Umdenken gefordert – im Kampf gegen sexualisierte Gewalt sollen Schüler Ideen einbringen

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KASSEL/MARBURG. Nach Missbrauchsfällen an der Odenwaldschule wollte das Land Hessen Jugendliche vor sexueller Gewalt besser schützen. Ob das gelungen ist, darüber wird nun in Kassel beraten. Forscher und Verbände sehen Fortschritte, stellen aber auch Forderungen.

Über sexuelle Gewalt wird nicht offen gesprochen.                                                 Foto: hrefch / flickr / CC0 1.0

Hessische Forscher plädieren für ein Umdenken bei der Bekämpfung sexualisierter Gewalt unter Jugendlichen. Schüler sollten etwa an der Entwicklung von Präventionsangeboten beteiligt werden. «Das ist nichts, was man nur am Schreibtisch entwickeln kann», sagte Sabine Maschke, Erziehungswissenschaftlerin der Philipps-Universität Marburg. Fachleute diskutieren zur Zeit bei einem Kongress in Kassel über einen besseren Schutz von Jugendlichen vor sexueller Gewalt.

2012 hatte Hessen einen entsprechenden Aktionsplan beschlossen. Er war eine Reaktion auf die Missbrauchsfälle an der Odenwaldschule. Als Teil dieses Plans wurde die «Speak!»-Studie in Auftrag gegeben. Darin belegten Forscher der Universitäten Marburg und Gießen, dass sexualisierte Gewalt in verbaler und körperlicher Form an Schulen verbreitet ist – und gleichaltrige Jugendliche oft die Täter sind.

«Die Lebenswelt Jugendlicher ist durchzogen von sexueller Gewalt», sagte Maschke. Die Professorin hat die Studie gemeinsam mit Ludwig Stecher von der Universität Gießen verfasst. Die Mehrheit der Jugendlichen habe Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt gemacht, meist in verbaler Form. Unter anderem beschrieben die Forscher eine «sexualisierte Beschimpfungskultur» unter den Schülern. Zwei Drittel der Befragten hätten sexualisierte Gewalt mindestens einmal beobachtet.

Diese Erkenntnisse stellen herkömmliche Präventionsangebote infrage: «Mit einem fertigen Programm zu kommen, reicht nicht aus», sagt Maschke. Die Forscher wollen daher mit dem Land im Herbst das Programm «Sepp» an den Start bringen. Das steht für «Sensibilisierende Prävention durch Partizipation». Dabei sollen Jugendliche an mehreren Schulen gemeinsam mit schulischen Akteuren und Studenten Programme erarbeiten, um sexualisierte Gewalt zu erkennen, zu verhindern oder darauf zu reagieren. Die Ergebnisse werde man dann wissenschaftlich auswerten.

Ein guter Weg

Maschke sieht in den Studien und der damit angestoßenen Entwicklung einen Erfolg des Landesaktionsplans. So lägen nun erstmals fundierte Daten zu diesem Problembereich vor, sagt sie. Auch der Kinderschutzbund bescheinigt dem Land Fortschritte beim Schutz vor sexueller Gewalt: «Mit dem Aktionsplan befindet sich Hessen auf einem guten Weg», erklärt Olivia Rebensburg vom Landesverband in Hessen.

In den vergangenen Jahren habe das Innenministerium zum Beispiel Fortbildungsreihen finanziert und mehr Geld für die Beratung für Kinder und Jugendliche bei sexueller Gewalt bereit gestellt. Trotz gestiegener Fördermittel sei die Beratung aber nicht voll finanziert – viele Ortsverbände des Kinderschutzbundes müssten deshalb Spendengeld einsetzen.

«Wichtig für betroffene Kinder und Jugendliche in Hessen ist ein niedrigschwelliger Zugang zu Beratungsangeboten und das sie wissen, wo sie Hilfe bekommen», sagt Rebensburg. Wünschenswert sei zum Beispiel eine landesweite Karte aus der hervorgeht, in welcher Region man sich an welche Beratungsstelle wenden kann.

Wichtig sei auch die Reform von Studien- und Ausbildungsgängen, das Thema Kinderschutz müsse verpflichtend in den Aus- und Weiterbildungsangeboten von Erziehern, Sozialpädagogen, Ärzten und Juristen verankert werden. dpa

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1 Kommentar
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xxx
5 Jahre zuvor

wie viele der 2/3 empfinden Beschimpfungen à la „Schwuchtel“ oder“ Schlampe“ als sexualisierte Gewalt und noch bloß als Beleidigung wie sie es in den allermeisten Fällen auch sein soll? Wahrscheinlich wurde das nicht erhoben, um das festgelegte Ziel der Studie nicht zu gefährden.