Hamburg-Tipp: Wunderbare Knete-Welt in Film, Kunst, Musik und Design

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HAMBURG. Vom 7. Juni bis 3. November 2019 geht es im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg um die Knete: Unter dem Titel „ALLES KNETEN. Metamorphose eines Materials“ können die Besucher eine zeitgenössische Reise durch die Popkultur bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts unternehmen – und auch selber mit dem bekannten und doch häufig unterschätzten Material experimentieren.

Starkes Material: Ab 7. Juni 2019 dreht sich im Museum für Kunst und Gewerbe alles um Knete. Bild: MKG/ Brigitta Garcia López (*1967) Diverse Skulpturen, 1997–2016 Knetmasse (Fimo), Masse variabel © Brigitta Garcia López

Wasser, Öl, Stärke, Wachs und Farbpigmenten: Knete ist denkbar einfach herzustellen und entfaltet doch wie kaum ein anderes Material kreatives Potenzial. Weich und mühelos formbar ist die Modelliermasse, auch Plastilin genannt, nicht nur für Kinderhände gemacht. Sie spielt auch in vielen gestalterischen Bereichen eine bedeutende Rolle. Die Ausstellung „ALLES KNETEN. Metamorphose eines Materials“ widmet sich dem faszinierenden Werkstoff in Film, Kunst und Design von den 1950er-Jahren bis in die zeitgenössische Popkultur.

Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG) präsentiert über 60 internationale Arbeiten, darunter Animationsfilmklassiker, Publikumslieblinge wie „Shaun das Schaf“ oder „Nightmare before Christmas“ nach einer Idee von Kultregisseur Tim Burton, legendäre Musikvideos wie Peter Gabriels „Sledgehammer“, Experimental-, Kurz- und Werbefilme sowie Computerspiele. Überraschende Plastiken, Installationen und Fotografien zeigen die Bedeutung der Knete für die zeitgenössische Kunst. Die vielseitige Verwendung dieses wandelbaren Materials in der angewandten Kunst dokumentieren Exponate aus dem Modellbau, dem Produktdesign und der Maskenbildnerei. Die Schau richtet sich damit an Filmfans, Kunst- und Designinteressierte, Familien und alle, die Knete wieder- oder neu entdecken möchten: Ein imposanter, 12 Meter langer Werktisch mit Plastilin in verschiedenen Farben lädt kleine und große Besucher*innen ein zum gemeinsamen Gestalten und Animieren.

Animation

Knete bietet aufgrund ihrer Materialeigenschaften viele Gestaltungsmöglichkeiten für Figuren, Gegenstände und Kulissen. Animationstechniken wie das Stop-Motion-Verfahren erwecken die unbewegten Bilder zum Leben. ALLES KNETEN versammelt zahlreiche Filme, die auf diese Weise entstanden sind – allen voran Klassiker der Animationsgeschichte, die
schon früh die besondere Ausdruckskraft von Knete würdigten wie „Closed Mondays“ (1974) der Regisseure Will Vinton und Bob Gardiner, „Dimensions of Dialogue“ (1982) von Jan Švankmajer oder Bruce Bickfords „Prometheus‘ Garden“ (1988). Die beliebten Charaktere „Wallace & Gromit“ (ab 1993, Nick Park) und „Shaun the Sheep“ (2007, Richard Goleszowski) aus der britischen Kreativstätte Aardman Animations prägen Kindheitserinnerungen ganzer Generationen – ähnlich wie die schweizerische Animationsserie „Pingu“ (ab 1986, Otmar Gutmann). Bedeutende Kurz- und Experimentalfilme wie „Harvie Krumpet“ von Adam Elliot (2003), „Hasta los Huesos“ (2001) von René Castillo und Animationen einer jüngeren Generation wie „Liebling“ (2013) von Izabela Plucinska zeigen das ganze Spektrum des Materials Knete abseits der gängigen Konventionen.

Film, Animation, Musik – überall findet sich das flexible Werkmaterial Knete. Bild: MKG / Richard Goleszowski (*1959) & Christopher Sadler (*1970), Shaun the Sheep – Saturday Night Shaun, 2006, Animationsfilm, 7 Min., Animation: Aardman Animations, © Aardman Animations

Musik

In Musikvideos verleiht Knete der visuellen Sprache eine neue Dimension und macht Klänge, Melodien und Rhythmen sichtbar. Bereits Art Clokeys frühe Animationsstudie „Gumbasia“ (1955) erprobt den Gleichklang von Musik und Form, den Bruce Bickford gemeinsam mit Frank Zappa im Musikfilm „Baby Snakes“ (1979) später experimental interpretiert.

Die im Strata-Cut-Verfahren hergestellten Videos und Einspieler von David Daniels prägten im Zuge der Etablierung des Musikfernsehens durch den Sender MTV um 1980 mehrere Generationen von Musikfans. Bei dieser Technik werden die Bildideen vorab in Plastilinblöcke eingearbeitet und später im Querschnitt abgetragen. Die farbigen Schnittflächen weisen daher geringe Abweichungen auf, die als Einzelbild aufgenommen und in der Abfolge animiert werden. Die Knet-Ästhetik findet sich bis heute im Genre des Musikvideos, das vom wegweisenden Clip zu Peter Gabriels „Sledgehammer“ (1986,
Aardman Animations) bis zu herausragenden zeitgenössischen Arbeiten wie „Forest“ (2009) von Allison Schulnik für die Band Grizzly Bear eindrucksvolle Kompositionen hervorbringt.

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Kunst

Formbare Materialien haben in der Entstehung von Kunstwerken eine lange Tradition, beim Modellieren wird die Masse durch Auf- und Abtragen manuell bearbeitet. Mit der Ende des 19. Jahrhunderts von Franz Kolb entwickelten „dauerplastischen Modelliermasse“ Plastilin kommt mit der Verformbarkeit eine weitere Qualität hinzu. Die haptischen Eigenschaften von Knete wecken Lust am Formen und Gestalten und ermöglichen sofortige Korrekturen, die Zugabe von Farbpigmenten erlaubt eine Art dreidimensionale Malerei. Das moderne Spektrum der künstlerischen Ausdrucksformen beschränkt sich nicht nur auf das Erarbeiten vollplastischer Figuren oder Reliefs, sondern weitet sich auch auf andere Disziplinen aus.

Der Künstler Marlin van Soest verarbeitet seine Studien zur Hamburger Flint Werft zunächst in Illustrationen und Fotografien, bevor er sie maßstabsgetreu in ofenhärtendes Plastilin überträgt. Szenen und Figuren aus Brigette Hoffmans Werk „Pommes Redemption“ (2018) nehmen Bezug auf das Western-Genre und zeichnen sich in ihrer Umsetzung durch expressive Farbgestaltung und cartoonhaftes Charakterdesign aus.

Alltag und Popkultur sind auch Fundus für die künstlerische Arbeit von Beni Bischof, der vorgefundenes Bildmaterial mit Plastilin humorvoll manipuliert. Die Mixed-Media-Werke von
Bertold Stallmach sind eigenständige Kunstwerke und zugleich Filmkulisse, während Una Szeemann & Bohdan Stehlik mit den „Dark Movies“ (2006–2007) nachgeknetete Filmbilder fotografisch inszenieren. Der Nachbau einer Bar durch den Künstler Henrik Jacob zeigt als Installation in der Ausstellung eindrucksvoll, welche räumliche Präsenz Knete entfalten
kann.

Es muss nicht immer ernst sein: Der Künstler Beni Bischof manipuliert humorvoll vorhandenes Bildmaterial. Bild: MKG /Beni Bischof (*1976), Iggy Pop, Lust for Life, 2014, Plastilin auf LP Cover, 31 x 31 cm, © Beni Bischof /Galerie Nicola von Senger, Zürich

Design

In Design, Handwerk und Technik sind Modelliermassen wie Plastilin oder Industrie-Clay trotz der inzwischen etablierten 3D-Drucktechnik als manuelle Entwurfs- und Gestaltungsverfahren noch immer weit verbreitet. Die in der Ausstellung präsentierten Modelle und Vorstudien der Auto- und Spielzeugindustrie sowie der Maskenbildnerei demonstrieren die Bedeutung des Materials in der gewerblichen Verwendung. Im Animationsdesign ist Knete aufgrund ihrer typisch „handgemachten“ Ästhetik beliebt. So stehen die Arbeiten von Brigitta Garcia López beispielhaft für die innovative Verwendung der Modelliermasse im Bereich der Illustration und des Grafikdesigns. Werbeclips für große, internationale Konzerne wie Coca Cola und Anwendungen aus dem Gamedesign zeigen die Spielarten des Materials in weiteren Kontexten.

Weitere Infos:

Begleitprogramm
Familienaktionen, Themenworkshops und Führungen bilden ein umfangreiches Rahmenprogramm. Ein großzügiger Werktisch mitten in der Ausstellung bietet über die gesamte Laufzeit Raum zum gemeinsamen Kneten für Groß und Klein. Die selbstgestalteten Kreationen können schließlich im Schauregal neben den anderen Exponaten ausgestellt oder eigenständig an der Stop-Motion-Station animiert werden. Aktionen und Workshops laden ein zum Ausprobieren verschiedener Modelliermassen und geben Einblicke in Schmuck- und Character Design. Bei einem Besuch der Bühnenplastik-Werkstätten im Deutschen Schauspielhaus Hamburg kann man erfahren, wie ein Bühnenbild Form annimmt und welche Rolle plastische Materialien dabei spielen.

Angebote für Schüler/Jugendgruppen finden Sie unter www.mkg-hamburg.de/de/vermittlung/schueler.html

Alle Angebote sind im Ausstellungsflyer und auf www.mkg-hamburg.de zu finden.

Öffnungszeiten: Di–So 10–18 Uhr, Do 10–21 Uhr | Eintritt: 12 € / 8 €, Do ab 17 Uhr 8 €, bis 17 Jahre frei

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1 Kommentar
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AvL
4 Jahre zuvor

Danke für den Tipp.