Forscher erstellen Länder-Ranking: Kultur der politischen Bildung in Deutschland dreigeteilt

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BIELEFELD. Um die politische Bildung an Schulen ist es schlecht bestellt. Es erscheine ein Gesamturteil angemessen, das eine systematische Missachtung der politischen Bildung durch die Bildungspolitik konstatiert. Dieses ernüchternde Fazit hatten Wissenschaftler der Universität Bielefeld gezogen, die den Stellenwert der politischen Bildung anhand der Stundentafeln und Kernlehrpläne in Nordrhein-Westfalen untersucht hatten. Ein jetzt veröffentlichtes Länder-Ranking zeigt, dass NRW sogar noch relativ gut dasteht.

Gymnasiasten in Hessen und Schleswig-Holstein haben acht Mal mehr Zeit für politische Bildung in der Schule als Schülerinnen und Schüler an Gymnasien in Bayern. Das ist ein Ergebnis im „Ranking Politische Bildung 2017“ von Professor Reinhold Hedtke und Mahir Gökbudak von der Universität Bielefeld. Der Stellenwert politischer Bildung in der Sekundarstufe I im Bundesländervergleich ist laut der Studie so unterschiedlich, dass die Forscher von drei unterschiedlichen Kulturen politischer Bildung in Deutschland sprechen.

Politische Bildung findet nicht nur in den entsprechenden Fächern statt. Doch diese spiegeln besonders den Stellenwert, den die Schulpolitik der politischen Bildung zumisst. Foto: SPÖ Presse und Kommunikation - Parlamentsdirektion / Bildagentur Zolles KG / Mike Ranz / flickr (CC BY-SA 2.0)
Politische Bildung findet nicht nur in den entsprechenden Fächern statt. Doch diese spiegeln besonders den Stellenwert, den die Schulpolitik der politischen Bildung zumisst. Foto: SPÖ Presse und Kommunikation – Parlamentsdirektion / Bildagentur Zolles KG / Mike Ranz / flickr (CC BY-SA 2.0)

Die Bielefelder Sozialwissenschaftler haben die Bedeutung des Leitfachs für die politische Bildung in allen 16 Bundesländern an Gymnasien und nicht-gymnasialen Schulformen in der Sekundarstufe I anhand von Stundentafeln verglichen. So konnten sie laut Hedtke den prozentualen Anteil politischer Bildung an den Gesamtwochenstunden in den Klassenstufen ermitteln und erstmalig ein Gesamtbild für alle Bundesländer skizzieren.

Zunächst verglichen die Wissenschaftler die Stundentafeln zu politischer Bildung separat für Gymnasien und nicht-gymnasiale Schulformen. „Gerade an Gymnasien sehen wir extreme Unterschiede“, sagt Hedtke. Hessen und Schleswig-Holstein bilden die Spitzengruppe im Ranking, sehen also im Vergleich viel Lernzeit für politische Bildung vor. Den Gegensatz bilden Bayern und Thüringen mit sehr wenigen Stundenanteilen für das Leitfach. An Gymnasien in Bayern würden beispielsweise nicht einmal ein Viertel der Stunden für politische Bildung gegeben, die durchschnittlich in allen anderen Bundesländern erteilt werden. Diese großen Unterschiede deuten die Bielefelder Wissenschaftler als „drei verschiedene Kulturen politischer Bildung“. Hedtke dazu: „Während die Bedeutung von politischer Bildung in einigen Bundesländern anerkannt wird, wird sie in anderen offensichtlich vernachlässigt. Dazwischen liegen Länder mit einer Kultur der Mittelmäßigkeit.“

Die Unterschiede bei nicht-gymnasialen Schulformen sind laut der Bielefelder Studie geringer. Im Ländervergleich geben Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein dem Leitfach der politischen Bildung einen größeren Anteil an der Stundentafel als andere Bundesländer. Hedtke hebt jedoch hervor, dass das ausschließlich die Stundenanzahl betreffe, aber nichts über die inhaltliche Qualität und tatsächliche Umsetzung in den jeweiligen Bundesländern aussage. Hier gebe es deutliche Unterschiede, wie eine kürzlich veröffentlichte Länderstudie von Hedtke und Gökbudak für NRW. gezeigt hatte.

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Sozialwissenschaftler untersuchen die Stundentafeln: Politische Bildung ist das Stiefkind der Schulpolitik

Im Lehrplan für das Leitfach der politischen Bildung sind der Studie zufolge im engeren Sinne politische Inhalte vergleichsweise schwach verankert. Beispielsweise habe Politik im gymnasialen Fach „Politik/Wirtschaft“ einen Anteil von weniger als einem Drittel der obligatorischen Themen. Die tatsächliche Situation der politischen Bildung in einem Bundesland könne also deutlich schlechter sein, als es sein vergleichsweise guter Rangplatz nach Stundentafelanteilen vermuten lässt.

Für das Gesamtranking verglichen die Forscher alle Schulformen in allen Bundesländern. Hier bilden Hessen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein die Spitzengruppe. Nach einer Gruppe der „ambitionierten“ Länder Brandenburg, Niedersachsen und Bremen folgt das Mittelfeld mit Baden-Württemberg und dem Saarland. Unterdurchschnittlich schneiden Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt ab. In Bayern, Thüringen und Berlin steht politische Bildung in der Sekundarstufe I am seltensten auf dem Stundenplan.

Auch die Bedeutung politischer Bildung in den einzelnen Klassenstufen untersuchten die Bielefelder Forscher. Sie ermittelten einen Mangel gerade in den Jahrgangsstufen 5 und 6 an Gymnasien: „Dort ist ein Schulfach für die politische Bildung nur in jedem vierten Bundesland vorgesehen, in den Jahrgangsstufen 7 und 8 zumindest in zwei Drittel der Länder“, sagt Mahir Gökbudak. Erst im letzten Jahr der Sekundarstufe I tauche das Fach im Stundenplan aller Schülerinnen und Schüler an Gymnasien in allen Bundesländern auf.

Das Ranking leiste, so Hedtke „einen wichtigen Beitrag zur Transparenz der Politik der Landesregierungen im Feld der politischen Bildung“. Auch wenn die Form eines Rankings die komplexe Realität auf einen Indikator reduziere, so zeige es doch die großen Unterschiede im bildungspolitischen Willen, der in den Stundentafeln in Form von Schulfächern und deren Wochenstunden zum Ausdruck komme. Geplant sind nun weitere Rankings für 2018 und 2019. (zab, pm)

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2 Kommentare
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sofawolf
6 Jahre zuvor

Na, das weise ich mal bei Gelegenheit auf diese Studie hin.

AUSZUG: “ Manipulation in der Marktforschung
Wie Umfragen gefälscht und Kunden betrogen werden

Marktforscher sollen herausfinden, was die Deutschen denken. Doch die Branche hat nach SPIEGEL-Informationen massive Probleme mit der Qualität ihrer Daten. Manipulierte Umfragen sind keine Ausnahme.“

http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/manipulation-in-der-marktforschung-wie-umfragen-gefaelscht-werden-a-1190711.html

Küstenfuchs
6 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Was hat das denn mit Marktforschung zu tun? Dies war doch ein simples Auszählen von Stundentafeln bzw. Stundenplänen …