Studie: Klimasystem könnte kippen – Forscher sehen Gefahr einer Heißzeit

3

Muss sich die Menschheit auf eine Heißzeit einstellen? Selbst bei Einhaltung des Pariser Klimaabkommens könnten entscheidende Kippvorgänge im globalen Umweltsystem angestoßen werden, schreiben Klimawissenschaftler. Es sei noch viel Forschung nötig.

Klimawissenschaftler warnen vor sogenannten Kippvorgängen, die für eine Heißzeit sorgen könnten – Pariser Klimaabkommen hin oder her. Foto: pixabay / daeron (CC0 Public Domain)

POTSDAM. Die Gefahr einer Heißzeit kann aus Sicht von Klimaforschern selbst beim Einhalten des Pariser-Klimaabkommens nicht ausgeschlossen werden. Dabei würde sich die Erde langfristig um etwa vier bis fünf Grad Celsius erwärmen und der Meeresspiegel um zehn bis 60 Meter ansteigen, schreibt das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Ein internationales Team von Wissenschaftlern diskutiert diese Möglichkeiten in den „Proceedings“ der US-nationalen Akademie der Wissenschaften („PNAS“) und blickt dabei insbesondere auf Kippelemente im Klimasystem.

Dazu gehören laut Studie etwa die auftauenden Permafrostböden in Russland, die sich
erwärmenden Methanhydrate auf dem Meeresboden und die großen Ökosysteme wie der
Amazonas-Regenwald. Sie könnten sich wie eine Reihe von Dominosteinen verhalten,
sagte Mitautor Johan Rockström, Direktor des Stockholm Resilience Centre und
designierter Ko-Direktor des PIK. „Wird einer von ihnen gekippt, schiebt dieses Element
die Erde auf einen weiteren Kipppunkt zu.“

„Der Mensch hat als geologische Kraft bereits seine Spuren im Erdsystem hinterlassen“,
sagte Mitautor und PIK-Gründungsdirektor Hans Joachim Schellnhuber. „Werden dadurch
empfindliche Elemente des Erdsystems gekippt, könnte sich die Erwärmung durch
Rückkoppelungseffekte selbst weiter verstärken. Das Ergebnis wäre eine Welt, die anders
ist, als alles, was wir kennen“, ergänzte er. „Die Forschung muss sich daran machen,
dieses Risiko schnellstmöglich besser abzuschätzen.“

Klimawandel kann sich selbst verstärken

Nach Angaben der Autoren könnte es schwieriger werden als bislang angenommen, die
globale Erwärmung wie im Pariser Klimaabkommen vereinbart zwischen 1,5 und unter 2
Grad Celsius zu stoppen. Man könne sich nicht darauf verlassen, dass das Erdsystem bei 2 Grad langfristig sicher „geparkt“ werden könne, sagte Schellnhuber. Derzeit ist die Erde im Durchschnitt bereits gut 1 Grad wärmer als noch vor Beginn der Industrialisierung.

Anzeige

Selbst bei vorläufiger Begrenzung der menschengemachten Erderwärmung auf maximal 2 Grad könnten kritische Prozesse im Klimasystem angestoßen werden, die eine noch stärkere Erwärmung – auch ohne weiteres menschliches Zutun – bewirken, erläuterte Erstautor Will Steffen von der Australian National University (ANU) und dem Stockholm Resilience Centre (SRC). Nach PIK-Angaben könnte das bedeuten, dass sich der Klimawandel dann selbst verstärkt – „auf lange Sicht, über Jahrhunderte und vielleicht Jahrtausende“.

Kippelemente im Erdsystem seien mit schweren Felsbrocken am Strand vergleichbar,
erläuterte Schellnhuber. Würden diese langsam, aber unaufhörlich unterspült, könnte
irgendwann schon die Landung einer Fliege an einer neuralgischen Stelle ausreichen, um
die Brocken kippen zu lassen. „Wir weisen in unserem Artikel darauf hin, dass es im
planetarischen System bereits derart unterspülte Felsbrocken gibt, die wir als
Kippelemente bezeichnen. Ist die Erderwärmung weit genug fortgeschritten, reicht
vielleicht schon eine kleine Veränderung aus, um diese Elemente in einen ganz anderen
Zustand zu stoßen.“

In Teilen der Westantarktis seien bereits einige Kipppunkte überschritten worden. „Der
Verlust des Eises in einigen Regionen könnte dort schon ein weiteres, noch umfangreicheres Abschmelzen über lange Zeiträume vorprogrammiert haben“, sagte
Schellnhuber. Und der Kollaps des grönländischen Eisschildes könnte bereits bei einer
Temperaturerhöhung um 2 Grad einsetzen. «Die roten Linien für einige der Kippelemente
liegen wohl genau im Pariser Korridor zwischen 1,5 und 2 Grad Erwärmung.“

Politik ist gefordert

Der Artikel biete eine Synthese und Einordnung von vielen Einzelstudien, bleibe aber recht unkonkret, kommentierte Klimaforscher Reto Knutti von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Das Autorenteam argumentiere zwar, dass schon bei 2 Grad eine Schwelle hin zu einem deutlich anderen Zustand der Erde liegen könne, verweise aber zugleich darauf, dass es noch unsicher sei, wo eine solche Schwelle tatsächlich liege.
„Das ist ein wichtiger und provozierender Artikel», meint dagegen Jonathan Overpeck von der University of Michigan, der nicht daran beteiligt war. Auch wenn es nicht möglich sei, die exakte Erdtemperatur zu bestimmen, bei der eine Kaskade von Kippelementen die Erde in Heißzeit bringe, sei es richtig, sich Sorgen zu machen. „Die Risiken zu ignorieren, könnte katastrophal für den Menschen und den Planeten werden.“

Jeder Einzelne könne etwas beitragen, um dem Klimawandel zu begegnen, aber vor allem sei die Politik gefordert, sagte Schellnhuber, der Mitglied der Kommission der
Bundesregierung zum Kohleausstieg ist. Aus wissenschaftlicher Sicht sei klar, dass der
Kohleausstieg so schnell wie möglich umgesetzt werden sollte. „Die Kohleverstromung ist
das schädlichste, was man dem Klima antun kann“, sagte er. Als hochentwickeltes
Industrieland habe Deutschland alle Möglichkeiten, die alte, auf fossilen Brennstoffen
basierende Wirtschaftsweise bis 2040 komplett hinter sich zu lassen. Dafür müsste auch
der Verbrennungsmotor bis 2030 ausgemustert werden. „Klimapolitisch sind Neuwagen
mit Verbrennungsmotor völliger Unsinn“, betonte Schellnhuber. dpa

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

3 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
sofawolf
5 Jahre zuvor

Das finde ich in der Tat lang- oder sogar mittelfristig beängstigend.

Sollten nicht lieber dafür die sprudelnden Steuereinnahmen „verbraten“ werden, den Klimawandel aufzuhalten, abzumildern und sich vor dem Unvermeidlichen zu wappnen?

sofawolf
5 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Brief an unsere Kinder

Urlaub war uns wichtiger als eure Zukunft, sorry

Mit unserem Lebensstil schädigen wir den Planeten unwiderruflich. Jeder weiß es, keiner tut wirklich etwas dagegen. Ein vorweggenommener Entschuldigungsbrief an unsere Kinder.

Liebe künftige Generationen,

sorry. Das mit der schmelzenden Arktis, das mit dem abgeholzten Regenwald, das mit den leergefischten Meeren, das waren wir. Wir haben euren Planeten ausgebeutet, eure Natur kaputt gemacht, euer Klima auf Jahrhunderte hinaus geschädigt. Unsere Wissenschaftler hatten uns zwar seit Jahrzehnten gewarnt, in immer eindringlicheren, verzweifelteren Worten, aber wir haben es nicht ernst genommen. Nicht ernst genug.

Und weil ihr, die ihr die Erde von uns erbt, zu Recht wütend auf uns sein werdet, entsetzt und fassungslos angesichts unserer Rücksichtslosigkeit und Dummheit, habt ihr ein Anrecht auf eine Erklärung. Nicht erst im Jahr 2050, wenn eh alles zu spät ist, sondern heute, 2017, wenn man es noch in allerletzter Sekunde hätte umbiegen können. Wir, die Erwachsenen weltweit, hätten mit aller Kraft und Macht auf die Bremse steigen müssen, aber wir sind weiter gut gelaunt und ignorant Vollgas mit unseren Verbrennungsmotoren gegen die Wand gefahren. Und ihr wart im Kindersitz auf der Rückbank dabei.

So einen Brief im Jahr 2017 zu schreiben könnte zynisch wirken. Aber es soll nur ehrlich sein. Eine traurige Erkenntnis. Es ist Mitte Juli, und da gerade kein Terror, G20 und nicht mal Bundesliga stattfinden, hört man in den Nachrichten ausnahmsweise was vom Klima. Ein gigantischer Eisberg ist abgebrochen, 175 Kilometer lang, bis zu 50 Kilometer breit. »Der Südpol zerbricht!«, hat die Bild-Zeitung getitelt, riesengroß und angsteinflößend. Endlich mal Action statt immer nur die drögen Zahlen und Statistiken, mit denen Klimaforscher zu belegen versuchen, was wir nicht hören wollen. Der Eisberg muss keine direkte Folge der Erderwärmung sein, wie Wissenschaftler gleich angemerkt haben, er erinnert aber unangenehmerweise daran. Und einwandfrei belegt ist, dass wir ein Hitzerekordjahr nach dem anderen erleben.

Trotzdem kenne ich nicht einen Kollegen, Bekannten, Verwandten oder Freund, der sich je ernsthaft angestrengt hätte gegen den Klimawandel zu kämpfen. Wir kaufen ab und an im Bio-Laden ein, trennen den Müll meistens und bei gutem Wetter lassen wir das Auto auch mal stehen. Viel bringt das nicht. Wir schimpfen lieber über den US-Präsidenten Donald Trump, der aus dem ohnehin kraftlosen Pariser Klimaschutzabkommen ausgetreten ist. Die Wahrheit ist doch: Wir haben selber nichts gemacht. Gegen jedes neue Windrad wird geklagt, Elektroautos will kaum jemand kaufen. Weil die Technik nicht ausgereift ist? Ja, aber wie soll sie das sein, wenn man lieber in neue Dieselmotoren investiert? Elektromotoren gab es schon um das Jahr 1830.

Wir retten systemrelevante Banken, wir retten leider nicht systemrelevante Wälder

Wir sind nicht bereit, ernsthaft gegen den Klimawandel anzukämpfen, unseren verschwenderischen Lebensstil aufzugeben. Wer verzichtet denn auf Fernreisen wenn er sie sich leisten kann? Eine Bekannte von mir fliegt nach Thailand, wie man früher an den Gardasee gefahren ist – zwei-, dreimal im Jahr. Und ich? Als mich Freunde gefragt haben, ob ich mit ihnen auf einen Surftrip auf die Malediven fliege, habe ich abgesagt. Tatsächlich auch wegen des CO2-Ausstoßes (und der Kosten). Ich bin dann drei Monate später nach Portugal geflogen für eine Woche zum Surfen. Ich verzichte ein bisschen, aber weit jenseits der Schmerzgrenze. Weit jenseits der nötigen 80 Prozent und mehr, die jeder Bundesbürger (und andere Bewohner einer Industrienationen) von seinem persönlichen CO2-Austoß einsparen müsste, um eine Erderwärmung um mehr als 2 Grad Celsius irgendwie noch zu vermeiden.

Es wäre, Stand heute, also möglich – nicht leicht, nicht bequem, aber möglich. Wie? Sofortiger Aussteig aus der Kohle, konsequenter Umstieg auf regenerative Energien, nachhaltig leben, nicht mehr verbrauchen als dieser Planet nachwachsen lassen kann, viel weniger Fleisch essen. Ein Mammut-Projekt, aber: es wäre machbar. Wir retten systemrelevante Banken, wir retten leider nicht systemrelevante Wälder und Eisberge.

Der nötige radikale Lebenswandel könnte Arbeitsplätze schaffen und sich auf lange Sicht wirtschaftlich lohnen. Wir müssten hunderte Milliarden investieren in umweltfreundliche Technologien, aber wir hätten vielleicht Billionen an Folgeschäden durch Sturm, Flut und Dürre verhindern können. Tja. Hätten, müssten, könnten. Aber vielleicht trösten unsere Kinder und noch ungeborenen Enkelkinder die schönen Selfies, die wir 2017 im Urlaub in Australien, Kalifornien oder Dubai machen?

Was werden sie von uns denken? Wie werden wir uns rechtfertigen? Waren wir zu feige für den großen Schnitt? Zu bequem? Oder noch nicht geängstigt genug von den drohenden Katastrophen? So richtig unheimlich und existenzbedrohend sieht der prophezeite Klimawandel aus Deutschland betrachtet noch nicht aus. Schlimm für die Menschen in Bangladesh, die im Meer versinken sollen, bitter für die Sizilianer, wenn dort in 20 Jahren kein Obstanbau mehr möglich wäre, aber in Bayern? Würden wir dann zum Skifahren halt ein paar hundert Meter höher fahren müssen.

Viel mehr Panik ist nicht vorhanden, angesichts der Gefahr, einen ganzen Planeten aus dem natürlichen Gleichgewicht zu bringen. Nicht mal wir Eltern finden, dass wir die Erde für unsere Kinder retten müssten. Wir fürchten handysüchtige Kinder, Impfungen oder Laktoseintoleranz. Das große, potentiell riesige, offensichtliche Problem wird ignoriert.

Vielleicht liegt es in der Natur des Menschen, dass er nicht weiter als fünf, zehn Jahre denken kann. Ich glaube, es war uns einfach – sagen wir es doch einfach mal in aller Härte – scheißegal. Auf den Instagram- und Facebook-Timelines meiner Freunde sehe ich exotische Strände, ihre Abendessen mit Garnelen, Burger und Tunfisch, ihre neuen Autos, die neuen Sommerkleider, die neuen Turnschuhe. Nie sehe ich Fotos von Demonstrationen, niemand postet Aufrufe oder Artikel zum Thema. Es gibt keinen Aufschrei, keine Appelle an die Politik oder die Wirtschaft, endlich umzudenken. Es wird noch viele Hochwasser, Wirbelstürme, Dürren und Flüchtlingswellen brauchen, bis wir den Ernst der Lage begreifen. Dann wird es zu spät sein. Wer mag, kann noch auf technologische Wunder hoffen, auf die Wissenschaft, die schon irgendwas erfinden wird.

Immerhin: Unsere Ignoranz ist gut dokumentiert in Millionen von Selfies, die unseren Hedonismus, unseren verantwortungslosen Lebensstil der Verschwendung, feiern. Solltet ihr uns eines Tages vor Gericht anklagen wollen wegen Umweltzerstörung, werdet ihr mehr als genug Beweise haben. Ich plädiere hiermit schon mal auf völlige Schuldfähigkeit.

Quelle: https://sz-magazin.sueddeutsche.de/abschiedskolumne/urlaub-war-uns-wichtiger-als-eure-zukunft-sorry-83822

Ignaz Wrobel
5 Jahre zuvor

Für die Rettung maroder und schlecht geführter Banken wurde genug Geld in die Hand genommen, um diese zu stützen. Der weltweiten wird dagegen Klimaveränderung mit sehr viel weniger finanziellem Aufwand begegnet, schließlich geht es nur um die Existenz der nachfolgenden Generationen, die sich auf diese Veränderungen einstellen müssen. Die Verursacher leben dann schon lange nicht mehr, denn die Party ist dann vorbei, aber es war doch alles ganz schön.
Eigentlich entsprach die Übernahme der finanziellen Risiken einer Verstaatlichung dieser Geldinstitute, die man hätte in staatliches Eigentum überführen können.