehrkräfte an Grundschulen benötigt, es werden aber nur 70.000 Absolventinnen und Absolventen bis dahin ihr Studium abschließen. Ein Platz von dreien kann also nicht mit pädagogischen Fachkräften besetzt werden“, so rechnet VBE-Bundesvorsitzender Udo Beckmann vor.

Und meint: „Das ist planerischer Wahnsinn, den die Politik zu verantworten hat. Zugleich ist das ein nicht zu verantwortender Eingriff in die Zukunftschancen der Jugend. Allzu lange wurden die Warnungen der Gewerkschaften von der Politik leichtfertig vom Tisch gewischt und der sich abzeichnende Personalmangel schöngeredet. Es ist ein Armutszeugnis, dass eine Stiftung die Hausaufgaben der Politik machen muss, um zu einer realistischen Lehrerbedarfsprognose zu kommen.“ Der VBE habe bereits mehrfach vor der personellen und pädagogischen Misere und wachsender Deprofessionalisierung gewarnt.

In der Studie wird laut VBE bemängelt, dass keine systematische, personen- oder kohortenbezogene Auswertung der Immatrikulations- und Absolventenzahlen erfolgt. Es wird jedoch angenommen, dass von 8.000 Studierenden lediglich 7.000 tatsächlich einen Abschluss erreichen. „Wir können es uns nicht leisten, 5 von 40 Studierenden zu verlieren. Natürlich gibt es Studierende, die das Fach wechseln oder eine Ausbildung beginnen – aber es gibt eben auch Hindernisse, die wir sehr ernst nehmen müssen“, sagt Beckmann mit Blick auf eine VBE-interne Umfrage unter Lehramtsstudierenden.

Neben positiven Eindrücken und Lob für die Mentorinnen und Mentoren an den Schulen wird berichtet:

  • „Ich habe in den ersten zwei Semestern oft mit dem Gedanken gespielt, das Studium abzubrechen. Eine stetige Kombination von Fachwissen und Didaktik hätte mir das Studium (gerade in den ersten Semestern) erleichtert.“
  • „Bekannterweise muss man für Unterrichtsbesuche gelegentlich Kreise eckig machen, [aber] meine Schule tut vieles, um mich dabei zu unterstützen.“
  • „Trotzdem ist das Referendariat eine ziemlich belastende Zeit für mich, [da] 15 Unterrichtsbesuche bis zur Prüfung Pflicht [sind].“
  • „Der Vorbereitungsdienst stellte uns durch die permanente Bewertungssituation auf eine harte Nervenprobe.“
  • „Das Referendariat war strukturell, insbesondere finanziell, eine Herausforderung. Ich musste weiterhin an einer Schule als Vertretungslehrerin arbeiten, um mir das Referendariat überhaupt leisten zu können.“

In der Studie werden unterschiedliche Maßnahmen erwogen, um kurzfristig den Lehrermangel zu beheben. VBE-Chef Udo Beckmann bewertet …

… Anreize für freiwillige Mehrarbeit setzen: „Das Arbeiten in Teilzeit hat sehr unterschiedliche Gründe. Man muss wissen: Viele Lehrkräfte gehen in Teilzeit, um die hohen Belastungen mit Rücksicht auf die eigene Gesundheit abfedern zu können. Trotzdem ist die Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gesamtgesellschaftlich relevant und positiv zu bewerten. Aber die hohe Arbeitsbelastung und die fehlenden Gelingensbedingungen sind riesige Herausforderungen. Die Politik muss verstehen, dass der beste Anreiz für vorübergehende, freiwillige Mehrarbeit ist, attraktive Arbeitsbedingungen zu schaffen. Dafür brauchen Schulen ausreichend Ressourcen und die Unterstützung durch multiprofessionelle Teams.“

… Ruheständler anwerben: „Nach langen Dienstjahren ist der Ruhestand mehr als verdient. Auf Freiwilligkeit basierend und lediglich in kleinem Stundenumfang kann die Anstellung von Ruheständlern eine zeitlich begrenzte Notlösung sein. Klar ist: Für ein Kollegium können erfahrene Lehrkräfte große Gewinne sein. Aus unserer Berufszufriedenheitsstudie wissen wir aber, dass Lehrkräfte hoch motiviert sind und sich teilweise über die eigene Belastungsgrenze hinaus engagieren. Eine Anstellung von Ruheständlern sollte daher  Hand-in-Hand mit angemessenen Präventionsangeboten gehen. Außerdem gilt es, attraktive Bedingungen für den Zuverdienst zu schaffen, damit sich das Engagement auch monetär auszahlt.“

… qualifizierte Seiteneinsteiger einstellen: „Deutschlands Schulen werden dauerhaft auf nicht originär ausgebildetes Personal angewiesen sein. Das Problem: Diese werden nur gering oder nicht vorqualifiziert. ‚Learning by doing‘ ist aber keine geeignete Methode, den hohen pädagogischen Anforderungen gerecht zu werden. Insbesondere Kinder in der Grundschule sind jederzeit auf höchste pädagogische Fähigkeiten der Lehrkräfte angewiesen. Wir erwarten deshalb, dass die Kultusministerkonferenz (KMK) ihre Verantwortung wahrnimmt und dafür sorgt, dass jeder Seiten- und Quereinsteiger pädagogisch vorqualifiziert wird, bevor er vor eine Klasse tritt.“

Bis 2025 fehlen 35.000! Studie liefert dramatische Zahlen über künftigen Lehrermangel

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3 Kommentare
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Susanne Quente
6 Jahre zuvor

Wenn ich das schon höre…..Seiten-und Quereinsteiger!!!!! Wer will denn diese Idee verantworten?
Ich bin Lehrerin im 32. Dienstjahr. Nach der Wende musste ich viele Jahre gezwungenermaßen Teilzeit arbeiten. Als dann zu Beginn der 2000er wieder Vollzeitarbeit möglich war, habe ich das sehr begrüßt, musste mir aber in einer Dienstberatung anhören, wie die Schulleiterin sich bei Kollegen bedankte, die weiter in Teilzeit arbeiten. Das heißt, man musste sich fast noch dafür entschuldigen, dass man voll arbeiten möchte.
And Now we have the Salat:)))) Ich glaube nicht, dass Seiteneinsteiger dem Schulstress gewachsen sind. Ein Chrashkurs kann NIEMALS ein 5-jähriges Studium + 2 Jahre Referendariat ersetzen, wie ich das ableisten musste. Ich kann nur froh sein, dass ich spätestens in 10 Jahren in Rente gehen kann. Dieses Bildungselend ist unerträglich. Arme Kinder, arme Jugendliche, armes Deutschland.

Mississippi
6 Jahre zuvor

Arme Lehrer!

Lehrer dritter Klasse
6 Jahre zuvor

Trotz des Mangels erdreisten sich die meisten Bundesländer immer noch, ein Gruppe der in der DDR ausgebildeten Pädagogen gehaltlich zu diskriminieren – die Diplomlehrer für Polytechnik, die zudem in meist 4-6 Mängelfächen unterrichten. Als von der KMK 1993 politisch motiviert zu „Ein-Fach-Lehrern“, in einigen Bundesländern gar zu „Seiteneinsteigern“ und „Nichterfüllern“ degradiert, leisten sie das gleiche wie ihre Kollegen, wurden und werden aber mit skandalöser Bezahlung in die Verzweiflung und zum Teil aus dem Job getrieben!
Lange währende Ausbildung und anschließende Verbeamtung sind übrigens kein Garant für guten Unterricht, auch echte Quereinsteiger, die sich bewährt haben, sollten gleich bezahlt werden!