Lehrkräfte dringend gesucht: Verbände beklagen schwere Versäumnisse

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BERLIN. Angesichts eines teils massiven Lehrermangels schlagen Schüler, Eltern und Pädagogen Alarm. Sie befürchten unter anderem Nachteile durch Lücken im Unterrichtsstoff. Im neuen Schuljahr werde sich die bislang schon dramatische Situation vielerorts noch verschlimmern, sagen Experten. Lehrer fehlen demnach vor allem an Grundschulen, Förderschulen und ehemaligen Hauptschulen. Folgen des Mangels: Unterrichtsausfall, größere Klassen – und im schlimmsten Fall fehlen sogar Noten auf Zeugnissen.

Lehrkräftemangel führt im schlimmsten Fall zu Unterrichtsausfall und fehlenden Zeugnisnoten. Foto: ceiling / flickr / CC BY 2.0

«Ich rechne mit einer Verschärfung vor allem in den neuen Bundesländern und auch in den Stadtstaaten, insbesondere in Berlin», sagt der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger. «Aber auch in Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ist die Unterrichtsversorgung auf Kante genäht.» Bei Krankheitsausfällen werde es auch dort große Versorgungsengpässe geben. «Im Endeffekt sind die Kinder die Leidtragenden, weil sie keinen guten und vollständigen Unterricht bekommen», so Meidinger. Das frustriere auch die Lehrer, da sie ihr Ziel, die Schüler bestmöglich zu fördern, nicht erfüllen könnten.

Tatsächlich seien die Zeiten vorbei, in denen sich die Schüler über Unterrichtsausfall vor allem freuten, sagt der Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz (BSK) Hannes Leiteritz. Sie befürchteten vielmehr Nachteile für die nähere Zukunft – zum Beispiel bei Bewerbungen. «Weniger Unterricht heißt weniger Stoffvermittlung. Und der Stoff, der nicht vermittelt wird, kann auch in späteren Jahren nicht aufgeholt werden», kritisiert der Abiturient aus Schleiz in Thüringen. «Es entstehen Lücken, die später nicht wieder geschlossen werden können, weil immer neuer Stoff nachkommt.»

Zu wenige Lehrer – und immer mehr Schüler: Nach einer offiziellen Prognose wird die Zahl der Schüler bis 2030 bundesweit um 278.000 auf 11,2 Millionen steigen. Das seien über zwei Prozent mehr als 2016, hatte die Kultusministerkonferenz (KMK) im Mai mitgeteilt. Als Gründe nannte sie gestiegene Geburtenzahlen und viele Zuwanderer.

Notlösungen
Die Länder tun inzwischen einiges, um das Ruder herumzureißen: Bayern will mit einem Ausbau des Studienangebots auf die steigenden Schülerzahlen reagieren. Ab Oktober soll es dort unter anderem 700 neue Studienplätze fürs Grundschullehramt geben. Sachsen will mit einer Geldprämie versuchen, den Lehrermangel auf dem Land einzudämmen. Referendare sollen von Januar 2019 an bis zu 1000 Euro Zulage bekommen, wenn sie ihren Anwärterdienst im ländlichen Raum absolvieren. In Brandenburg können bald Lehrer nach der Pensionierung weiter arbeiten, bei einem besonderen dienstlichen Interesse.

KMK-Chef Helmut Holter schlägt vor, Lehrer nicht mehr strikt getrennt nach Schularten auszubilden. «Wenn wir erreichen wollen, dass wir den Unterricht an den Schulen absichern wollen, müssen wir die Durchlässigkeit zwischen den Schulen erhöhen», sagte der Thüringer Bildungsminister (Linke). Die Lehrerausbildung dürfe nicht mehr etwa nach Gymnasium, Grund- und Realschule erfolgen, sondern nach Altersstufen der zu unterrichtenden Kinder. Dadurch könnten Lehrer flexibler an unterschiedlichen Schulen eingesetzt werden.

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Zeigt sich besorgt angesichts des Lehrermangels: Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands. Foto: Deutscher Philologenverband
Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, sieht den Trend zu Seiteneinsteigern kritisch. Foto: Deutscher Philologenverband

In Berlin hat der Lehrermangel besonders dramatische Züge angenommen: Im Juni fehlten laut Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) in der Hauptstadt noch 1250 Lehrer – so viele wie noch nie. Ein Projekt zum Lückenstopfen heißt hier «Unterrichten statt Kellnern»: Studenten in lehramtsbezogenen Masterstudiengängen werden Halbjahres- oder Jahresverträge an Schulen angeboten.

Die Maßnahmen kommen aus Expertensicht zu spät. «Es wurden Prognosen verschlafen und es wurde nicht rechtzeitig gegengesteuert», sagt Meidinger vom Lehrerverband. «Die Politik, auch das Bundesbildungsministerium, hätte die Hochschulen auffordern müssen, die Lehrerausbildungskapazitäten nicht so stark abzubauen.» Die Länder hätten nicht rechtzeitig auf den Geburtenanstieg reagiert. «Es hätte viel früher eine massive Lehreranwerbung geben müssen.» Auch aus Sicht des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) ist der Lehrermangel zu einem großen Teil hausgemacht. «Wie kann es sein, dass man in solch eine enorme Lücke hineinschlittert?», kritisiert VBE-Chef Udo Beckmann. «Wenn die Politik nicht massiv nachsteuert und umsteuert, dann sehe ich auf absehbare Zeit keine Entspannung.»

Finanzieller Anreiz gefordert
Linke-Chef Bernd Riexinger kritisiert «jahrzehntelange, schwere Versäumnisse» in der Bildungspolitik und fordert die Soforteinstellung von 10.000 Grundschullehrern sowie ein Anheben der Besoldung angestellter Lehrer auf Beamtenniveau. Die FDP-Politikerin Nicola Beer spricht sich für «ein Sofortprogramm für weltbeste Bildung» aus. Dabei sei es wichtig, «dass der Lehrerberuf vor allem auch im Grundschulbereich finanziell attraktiver wird. Für Quereinsteiger muss es einfacher möglich sein, an Schulen unterrichten zu können».

Die Eltern sind ebenfalls in Aufregung. «Aus unserer Sicht ist der Lehrermangel zurzeit so schlimm, wie er noch nie war», sagt Bundeselternrats-Chef Stephan Wassmuth. «Wir sind eine Leistungsgesellschaft, das darf man nicht vergessen. Eltern machen sich Sorgen, dass die Grundlagen fehlen.» Es könne nicht die Lösung sein, dass Eltern den fehlenden Stoff mit ihren Kindern in der Freizeit nachholten oder Nachhilfe finanzierten.

Auch mit Seiteneinsteigern versuchen Länder, Lücken zu stopfen. In Nordrhein-Westfalen hatte 2017 laut Schulministerium jeder neunte neu eingestellte Lehrer keine grundständige Ausbildung. Meidinger sieht diesen Trend kritisch und spricht von einer «Notlösung». «Geschieht das in großem Umfang, verschlechtert das die Unterrichtsqualität.» Beckmann vom VBE gibt zu bedenken, Seiteneinsteiger hätten teils überhaupt keine pädagogische Qualifikation. «Gerade in der Grundschule brauchen wir aber bei der hohen Diversität der Schüler gut ausgebildete Pädagogen.» Er fordert eine pädagogische Vorqualifikation von mindestens einem halben Jahr. Christine Cornelius (dpa)

Teaser-Illustration: pixabay / bykst (CC0 Public Domain)

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dickebank
5 Jahre zuvor

Ja, viele Schulen haben Leerstellen – also nicht besetzte Planstellen. Macht aber nichts, dafür wird dann die Soll-Stundentafel eingekürzt, damit weniger vertretungsunterricht anfällt. Denn vom Ministerium werden ja nur die Abweichungen von der Ist-Stundentafel erfassterfasst. Wenn also Chemie statt zweistündig im ganzen Schuljahr nur epochal (halbjährlich) mit zwei Stunden unterichtet wird, zählen die zwei Wochenstunden in dem einen Halbjahr ja nicht, es zählen nur die Stunden im anderen Schulhalbjahr, die aus irgendwelchen Gründen fachfremt vertreten werden mussten.

Ob Frau Gebauer sich das Motto des Hosenbandordens (honi soit qui mal y pense) zu Herzen genommen hat?

Ökonom
5 Jahre zuvor

Angebot und Nachfrage treffen sich über den Preis – es ist an der Zeit, dass unsere Gewerkschaften unsere Wünsche plakativer in die Öffentlichkeit tragen…

sofawolf
5 Jahre zuvor

Eine akzeptable Notlösung wäre, so viele Seiteneinsteiger wie möglich einzustellen und/oder die Stundentafel der Schüler zu kürzen, wie es Sachsen vormachte, sodass das verbleibende Schülerstundensoll von den vorhandenen Lehrkräften abgedeckt werden kann. Die (für mich) nicht akzeptable Notlösung wäre eine deutliche Vergrößerung der Klassenstärken und eine Erhöhung des Stundensolls der Lehrer. Ich bin gespannt, wofür sich die Politik entscheiden wird.

Klar ist zumindest aber auch, der gegenwärtige Lehrermangel liegt nicht am angeblich schlechten Gehalt, sondern an den Fehlplanungen und Nachlässigkeiten der Vergangenheit, sicherlich aber auch an Zufällen (Flüchtlingsstrom 2015), die keiner vorherahnen konnte. Hätte man jedoch seinerzeit freiwerdende Kapazitäten genutzt, um Klassen zu verkleinern und das Stundensoll zu senken, dann wäre jetzt ein „Auffangen“ der Schülerzunahme leichter gewesen. Dass das nicht geschah, lag und liegt daran, dass die „herrschenden Parteien“ nur „herrschen können“, wenn sie den Wahlbürgern Steuersenkungen versprechen, also Staatsausgaben reduzieren, sprich sparen, sparen, sparen. Die Zeche zahlen am Ende aber doch „die kleinen Leute“, aber sie sind ja auch die, die jene wählen, die Steuersenkungen versprechen.

Alles hängt mit allem zusammen!

Langschläfer
5 Jahre zuvor

Mir würde es gefallen, mein Deputat die kommenden fünf Jahre um fünf Stunden zu erhöhen und dann anschließend ein Jahr zu Hause bleiben zu dürfen – bei vollem Gehalt 🙂

sofawolf
5 Jahre zuvor
Antwortet  Langschläfer

In gewisser Weise geht das doch. Erkundige dich mal nach dem sogenannten Sabbatjahr.

Ansonsten geht es natürlich nicht. Stichwort: Wenn das alle machen würden! Aber du hast es ja als „Spaß“ gekennzeichnet.

dickebank
5 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Irrtum, wie ich aus sicherer Quelle weiß, sind zumindest hier in NRW die Kontingente für Lehrkräfte im Sabbatjahr eingepreist. Diejenigen, die ins Sabbatjahr gehen, haben ja einen Teil der Entfallstunden im Sabbatjahr schon durch Mehrarbeit herausgearbeitet und den anderen durch Gehaltsverzicht kompensiert.

Sabbatjahr geht also, Reduzierung des Vollzeitdeputats hingegen nur in ganz dringenden Fällen – Pflegebedürftigkeit naher Angehöriger oder nach Rückkehr aus Elternzeit.

Puh
5 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Beim Sabbatjahr spart man Gehalt, das man dann in dem Jahr erhält, in dem man zu Hause bleibt. Langschläfer bietet ein anderes Konstrukt an, nämlich freiwillige Mehrarbeit, die später nach eigenem Gutdünken verwendet werden kann, beispielsweise für ein Sabbatjahr ohne Einkommenseinbußen.
Wichtig ist dabei ist der Gedanke der freiwilligen Mehrarbeit und der freien Verwendung des eigenen Arbeitszeitkontingents. Der Dienstherr profitiert dadurch, dass er heute einen Engpass besser überbrücken kann. Und der jeweilige Lehrer profitiert, indem er sein Leben um eine arbeitsfreie Auszeit bereichern kann: So profitieren beide Seiten.

sofawolf
5 Jahre zuvor
Antwortet  Puh

Klingt gut.