Wie kann das sein? Trotz Azubi-Mangel bleiben 25.000 Jugendliche auf der Straße

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BERLIN. Die Zahl der Ausbildungsverträge geht nach oben – vor allem wegen vieler Geflüchteter in Ausbildung. Wer einen Abschluss besitzt, hat auch gute Jobchancen. Doch Millionen können davon nur träumen.

Warum kommen so viele Jugendliche nicht unter? Symbolfoto: Shutterstock

Trotz eines wachsenden Angebots an Ausbildungsplätzen in Deutschland bleiben Millionen junge Menschen ungelernt. Zugleich haben Betriebe in vielen Branchen Probleme, ausgeschriebene Stellen zu besetzen. Lücken gibt es bei der Verteilung möglicher Interessenten auf die Plätze: So viele Bewerberinnen und Bewerber wie seit Jahren nicht bleiben ohne Ausbildungsplatz. Das zeigt der am Mittwoch in Berlin vorgestellte Berufsbildungsbericht 2019.

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) rief die jungen Menschen bei der Vorstellung der Zahlen zu Flexibilität bei der Wahl der Ausbildung auf. «Oft würden die jungen Leute sehr eng beraten», sagte sie. Betroffene konzentrierten sich dann oft auf einen einzigen Bildungsweg. Über Alternativen dächten sie dann zu wenig nach.

Laut dem Bericht wurden im vergangenen Jahr im Vergleich zum Vorjahr 8100 Ausbildungsverträge mehr abgeschlossen. Insgesamt starteten 531.400 Menschen mit ihrer Ausbildung, mehr als jeweils in den fünf Jahren davor. Zurückzuführen ist der Anstieg laut Bericht vor allem auf die gestiegene Ausbildungsbeteiligung von Flüchtlingen. Die Zahl der Auszubildenden aus einem nicht-europäischen Asylzugangsland kletterte binnen eines Jahres von rund 6000 auf 15.400 im Jahr 2017.

Dabei haben Azubis gute Jobchancen: Rund drei von vier Jugendlichen wurden nach dem Abschluss vom Betrieb übernommen. 57.700 Stellen blieben 2017/2018 unbesetzt. Für 100 Bewerber standen 106 Angebote bereit. 24.500 junge Menschen fanden auf der anderen Seite keinen Ausbildungsplatz – so viele wie seit zehn Jahren nicht.

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Die Zahl der 20- bis 34-Jährigen ohne Abschluss stieg 2017 von 2,08 auf 2,12 Millionen – immerhin 14,2 Prozent. 2014 waren es erst 1,88 Millionen. Sie tragen ein höheres Risiko von Langzeitarbeitslosigkeit und geringem Verdienst, so die Autoren des Berichts. Vor allem Personen ohne Schulabschluss bleiben mit 69 Prozent oft ungelernt. Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack sagte deshalb im Gespräch: «Es führt zu erheblichen gesellschaftlichen Spannungen, wenn Betriebe über unbesetzte Ausbildungsplätze klagen und gleichzeitig immer mehr Jugendliche ohne Ausbildung bleiben.» Die Regierung müsse etwa die Assistierte Ausbildung stärken. Unterstützt werden hierbei Jugendlichen ohne Abschluss oder mit schlechten Noten.

Deutlich wird in dem Bericht die Attraktivität einzelner Angebote. Karliczek kündigte zudem Verbesserungen bei der Berufsausbildung an:

UNBESETZTE AUSBILDUNGSPLÄTZE: In einigen Berufen tun sich die Firmen besonders schwer, Nachwuchs zu finden. So sind 2018 vier von fünf Ausbildungsplätzen als Fachverkäufer im Lebensmittelhandwerk unbesetzt geblieben, fast ebensoviele als Fleischer, rund 37 Prozent der Plätze für angehende Klempner und Restaurantfachleuten. Allein im Handwerk konnten laut dessen Zentralverband mehr als 17 000 Plätze vor allem in Kleinbetrieben nicht besetzt werden. Besonders oft ohne Erfolg haben junge Leute im Gegensatz dazu nach einem Platz für angehende Tierpfleger (46 Prozent), Gestalter für visuelles Marketing (45 Prozent) und Mediengestalter (44 Prozent) gefragt.

VERBESSERUNGEN: Karliczek kündigte an, dass ihre geplante Reform der Berufsausbildung bald ins Bundeskabinett gehen soll. Statt unzähliger Fortbildungsabschlüsse vom Fachwirt über den Prozessmanager bis zum Servicetechniker soll es in der höher qualifizierenden Berufsbildung künftig einheitliche Abschlüsse geben: Berufsspezialist, Berufsbachelor und Berufsmaster. Eingeführt werden soll eine Mindestvergütung für Azubis. Karliczek will hierbei voraussichtlich einen Vorschlag von Arbeitgebern und Gewerkschaften übernehmen, wie sie erstmals ankündigte. Dem Vorschlag zufolge sollen Azubis im ersten Ausbildungsjahr monatlich 515 Euro verdienen, dann 615 und im dritten Jahr 715 Euro. Eine ursprünglich vorgeschlagene geringere Höhe hatte die SPD als unzureichend abgelehnt. Von Basil Wegener, dpa

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4 Kommentare
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Heinz
4 Jahre zuvor

Tja, warum steigt wohl die Zahl ohne Abschluss? Vll. weil immer mehr unter immer schlechteren Bedingungen auf der falschen Schulform landen, und dadurch dann auch immer frustierter werden.
Förderschulen konnten sich fast schon individuell um eine sehr sehr kleine Anzahl von Schülern kümmern. Hauptschulen hatten häufig immerhin sehr wenig Schüler in einer Klasse, und konnten Dinge sehr häufig wiederholen.
Heute steckt man einfach so viele Schüler, wie halbwegs beschulbar in eine große Klasse mit bis zu 33 Schülern und erwartet von ihnen Spitzenleistung, bei gleichzeitig ständiger Abnahme der Erziehungsarbeit des Elternhauses.

So, wer nicht vollkommen verblendet ist, sollte an der Stelle erkennen, dass nicht die Unterrichtsmethode oder die Ausbildung der Lehrer das Problem beheben kann.
Man kann aus Scheiße einfach kein Gold machen, egal wie stark man sich auch bemüht. Klingt frustriert, abgehoben und unpädagogisch, ist aber so, und im Grunde genommen leiden alle anderen Kinder auch darunter.

xxx
4 Jahre zuvor

Weitere Gründe:
– Jugendliche sind nicht mehr hinreichend körperlich und geistig belastbar
– Mangelnde Umgangsformen, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit, die ein Lehrer aushalten muss, ein Firmenchef dagegen nicht
– Entwertetes Abitur, weswegen viel zu viele studieren
– Jahrelang wurde die berufliche Ausbildung von der Politik als minderwertig angesehen und behandelt

Kurz: Kuschelpädagogik in der Schule und falsche (Werte-) Erziehung durch die Eltern

Carsten60
4 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Mit anderen Worten: Die Pädagogik der Azubi-Ausbilder könnte erheblich von denen der Lehrer an Schulen differieren. Als Folge gibt es übrigens — je nach Branche — hohe Abbruchquoten bei den Ausbildungsverhältnissen. Ein Teil der Schuld könnte auf Seiten der (möglicherweise recht unsensiblen) Ausbilder und Chefs liegen, ein anderer Teil auf der von Ihnen genannten „Kuschelpädagogik“. An den Hochschulen dagegen geben die Politiker den dortigen Lehrenden die Schuld an hohen Abbruchquoten. Ebenso werden ja neuerdings die Lehrer für schwache Schülerleistungen verantwortlich gemacht, die Eltern dagegen nicht oder wenig.

xxx
4 Jahre zuvor
Antwortet  Carsten60

Ganz genau. Die Azubi-Ausbilder haben ja als Firmeninhaber ein Interesse an freundlichen, fähigen und willigen Azubis. Lehrer natürlich ebenfalls, aber im Gegensatz zu den Azubi-Ausbildern werden Lehrern durch die Schulgesetze, Medien und Politiker sämtliche Zähne gezogen.