Schulen vor Digitalisierung – wenn die Länder den Digitalpakt nicht noch platzen lassen

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BERLIN. Das Ende der Zeit mit Kreide und Tafeln an den Schulen in Deutschland soll nun endlich flächendeckend kommen – mit Geld aus Berlin. Eine politische Einigung über eine Grundgesetzänderung macht es möglich. Doch noch ist das letzte Wort nicht gesprochen – das haben die Länder. Gehen sie mit? Vor allem Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte sich gegen eine Aufweichung des bestehenden Kooperationsverbots ausgesprochen. Tatsächlich hat er aktuell angekündigt, gegen die Grundgesetzänderung stimmen zu wollen. Allein kann er die jedoch nicht verhindern.

Will sich in die Bildung nicht hineinreden lassen: Ministerpräsident Kretschmann. Foto: Baden-Württemberg.de

Es klingt nach einem großen Plan: Deutschlands Schüler sollen auch an den vielen heute noch eher analogen Schulen Tablets bekommen, mit WLAN versorgt und mit Whiteboards unterrichtet werden – und zwar von dafür geschulten Lehrern und mit passenden Lerninhalten. Doch noch ist die Sache nicht ganz sicher.

Auf was haben sich Koalition und FDP/Grüne nun geeinigt?

Auf eine Grundgesetzänderung. Das entscheidende Wort heißt dabei «Qualität». Bisher durfte der Bund für die in Länderhoheit befindlichen Schulen eigentlich gar nicht mitbezahlen. Nun soll er für die Digitalisierung über Jahre mit investieren dürfen. Zunächst war aber nur geplant, dass der Bund Geld für die digitalen Anschlüsse, die Kabel, die Technik geben darf. FDP und Grüne haben erreicht, dass er nun auch für die Sicherstellung der Qualität der Schulen bezahlen dürfen soll. Nun sollen mit Hilfe des Bundes also auch Lehrer fit für den Unterricht mit digitalen Mitteln gemacht werden und zum Beispiel Systemadministratoren eingestellt werden können. Das Geld soll an die Länder gehen. Die sollen es über die Kommunen an die Schulen verteilen.

Warum hat die Einigung so lange gedauert?

Seit Wochen schon verhandeln FDP/Grüne einerseits und SPD/Union andererseits darüber. Die Koalition braucht Stimmen der Opposition, weil sonst keine verfassungsändernde Mehrheit zustande kommt. Vor allem die Union sträubte sich dagegen, dass der Bund auch «in die Köpfe» (FDP/Grüne) an den Schulen Geld stecken darf. Hintergrund ist der lange Streit ums Kooperationsverbot, also das Verbot, dass der Bund direkt dauerhaft in Bildung investiert. Denn die Union will mehrheitlich kein Aus für das Kooperationsverbot. Sie will, dass Bildung in erster Linie Ländersache bleibt. Den Verhandlungserfolg von FDP und Grünen schreibt sich nun auch die SPD auf die Fahnen. «Das sogenannte Kooperationsverbot ist aufgebohrt worden», jubelt SPD-Chefin Andrea Nahles.

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Wann kommt nun konkret etwas Neues auf die Schüler zu?

Noch nicht so schnell. Wenn es noch vor Weihnachten in Bundestag und Bundesrat eine Zwei-Drittel-Mehrheit für die Grundgesetzänderung gibt sowie Bund und Länder wie geplant am 6. Dezember eine Vereinbarung zur Schul-Digitalisierung unterzeichnen, dann soll das Projekt 2019 mit 720 Millionen Euro vom Bund starten. Doch das gesamte Vorhaben mit insgesamt 5 Milliarden Euro vom Bund und einer Mitfinanzierung durch die Länder ist auf Jahre angelegt. Unter anderem sollen bis zu 25 000 Euro pro Schule oder ein Teil eines bestimmten Gesamtbudgets für schuleigene Laptops und Tablets fließen können. Bis die Technik an den Schulen installiert ist, passende, wenn auch teils schon bestehende Lerninhalte vor Ort umgesetzt werden können, Lehrer fortgebildet sind, dauert es.

Wie könnte digitaler Unterricht zum Beispiel aussehen?

Das hat wenig mit der sonst üblichen Smartphone-Nutzung von Jugendlichen zu tun. So lässt sich zum Beispiel eine schriftliche Beschreibung der Flügelbewegung eines Vogels schlechter verstehen als eine Animation eines Vogels. Forscher empfehlen, digitale Medien zusätzlich einzusetzen und nicht Bücher und anderes durch sie zu ersetzen. Wer schon einmal ein Klassenzimmer mit Whiteboard gesehen hat, weiß, wie das Ende der Kreide- und Tafel-Zeit aussehen kann: Schrift von Lehrern und Schülern auf dem Board, aber auch schnelles Hinzuziehen von Online-Inhalten für alle sofort sichtbar.

Kann das Ganze noch scheitern?

Ja. Denn die Einigung von FDP und Grünen mit der Koalition gibt dem Bund mehr Spielraum bei der Mitfinanzierung der Schulen, als es manche Länder wollen. Sprich: Jetzt sind vor allem Baden-Württemberg und etwa auch Bayern unter Druck. Hier wehrte man sich besonders heftig gegen ein zu starkes Aufweichen des Kooperationsverbots. Allerdings dürfte keiner für ein Scheitern der Digitalisierung von Deutschlands Schulen verantwortlich gemacht werden wollen. Diese Probleme haben die Länder nun vor der eigentlich für den 14. Dezember geplanten Abstimmung im Bundesrat, aber auch schon bei der für den 6. Dezember geplanten Unterzeichnung der Bund-Länder-Vereinbarung über den konkreteren Fahrplan der Schul-Digitalisierung. Im Entwurf für diese Vereinbarung steht noch nichts darüber, dass der Bund auch in Weiterbildung und Personal investieren soll. Von Basil Wegener, dpa

Aktuell: Kretschmann dagegen

STUTTGART. Baden-Württemberg will der geplanten Grundgesetzänderung zur Bildungsfinanzierung im Bundesrat nicht zustimmen und sucht dafür Verbündete. «Wir werden diese Pläne im Bundesrat ablehnen und mit diesem Ansinnen auch auf andere Länder zugehen», erklärte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Freitag in Stuttgart. Es werde in den Kernbereich der Länder, nämlich in den Kultusbereich, eingegriffen. «Den Bildungsbereich besser auszustatten, ist absolut notwendig. Aber der Weg ist falsch.» Gesetze, die die Verfassung ändern, muss der Bundesrat mit einer Zweidrittelmehrheit absegnen – Kretschmann alleine wird den Digialpakt also nicht aufhalten können.

 

Der Digitalpakt kommt – doch die Technik allein wird wenig bringen. Jetzt benötigen Lehrer auch die Freiheit, sie sinnvoll einzusetzen

 

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16 Kommentare
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Cr
5 Jahre zuvor

Soso, das Ende der Kreidezeit soll kommen.
Was mich an der ganzen Diskussion stört ist, dass so getan wird, dass das Neuartige das Altbewährte ersetzt- und schon wird alles besser.
Der Unterricht sollte vielmehr sinnvoll ergänzt werden durch Digitales. Oft verkommt die D. nur zum Selbstzweck.
Sagt ein Informatiklehrer 🙂

xxx
5 Jahre zuvor
Antwortet  Cr

Sie sprechen mir aus der Seele. Ihnen als Informatiklehrer dürfte es auch weh tun, wenn (Bildungs-) Politiker elementare Textverarbeitung und Präsentationen allen Ernstes als Informatikunterricht verkaufen. Zu meiner Referendariatszeit waren „moderne Unterrichtsmethoden“ um der Methode Willen in Mode, heute sind es digitale Endgeräte. Das Niveau der Schüler ist keinesfalls besser, die Ansprüche sind aber durch Lehrplanänderungen geringer geworden.

Cr
5 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Absolut!

Cavalieri
5 Jahre zuvor
Antwortet  Cr

Mir scheint das ganze sowieso eher ein Konjunkturprogramm zugunsten der Computer-Hersteller zu sein als eine pädagogische Neuerung. Fünf Milliarden Umsatz!

Ignaz Wrobel
5 Jahre zuvor
Antwortet  Cavalieri

Natürlich war von Ihnen keine andere Antwort zu erwarten.

Jetzt wird die kulturelle Eigenständigkeit der Länder einen Teil weit aufgegeben zugunsten einer größeren Einflussnahme des Bundes.

Cavalieri
5 Jahre zuvor
Antwortet  Cavalieri

„Jetzt wird die kulturelle Eigenständigkeit der Länder einen Teil weit aufgegeben zugunsten einer größeren Einflussnahme des Bundes.“
Aber alle demokratischen Parteien sind doch dafür. Nur die AfD ist dagegen. Was ist denn nun richtig? Weiß der Bund grundsätzlich besser, was richtig ist? Woher weiß er das eigentlich? Was würden Sie sagen, wenn der Bund eine Rückkehr zum dreigliedrigen Schulsystem beschließen würde? Wäre das dann besser als ein dreigliedriges Schulsystem in nur ein paar Bundesländern? Oder analog das nichtgegliederte Schulsystem? Und nach der nächsten Wahl ist es dann jeweils umgekehrt?

Ignaz Wrobel
5 Jahre zuvor
Antwortet  Cavalieri

Der Bund ermöglicht einheitliche Lehrmittelstandards , kann jetzt Einfluss auf die Bildungsinhalte nehmen, damit man bei einem Wohnortwechsel nicht auf unterschiedliche Schulstrukturen stößt, was zu lasten der Schüler geht.
Gleiche Lernbedingungen in unterschiedlichen Regionen sind eher erreichbar als jetzt. Es fehlen aber weiterhin valide , begleitende Studien um effektive Methoden zu etablieren und gegenüber ideologisch begründeten durchzusetzen.

xxx
5 Jahre zuvor
Antwortet  Ignaz Wrobel

Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass Inklusion, Kompetenzorientierung, Trend zur Einheitsschule, Abkehr vom Leistungsprinzip usw. abgeschafft werden? Das sind bzw. waren alles ideologische Entscheidungen, die nichts verbessert haben oder sich zumindest als weniger sinnvoll als zuvor propagiert herausstell(t)en.

Cavalieri
5 Jahre zuvor
Antwortet  Cavalieri

Die KMK hat (in manchen Fächern) längst bundeseinheitlich verbindliche Bildungsstandards beschlossen, die dann vom IQB getestet werden. Die Grundschulstandards sind von 2004. Was sollen denn „Lehrmittelstandards“ sein? Träumen Sie vielleicht davon? Die Schulbücher der Oberstufe werden von niemand mehr genehmigt außer von den Schulbuchverlagen selbst. Andere Schulbücher existieren in diversen Versionen, je eine für jedes Bundesland. Von bundeseinheitlichen Schulbüchern habe ich noch nichts gehört.
Und durch welches Gesetz kann der Bund bitte Einfluss auf die Bildungsinhalte nehmen? Nur wegen der Computer, die er bezahlt? Hat Frau Karliczek das gesagt? Bitte näher an der Realität bleiben.

Aufmerksamer Beobachter
5 Jahre zuvor
Antwortet  Cavalieri

Der nds. Kultusminister Tonne über den Glaubens-Fetisch der angeblichen „Vergleichbarkeit“ von Bildungsqualität:

Zitat: „Wir neigen dazu, Bildungsqualität in Überschriften zu diskutieren, Vergleichbarkeit ist so eine. Vergleichbarkeit wird als Fetisch angesehen. Wenn ich Unterschiede weghaben will, dann muss ich Schulen stromlinienförmig ausrichten. Aber das will ich nicht. Ich möchte lieber, dass sie sich eigene Schwerpunkte suchen können, man muss ihnen den Freiraum geben, sich auf Veränderungen einstellen zu können. In dem Moment, in dem wir mehr Vergleichbarkeit fordern, dann nehmen wir Schulen ihre Freiheit.“
http://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Niedersachsens-Kultusminister-Grant-Hendrik-Tonne-haelt-nicht-viel-von-Vergleichbarkeit-bei-Schulen?fbclid=IwAR1Srs18G_YDFtYjtw1I63RfybEm9l3t3Tf9__6MDgvfqnoj4OFqCWs4DB4

Aufmerksamer Beobachter
5 Jahre zuvor
Antwortet  Cavalieri

P.S. „Digitalisierung“ ist genau so ein Überschriften-Fetisch. „Inklusion“ ebenfalls.
Politiker schmücken sich damit. Der Inhalt ist ihnen entweder egal oder sie verstehen ihn nicht. Schüler und Lehrer dürfen das daraus resultierende, sinnvolles Lernen verhindernde Chaos dann ausbaden. Und die Bildungsindustrie verdient jedes Jahr ihr Geld mit der jeweils gerade aktuellen „Überschrift“.

Aufmerksamer Beobachter
5 Jahre zuvor
Antwortet  Cavalieri

…und den Dauer-Fetisch „(Bildungs-)Gerechtigkeit“ erledigt Dieter Nuhr hier: https://www.ardmediathek.de/tv/NUHR-im-Ersten-Der-Satiregipfel/Nuhr-gerecht/Das-Erste/Video?bcastId=1858312&documentId=57746128

Palim
5 Jahre zuvor
Antwortet  Cavalieri

Sehe ich ähnlich
… und weise noch einmal darauf hin, dass über das Konjunkturpaket I und II auch PCs in die Schulen gekommen sind, die allerdings inzwischen erneuert werden müssen.

Pälzer
5 Jahre zuvor

„Ende der Zeit mit Kreide und Tafeln an den Schulen in Deutschland soll nun endlich flächendeckend kommen“ … ich möchte wahrlich wissen, warum sich 4teachers-Redakteure das wünschen!! Ja, digitale Hilfsmittel sind nützlich, aber die Kreidetafel gibt es aus einem einfachen Grund auch nach 1000 Jahren noch: weil sie ein ideales, umweltfreundliches, betriebssicheres, kostengünstiges, pädagogisch sinnvolles Medium ist.

Pälzer
5 Jahre zuvor
Antwortet  Pälzer

ok, es sind nur 400 Jahre nachgewiesen laut https://de.wikipedia.org/wiki/Schreibtafel

Ignaz Wrobel
5 Jahre zuvor
Antwortet  Pälzer

Der Beginn der Reformation um 1517 war der Beginn der Entwicklung eines deutsch sprachigen Schriftsprachsystems, denn vorher wurde alles in Latein verschriftlicht, man lernte an Lateinschulen das Schreiben, eventuell noch Altgriechisch und noch seltener Hebräisch. Die Zeitgenossen um Luther, wie Karlstatt, Melanchthon, Ickelsammer trugen durch ihre zahlreichen Übersetzungen und Veröffentlichungen zur Entstehung dieser Schriftsprache bei. Die Tafel ist in meinen Augen nach wie vor ein wichtiges Instrument im Schriftspracherwerb, weil es die Feinmotorik der Finger schult und sich Inhalte beim Schreiben besser einprägen.