Gastbeitrag zur Lehrerfortbildung: Gebraucht wird mehr Praktiker-Expertise!

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BERLIN. Lehrerfortbildungen stehen in der Kritik. Ein Bericht namhafter Bildungsforscher zur Situation in Hamburg vom Januar lässt ahnen, woran es an vielen Fortbildungsveranstaltungen für Lehrer hapert: inhaltlich beliebig, zu wenig nachhaltig angelegt, ohne direkten Bezug zum Unterricht der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und nur von einzelnen Lehrkräften besucht, also ohne Beteiligung des übrigen Kollegiums. Von “One-Shot-Veranstaltungen” war in dem Bericht die Rede (News4teachers berichtete). Unser Gastautor Michael Felten., pensionierter Gymnasiallehrer, Bestseller-Autor („Die Inklusionsfalle“) und unabhängiger Lehrerweiterbildner, beleuchtet die Situation.

Büffeln für besseren Unterricht: Lehrer in einer Fortbildung (dem Lehrerkongress 2013 Chemie Baden-Württemberg). Foto: Chemie-Verbände Baden-Württemberg / flickr (CC BY 2.0)
Der Fortbildungsbedarf im Lehrerberuf ist groß. Foto: Chemie-Verbände Baden-Württemberg / flickr (CC BY 2.0)

Lehrerweiterbildung: Schatten oder Licht?

Digitalisierung hin oder her – auch in Zukunft werden sich Lehrkräfte vor allem mit dem Kern des Unterrichtens herumschlagen müssen: Inhalte im Plenum so erarbeiten, dass sie über die nächste Klausur hinaus halten (tiefenwirksam); Klassen so führen, dass möglichst wenig Lernunlust aufkommt (störungspräventiv); individuelle Förderung so anlegen, dass sie einen nicht überfordert (alltagstauglich);  mit „schwierigen“ Schülern so fertig werden, dass es auch diese voranbringt.

Eine zeitgemäße „kunst des beybringens“ zu vermitteln, das ist die zentrale Aufgabe des Referendariats – aber sie ist nach diesem keineswegs erledigt, braucht ständige Aktualisierung. Neue Generationen wollen anders behandelt werden, aktuelle Themen und Medien sind zu integrieren, überholte didaktische Konzepte ad acta zu legen. Deshalb gibt es Lehrerweiterbildung. Eigentlich. Dort begegnet einem aber bisweilen derart Nutzloses bis Skurriles, dass man lieber von Fort-bildung sprechen möchte – also von den eigentlichen Bedarfen wegführend.

Da brüten etwa „Zukunftswerkstätten“ über vagen Visionen einer „Schule von morgen“ – und fordern am Ende wahlweise mehr Teamarbeit oder mehr Bewegung, mehr Humor oder mehr Autonomie, mehr Bauästhetik oder mehr Inklusion – vielleicht auch nur Musik in den Pausen. Schon 2013 hat Jörg Schlee solche Armseligkeit beklagt: „Schulprogramme und Leitbilder haben Schülern nicht geholfen. Es geht kaum um Unterrichtsverbesserung, und die zwischenmenschlichen Beziehungen werden zu wenig beachtet.“

Mehr Unterrichtsqualität, das wäre aber nicht nur der Schlüssel zu mehr Berufszufriedenheit unter den Lehrern, sondern auch ein probates Gegengift: gegen Kompetenzdefizite von Schülern, gegen die bundesweit nur schlanke „Leistungsspitze“, gegen den erheblichen Anteil an „Risikoschülern“. Und dieses Serum könnte auch trotz der kultusministeriellen Kernsünden ‚Lehrermangel‘ und ‚Sparinklusion‘ seine Wirkung entfalten.

Vieles spricht nämlich dafür, dass die lernwirksamsten Unterrichtsmethoden zu selten oder nur unsicher praktiziert werden. Spätestens Hatties weitreichende Forschungsbilanz (2009/dt. 2013/akt. 2017) hat ja das Märchen vom Primat des selbstgesteuerten Lernens und eigenverantwortlichen Arbeitens drastisch dekonstruiert – und die Lehrperson als aktivierende und feinfühlige Führungskraft ebenso rehabilitiert wie fokussiert. „Im Zentrum steht ein Lehrer, für den allerdings seine Schüler im Zentrum stehen. Er muss ihr Lernen sehen können, um sein Lehren daran orientieren zu können.“ So die Hattie-Bilanz des Unterrichtsforschers Ewald Terhart.

Noch längst nicht in allen Lehrerkollegien angekommen…

Diese Befunde der empirischen Unterrichtsforschung sind noch längst nicht in allen Lehrerkollegien angekommen. Sie wären zudem dringend anwendungsorientiert aufzubereiten, methodisch (etwa in Fachgruppen) wie pädagogisch (etwa in Klassenteams). Das Spektrum der Inhalte ist weit – von effektiverer Vorwissensaktivierung bis zu souveränerem Umgang mit ‚Störern‘. Solche kollegiumsinterne Unterrichtsentwicklung brächte wirklich weiter: langfristig angelegt, ohne idealisierte Schülerbilder, jenseits fruchtloser Organisationsexperimente. Entscheidend ist ja nicht, ob Lehrer sich auf einer Fortbildung wohl fühlen oder irgendetwas Neues hören. Sondern ob ihre Schüler im real praktizierten Unterricht lieber lernen oder nachhaltiger, ob sie solideres Grundlagenwissen erwerben, ihren Horizont erweitern, ihre Sozialität ausbauen.

Seit einem Jahr gibt die von namhaften Forschern unterstützte „Initiative Unterrichtsqualität“ (IUQ) in diesem Sinne bundesweit Anstöße. Zudem liegt mit dem Programm EMU (evidenzbasierte Methoden der Unterrichtsdiagnostik und -entwicklung) ein kluges, vom Team um Andreas Helmke im Auftrag der KMK entwickeltes Instrument vor, wie Lehrkräfte ihre Unterrichtsqualität ohne schulaufsichtliche Bevormundung verbessern können: durch verbindliches, kollegiales, auf valide empirische Kriterien gestütztes Hospitieren. Erstaunlicherweise steigert solch‘ gegenseitiges Besuchen und Kommentieren Hattie zufolge den Unterrichtseffekt enorm. Mit anderen Worten: Kriteriengeleitete Kooperation an der Basis scheint bürokratischer Kontrolle weit überlegen. Bei der Berliner Bergius-Schule hat sich ja sogar gezeigt, dass Schulen ihre Qualität bisweilen erst dann verbessern können, wenn sie sich über ideologisierende Inspektoren hinwegsetzen.

Gebraucht wird also mehr Wissenschaft in der Lehrerweiterbildung – und gleichzeitig mehr Praktikerexpertise! Nur was tun mit den Hasardeuren in der Lehrerweiterbildung? Vielleicht das nach einem Bielefelder Bildungsforscher benannte Dollase-Kriterium anwenden: Jedem Referenten und Moderatoren auferlegen, jährlich einen Monat lang eine schwierige Mittelstufenklasse zu unterrichten – etwa als Vertretungslehrer. So würde sich ganz schnell Spreu von Weizen trennen.

http://initiative-unterrichtsqualitaet.de

Literatur: „Endlich ‚mal ein Pädagogischer Tag, der ‚was nützt!“ (Schulverwaltung spezial 4/2017)

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Kolumne: Frau Weh besucht eine Lehrerfortbildung und denkt dabei an Sex und Schokolade

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Uwe
4 Jahre zuvor

Na, dann einfach einmal die kostenfreien #bauteurezukunft Fortbildungen testen: Klarer methodischer Ansatz (#Design Thinking), sozialkompetenzorientierte Lehr-Lern-Ziele entsprechend der meisten #Rahmenlehrpläne der 8. bis 11. Klasse aller Schulformen, prüfungsrelevant nutzbar, konkrete Selbstwirksamkeitserfahrung für Lehrkräfte und Schüler*innen durch schnelle, Ergebnisse bei der #Projektarbeit, Nutzbarkeit der Projektergebnisse zur Schulentwicklung und zur Förderung des gesellschaftlichen Engagements für die #globalgoals, Gratismaterialien (chronologische Multimediapräsentation, Unterrichtsverlaufsskizze, Erklärvideos, Arbeitsblätter, Hintergrundmaterial) und Email- oder telefonische Beratung bei der Durchführung.