Wenn die Reisekauffrau Geografie unterrichtet – immer mehr Seiteneinsteiger kommen in den Schuldienst, einzelne sogar schon ohne Abitur

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WIESBADEN. Um alle Lehrerstellen besetzen zu können, brauchen die Länder nach Einschätzung des Vorsitzenden der Kultusministerkonferenz (KMK) auch in den kommenden Jahren Quereinsteiger. «In dem Maß, wie wir dieses Instrument im Moment nutzen, ist es natürlich eine Übergangslösung. Man muss aber ehrlicherweise sagen, es ist eine Übergangslösung, die wir noch einige Jahre brauchen werden», sagte Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU). In Berlin, so berichtet aktuell der „Tagesspiegel“, werden allerdings auch schon die Quereinsteiger knapp – mittlerweile kämen deshalb sogar Menschen ohne Studienabschluss oder sogar ohne Abitur in den Schuldienst.

Immer mehr Menschen kommen über den Seiteneinstieg in den Schuldienst. Foto: pixabay
Immer mehr Menschen kommen auf schnellem Weg in den Schuldienst. Foto: pixabay

Lorz rechnet damit, dass Lehrer weiter fehlen werden. «Auch im neuen Schuljahr wird die Lage angespannt sein.» Im vergangenen Jahr hatte der Bedarf laut einer KMK-Studie um 11.510 Lehrer über dem Angebot an Bewerbern gelegen. Die Ressortchefs der Länder trafen sich von Donnerstag an für zwei Tage in Wiesbaden, auch um über den Lehrermangel zu sprechen. Grundsätzlich sprach sich Lorz dafür aus, den Weg des Quereinstiegs in den Lehrerberuf auch künftig zu ermöglichen. «Man findet so durchaus hervorragende Leute. Deswegen wünsche ich mir, dieses Tor offen zu halten.» In Hessen beispielsweise stünden keine Grundschullehrer mehr auf der sogenannten Rangliste, sagte Lorz. Nach dieser Liste wurden früher ausgelernte Lehrer nach dem Referendariat je nach Leistung eingeordnet und eingestellt. «Wer heute seine zweite Staatsprüfung im Grundschullehramt absolviert, hat quasi eine Einstellungsgarantie.»

„LovL“ – Lehrer ohne volle Lehrbefähigung

Allein in Berlin, so berichtet der „Tagesspiegel“, könnten zum kommenden Schuljahr wohl 600 Stellen nicht besetzt werden – es sei denn mit Quereinsteigern und sogenannten „LovL“, wie Lehrer ohne volle Lehrbefähigung genannt werden.  Einige davon hätten ein Lehramtsstudium nach den ersten Semestern abgebrochen, andere den Abschluss des Referendariats nicht geschafft. Die Zeitung zitiert den Vizevorsitzende des Gesamtpersonalrats, der davon ausgeht, dass schon jetzt rund 1000 solcher „LovL“ im Berliner Schulsystem arbeiten – darunter mehrere Dutzend ohne Studium, einzelne sogar ohne Abitur. Als Beispiel genannt wird eine Reisekauffrau, die Geografie unterrichtet.

Astrid-Sabine Busse, die Vorsitzende des Interessenverbands Berliner Schulleitungen (IBS), sieht es kritisch, dass zunehmend Quereinsteiger und „LovL“ an den Schulen arbeiten. Im Moment gehe es nicht anders, weil es nicht genügend Laufbahnbewerber gebe. Allerdings müssten die Einsteiger gut betreut werden. „Wenn es zehn Prozent des Kollegiums sind, kann man das gut schaffen“, sagt Busse dem Bericht zufolge. Aber wenn die Hälfte des Kollegiums aus Nicht-Lehrern bestehe, könne das ihrer Meinung nach kaum gutgehen. „Ich achte genau darauf, wen ich einstelle“, sagt Busse.

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Das Problem allerdings wächst sich aus – landauf, landab. Bei einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des VBE unter Schulleitungen in Deutschland anlässlich des Deutschen Schulleiterkongresses im März gaben bereits 45 Prozent der Befragten an, Seiteneinsteiger zu beschäftigen. Zwei von drei dieser Schulleitungen gaben wiederum an, dass die Seiteneinsteigenden nicht angemessen vorqualifiziert werden. Der VBE fordert eine mindestens halbjährige Vorqualifizierung. Aktuelle Studien zeigten zudem, dass sie überproportional häufig in Schulen in schwierigen sozialen Lagen eingesetzt werden (News4teachers berichtete).

VBE-Vorsitzender Beckmann erklärte seinerzeit: „Kinder, die auf Lehrkräfte angewiesen sind, die mit besonders viel pädagogischem Geschick bilden und erziehen, wird besonders viel Unterricht durch dafür nicht angemessen qualifizierte Seiteneinsteigende gegeben. Hier setzt sich eine Abwärtsspirale in Gang, die bald nicht mehr aufzuhalten ist. Und es gibt sogar eine „doppelte Abwärtsspirale“, denn die originär ausgebildeten Lehrkräfte werden in Zeiten des Lehrermangels immer stärker beansprucht. Jede dritte Schulleitung gibt an, dass die Zahl der langfristig aufgrund psychischer Erkrankungen Ausfallenden zunimmt. So produziert der Lehrermangel eine Verschärfung des Lehrermangels. Die jahrelange Fehlplanung und das maßlose ‚Draufsatteln‘ von Aufgaben rächen sich jetzt.“ News4teachers / mit Material der dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Im Teufelskreis: Lehrermangel sorgt für höhere Belastung im Schuldienst – und immer mehr Lehrer flüchten in Teilzeit

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Reisinger850
4 Jahre zuvor

Ich habe eine Bekannte, die seit Jahren nach abgebrochenem Studium an der Grundschule unterrichtet , mit positivem Feedback. Ich frage mich, auch wenn das jetzt aktuell ohnehin wegen des Mangels ganz weit weg ist, was in ein paar Jahren mit diesen Leuten passiert. Haben die irgendwann eine Chance auf eine feste Stelle, meinetwegen mit E9?

Herr Mückenfuß
4 Jahre zuvor

Natürlich ist das eine vorübergehende Lösung, denn bis neue Lehrer fertig sind (die jetzt neu beginnen), werden ja rund 7 Jahre vergehen. Das zeigt letztlich auch, dass alle bisherigen Maßnahmen zur Behebung des Lehrermangels Augenwischerei waren. Einfach nur mehr Geld (Gehalt) ist schön für jeden, der es bekommt, bringt uns aber rund 7 Jahre lang keinen Lehrer mehr zusätzlich, denn die sind ja alle schon im Dienst oder fingen ohne diese Aussichten an.

Allein die Verbesserung der Einstellungsperspektive und die Erhöhung der Ausbildungskapazitäten beseitigen den Lehrermangel perspektivisch, aber eben erst in 7 Jahren. Zur Zeit sind Seiteneinsteiger und eine Reduzierung der Stundenzahl für die Schüler unsere einzige Rettung.

Leider sind nun alle Gelder verbraucht, um uns mal deutlich zu entlasten. Wenn jemand nicht Lehrer werden will, dann nicht wegen des Gehalts, sondern wegen der Arbeitsbedingungen. Das sagen viele!

D. Orie
4 Jahre zuvor

„Zwei von drei dieser Schulleitungen gaben wiederum an, dass die Seiteneinsteigenden nicht angemessen vorqualifiziert werden. Der VBE fordert eine mindestens halbjährige Vorqualifizierung. Aktuelle Studien zeigten zudem, dass sie überproportional häufig in Schulen in schwierigen sozialen Lagen eingesetzt werden“. Das ist schlimm!!! Weiß jemand, wie hoch die Bezahlung für die unterschiedlich qualifizierten Seiteneinsteiger sind? Für die Länderbildungspolitik ist es ja eigentlich eine preisgünstige Alternative. Dann wird bei der nächsten Vergleichsstudie mal kurz „aufgeschrien“, das wird ausgesessen und so dann wieder so weitergemacht. Warum brauchen wir dies Art von Bildungspolitik? Horst Schlämmer könnte das auch!

Palim
4 Jahre zuvor
Antwortet  D. Orie

„Weiß jemand, wie hoch die Bezahlung für die unterschiedlich qualifizierten Seiteneinsteiger sind?“
Es kommt darauf an…

Es gibt in Nds. unterschiedliche Kriterien dafür, ob man als Seiteneinsteiger oder Vertretungskraft (befristete Einstellung) für den Schuldienst zugelassen wird.
Bei Seiteneinsteigern gibt es eine berufsbegleitene Qualifizierung ähnlich eines Referendariats. Vorab muss man einen Uni-Abschluss 1-2 Schulfächern nachweisen, anderenfalls wird man dazu nicht zugelassen. Jeder Fall wird einzeln geprüft, dafür sind verschiedene STellen an verschiedenen Behördenstandorten zuständig … und es kann dauern, bis man einen Bescheid erhält oder eine Auskunft, was zur Zulassung fehlt.

Der Lehrermangel wird aber in großen Teilen gar nicht über die Quereinsteiger aufgefangen, sondern über Vertretungslehrkräfte. Dies waren früher ausgebildete Lehrkräfte mit 2. Examen, die noch keine Stelle hatten, nannte sich häufig Feuerwehr-Lehrkraft. Inzwischen reicht es, einen Bachelor in einem Schulfach nachweisen zu können …
Die Besoldung richtet sich nach der Qualifikation, z.B. auch nach der Unterrichtserfahrung. Auch hier gibt es eine Einzelfallprüfung, allerdings nicht, bevor man auf die Listen kommt, sondern erst dann, wenn es zu einer Einstellung kommen soll. Manchmal scheitert dann nach längerer Suche die Einstellung noch und die Schule muss erneut suchen.
Kommt es zu einem Vertrag, muss sich die Vertretungskraft darauf einstellen, dass es erst dann zu einer Einschätzung der Gehaltsstufe kommt bzw. diese angepasst wird.

Steven
4 Jahre zuvor

Kann ich bestätigen, habe an einer IGS den QE gemacht, sollte erst E10 bekommen, dann wurde es E12
Jetzt nach ein paar Jahren bin ich Beamter auf Probe an einer GS und sollte anfangs mit E9 (!) eingestellt werden, habe mich geweigert und erhalte nun A12 was deutlich besser ist. Habe aber auch zwei Mangelfächer studiert und abgeschlossen (Magister) Die Einstellungsmodalitäten sind undurchschaubar und teilweise willkürlich.
Oft wissen Sachbearbeiter innerhalb der Behörde nicht wie der offizielle Weg ist. Ein völliges durcheinander…