Digitaler Unterricht bedeutet: Lernen im Team – sagt ein Schulleiter, der es wissen muss

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KARLSRUHE. Mit dem neuen Digitalpakt sollen digitale Tafeln und schnelles Internet endlich in die deutschen Klassenzimmer kommen. Aber reicht das, um Schülerinnen und Schüler fit für die Zukunft zu machen? Der Rektor einer digitalen Musterschule hat eine eindeutige Antwort.

Klassischer Frontalunterricht? Die Zukunft des Lernens sieht anders aus (Symbolbild). Foto: Shutterstock

Zehn Schüler stehen zu Beginn ihrer Mittagspause mit leuchtenden Augen vor der Tür des «Wunderlandes». Das hat in der Pause eigentlich immer geöffnet. An diesem Tag muss der Schulleiter der Ernst-Reuter-Schule in Karlsruhe, Micha Pallesche (44), seine Schützlinge aber abweisen – zwei Delegationen aus Bayern und Berlin sind für eine Besichtigung gekommen.

Rund 700 Besucher haben sich die Gemeinschaftsschule im vergangenen Jahr nach Angaben des Rektors angesehen – aus gutem Grund: Hier ist seit Jahren Technik im Einsatz, die viele andere deutsche Schulen mit dem Mitte Mai in Kraft getretenen Digitalpakt erst bekommen sollen.

Eine zentrale Rolle spielt dabei ein Raum des Wunderlandes – der «Makerspace». Das Zimmer – im letzten Jahrtausend hätte man vielleicht noch Werkraum an die Tür geschrieben – ist unter anderem mit Roboterbausätzen, einem Filmstudio und einem 3D-Drucker ausgestattet. Kleine Computer, genannt «Calliope mini», sollen den Schülern spielerisch das Programmieren beibringen. Auf der handflächengroßen Platine sitzen unter anderem mehrere Leuchtdioden, Taster, ein Lautsprecher und ein elektronischer Kompass. Einmal programmiert kann daraus so ziemlich alles werden – zum Beispiel ein einfaches Klavier, ein Schere-Stein-Papier-Gegner oder ein Schalter für Funksteckdosen.

In den Klassenräumen der Ernst-Reuter-Schule hängen keine Tafeln mehr an der Wand, sondern sogenannte Activboards – eine Art digitale Tafel mit Touchscreen. Und die Schüler arbeiten regelmäßig mit Tablets – 150 Stück gibt es für die rund 320 Schüler. Auf die Frage, wie die Schüler die außergewöhnliche Ausstattung ihrer Schule finden, antworten viele erstmal mit einem Schulterzucken. Die 17-jährige Sara sagt: «Für uns ist es normal, aber die anderen kommen hierher und sagen „wow“.» Grundsätzlich finden die Jugendlichen die Technik gut – sie nehmen sie schlicht nicht mehr als etwas Besonderes wahr.

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„Das kann kein Lehrer mehr leisten“

Schulleiter Pallesche, der parallel an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg im Bereich Mediendidaktik promoviert, sieht die Ausstattung als Mittel zum Zweck – entscheidend sei aber etwas anderes: Menschen müssten in Zukunft mehr in Teams arbeiten, um die allgemein komplexer werdenden Aufgaben der Zukunft noch lösen zu können. Diesen gestiegenen Anforderungen wird man laut Pallesche mit klassischem Frontalunterricht nicht mehr gerecht – das könne kein Lehrer mehr leisten.

In Zukunft werde ein Lehrer deshalb immer mehr die Rolle eines Moderators übernehmen, weniger die eines Wissensvermittlers. Denn das Wissen ist in der digitalen Welt verfügbar und einfach zugänglich. Zum Beispiel könne ein Schüler, der in einem Thema fit ist, einen Erklärfilm für die anderen Kinder produzieren. Schwächere Schüler können sich den Film anschauen. Das hat für den Rektor Vorteile. «Der Film erklärt es mir halt fünfmal, wenn es sein muss. Den kann ich auch mal anhalten oder zurückspulen.» Auch der Filmproduzent profitiert – er durchdringt das Thema noch tiefer.

Die Direktorin des Institutes für Schulentwicklungsforschung an der TU Dortmund, Prof. Nele McElvany sagt, dass Schüler digitale Medien für ihren weiteren Lebensweg zwingend kennenlernen müssen. «Digitalisierung ist etwas, was unser Leben in praktisch jeder Hinsicht aktuell schon viel bestimmt und in Zukunft noch viel mehr bestimmen wird.» Außerdem könnten mit der Technik Lernprozesse positiv unterstützt werden. McElvany sagt aber auch, dass die Erwartungen, die an die Digitalisierung in Schulen geknüpft werden, überhöht sind. Folge man der Diskussion, habe man den Eindruck, dass ein Tablet und schnelles WLAN alle Herausforderungen des Bildungssystems lösen könnten.

Es reiche nicht, einfach die Geräte zur Verfügung zu stellen. Die pädagogischen Konzepte müssten angepasst werden, damit die Technik sinnvoll genutzt werden kann. Schulleiter Pallesche befürchtet, dass mit dem neuen Digitalpakt genau das oft nicht passiert. Er geht davon aus, dass viele Schulen mit dem Geld erstmal einfach einkaufen. Dann wird zwar eine Tafel durch ein Activboard ersetzt oder ein Heft durch ein Tablet. Damit verändert sich aber die Nutzungsweise nicht automatisch, die Geräte kosten Geld und bringen keinen wirklichen Mehrwert.

Neben den oft noch fehlenden Aus- und Weiterbildungen der Lehrkräfte und einem digitalen Konzept muss in Zukunft auch der Betrieb und die Wartung der Technik finanziert werden. Grundsätzlich sehen der Schulleiter und die Wissenschaftlerin den Digitalpakt aber positiv. Immerhin sollen ab dem Sommer für jede der etwa 40.000 deutschen Schulen rechnerisch rund 120.000 Euro zur Verfügung stehen – und so endgültig das Ende des Tageslichtprojektors einläuten. Von Simon Sachseder, dpa

GEW zum Digitalpakt: Mittel reichen bei weitem nicht aus – Lehrer fordern auch IT-Fachkräfte für die Schulen 

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1 Kommentar
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xxx
4 Jahre zuvor

Der letzte Satz zeigt wieder, wofür das Digitalpakt in erster Linie eingesetzt werden kann und soll, sprich Geräte. Wartung, Neuanschaffung, Netzwerkbetreuung, Fortbildungen der Lehrer, Konzepte von Seiten der Dienstherren usw. sind dafür nicht vorgesehen. Mit nur 120000€ pro Schule ist all das aber auch nicht ansatzweise finanzierbar.