„Schule am Limit“: Lehrer demonstrieren aufgrund katastrophaler Arbeitsbedingungen – vorangegangen war ein Brandbrief…

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SAARBRÜCKEN. Zu große Klassen, zu wenige Kollegen, fehlende Unterstützung und kaum Zeit – vielen Lehrern in Deutschland reicht es. Im Saarland gehen Pädagogen jetzt auf die Straße und fordern rasche Verbesserungen ihrer Arbeitsbedingungen. Dass der erste Protestzug in Deutschland dieser Art ausgerechnet in der vermeintlichen Provinz – und nicht etwa in einem sozialen Brennpunkt im Ruhrgebiet oder in Berlin – stattfindet, ist kein Zufall: Im vergangenen Dezember hatte ein Brandbrief des Kollegiums einer Gemeinschaftsschule an die damalige saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) bundeweit für Schlagzeilen gesorgt.

Dutzende von Brandbriefen überlasteter Kollegien kursieren bundesweit. Foto: Annie Roi / flickr (CC BY 2.0)
Lehrkräfte schlagen Alarm: Viele sehen sich kaum mehr in der Lage, ihren Bildungsauftrag zu erfüllen. Foto: Annie Roi / flickr (CC BY 2.0)

Aus Protest über Missstände an saarländischen Schulen gehen am Dienstag, 18. September, zahlreiche Lehrer auf die Straße. Unter dem Motto «Schule am Limit» hat der Saarländische Lehrerinnen- und Lehrerverband (SLLV) zu einer «Protestaktion» ab 16.30 Uhr vor der Staatskanzlei in Saarbrücken aufgerufen. Er fordert mehr Lehrerstellen, kleinere Klassen und «multiprofessionelle Teams» auch mit Sozialarbeitern für alle Schulen. Mindestens 400 Lehrer werden nach Angaben des Verbandes zu der Kundgebung erwartet.

«Die Lehrer sind an die Belastungsgrenze gekommen», sagte die stellvertretende Landesvorsitzende des Lehrerverbandes, Michaela Günther. Es habe in der Vergangenheit bereits Hilferufe von Gemeinschaftsschulen gegeben. «Auch jetzt erreichen uns wöchentlich Schreiben, Mails und Anrufen, in denen Kollegen Missstände und hohe Belastungen beschreiben», sagte sie. Die Politik dürfe nicht weiter «den Kopf in den Sand stecken»: «Es wird immer bedauert, aber nichts dagegen getan.»

Bildungsauftrag erfüllen? „Objektiv unmöglich“

Das Kollegium einer Gemeinschaftsschule in einem Saarbrücker Brennpunkt hatte im vergangenen Jahr „Bankrott“ angemeldet (News4teachers berichtete). In einem Brandbrief an Saarlands Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), den alle Lehrer der Schule unterschrieben haben, war in Bezug auf den Bildungsauftrag als etwas „objektiv Unmöglichem“ die Rede. Angesichts zunehmender Gewalt, Beleidigungen, Drogen- und Alkoholkonsum sowie unzureichender Unterstützung durch das Land könne von geregeltem Unterricht kaum mehr die Rede sein. Das Schreiben der Schule, deren Schülerschaft angeblich zu 86 Prozent aus nicht-deutschen Kindern und Jugendlichen besteht, sorgte bundesweit für einen gehörigen Medienwirbel.

„Wir stellen seit einigen Monaten eine Zunahme von Respektlosigkeit, Aggressivität und Ignoranz gegenüber dem Lehrpersonal fest“, so heißt es in dem Brief. „Einige Kollegen wurden und werden zum Beispiel als ‚Cracknutte‘, ‚Hurensohn‘, ‚Wichser‘ und ‚Bock‘ beschimpft und die Größe der Geschlechtsteile wird in die Beschimpfungen miteinbezogen. Dabei werden auch Beschimpfungen in fremder Sprache gegen uns gerichtet. Viele Kolleginnen haben Angst, bestimmte Schüler zu unterrichten. Die Brutalität der Schüler habe ein solches Ausmaß angenommen, dass sich Angst im Kollegium breitmache. „Mittlerweile müssen wir bei unseren pädagogischen Maßnahmen immer unseren Eigenschutz im Auge behalten, da wir im Umfeld dieser hoch gewaltbereiten Jugendlichen auch privat leben.“ Die Liste der Gewalttaten sei lang.

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Der SLLV ist nach eigenen Angaben der größte Lehrerverband im Saarland und vertritt die Gemeinschaftsschulen, Förderschulen und Grundschulen im Land. «Wir brauchen dringend mehr Lehrerkräfte», sagte Günther. Die Klassen müssten angesichts des gemeinsamen Unterrichts von behinderten und nicht-behinderten Kindern sowie der zunehmenden Heterogenität der Schüler kleiner werden. Zudem müssten die Lehrer mehr Beratungszeit bekommen, um sich im Team mit Sozialarbeitern und Psychologen austauschen zu können.

Nach Schätzung des Landesverbandes der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fehlen landeweit insgesamt 400 Planstellen für Lehrer sowie für Schulsozialarbeiter, Schulpsychologen und Schulassistenten zur Unterstützung der Pädagogen. Die Inklusion sei ebenso eine Herausforderung wie die zunehmende Zahl von Kindern, die die deutsche Sprache nicht gut beherrschten. Die GEW schließe sich der Protestaktion des SLLV an: «Die Forderungen, die erhoben werden, decken sich im Prinzip mit unseren Forderungen», sagte Geschäftsführer Willi Schirra.

Die GEW habe in einer ähnlichen Aktion im Juni bereits ihre Forderungen an die Landesregierung übermittelt. «Seitdem ist eigentlich nichts passiert», sagte Schirra. Neben mehr Lehrern brauche es dringend mehr «multiprofessionelle Teams» zur Bewältigung des Unterrichts. Nach Ansicht von Schirra fehlt es am Geld: «Letztendlich liegt es daran, dass im Moment im Landeshaushalt die entsprechenden Mittel nicht bereitgestellt werden.» Von der GEW würden ebenfalls mehrere hundert Lehrer zur Demo kommen.

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, zeigte sich nach dem Brandbrief von Saarbrücken überzeugt, dass dies kein Einzelfall sei – dass also „an vielen anderen Schulen“ in Deutschland Lehrkräfte ähnlichen massiven psychischen und physischen Bedrohungen ausgesetzt seien (News4teachers berichtete). Er betonte seinerzeit: „Wir erleben hier auch die Auswirkungen einer verfehlten Inklusionspolitik, die den Schulen ohne Bereitstellung ausreichender Ressourcen aufgedrückt wurde: Förderschulen wurden geschlossen und Lehrkräfte an Regelschulen unvorbereitet mit dieser immensen Herausforderung der Integration von Kindern mit oft schwerwiegenden emotional-sozialen Störungen allein gelassen.“ Auch habe die Politik tatenlos zugesehen, wie sich problematische und besonders förderungsbedürftige Schülergruppen sowie Kinder mit Migrationshintergrund immer stärker an sozialen Brennpunktschulen konzentriert hätten, so Meidinger. News4teachers / mit Material der dpa

Das Thema wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers bereits diskutiert.

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sofawolf
5 Jahre zuvor

Ich dachte erst, es geht um den ZDF-Fernsehbeitrag morgen und hab’s gar nicht gelesen.

Ich drücke die Daumen, dass die Demo ein Erfolg wird. Es ist ein guter Anfang. Wir bräuchten das überall! IN jeder Stadt.

Palim
5 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Vielleicht sollten wir einen Tag und eine Uhrzeit vereinbaren – gültig für jede Stadt.

Alreech
5 Jahre zuvor

Sorry, aber solche Aufmärsche rechter Wutbürger sind nichts anderes als Wasser auf die fremdenfeindlichen Mühlen der AfD, da sie Zweifel daran schüren ob die Integration der Geflüchteten gelingt.

xxx
5 Jahre zuvor
Antwortet  Alreech

was haben denn jetzt die Flüchtlinge damit zu tun? mir ist keine Schule bekannt, die zu 5/6 aus Flüchtlingskindern besteht.

Ich bin kein Kind von Traurigkeit, wenn es um den nordafrikanisch-arabischen Raum geht, nur Ihr Kommentar geht sogar mir zu viel weit. Das ist Hetze nicht nur gegen Flüchtlinge, sondern noch viel mehr gegen Einheimische, und die Hauptursache, weshalb es die derzeitige Linksflucht gibt. Sie sollten sich schämen und ihr Zeilenhonorar spenden.

Bernd
5 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Aberwitzig, wie frei sich ein Lehrer hier öffentlich zum Rassismus bekennen darf – „wenn es um den nordafrikanisch-arabischen Raum“ geht.

Wie sieht’s denn mit dem „israelisch-jüdischen Raum“ aus – gehört der für Sie auch zum offenbar missliebigen „nordafrikanisch-arabischen Raum“ oder haben Sie Sonderregelungen parat, wie mit Juden umzugehen ist? Differenzieren Sie Deutsche eigentlich auch nach regionaler Wertigkeit – Rheinländer unter Bayern vielleicht? Oder ist Deutschstämmigkeit bei Ihnen immer toll?

sofawolf
5 Jahre zuvor

@ Alreech

Zitat (Artikel): „… hat der Saarländische Lehrerinnen- und Lehrerverband (SLLV) zu einer «Protestaktion» ab 16.30 Uhr vor der Staatskanzlei in Saarbrücken aufgerufen. … Von der GEW würden ebenfalls mehrere hundert Lehrer zur Demo kommen.“

Zitat (Alreech): „solche Aufmärsche rechter Wutbürger“

Das schreibt man wohl, wenn einem sonst nichts mehr einfällt, oder?