Neukölls Bezirksbürgermeister will Kita-Pflicht

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BERLIN. Kinder, die mit der Einschulung noch kaum Deutsch sprechen, sind in Stadtvierteln wie Berlin-Neukölln keine Seltenheit. Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) fordert nun drastische Regeln.

Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel fordert verpflichtende Kita-Besuche für alle Kinder. «Aus bezirklicher Sicht brauchen wir dringend die Kita-Pflicht», sagte der SPD-Politiker. «Ich will, dass alle Kinder die gleichen Chancen haben», unterstrich er. Dies sei momentan nicht der Fall.

«Auch in Neukölln gibt es bei der Einschulung Kinder, die beispielsweise keine Schere ordentlich halten können oder – und das ist noch gravierender – nicht in der Lage sind, sich altersgerecht auf Deutsch zu verständigen», berichtete Hikel. «Diese Kinder liegen bereits zum Schulstart meterweit hinter der Startlinie.»

In Gegenden wie der Berliner Rollbergsiedlung könnten letztendlich nur öffentliche Bildungseinrichtungen für gleiche Startchancen in das reale Leben sorgen, meint Neuköllns Bezirksbürgermeister Hikel (SPD).Foto: Lienhard Schulz / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)
In Gegenden wie der Berliner Rollbergsiedlung könnten letztendlich nur öffentliche Bildungseinrichtungen für gleiche Startchancen in das reale Leben sorgen, meint Neuköllns Bezirksbürgermeister Hikel (SPD). Foto: Lienhard Schulz / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Ziel müsse sein, sie durch frühkindliche Bildung «an die gleiche Startlinie» zu bekommen. «Das ist die Basis dafür, dass die Kinder die Schulanforderungen gut schaffen und einen Schulabschluss erreichen, dann eine Ausbildung machen oder studieren und so ihren Platz in der Gesellschaft finden können.»

Ab welchem Alter ein Kind in die Kita komme, müsse gesellschaftlich ausgehandelt werden. «Auch in der SPD kämpfen wir intern dafür und führen genau diese Diskussionen», sagte Hikel. «Aber auch bei uns werden immer wieder Befürchtungen geäußert, man stelle Eltern damit unter Generalverdacht oder der Eingriff in das elterliche Erziehungsrecht wäre zu groß.» Das seien berechtigte Argumente, die diskutiert werden müssten.

Berliner FDP will letztes Kita-Jahr zur Pflicht machen

«Aber die Praxis hat bisher gezeigt, dass letztendlich nur unsere Bildungseinrichtungen für gleiche Startchancen in das reale Leben sorgen können», sagte Hikel weiter und verwies als Beispiel auf den Rollberg-Kiez in seinem Bezirk. Hier könne man sich unter Umständen den ganzen Tag nur auf Arabisch verständigen – ohne ein Wort Deutsch zu benötigen. In der Nachbarschaft werde Arabisch gesprochen, im Laden um die Ecke ebenso.

«Das funktioniert für den Einzelnen in dieser Konstellation gut und ist prinzipiell auch als ein sprachlicher, kultureller Schatz zu sehen», so Hikel. «Aber die Menschen müssen hier genauso gut auch Deutsch sprechen können, um interagieren zu können. Die gemeinsame Amtssprache ist die Basis für sämtliche weiteren Teilhabeangebote und letztlich für ein friedliches Zusammenleben.»

Deswegen müssten Kinder, deren Eltern eine andere Muttersprache haben, möglichst früh mit Kindern deutscher Muttersprache in Berührung kommen. «Und dies sollte gezielt in unseren Bildungseinrichtungen erfolgen, denn auf der Straße funktioniert es nicht. Das möchte ich nicht als Malus verstanden wissen: Diese Kinder haben faktisch die Chance, bilingual aufzuwachsen», sagte Hikel.

«Bevor wir allerdings über Pflichten nachdenken, müssen wir erstmal etwas gegen den Fachkräftemangel tun», ergänzte er. «Aktuell schaffen wir Kitaplätze, für die es noch keine Erzieherinnen und Erzieher gibt.» Fachkräfte würden händeringend gesucht. «Der Erzieherberuf muss aufgewertet werden, durch eine bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen», forderte Hikel. «Gebührenfreiheit und Kita-Pflicht sind nichts wert, wenn das Kita-System nicht hinreichend leistungsfähig ist.»

Berlins SPD-Fraktionschef Raed Saleh hatte sich bereits 2013 für eine allgemeine Kita-Pflicht für Kinder ab drei Jahren ausgesprochen. Er stieß damit auch innerhalb seiner Partei auf Skepsis.

Auch die Berliner FDP-Fraktion hatte zuletzt gefordert, die Schulpflicht auf das letzte Kita-Jahr auszuweiten. Die FDP-Bundes-Generalsekretärin Nicola Beer dagegen hält eine solche Verpflichtung für überflüssig, denn die allermeisten Kinder über drei Jahre besuchten bereits einen Kindergarten. Die Diskussion gehe am Thema vorbei. «Statt einer Besuchspflicht brauchen wir eine Qualitätspflicht», so Beer.

Kindergartenpflicht wie in Frankreich? Davon hält die FDP nichts

Auf dem Papier gibt es eine Kita-Pflicht seit einigen Jahren bereits zur Sprachförderung vor allem von Kindern mit ausländischen Wurzeln. Wer bei einer sogenannten Sprachstandsfeststellung schlecht abschneidet, muss theoretisch in den 18 Monaten bis zur Einschulung eine Sprachförderung an einer Kita besuchen. Die Praxis zeigt jedoch, dass nur ein Bruchteil der in Frage kommenden Kinder tatsächlich an Sprachprogrammen in Kindergärten teilnimmt. (dpa)

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xxx
5 Jahre zuvor

„Auf dem Papier gibt es eine Kita-Pflicht seit einigen Jahren bereits zur Sprachförderung vor allem von Kindern mit ausländischen Wurzeln. Wer bei einer sogenannten Sprachstandsfeststellung schlecht abschneidet, muss theoretisch in den 18 Monaten bis zur Einschulung eine Sprachförderung an einer Kita besuchen. Die Praxis zeigt jedoch, dass nur ein Bruchteil der in Frage kommenden Kinder tatsächlich an Sprachprogrammen in Kindergärten teilnimmt.“

Die Lösung ist ganz einfach: Der Kurs ist bei Teilnahme kostenfrei, bei Verweigerung wird es teuer bzw. von der Grundsicherung abgezogen. Bei Erwachsenen kann man übrigens ähnlich vorgehen.

Cavalieri
5 Jahre zuvor

„«Aber die Praxis hat bisher gezeigt, dass letztendlich nur unsere Bildungseinrichtungen für gleiche Startchancen in das reale Leben sorgen können», sagte Hikel weiter …“
Diese gutgemeinte Behauptung sollte mal näher begründet werden. Richtig ist natürlich, dass das von selbst nicht geht, dass also irgendwie eingegriffen werden müsste. Also ist das Wörtchen „nur“ vermutlich berechtigt, aber das heißt noch nicht, dass das auch wirklich funktioniert. Schon seit Jahrzehnten versucht man das doch, aber in der Literatur habe ich wiederholt Sätze gefunden wie die folgenden:
„Ein Jahr später, 1967, war die Bürgerrechtskommission der USA in einem Report über die zahlreichen aus Bundesmitteln finanzierten kompensatorischen Schulprogramme zu dem behutsamen, aber niederschmetternden Resultat gekommen: „Die Analyse der Kommission behauptet nicht, daß kompensatorische Erziehung untauglich sei, die Auswirkungen der Armut auf die schulischen Leistungen bei einzelnen Kindern aufzuheben … Es ist jedoch eine Tatsache, daß keins der untersuchten Programme die Schülerleistungen insgesamt nennenswert erhöht hat.“ “ Bestimmt war man auch auf die Idee von „Vorschulen“ in irgendeinem Sinne gekommen.
Zu dem Sprachproblem ist jedenfalls anzumerken, dass es in Berlin-Neukölln bereits Gymnasien mit über 90 % Migrantenanteil gibt, mindestens eine Grundschule hatte schon vor Jahren glatte 100 %. Daraus folgt logisch, dass das bei den Kitas nicht anders aussehen kann. Herr Hikel sollte mal „über den Daumen peilen“, wieviele deutsche Muttersprachler in einer Kita im Rollberg-Viertel so sein werden, wenn die Kita-Pflicht erstmal eingeführt ist. Die Pflicht könnte auch dazu führen, dass die wenigen verbliebenen bildungsorientierten Deutschen mit kleinen Kindern erst recht wegziehen.
Außerdem soll man sich nicht der Illusion hingeben, man könne flächendeckend in ganz Berlin Kitas mit einem Migrantenanteil von 20-30 % haben, wo dann im Alltag spielerisch Deutsch gelernt wird. In westdeuschen Großstädten sowie in Berlin liegt der Anteil bei den kleinen Kindern insgesamt schon bei 40-50 %, in manchen Stadtteilen deutlich darüber. Hier werden Zahlen genannt, für Berlin 44,7 % für alle unter 18 Jahren, Tendenz steigend (man schaue auch auf die „Urne“ der Altersverteilung):
https://www.morgenpost.de/berlin/article132070813/Bald-jeder-dritte-Berliner-hat-einen-Migrationshintergrund.html
Spötter könnten dann Witze machen vom Typ, dass es doch gut sei, wenn eine Minderheit deutscher Kinder durch die Kita-Pflicht etwas Türkisch und Arabisch lernt, denn im späteren Leben würden sie das dringend benötigen. Die Kita-Betreuer direkt als Sprachlehrer einzusetzen, das dürfte wohl zur Überlastung führen. Haben wir die nicht ohnehin schon?

dickebank
5 Jahre zuvor
Antwortet  Cavalieri

An diejenigen, die Schulen Segregation vorwerfen, ein kleiner Hinweis:

Nicht die Schulen schaffen unterschiedliche bedingungen, in deren Folge Schulabsolventen schlechtere oder bessere Voraussetzungen für ein Leben nach der Schule erhalten. Umgedreht wird ein Schuh daraus, aufgrund unterschiedlicher materieller Voraussetzungen entmischt sich in den Ballungszentren (Stichwort Miete) die bevölkerung. Die wohnortnahe Beschulung führt deshalb dazu, dass Kinder unterschiedlicher Milieus an Schulen gleicher Schulform mit unterschiedlichen Voraussetzungen starten.
’ne „Kartoffel“ im Hummus ist eine exotische Pflanze- wallah:)

sofawolf
5 Jahre zuvor

Eine Kindergartenpflicht, mindestens das letzte Jahr vor der Einschulung, finde ich sinnvoll, um vor allem Kinder aus „bildungsfernen“ Familien und Kinder aus Familien nichtdeutscher Muttersprache auf gewisse Mindestanforderungen in der Schule vorzubereiten.

ysnp
5 Jahre zuvor

Auf jeden Fall Kindergartenpflicht und am besten 3 Jahre. Und das in ganz Deutschland. Es muss nicht den ganzen Tag verpflichtend sein. Vormittags Kindergartenpflicht, nachmittags freiwillig. Damit wäre allen gedient. Zuhause kann man nie das fördern, was der Kindergarten kann. Außerdem lernt man sich mit anderen Kindern zu arrangieren.