„Fridays for Future“ – Vorbote einer neuen Politik? Forscher befragen Schüler in 13 Ländern

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CHEMNITZ. Der Vorwurf heutige Jugendliche seien politisch desinteressiert, ist mit der „Fridays for Future“-Bewegung passé. Doch wie flüchtig ist der „Greta-Effekt“ und wie wird sich der Jugendprotest auf das politische System als Ganzes auswirken? Ein internationales Wissenschaftlernetzwerk hat mehr als 10.000 Jugendliche befragt.

Die erste „Fridays for Future“-Demonstration in Deutschland – am 14. September 2018 in Berlin – fand noch weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Das hat sich gründlich geändert. Am 15. März 2019 beteiligten sich in Deutschland nach Angaben der Aktivisten rund 300.000 Menschen am international koordinierten Mobilisierungstag. Weltweit hatten sich an diesem Freitag 1,6 Millionen Menschen dem Schülerstreik angeschlossen. Auch Erwachsene waren eingeladen sich dem Protest anzuschließen.

Ist „Fridays or future“ eine neue „Graswurzelbewegung“? Nach Meinung der Forscher muss sich das noch zeigen. Foto: Tommi Boom / flickr (CC BY-SA 2.0)

Interessiert beobachtet wurden die Protestierenden von einem internationalen Netzwerk von Wissenschaftlern aus neun Ländern. Gemeinsam befragten die Forscher Demonstranten in 13 Städten nach ihren Motiven am Schulstreik teilzunehmen.

„Die ersten Ergebnisse der Befragung zeigen, was nicht überraschend ist“ berichtet Piotr Kocyba, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der TU Chemnitz und Projektleiter für den deutschen Teil der Studie, nämlich „ dass sich an einem Schülerstreik vorwiegend die Altersgruppe der 14- bis 19-Jährigen beteiligt, auch wenn die Unterschiede zwischen den einzelnen Demonstrationen groß waren. Insgesamt betrage der Median für alle Stichproben 21 Jahre und variiere zwischen 16 Jahren in Amsterdam und 40 Jahren in Brüssel“.

Überraschender als das junge Alter der Demonstranten sei die Dominanz weiblicher Teilnehmer, die beispielsweise in Amsterdam, Florenz, Warschau oder Wien sogar 70 Prozent der Protestierenden ausmachten. Diese überproportionale Teilnahme von Frauen an den „Fridays for Future“-Demonstrationen führt Kocyba, Vorstandsmitglied des Institus für Protest- und Bewegungsforschung, vor allem auf die starke Präsenz weiblicher Führungsfiguren zurück.

Auch in Deutschland, wo vielen die Studentin Luisa Neubauer als Gesicht der Protestwelle gilt, waren die Demonstrantinnen in der Überzahl. Bei den beiden untersuchten Protestmärschen in Berlin und Bremen betrug der Anteil weiblicher Demonstranten 55,6 Prozent (Berlin) und 58,9 Prozent (Bremen). Das Durchschnittsalter der deutschen Teilnehmer lag bei rund 26 Jahren, wobei allerdings unter 13-Jährige nicht befragt wurden.

Das Gesicht der deutschen Protestwelle: Wie die Studentin Luisa Neubauer für mehr Klimaschutz kämpft

Wie in fast in allen Ländern waren auch in Deutschland „Protestneulinge“ stark beteiligt. 38 Prozent der demonstrierenden Schüler haben sich am 15. März 2019 das erste Mal an einer Demonstration beteiligt (Berlin: 28,2 Prozent, Bremen: 51,1 Prozent). Nur die wenigsten Schüler waren allein gekommen (3,5 Prozent in Berlin, 1,1 Prozent in Bremen). Die überwältigende Mehrheit gab an, mit Freunden, Mitschülern oder Bekannten gekommen zu sein.

Die überwältigende Mehrheit der Protestierenden ist weder Mitglied einer Umweltorganisation, noch unterstützt sie eine solche finanziell. Nur 9,8 Prozent der Schüler sind aktive oder passive Unterstützer einer solchen Organisation gegenüber 35 Prozent der Erwachsenen Mitmarschierer. Überrascht registrierten die Forscher aber einen relativ hohen Anteil von Jugendlichen, die Mitglied in einer Partei oder einer parteinahen Jugendorganisation waren. So waren in Berlin 4,7 Prozent und in Bremen 3,4 Prozent entsprechend organisiert (gegenüber einem Anteil von weniger als 2 Prozent unter allen rund 18-Jährigen). Wie in ganz Europa überwog bei den Protestierenden ein eher linkes Selbstverständnis.

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Interessante Unterschiede zeigten sich in der Art des persönlichen politischen Verhaltens zwischen Erwachsenen Protestlern und Schülern. Bei Schülern war die meistgewählte Option politischer Veränderung die Änderung des persönlichen Lebensstils (69,2 Prozent). Für die Erwachsenen war hingegen das Unterzeichnen einer Petition das Mittel der Wahl (84,6 Prozent). Dies weise laut Kocyba darauf hin, dass für die jungen der politische Bereich bereits im Alltag beginne und sie alltägliche Praktiken und Aktionen politisierten.

Ein wesentliches Motiv für alle Teilnehmer, sich an den „Fridays for Future“-Protesten zu beteiligen, war das gefühlte Missverhältnis zwischen den Versprechungen der Regierung und der tatsächlichen Klimapolitik. Die meisten wollen mit der Demonstration vornehmlich Druck auf die Politik ausüben, konkrete Maßnahmen gegen den Klimawandel anzugehen. Dabei verstehen die Schüler ihre Beteiligung explizit auch als „Verteidigung ihrer eigenen Interessen“.

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Der oft gehörte Vorwurf, die gute Sache sei nur ein Deckmantel für massenhaftes Schuleschwänzen, scheint kaum eine Rolle zu spielen. In einer Umfrage zur gleichen „Fridays for Future“-Aktion in Konstanz zeigten sich 95 Prozent der Befragten überzeugt, ihr Engagement könne etwas verändern. Nur jeder Zehnte fand, es sei außerdem eine gute Gelegenheit zum Schwänzen. Die große Mehrheit (83 Prozent) verpasste zwar Unterricht, aber das war für sie ebenso zweitrangig wie das Teilnahmeverbot durch die Schule, das immerhin fast die Hälfte der Demonstrierenden betraf.

Von ihren Eltern und trotz offizieller Verbote sogar von zahlreichen Lehrern hätten sich die Jugendlichen eher bestärkt gefühlt. Die Mobilisierung sei vor allem über Aufrufe in sozialen Netzwerken (75 Prozent) und über Freunde erfolgt (60 Prozent). Dass dabei 45 Prozent angaben, in der Schule motiviert worden zu sein, spiegelt die Lebenswirklichkeit von Jugendlichen deutlich wieder.

Europaweit betrachtet habe sich „Fridays for Future“ wesentlich heterogener gezeigt, als der gemeinsame Rahmen suggeriere. Die Bewegung spiegele so die Unterschiede in den Klimadiskussionen der einzelnen Länder wider. In ganz Europa waren die Schüler zuversichtlich, dass der Klimawandel noch aufzuhalten ist. Hinsichtlich der Lösungskompetenz von Markt, Regierung, Wissenschaft und der Bedeutung des individuellen Konsumverhaltens hätten sich zwischen den Ländern allerdings signifikante Unterschiede gezeigt.

Trotz dieser Heterogenität, sehen die Forsche in den Schülerstreiks mehr, als einen flüchtigen Trend. Die „Fridays for Future“-Bewegung und hier allen voran Greta Thunberg aus Schweden schafften es, junge Menschen zivilgesellschaftlich erstmals zu aktivieren, so Piotr Kocyba. 44,9 Prozent der Schülerinnen und Schüler gaben an, dass Thunbergs Beispiel wesentlichen Anteil am eigenen Engagement hat. Darüber hinaus, brächten die Schüler einige spezifische Besonderheiten in die Umweltbewegung ein. Die starke Präsenz von Frauen, eine signifikantes Vertrauen in die sozialen Medien und Netzwerke, eine eher geringe Beteiligung in bestehende Umweltorganisationen bei dennoch hoher Bereitschaft, in einen politisch korrekten Lebensstil zu investieren könnten zu neuen Strukturen politischer Akitivität beitragen.

Der zukünftige Weg der Bewegung hänge besonders von ihrer Fähigkeit ab, den hohen Mobilisierungsgrad unter jungen Menschen aufrecht zu erhalten, ebenso wie von ihrer „Diffusion“ in die Gesellschaft, die sich in einer zunehmenden Zahl von Spin-Offs wie ”Eltern for Future“, „Wissenschaftler for Future“, etc. bemerkbar mache. Ob und wohin sich die Bewegung entwickle, sei zwar nur schwer prognostizierbar, doch Piotr Kocyba ist überzeugt: „Die signifikante Zahl junger und häufig erstmaliger Aktivisten scheint die Möglichkeit für die Etablierung einer neuen Klimabewegung zu eröffnen, die jenseits etablierter Akteure und Organisationen ihre Ziele verfolgt“ (zab, pm).

• zur Studie: „Protest for a future: Composition, mobilization and motives of the participants in Fridays For Futureclimate protests on 15 March,2019 in 13 European cities“

Studie zeigt auf, dass viele Schüler für Gemeinsinn wenig übrig haben: Wächst in Deutschland eine “Generation Rücksichtslos” heran?

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2 Kommentare
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Herr Mückenfuß
4 Jahre zuvor

Zitat: „Der Vorwurf heutige Jugendliche seien politisch desinteressiert, ist mit der „Fridays for Future“-Bewegung passé.“

Nein, diese Vorwurf ist nicht passé. Das ist die Realität. Ich staune, wie man immer wieder meint, dass man glaubt, es gebe nur das, was man sieht und nicht mehr. An meiner Schule gingen zeitweise rund 5 Schüler zu den Demos, die anderen rund 500 gingen nicht. Aber 5 von jeder Schule sind dann doch wieder hunderte oder gar tausende in der Summe und das ist das, was man sieht (in den Medien).

Auch wenn das Interesse wieder gestiegen ist, interessiert sich die Mehrheit (!) doch nicht für Politik – was ich übrigens alterstypisch normal und in Ordnung finde.
Zitat: „In der Langzeituntersuchung wurde das politische Interesse von 12- bis 25-Jährigen in Intervallen von vier bis fünf Jahren untersucht. Dabei zeigt sich, dass das politische Interesse der Jugendlichen zwischen 1991 und 2002 von 57 Prozent auf 34 Prozent sank. Bis 2015 stieg es wiederum auf 46 Prozent. Somit werden auch junge Erwachsene der Generation Y engagierter, sich politisch einzubringen.“
https://rp-online.de/politik/deutschland/junge-menschen-sind-nicht-politisch-desinteressiert_aid-35261043

Herr Mückenfuß
4 Jahre zuvor

Zu den Demonstrationen während der Unterrichtszeit sagt übrigens ein bekannter Schulrechtsexperte:

ZITAT: „Bei einem Konflikt zwischen dem Schulbesuch und dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit hat im Regelfall die Schulpflicht Vorrang … Die wohl nicht ganz unrealistische Erwartung der Veranstalter einer Schülerdemonstration, während der Unterrichtszeit sei mit einer höheren Teilnehmerzahl als am Nachmittag zu rechnen, stellt kein Anliegen der Demonstration dar.“

(Thomas Böhm: „Nein, du gehst jetzt nicht aufs Klo!“.- München 2018, S. 22)

Eine Ausnahme wird auch genannt, die trifft aber in diesem Falle meiner Meinung nach nicht zu. Nachmittags könnten dann ja übrigens auch zahlreiche Erwachsene teilnehmen, die ja nicht wegen des Klimaschutzes sanktionslos ihre Arbeit niederlegen, also streiken dürfen.