„Wir werden verheizt“: Berliner Quereinsteiger in den Schuldienst beklagen gravierende Ausbildungsmängel

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BERLIN. In einem offenen Brief an Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) haben in der GEW organisierte Seiteneinsteiger an Schulen in der Bundeshauptstadt eine bessere Ausbildung für den Lehrerberuf gefordert. Die bisherige berufsbegleitende Qualifizierung reiche nicht aus. „Es entsteht leider der Eindruck, dass das Land Berlin die Quereinsteiger*innen  ‚verheizt‘, um akute Kapazitätsmängel zu kaschieren“, so heißt es in dem Schreiben.

Was kann ein einzelner Lehrer leisten? Foto: Florian Schwalsberger / flickr (CC BY 2.0)
Plötzlich Lehrer: Immer mehr Seiteneinsteiger verschlägt es in den Schuldienst, nicht nur in Berlin. Foto:
Florian Schwalsberger / flickr (CC BY 2.0)

Bundesweit gelangen immer mehr Akademiker ohne pädagogische Qualifikation in den Schuldienst. In Berlin sind schulformübergreifend schon rund 40 Prozent der neueingestellten Lehrkräfte solche Seiten- oder Quereinsteiger – bei der Einstellungsrunde im Februar für die Grundschule betraf das sogar drei von vier Neulinge. Die Qualifikation für den Lehrerberuf erfolgt dann parallel zum Einsatz in der Schule. Kandidaten, die nur ein Fach studiert haben und deshalb „nicht unmittelbar in den berufsbegleitenden Vorbereitungsdienst aufgenommen werden können“ (wie es auf der Homepage der Bildungsverwaltung heißt), können diese Qualifikation durch berufsbegleitende Studien in ausgewählten Fächern erwerben. Für das Lehramt an Grundschulen etwa müssen Studienleistungen für die Fächer Deutsch und Mathematik erbracht worden sein – und, sofern nicht vorhanden, beide Fächer berufsbegleitend studiert werden.

„Wir befinden uns in einem unbefristeten Angestelltenverhältnis  mit dem Land Berlin unter der Auflage, dass wir dieses Studium erfolgreich absolvieren“, so berichten nun die Quereinsteiger. „Zurzeit werden Weiterbildungsstudiengänge in einer Reihe von Fächer für das Lehramt  an Grundschulen und ISS/Gymnasien angeboten. Zur Sicherung der Qualität von Bildung an Berliner Schulen werden wir am StEPS (das Kürzel steht fpür  „Studienzentrum für Erziehung, Pädagogik und Schule“, d. Red.) und an der FU Berlin ausgebildet.“

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So weit, so gut. Aber, so monieren die Betroffenen: „Diese Ausbildungsgänge seien nicht transparent gestaltet. Inhaltlich gingen sie an  den Anforderungen einer hochwertigen Lehrerbildung vorbei. Für die Studierenden der Weiterbildungsstudiengänge sei es bislang nicht ersichtlich,  nach welchen Vorgaben die Inhalte erstellt und wie die Leistungen bewertet werden. Es  existiere bisher keine offizielle Prüfungskommission, an die sich in Streitfragen gewandt  werden kann. Studien- und Prüfungsordnungen existierten auch nicht.  Kurzum: „Es besteht  dringender Handlungsbedarf“, so meinen die Quereinsteiger und betonen in ihrem Schreiben an Scheeres, in allen verschiedenen Phasen des  Quereinstiegs bestünden „diverse Mängel“.  „Wir fordern daher nicht nur einen wertschätzenden Umgang mit uns  Quereinsteiger*innen, sondern eine grundlegende Verbesserung des Quereinstiegs, um  engagierte und gut ausgebildete Lehrkräfte zu gewinnen.“

In dem Brief  konzentrieren sich die Absender auf die Phase der berufsbegleitenden Studien. Konkret verlangen sie dafür:

  • „schnellstmöglich Curricula für alle Studiengänge zu veröffentlichen, und deren  Erarbeiter*innen sowie die wissenschaftlichen Berater*innen der Erarbeitung zu  benennen,
  • eine Studienordnung und Prüfungsordnung zu erlassen, die Rechtssicherheit und  Vertrauensschutz für die Studierenden ermöglicht,
  • verlässliche und transparente Regularien für besondere Fälle wie Krankheit,  Schwangerschaft, Elternzeit etc. zu erstellen,
  • eine Prüfungskommission zu benennen und unabhängige Zweitkorrekturen von  wichtigen Arbeiten zu ermöglichen,
  •  zwei Wiederholungsprüfungen zu ermöglichen, wie das deutschlandweit an  Universitäten gängige Praxis ist,
  •  die Bildung einer Studierendenvertretung zu ermöglichen,
  • die nicht genutzten Räume des StEPS für die Studierenden zu öffnen und den  Zugang zum Internet über ein gesichertes WLAN bereitzustellen,
  • die berufsbegleitenden Studien unabhängig und wissenschaftlich evaluieren zu  lassen und die Ergebnisse regelmäßig zu veröffentlichen.“

„Als Quereinsteiger*innen leisten wir tagtäglich unverzichtbare Arbeit an den Berliner Schulen. Nur mit unserem Einsatz kann an vielen Berliner Schulen der Unterricht  überhaupt abgedeckt werden“, so heißt es in dem Brief. „Wir sind daran interessiert, in unserer Ausbildung als Quereinsteiger*innen adäquat auf  die Berufspraxis vorbereitet zu werden.“  Der Bildungsverwaltung werfen die Initiatoren vor, Verbesserungen dabei „offenbar nur halbherzig“ zu verfolgen. bibo / Agentur für Bildungsjournalismus

Lehrermangel: Meidinger warnt vor Niveauverlust – und kritisiert Qualifizierung von Seiteneinsteigern “mit Alibicharakter”

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emil
5 Jahre zuvor

Ganz ehrlich, wer meint, mal eben einen Beruf aus dem Handgelenk schütteln zu können, für den andere mit Studium und Referendariat insgesamt ca. 7 Jahre Ausbildung incl. zweier Staatsexamen ablegen, der braucht sich nicht zu wundern, dass das nicht funktioniert. Ich empfehle eher mal eine realistische Selbsteinschätzung! Die meisten Schulen haben durch all die nicht ausgebildeten Personen nur Mehrarbeit und Ärger. Nicht umsonst werden im Vergleich zu den Unmengen offenen Stellen nur wenige für Quereinsteiger geöffnet.

Ein Gutes hat das Theater allerdings: Offenbar begreift die Gesellschaft so langsam, dass „Lehrer“ anscheinend doch nicht einfach mal so jeder kann.

Im übrigen lösen Quer- und Seiteneinsteiger das Problem des Lehrermangels nicht, sie vertuschen es allenfalls. Die nächste Generation schlecht ausgebildeter Schüler muss die Folgen tragen.

Küstenfuchs
5 Jahre zuvor
Antwortet  emil

Insbesondere benötigen Seiteneinsteiger einen Mentor im Kollegium, der dafür auch freigestellt werden muss (mind. 2 Stunden/Woche). Kein noch so talentierter Mensch kann schon richtig gut ohne Korrekturen im Lehrerverhalten unterrichten, Stunden richtig aufbauen, kennt schon alle Vorschriften oder Eigenheiten einer Schule und jeder braucht dringend Tipps bei Alltagsproblemen, die man erst durch Berufserfahrung richtig löst.

unverzagte
5 Jahre zuvor

Ebenfalls nicht unehrlich bzw. im großen und ganzen stimme ich meinem Vorschreiber zu, möchte seinem Kommentar nur besserwisserisch hinzufügen, dass es duchaus ebenso talentierte Quereinsteiger gibt wie es weniger talentierte „echte“ Lehrende gibt…da versagen gelegentlich sogar sieben Jahre Bildung, die sich inzwischen ja eh kaum mehr jemand „leisten“ kann.

emil
5 Jahre zuvor
Antwortet  unverzagte

Stimmt 😉

Cavalieri
5 Jahre zuvor

Man sollte nicht vergessen, dass schon 2012 (als man einen Schülermangel prognostizierte) geklagt wurde, die Referendare wären überlastet, weil sie schon im Referendariat praktisch im Umfang einer halben Stelle unterrichten müssen:
http://www.spiegel.de/lebenundlernen/job/verkuerztes-referendariat-angehende-lehrer-leiden-unter-stress-a-826861.html
Da steht zum Beispiel: „Therapeut Uwe Rohlje hat Patienten, die nach nicht so gelungenen Unterrichtsbesuchen niedergemacht werden. Manch ein Referendar berichtet, er habe sich Sätze wie diesen anhören müssen: „Für die Schüler wäre es besser gewesen, Sie hätten die Stunde nie gehalten.“ Und das, obwohl die Referendare in ihrem Lehrerseminar angehalten würden, noch in der schlechtesten Schülerleistung Positives zu finden.“
Und die Linkspartei hat entdeckt, dass man das Referendariat auf 12 Monate kürzen könnte, um damit dem Lehrermangel (!) zu begegnen:
https://www.deutschlandfunk.de/lehrermangel-in-mecklenburg-vorpommern-mehr-bewerber-durch.680.de.html?dram:article_id=425168
Wie passt das denn nun zu den Klagen über die Quereinsteiger?

Mariesche
5 Jahre zuvor

Die Quereinsteiger beklagen sich ja nicht darüber, dass die Tätigkeit doch nicht so einfach ist, sondern fordern eine gute Ausbildung! Das ist doch lobenswert und geht uns in Sachsen auch so. Das Studium gibt es eben noch nicht lange und gerade an curricula und Elternzeitregelungen muss nachgeschaut werden. Wird es auch, aber es dauert…

sofawolf
5 Jahre zuvor

Die Seiteneinsteiger sind neben einer Kürzung der Stundentafel die einzige Rettung für uns Lehrer vor weiteren Belastungen, wie sie auf freiwilliger Basis bereits vorgeschlagen werden (erhöhtes Stundensoll usw.).

Eine Seiteneinsteiger-Ausbildung hat nur Sinn als verkürzte Ausbildung, sonst könnte man ja auch einfach auf die warten, die den regulären Weg der Lehramtsausbildung gehen.

Die Forderungen der Seiteneinsteiger (s. oben) finde ich nachvollziehbar und unterstütze sie.

Küstenfuchs
5 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Eine Erhöhung des Stundensolls steht mit oder ohne Seitensteiger gar nicht zur Debatte und sie wäre vor Gericht ganz einfach zu kippen, wie die Klage des Philologenverbands in Niedersachsen gezeigt hat. Juristisch ist es nämlich so, dass Beamte in jedem Bundesland eine bestimmte, gesetzlich vorgegebene Arbeitszeit haben. Das sind entweder 40 oder 41 Stunden in der Woche bzw. 1760/1804 Stunden im Jahr.

Entweder müsste ein Landtag bzw. eine Landesregierung also
– entweder die Arbeitszeit für alle Beamte (also auch Polizei/Justiz/Verwaltung) nach oben setzen
-oder justiziabel nachweisen, dass das Deputat von z.B. 26 U-Stunden/Woche bisher nicht den 40/41 Stunden entsprochen hat und (im Schnitt aller Lehrer) darunter lag.

Beides ist z.B. in Niedersachsen nicht passiert, die Landesregierung hat ohne Begründung* die Arbeitszeit der Gymnasiallehrer um eine Stunde erhöht und hat damit vor Gericht Schiffbruch erlitten. (*Die Begründung war, dass man damit Geld für andere Projekte sparen wollte und darüber hat das Gericht müde gelächelt).

sofawolf
5 Jahre zuvor
Antwortet  Küstenfuchs

Und wieso konnte dann in der Vergangenheit wiederholt das Stundensoll für Lehrer erhöht werden? Eine 40-Stunden-Woche haben wir doch schon ewig?

Und warum ist das Stundensoll in verschiedenen Bundesländern verschieden? Gilt nicht überall die 40/41-Stunden-Woche?

Und wieso konnte das Stundensoll in Sachsen jüngst um 1 Stunde gesenkt werden? Wurde da auch die 40-Stunden-Woche gesenkt?

Küstenfuchs
5 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Das Problem ist, dass man nach einer Stundenerhöhung nur ein Jahr Zeit hat zu klagen (Normkontrollklage), danach gilt die Erhöhung als akzeptiert. In der Zeit muss also ein Verband nach Möglichkeit ein Rechtsgutachten einholen, Klagewillige fionden usw. Die Verbände haben sich vor Niedersachsen einfach keine Chancen ausgerechnet für eine recht teure Klage.

In Schleswig-Holstein hat die Landesregierung ohne ausreichende Begründung die Fahrzeitpauschalen für Studienleiter, die Referendare ausbilden, halbiert. Dioe Normkontrollklage hatte in diesem Punkt Erfolg, in anderen Punkten, die die Vorbereitungszeit für Fortbildungen anging, nicht.

Wenn Sachsen zu dem Schluss kommt, dass die Lehrer dort zu viel arbeiten (z.B., weil sich die Arbeitszeit durch neue Aufgaben erhöht hat), dann können sie natürlich die Unterrichtsverpflichtung senken.
Auch hier sind schon Versuche vor Gericht leider gescheitert, mit einer Arbeitszeiterhöhung durch Inklusion eine Stundenreduktion zu erstreiten, weil die Nachweispflicht dann antürlich auf Seiten der Kläger lag und das nun mal nicht ganz einfach ist.

Mississippi
5 Jahre zuvor

Dass mit Referendaren so umgegangen wird wie oben beschrieben ist ja nichts Neues. Und dann noch von Leuten, die es selber oft in der Schule nicht lange ausgehalten und sich ins Schulamt oder die LuL-Ausbildung geflüchtet haben. In ihrem theoretischen Hirn glauben sie Vieles besser zu wissen. Anstatt den jungen Leuten zu helfen, werden diese fertig gemacht, oft in einer Art und Weise, die man Pädagogen nicht zutraut. (Kann man alles auf entsprechenden Seiten im Netz nachlesen). Nicht umsonst empfinden auch viele fertige LuL das Referendariat im Nachhinein als die schlimmste Zeit ihres Lebens. Muss denn das sein? Das schreckt doch viele ab und so manch einer bleibt auf der Strecke oder hat keine Lust mehr, noch 40 Jahre in diesem Beruf zu bleiben.
Der Staat sollte sich freuen, so gut ausgebildete (zumindest vom theoretischen Hintergrund her) LuL zu bekommen und diese sollten im Ref. besser begleitet und nicht fertig gemacht werden.
Die Forderungen der Quereinsteiger kann ich sehr gut nachvollziehen. Auch sie sollten so gut wie möglich unterstützt werden.
Ach ja, bei uns wurde jetzt mal eben der Klassenteiler um 2 SuS erhöht. Das beinhaltet auch versteckte Mehrarbeit für LuL.