Zahl der Schulabbrecher steigt auf breiter Front – was sind die Ursachen? Verbände: Lehrermangel macht sich bemerkbar

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BERLIN. Nach dem Paukenschlag folgt die Analyse: Um satte 40 Prozent ist der Anteil der Bildungsverlierer in Berlin gestiegen – praktisch jeder zehnte Jugendliche schafft dort mittlerweile den Abschluss am Ende der zehnten Klasse nicht (News4teachers berichtete). Mit dieser traurigen Bilanz steht die Bundeshauptstadt allerdings nicht allein da: Mecklenburg-Vorpommern musste vor einigen Tagen ebenfalls einen Anstieg der Zahl der Schulabgänger ohne regulären Abschluss auf 9,2 Prozent melden. Zuvor hatte Sachsen-Anhalt einen „Rückschlag“ einräumen müssen. Dort war der Anteil der Gescheiterten sogar auf 11,4 Prozent geklettert. Sind es vor allem junge Flüchtlinge mit schlechten Deutschkenntnissen, die den Bildungsministern aktuell die Statistiken verhageln? Der genaue Blick auf die Ergebnisse zeigt: Nicht nur.

Wer ohne Abschluss bleibt, hat praktisch keine Chance auf eine Ausbildung. Foto: Shutterstock
Wer ohne Abschluss bleibt, hat praktisch keine Chance auf eine Ausbildung. Foto: Shutterstock

Das Bildungsministerium in Schwerin rückte den Fokus auf die recht moderate Steigerung von 0,5 Prozentpunkten – 9,2 Prozent der Schüler (gegenüber 8,7 Prozent im Jahr zuvor) verfehlten das Bildungsziel „Berufsreife“ am Ende der zehnten Klasse. Der leichte Anstieg sei überwiegend auf Flüchtlinge zurückzuführen, hieß es. Ihr Anteil an der Schülerschaft sei von 0,7 auf 1,1 Prozent gestiegen. Tatsächlich ist weniger der aktuelle Anstieg in Mecklenburg-Vorpommern besorgniserregend als vielmehr ein längerfristiger Trend, der in einigen Bundesländern (aber nicht allen) zu beobachten ist: Die Zahl der Schulabbrecher steigt wieder – nachdem die Quoten zuvor auf breiter Front hatten gesenkt werden können.

Mehr als 49.000 Schulabgänger in Deutschland, was sechs Prozent der gleichaltrigen Bevölkerung entspricht, haben laut aktuellem Bundesbildungsbericht die zehnte Klasse beendet, ohne mindestens den Hauptschulabschluss erreicht zu haben. Der im November veröffentlichte Bericht bezieht sich auf Daten aus 2016. In den Jahren davor war die bundesweite Abbrecherquote stetig gefallen: 2009 waren es 6,6 Prozent, 2013 nur noch 5,2 Prozent. Mit den aktuellen Horror-Zahlen aus einzelnen Bundesländern rückt das von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Ministerpräsidenten ausgerufene Ziel in weite Ferne: Die hatten sich 2008 bei ihrem Bildungsgipfel in Dresden darauf eingeschworen, die Zahl der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss in ganz Deutschland auf vier Prozent halbieren zu wollen.

Was sind die Ursachen?

Verantwortung für den Anstieg tragen allerdings nicht alle Bundesländer gleichermaßen. „So erhöhten sich zwar Zahl und Quote in einigen Landesteilen deutlich (Bayern, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland), in anderen Ländern setzte sich jedoch der Positivtrend einer Reduzierung der Abgängerzahl und -quote auch zwischen 2014 und 2016 fort (Bremen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen)“, so heißt es im Bundesbildungsbericht. Und jetzt treiben eben noch Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin den unguten Trend weiter nach oben.

Was sind die Ursachen? Bundesweit, so heißt es, handelt es sich vornehmlich um einen Anstieg bei ausländischen Jugendlichen. Allerdings können mangelnde Sprachkenntnisse offenbar nicht in jedem Fall als Begründung dienen. „Demnach haben sich auch die Schüler mit deutscher Herkunftssprache im Vergleich zu 2016 deutlich verschlechtert“, so berichtet der „Tagesspiegel“ unter Bezug auf Daten der Berliner Bildungsverwaltung zum Mittleren Schulabschluss (MSA). „In Mathematik etwa schafften von ihnen nur noch 65 Prozent die Mathematikprüfung gegenüber 70 Prozent 2016. Insgesamt schlossen bei den Sekundarschülern mit deutscher Muttersprache 76 Prozent mit dem MSA ab, während Schüler mit türkischer Muttersprache nur zu 56 Prozent bestanden. Bei Schülern mit anderer Sprache sind es 64 Prozent.“

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Ohnehin gilt Mathematik als besonderes Problemfach: „Mathematik fällt den Schülern bei den MSA-Prüfungen am schwersten. Insgesamt bestehen nur 75 Prozent der Schüler diesen Prüfungsteil – an Gymnasien sind es 94 Prozent, an Sekundarschulen 58 Prozent, an Gemeinschaftsschulen 54 Prozent.

Lehrerverbände in Sachsen-Anhalt sehen vor allem im Lehrermangel die Hauptursache fürs zunehmende Scheitern. „Wir brauchen ausreichend Lehrer. Das ist der Dreh- und Angelpunkt“, so zitiert die „Mitteldeutsche Zeitung“ den Landesvorsitzenden des VBE, Torsten Wahl. Die GEW meint, eine qualifizierte Förderung sei eben nur mit genügend Lehrpersonal möglich – und das fehle. „Alles, was früher neben dem Unterricht angeboten wurde, fällt mittlerweile weg“, kritisiert Landeschefin Eva Gerth. Das – damit meint sie den Anstieg der Zahl der Schulabbrecher – sei dann eben eine Folge.

Hat die Politik also ihre Hausaufgaben nicht gemacht? Die Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres sieht offenbar eher die Lehrer in der Verantwortung. „Wir können uns mit den Ergebnissen nicht zufrieden geben“, sagte die SPD-Politikerin. „Sie zeigen, dass unsere Anstrengungen im Bereich der Unterrichtsqualität liegen müssen.“ Sie werde dazu in Kürze neue Maßnahmen vorstellen, kündigte Scheeres an. Agentur für Bildungsjournalismus

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Wie gerecht ist das Schulsystem? Kinder aus armen Familien werden nach wie vor benachteiligt – ein Debattenbeitrag

 

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Herr Mückenfuß
5 Jahre zuvor

Womöglich liegt das an den heutigen Zuständen in den Schulen, dieser Du-du-du-Pädagogik zum einen und den neuen Methoden des Unterrichtens, die Spaß machen (sollen), aber wenig Lerneffekt haben. Alles zusammen eben.

Herr Mückenfuß
5 Jahre zuvor
Antwortet  Herr Mückenfuß

Zitat: „Lehrerverbände in Sachsen-Anhalt sehen vor allem im Lehrermangel die Hauptursache fürs zunehmende Scheitern.“

Das ist doch Augenwischerei. Der Unterricht wird abgedeckt. Ausfall gab es immer schon. Nicht jeder ausgebildete Lehrer ist auch ein „Lehrertalent“. Sowieso lernen Kinder oft genug trotz ihres Lehrers und seines Unterrichts – und nicht wegen!

Heinz
5 Jahre zuvor
Antwortet  Herr Mückenfuß

Ich bin diesbezüglich voll ihrer Meinung. Der Lehrer ist immer an allem Schuld, die familiären und institutionellen Bedingungen sind es niemals. Diesen Schuh ziehe ich mir aber nicht an….. wobei ….wenn dort 40% der Schüler Schulabbrecher sind, dann heißt das ja, dass es 60% nicht sind, vll. sind die erfolgreichen Lehrer auch einfach der Grund, dass es diese 60% geschafft haben?

Direktansage
5 Jahre zuvor
Antwortet  Herr Mückenfuß

„Das ist doch Augenwischerei. Der Unterricht wird abgedeckt. Ausfall gab es immer schon.“

Es geht eben nicht nur um Unterrichtsausfall, sondern um schwierige Schüler und Klassengrößen, die sie vielleicht an einem Gymnasium bewältigen können. Ich arbeite in einer Problemschule mit genau so einem Klientel von Schülern. Sie haben in solchen Klassen dann nicht ein verhaltensauffälliges Kind oder zwei oder drei, sondern 10 oder 15 und Klassenstärken bis 27 Schüler. Und da glauben sie wirklich daran, dass es bei dem Lehrermangel „nur“ um Stundenausfälle geht?

„Nicht jeder ausgebildete Lehrer ist auch ein “Lehrertalent”. Sowieso lernen Kinder oft genug trotz ihres Lehrers und seines Unterrichts – und nicht wegen!“

Warum werden sie nicht einfach Lehrer? Sie können ja dann gerne beweisen, dass wirklich die Lehrer Schuld an allem sind und nicht die soziale, gesellschaftliche und familiäre Verwahrlosung! Wenn sie das aber nicht machen wollen, halten sie besser den Rand mit ihrem hohlen und inkompetenten Geschwafel.

F. H.
5 Jahre zuvor

GEW und VBE machen es sich lächerlich leicht, indem sie den Lehrermangel zum Sündenbock für die steigende Zahl der Schulabbrecher und Schüler ohne Schulabschluss machen.
Andere Gründe werden vornehm verschwiegen, z. B. die Belastung des Unterrichts durch die GEW-gewollte Inklusion und die weitere Belastung durch eine extrem ansteigende Zahl von Migrantenkindern ohne Deutschkenntnisse oder das fragwürdige Prinzip „Eine Schule für alle“, das zu vielen Gemeinschaftsschulen führte, in denen die Lehrer mit der überbordenden Schüler-Heterogenität nicht mehr fertig werden.

Hinzu kommt die Förderung der sog. „Kuschelpädagogik“, weil Kinder angeblich nur mit Lobpreisungen, mäßigen Anforderungen, fehlendem Zwang und viel Selbstbestimmung wahre Könner werden und „Kompetenzen“ entwickeln.
„Gebt den Kindern das Kommando“ lautete der modische Song von Herbert Grönemeyer, der die Antwort auf vorangegangene strenge Kindererziehung sein sollte. Diese übertriebene Gegenbewegung mit ihrer süßlichen Kindertümelei zeigt bis heute Wirkung und hat in ihrer Rigorosität nicht weniger Schattenseiten als die große Strenge vorangegangener Zeiten.

Die pädagogische Wahrheit liegt vermutlich in der Mitte. Sie herauszufinden statt nur Lehrermangel zu beklagen und sich damit feige aus der Affaire zu ziehen, ist eine der dringlichsten Aufgaben von Bildungs- und Schulpolitik.
Mein besonderer Wunsch dabei wäre, dass die GEW bei einer gründlichen Neubesinnung weniger Einfluss hätte und kritischer betrachtet würde, auch von den Lehrern.

Herr Mückenfuß
5 Jahre zuvor
Antwortet  F. H.

Zustimmung !

Aber solche Gründe anzuführen, führt ja regelmäßig zum Vorwurf der Geringschätzung und Missachtung der Lehrenden und mangelnden Wertschätzung (ach nee, damit ist ja immer nur Geld gemeint).