Tag der Handschrift: Kita-Kinder trainieren ihre Schreibmotorik – angeleitet von einer Wissenschaftlerin

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KÖLN. Als die sechs Kinder der Kölner Kita Märchenschloss das weiße Blatt Papier vor sich einfach so zerknüllen dürfen, grinsen sie über das ganze Gesicht. Lernen kann also eindeutig Spaß machen, denn hinter der scheinbar grundlosen Zerstörung versteckt sich gut getarnt eine Schreibmotorikübung. Sie ist Teil des Projekts „Kritzelpate“. Zum Tag der Handschrift wollen die Projektverantwortlichen, das Schreibmotorik Institut Heroldsberg und der Didacta Verband, mit ihrem Besuch in der Kita zeigen, wie Frühförderung Probleme beim Handschreiben vorbeugen kann.

Ergonomie-Expertin und Geschäftsführerin des Schreibmotorik Instituts Marianela Diaz Meyer übt als Kritzelpatin mit den Kindern der Kita Märchenschloss in Köln die richtige Stifthaltung. Foto: Tina Umlauf

Der Tag der Handschrift, den die USA jährlich am 23. Januar begehen, soll darauf aufmerksam machen, dass das Schreiben mit der Hand eine wichtige Kulturtechnik darstellt. Eine Einschätzung, die auch das Schreibmotorik Institut teilt, denn „beim Handschreiben geht es um echte Bildungschancen. Neurowissenschaftler weisen darauf hin, dass bei Kindern die motorische und die kognitive Entwicklung zusammenhängen“, sagt Marianela Diaz Meyer, Ergonomie-Expertin und Geschäftsführerin des Schreibmotorik Instituts.

In der Regel, so Diaz Meyer, seien Kinder von sich aus motiviert, Schreiben zu lernen. Doch mit den ersten Schreibversuchen können sich auch schlechte Gewohnheiten einschleichen, wie eine verkrampfte Handhaltung. „Kinder müssen lernen, mehr als 30 Muskeln und 17 Gelenke präzise zu koordinieren, um die erforderliche Motorik zu entwickeln, damit sie das ‚Präzisionswerkzeug‘ Stift führen können.“ Eine falsche Haltung, die sich verfestigt, könne zu dauerhaften Problemen führen. Deshalb sei es wichtig, von Anfang an auf die richtige Sitz- und Stifthaltung, aber auch die richtige Blattlage zu achten. „Je eher Kinder sich mit dem Stift vertraut machen und je mehr sie mit Spaß üben, desto leichter werden sie es später in der Schule beim Schreibenlernen haben.“ Genau das will das Projekt „Kritzelpate“ erreichen.

Das Ziel: mehr Beweglichkeit
„Hallo, ich bin eure Kritzelpatin“, begrüßt Marianela Diaz Meyer gut gelaunt die kleine Kinder-Gruppe, die sich im Turnraum der Kita Märchenschloss um einen Tisch versammelt hat. „Ich bin heute hier, um mit euch zu kritzeln und zu kratzeln.“ Das klingt vielversprechend und tatsächlich setzt das Projekt zur Förderung der Schreibmotorik auf einen spielerischen Zugang. Die Übungen beschäftigen sich großteils mit dem Thema Zirkus und bieten den Kindern viele Möglichkeiten, sich auszuprobieren und aktiv zu werden. Als erstes sollen sie einen Clown ausmalen, der die Arme in einem Bogen hebt. Auf den Kopf gestellt dient er als Vorlage für eine Schwung-Übung, die die Beweglichkeit im Handgelenk trainieren soll. „Stellt euch vor, ihr wollt einen Regenbogen malen“, erklärt die Ergonomie-Expertin die notwendige Bewegung. „Ihr dürft dabei auch über die Linien malen.“

Ausschlaggebend für eine „ermüdungsfreie, schnelle und lesbare Handschrift“ ist auch der Druck, den Kinder beim Schreiben und Malen auf den Stift ausüben. Dabei gilt: Weniger ist mehr. Um dies zu vermitteln, entsteht aus einem zerknüllten Blatt Papier leicht geöffnet eine fragile Berglandschaft, auf die die Mädchen und Jungen Wiesen und Flüssen malen sollen. „Dabei müsst ihr ganz vorsichtig sein“, mahnt Kritzelpatin Diaz Meyer, „um den Berg nicht plattzudrücken.“ Bei einer weiteren Aufgabe soll ein aufgemalter Smiley auf dem letzten Glied des Zeigefingers an der Schreibhand helfen, den Stift richtig zu halten. „Wenn ihr zu feste zupackt, guckt der Smiley traurig, wenn ihr den Stift locker haltet, glücklich.“ Während die Kinder fleißig üben, beobachtet Diaz Meyer ihre Handbewegungen und ihre Haltung, lobt oder korrigiert sie, etwa wenn sie sich beim Malen so sehr verdrehen, dass sie beinahe vom Stuhl fallen: „Das Blatt können wir viel leichter bewegen, als den Körper zu drehen. Das ist ganz anstrengend.“

Beim Bemalen der Berglandschaft sollten die Kinder mit nur wenig Druck arbeiten. Foto: Tina Umlauf

Kurze, regelmäßige Einheiten
Die sechs Mädchen und Jungen begegnen den Aufgaben aufgeschlossen und beteiligen sich mit Freude an der Übungsstunde – nur am Anfang wirken sie ein wenig gehemmt. „Dass sie bei dem Bild vom Clown über die Linien malen sollten, hat sie irritiert“, erklärt Kita-Leiterin Elke Meyer-Deininger die Startschwierigkeiten. „Vor allem die Vorschulkinder lernen ja gerade verstärkt, dass sie beim Malen innerhalb der Linien bleiben sollen.“ Aus ihrer Sicht eigne sich daher eher ein Ausmalbild, das die anvisierte Schwungform direkt vorgibt, wie ein Regenbogen oder eine Schüssel. Trotz konstruktiver Kritik zeigt sich Meyer-Deininger aber von den „Kritzelpate“-Übungen überzeugt: „Alles mit einer Geschichte zu verbinden, ist eine gute Idee.“ In Zukunft sollen die Aufgaben die Frühförderung der Vorschulkinder im Märchenschloss, die Teil des Bildungsauftrags der Kita ist, ergänzen. Bislang umfasst sie vor allem graphomotorische Übungen, wie das Malen von Schwüngen, liegenden Achten oder Zickzacklinien.

Der Vorteil der Schreibmotorikübungen, so Ergonomie-Expertin Diaz Meyer: „Sie kosten nur wenig Zeit.“ Wichtiger sei es, dass die Kinder regelmäßig üben, „damit die Bewegungen zur Routine werden“. Ihre positive Wirkung bestätigt eine Studie des Schreibmotorik Instituts in Kooperation mit der Universität des Saarlands. Demnach schrieben Schülerinnen und Schüler, die im Laufe des ersten Schuljahres einmal wöchentlich ihre Schreibmotorik mit den Aufgaben trainierten, am Ende der ersten Klasse das gleiche Testwort signifikant schneller und mit einem signifikant geringeren Schreibdruck als die Kinder der Kontrollklassen. Laut Diaz Meyer sollten Kinder möglichst früh – am besten bereits mit vier Jahren – mit den Übungen beginnen, „damit sie sich schon zu Beginn an eine lockere Schreibhaltung gewöhnen“. Von Anna Hückelheim, Agentur für Bildungsjournalismus

Das Schreibmotorik Institut e.V.
Der gemeinnützige Verein besteht seit 2012. Im Mittelpunkt seiner Forschung stehen das Schreiben mit der Hand und der Schreiblernprozess. Mit dem Ziel, eine individuelle, lesbare, flüssige und effiziente Handschrift zu fördern, entwickelt das Institut entsprechende Konzepte und Methoden.

Im Zuge des Projekts „Kritzelpate“ stellt das Institut Unternehmen, die sich im Rahmen ihrer Aktivitäten zur Corporate Social Responsibility (CSR) beteiligen wollen, Übungsmaterialien zur Verfügung. Das Projekt ist Teil der Aktion „Handschreiben 2020“, mit der das Schreibmotorik Institut und der Didacta Verband die Voraussetzungen und Möglichkeiten zum Erlernen des Handschreibens sowohl in den Bildungseinrichtungen Kita und Schule wie auch in den Familien zu Hause verbessern wollen. Allen Kindern soll ermöglicht werden, eine gut lesbare und flüssige Handschrift zu entwickeln.

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