„Auszeit-Klassen“ für verhaltensauffällige Schüler? Schulministerin Gebauer: „Probleme lassen sich nicht einfach wegsperren“ 

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DÜSSELDORF. Für manchen leidgeprüften Lehrer mag die Idee verlockend klingen: Nervige Quertreiber einfach wegsperren. Österreich will das mit «Time-Out-Klassen» und «Cool-Down-Räumen» erproben. Nordrhein-Westfalen findet das pädagogisch nicht so wertvoll.

Probiert mal etwas Neues - aber nur im klitzekleinen Rahmen: die FDP-Schulministerin Yvonne Gebauer. Foto: Magubosc / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)
Setzt auf mehr Sozialpädagogen und Schulpsychologen: Schulministerin Yvonne Gebauer. Foto: Magubosc / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Notorische Störer sollen in Nordrhein-Westfalen nicht – wie kürzlich in Österreich diskutiert – in sogenannte «Auszeit-Klassen» abgesondert werden. «Probleme lassen sich nicht einfach wegsperren, sondern sollten gelöst werden», sagte NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) im Gespräch in Düsseldorf. «Schulen sind Orte des Miteinanders, der Pädagogik, des Erziehens und des Lernens und kein Ort der Bestrafung.»

Österreichs bisheriger Bildungsminister Heinz Faßmann, der zur kürzlich des Amtes enthobenen Regierung gehörte, hatte «Time-Out»-Klassen und «Cool-Down»-Räume für auffällige Schüler geplant. Sie sollten bis zu einem Monat von Sonderpädagogen in einer «Auszeit-Klasse» unterrichtet werden. In weniger schlimmen Fällen sollten die Schüler für den Rest einer Schulstunde oder des Tages in «Abkühlungsräume» verwiesen werden.

Das NRW-Schulgesetz sieht bereits eine Fülle möglicher Ordnungsmaßnahmen vor, falls alle sonstigen erzieherischen Mittel nicht fruchten. Der Katalog möglicher Sanktionen reicht vom schriftlichen Verweis über die Überweisung in eine Parallelklasse, den bis zu zwei Wochen langen Ausschluss vom Unterricht und allen Schulveranstaltungen bis hin zum kategorischen Ausschluss von sämtlichen öffentlichen Schulen des Landes.

Einige Schulen in Nprdrhein-Westfalen setzen nach Angaben des Schulministeriums ein «Trainingsraum-Konzept» um. Schüler, die massiv stören, können demnach für einige Stunden aus dem Unterricht genommen werden, um in einem Trainingsraum unter pädagogischer Begleitung über ihr Verhalten nachzudenken.

Schulen personell besser ausstatten!

Aus Sicht der Landeselternschaft der Gymnasien NRW ist das ein Zeugnis der Hilflosigkeit und des Abarbeitens an Symptomen. «Wer ernsthaft mit dem Gedanken spielt, in NRW Time-Out-Klassen oder das Trainingsraum-Modell einzuführen, sollte sich fragen lassen, wo die Ursachen des Schülerverhaltens liegen und hieran arbeiten», sagte die Landesvorsitzende des größten NRW-Elternverbands, Jutta Löchner, im Gespräch.

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«Die meisten Schulen platzen jetzt schon aus allen Nähten, der Lehrer-Mangel wird noch auf Jahre hinaus ein ungelöstes Problem bleiben, Unterrichtsausfall ist an vielen Schulen fester Teil des Schulalltags», kritisierte Löchner. Von Schulsozialarbeitern oder gar Schulpsychologen, die die Verhaltensprobleme von Schülern analysieren oder heilen, könne die überwiegende Mehrheit der Schulen in NRW nur träumen. In solchen Personalressourcen liege aber die Lösung.

Ähnlich äußerte sich der Lehrerverband Bildung und Erziehung (VBE). «Time-Out-Klassen» seien vom Ende einer unzureichenden Personalpolitik gedacht, stellte VBE-Landeschef Stefan Behlau fest. «Statt Notpflaster zu verteilen, sollte Vorbeugung eine Selbstverständlichkeit sein.»

Genau diesen Ansatz verfolge die Landesregierung mit ihrem Aktionsplan gegen Gewalt und Diskriminierung an Schulen bereits, betonte Gebauer. Das im vergangenen Monat vorgestellte Konzept sieht unter anderem zusätzliche Stellen für Beratungslehrer, Sozialpädagogen und Schulpsychologen vor. Ein Notfallordner soll allen Schulen im kommenden Jahr Handlungsempfehlungen für verschiedene Krisen geben. Darüber hinaus will die Landesregierung erstmals wissenschaftlich die Ursachen von Gewalt an Schulen sowie die Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen in NRW untersuchen lassen. dpa

Welche Sanktionen sind Lehrern erlaubt? Hier geht’s zum § 53 des NRW-Schulgesetzes, das die „Erzieherischen Einwirkungen“ und die „Ordnungsmaßnahmen“ regelt.

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Lehrer sollen verhaltensauffällige Schüler in „Time Out“-Gruppen schicken dürfen

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9 Kommentare
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ysnp
4 Jahre zuvor

Das ist in meinen Augen ziemlich undifferenziert.
Jeder Schüler hat ein Recht auf einen ungestörten Unterricht, damit er sein Potential unter guten Bedingungen entfalten kann. Jeder Lehrer hat ein Recht darauf, ungestört unterrichten zu können.

Wer diese Rechte missachtet, der muss zum Nachdenken gebracht werden.
Das Trainingsraumkonzept (eine zeitlich begrenzte Auszeit zum Nachdenken) ist geeignet bei mittelschweren Fällen. Bei uns ist das an vielen Schulen üblich.

Die schlimmsten Schüler erreicht man dadurch leider auch nicht mehr. Jede Schule wird bei schwierigen Schülern Gespräche mit den Eltern suchen und die psychologische Betreuung empfehlen. Wenn alles nicht mehr hilft, müssen auf der anderen Seite Grenzen durch Ordnungsmaßnahmen aufgezeigt werden. Es kann nicht sein, dass von anderen Schülern ständig Toleranz eingefordert wird, diese aber in ihrem Lernen durch störendes Verhalten weniger massiv behindert sind.

ysnp
4 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

Das „weniger“ bitte streichen.

emil
4 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

Stimmt!

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor

Der therapeutische Ansatz bei sozial delinquenten Störern kann darin bestehen, dass man den Schüler mit seinen Opfern in ein Gruppengespräch einbindet, wobei der Täter die Sichtweisen seiner Opfer, deren Vorwürfe zu seinem Sozialverhalten und anderer indirekt betroffener Mitschüler bezogen auf sich anhören muss.
Dieses Verfahren wirkt sehr verunsichernd auf die Täter, denen ihr eigens Handeln und ihre negative Wirkung auf andere damit sehr klar verdeutlicht wird.
Es müssen sich aber auch weitere Gespräche in der Gruppe unter der Leitung des Psychologen und bzw. oder des Vertrauenslehrers stattfinden, in denen positive Verhaltensänderungen glaubhaft würdigend gelobt werden. Es sollten aber auch Wege im mitmenschlichen Miteinander aufgezeigt werden, damit der Klassenverband gestärkt aus diesen Gesprächen hervorgehen kann.
Die Gruppendynamik kann sehr viel an negativem Verhalten abstellen, wenn verdeutlicht wird, wo die Grenzen eines sozialen Miteinanders enden. Es geht auch um den Abbau von Vorurteilen gegenüber anders Denkenden, anders geschlechtlich orientierten, die eigene Reflektionsfähigkeit über eigenes Verhalten zu stärken, Kritikfähigkeit zu entwickeln, damit man nicht gleich persönlich sich stark gekränkt fühlt, wenn von Außen eine Reflektion am eigenen Verhalten an einen herangetragen wird.

Klaus
4 Jahre zuvor
Antwortet  Ignaz Wrobel

Ich glaube, sie hatten noch nie einen auffälligen Autisten oder Schüler mit FAS in der Klasse, diese reagieren entweder garnicht auf gruppendynamische Prozesse oder verschlimmern ihr Verhalten, weil sie es einfach nicht verstehen. Es muss die Möglichkeit geben, andere Kinder zu schützen.

g. h.
4 Jahre zuvor
Antwortet  Klaus

Danke, Klaus, Sie schreiben mir aus der Seele. Schöne Theorie und fromme Sprüche sind die Wurzel vielen Übels.

Herr Mückenfuß
4 Jahre zuvor

Auszeit-Klassen finde ich als Notlösung gut und sinnvoll, aber eben als Notlösung. Jede Schule sollte die Möglichkeit haben bzw. mehrere Schulen miteinander im Verbund. Dort sollten diese Kinder dann in sehr kleinen Gruppen beschult werden mit dem Vorrang des Erlernens sozialen Verhaltens, also mit dem Ziel, sie schrittweise wieder in ihre normalen Klassen zurückkehren zu lassen.

Auszeit-Klassen machen somit klar, dass „das System Schule“ sich nicht alles bieten lässt, aber das Kind soll weiterhin lernen, also nicht zurückbleiben, weil das Ziel ja immer die Wiedereingliederung ist.

Die Alternative wäre ansonsten nämlich eine andere: Auszeit-Lehrer, die Wochen oder Monate oder gar für immer fehlen, weil sie einfach nicht mehr können!

ysnp
4 Jahre zuvor

Wir haben hier in der Gegend eine Therapieeinrichtung, wo stark auffällige und psychisch belastete Schüler auf Zeit beschult und therapiert werden. Später werden sie wieder eingegliedert. In den Fällen, die mir bekannt sind, ist das Verhalten besser geworden. Allerdings waren bei diesen Fällen eher traumatische Erlebnisse die Hintergründe. Das wäre so etwas in der Richtung von Time- Out – Klassen. In der Therapieeinrichtung sind die Schüler professionell (nicht nur durch Sozialpädagogen im Unterricht) rund um die Uhr betreut und die Schule ist ein Teil der Therapie. Solche Einrichtungen sollte es viel öfter geben, denn einen Platz dort zu bekommen ist schwer. Die Klassen sind dort sehr klein. Die Schüler machen dort den wichtigsten Unterrichtsstoff, den die Stammschule dorthin liefert.

Trainingsräume und Trainingsecken in Klassenzimmern für begrenzte Auszeiten sind ein gutes Konzept. Bei hartnäckigen Fällen muss man sich Steigerungen überlegen. Wir haben an unserer Grundschule so ein Konzept entwickelt, wo die Auszeiten in anderen Klassenzimmern stattfinden. Unsere örtliche Mittelschule und andere Mittelschulen haben schon lange das Trainingsraumkonzept (ist mir seit über 15 Jahren bekannt). Jedes Mal sind die Sozialarbeiter mit eingebunden.
Trainingsräume sind Chancen für die Schüler, ihr Verhalten zu überdenken und gleichzeitig stören sie nicht mehr ihre Mitschüler beim Unterricht. Durch ihr Verhalten entscheiden sie selbst. Entweder sie verhalten sich so, dass der Unterricht ungestört weiterläuft oder sie gehen in den Trainingsraum, wo sie über ihr Verhalten nachdenken. Trainingsräume sind pädagogische Konzepte, die Konsequenzen aufzeigen und dem Schüler sein Verhalten bewusst machen. Was soll daran schlecht sein?

ysnp
4 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

Ich meinte im 1. Abschnitt: nicht nur durch Sonderpädagogen im Unterricht…..