Wenn eine Grundschule ihren Unterricht komplett einstellen muss: Immer mehr Kollegien bringt der Lehrermangel in Not

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GERA. Bundesweit fehlt es an Nachwuchs im Lehrerberuf, vor allem für die Grundschule. In einigen Regionen ist die Not so groß, dass Unterricht ausfallen muss, wenn Lehrer krank werden – tagelang. Verbände und Gewerkschaften fordern mehr Studienplätze für angehende Lehrer. Doch das kann die Not nur langfristrig lindern.

Immer mehr Stellen insbesondere an Grundschulen können nicht besetzt werden. Foto: Shutterstock

Es ist leise geworden an der Erich Kästner Grundschule in Gera. Rund 300 Schüler lernen normalerweise hier. Doch seit Montag sind viele von ihnen zu Hause geblieben. Es fehlt an Lehrern, die sie unterrichten könnten. Einige Kinder puzzeln, andere malen, auch Rechen- und Schreibaufgaben lösen sie. Aber richtigen Unterricht gibt es nicht – kein Vorankommen im Lehrplan, eine Woche lang. «Wenn Ihr Kind diese Woche nicht in die Schule kommt, zählt das nicht als Fehltag», heißt es auf der Internetseite der Schule. Nicht nur Thüringen kämpft mit akutem Lehrermangel. Bundesweit fehlt für bestimmte Schularten und Fächer Personal.

Für die zwölf Klassen an der ostthüringischen Schule gibt es elf Lehrer – und den Schulleiter Steffen Zaumseil. Jetzt sind sieben Lehrer krank, bleiben noch vier übrig – für 300 Kinder. «Das können Sie nicht mehr steuern, auch nicht, indem Sie Klassen zusammenlegen», sagt Zaumseil. Das Thüringer Bildungsministerium spricht von einer «absoluten Ausnahmesituation».

Nach einer Prognose der Kultusministerkonferenz vom vergangenen Jahr fehlen bundesweit in den nächsten Jahren Tausende Lehrer – bis 2030 im Schnitt jährlich 700, bei den Grundschullehrern sind es pro Jahr durchschnittlich 660. Demnach ist der Lehrermangel in den ostdeutschen Bundesländern drastischer als im Westen. Nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung fehlen bis ins Jahr 2025 sogar rund 35.000 Lehrer für die ersten Schuljahre. Nach Berechnungen der Stiftung müssten bis 2025 knapp 105.000 neue Lehrer eingestellt werden, die Universitäten können bis dahin aber nur 70.000 Absolventen ausbilden (News4teachers berichtete).

Und die Not ist an immer mehr Schulen unübersehbar. Erst Mitte Januar hatte eine Grundschule im ostthüringischen Unterwellenborn zwischenzeitlich eine Vier-Tage-Woche eingeführt, weil mehrere Lehrer wegen Krankheit ausgefallen waren und nicht sofort Ersatz gefunden wurde. Nach Ansicht des Bundesvorsitzenden des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, zehrt der Personalmangel auch an den Kräften der Lehrer. «Diejenigen Lehrer, die noch da sind, werden über das Maß hinaus strapaziert», sagt er.

Ulrike Gerth, Lehrerin an der Erich Kästner Grundschule in Gera, sagt: «Natürlich merkt man, dass die Stressbelastung im Lehrerberuf enorm ist.» Normalerweise unterrichtet sie die Klasse 1c. In dieser Woche steht sie vor Schülern aus allen drei ersten Klassen. «Wir haben keine Reserve. Wenn ein Lehrer ausfällt, müssen die Kinder verteilt werden», sagt die 47-Jährige.

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GEW fordert: A13 für alle Lehrer!

Fast einstimmig fordern Verbände, Gewerkschaften und Politiker eine Erhöhung der Lehramt-Studienplätze. Marlies Tepe, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), fordert aber auch ein Umdenken bei der Struktur der Lehrerausbildung.

«Wir brauchen mehr Flexibilität zwischen den Lehrämtern. Es muss auch möglich sein, dass ein Gymnasiallehrer nach einer kleinen Zusatzqualifikation an einer Grundschule unterrichten kann», sagt sie. Eine Voraussetzung dafür sei, dass alle Lehrer – egal, auf welche Schulart spezialisiert – das gleiche Geld bekommen. Bislang werden Lehrer an den Universitäten getrennt nach Schulform ausgebildet. Grundschullehrer verdienen in der Regel weniger als Gymnasiallehrer. «Unserer Meinung nach sollten angehende Lehrer in einem Bachelor-Studiengang zunächst die Grundlagen studieren und sich erst später auf eine Schulform spezialisieren», sagte Tepe.

Laut Thüringer Bildungsministerium sind zwei Stellen für die Erich Kästner Grundschule ausgeschrieben. Gefunden hat sich bislang niemand. Zu Vorstellungsgesprächen seien die Bewerber erst gar nicht erschienen, erzählt Steffen Zaumseil. «Es gibt einfach keine Lehrer, wir finden niemanden», sagt er und klingt dabei ziemlich verzweifelt.

Er glaubt, dass es auch deshalb so schwer ist, Stellen an seiner Schule nachzubesetzen, weil Grundschullehrer in anderen Bundesländern mehr Geld bekommen. «Nächstes Jahr wird es noch schlimmer», ist sich Zaumseil sicher. Viele Lehrer stünden kurz vor der Rente. Von Stefan Hantzschmann, dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

GEW: Frisörinnen, Schreiner und Fahrlehrer unterrichten in Grundschulen – aufgrund des Lehrermangels

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10 Kommentare
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dickebank
5 Jahre zuvor

Es ist Bullshit auf jeden Lehrkräftemangel mit der A13/E13-Forderung zu antworten.

Kleinere Systeme haben das strukturelle Problem, dass sie Ausfälle von Lehrkräften schlechter kompensieren können als große. Das hat aber nichts mit der Vergütung zu tun. Die Lehrkräfte der thüringischen Grundschule sind ja nicht krank geworden, weil zu A12 bzw. E12 vergütet werden.

Um nicht missverstanden zu werden; ich bin ausdrücklich für A13/E13 für alle diejenigen, die die gleichen formalen Voraussetzungen erfüllen. Ob in einem zweiten Schritt dann altgediente Lehrkräfte infolge eines allgemeinen Erlasses ebenfalls „beförder“ bzw neu-eingestuft werden – ob generell oder nach einer Revision – ist eine andere Frage. Dass die Gewerkschafts- und Verbandsvertreter aber bei jedem Missstand an Grundschulen auf die Eingruppierungsfrage verweisen, schadet dem eigentlichen Anliegen eher. Si tacuisses philosophus mansisses!

Gelbe Tulpe
5 Jahre zuvor

Ich habe es jetzt zwei Halbjahre hintereinander erlebt, dass Absolventinnen des Grundschullehramts bei der Bewerbung zum Referendariat auf eine Wartelliste kamen und keinen Platz zum nächstmöglichen Termin bekamen. Vielleicht sollte man lieber einfach mal mehr ausbilden.

ysnp
5 Jahre zuvor
Antwortet  Gelbe Tulpe

In welchem Bundesland soll denn das sein?

ysnp
5 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

Bei uns bekommt derjenige, der das 1. Staatsexamen geschafft hat, automatisch einen Referendariatsplatz in der Grundschule um das 2. Staatsexamen zu machen und damit fertig ausgebildeter Grundschullehrer zu sein. Dazu hat man sozusagen eine Ausbildungsgarantie. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das ein Bundesland anders handhabt. Außerdem ist man bei dem Lehrermangel froh um jeden Referendar.

dickebank
5 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

Das mit der Warteliste kann ich mir schon vorstellen. Es gibt Seminarorte, die vollkommen überbucht sind, und solche am A.d.W. die händeringend hinter möglichen Bewerbern her sind. Erstere sind dann gezwungen Wartelisten zu führen, letztere haben vielfach nicht bestzte Ausbildungsplätze.

Manchmal liegt es nader eigenen Unflexibilität und Bequemlichkeit. Natürlich ist es nicht schlecht, einen Seminarplatz am ehemaligen Hochschulstandort in der unmttelbaren Umgbung zu seiner langjährigen Studentenwohnung zu ergattern und dann auch noch eine Ausbildungsschule inerhalb derselben Stadt oder deren Peripherie.

Wer aber Pech hat, bekommt dann einen Platz im Kernseminar in Arnsberg, wo auch ein Fachseminar abgehalten wird, während das andere ggf. in Dortmund abgehalten wird und man dafür noch eine Ausbildungsschule in Schmallenberg zugewiesen bekommt, wo man doch in Werl wohnt. Das ist halt der Vorteil des südwestfälischen, ländlichen Raumes.
Alle drei Seminare in Paderborn und die Ausbildungsschule in PB-Elsen sowie die eigene Wohnung in der Drei-Hasen-Fenster-Stadt, sind da schon eine echte Herausforderung.

ysnp
5 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

Verstehe. Bei uns werden die Seminare von den Behörden zugewiesen; dabei werden die Wünsche nur nach Dringlichkeit berücksichtigt, zumindest, was den Grund- und Mittelschulbereich angetrifft. So hat jeder Referendar einen Platz. Bei den anderen Schularten bin ich überfragt, aber ich glaube, das funktioniert dort genau so. Bei uns weisen immer die Behörden zu.

Aufmerksamer Beobachter
5 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

ysnp schrieb: „Bei uns werden die Seminare von den Behörden zugewiesen; dabei werden die Wünsche nur nach Dringlichkeit berücksichtigt […]“

Beispiel Hessen: „Im hessischen Kultusministerium verweist man auf die geltenden Regularien bei der Vergabe von Referendarsplätzen.
Hier gebe nicht nur die Examensnote den Ausschlag, – diese fließe lediglich zur Hälfte in den Ranglistenplatz der Studenten ein. Sogenannte Härtepunkte, hierzu zählt beispielsweise eine Schwerbehinderung, würden mit 15 Prozent und ‚Wartepunkte‘ mit 35 Prozent in die Rangeliste mit einfließen, so Ministeriumssprecher Stefan Löwer.“
https://www.fnp.de/frankfurt/warum-hessen-viele-angehende-lehrer-lange-einen-referendarsplatz-warten-muessen-10338792.html

Beispiel Bremen: „Doch bei der Vergabe der Plätze durch das Landesinstitut für Schule (LIS) spiele auch ein Punktesystem eine Rolle. Ein hervorragender Notendurchschnitt reiche darum nicht aus, um sicher direkt in das Referendariat zu gehen. Das gehe nur über Zusatzpunkte. Wer eine bestimmte Anzahl von ihnen vorweisen kann, hat demnach ein Anrecht auf einen Platz. Punkte gibt es zum Beispiel für alle, die ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert haben. Jede Ablehnung auf eine Bewerbung bringt nochmals anderthalb Wartepunkte. Auch der Unterricht an den Schulen wird honoriert – allerdings erst ab dem Masterabschluss.

Auf das ausgeklügelte Punktesystem hat die angehenden Lehrer niemand hingewiesen.“
https://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-stadt_artikel,-wir-wollen-ja-aber-bremen-will-uns-nicht-_arid,1682458.html?fbclid=IwAR0H5NbLqWLdyaVS3Ag1ZdEn8lKe-ghUDzNje9GszPwUvEZuGXMIQ9QSpEQ

dickebank
5 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

@ysnp – zuweisen heißt ja nicht, dass man auch antritt.