Lehrermangel sorgt jetzt auch an weiterführenden Schulen für Chaos: 18-Jähriger hat an Realschule selbstständig unterichtet

9

MÜNCHEN. Der Lehrermangel in Deutschland treibt Blüten – mittlerweile auch an weiterführenden Schulen. In Mecklenburg-Vorpommern sorgt der Brandbrief einer Schule, den diese kurz vor den Ferien noch ans Bildungsministeriuman den Landtag geschickt hat, für Aufregung. Bundesweite Schlagzeilen sogar macht aktuell ein Fall aus Bayern: An einer schwäbischen Realschule haben zwei Studienanfänger – einer davon erst 18 Jahre alt – unterrichtet. Das bayerische Kultusministerium spricht von einem „Einzelfall“.

Ohne Lehrer bleibt der Klassenraum leer – meistens jedenfalls. Foto: Shutterstock

An einer Realschule in Schwaben haben seit Monaten zwei junge Männer als Aushilfslehrer unterrichtet, die nahezu keine pädagogische Ausbildung haben. Dies berichtet die „Süddeutsche Zeitung“. Beide hätten erst kürzlich mit dem Lehramtsstudium begonnen. Der Jüngere sei erst 18 Jahre alt, er habe im vergangenen Jahr Abitur gemacht Nach zwei Wochen Hospitation habe ihm die Schulleitung angeboten, an der Schule zu arbeiten. 16 Stunden pro Woche sei er seitdem beschäftigt.  In „notenrelevanten Stunden“ werde er als Zweitkraft neben einem erfahrenen Lehrer eingesetzt. Vertretungsstunden halte er jedoch alleine – auch in den Fächern Deutsch und Englisch. Er studiert aber Lehramt für Wirtschaft und Französisch. Die „Bild“-Zeitung griff den Fall auf und titelte: „Gerade noch machten sie mit ihren Mitschülern Abi – jetzt unterrichten sie selbst!“

„Fachlich gut ausgebildete Lehrer sind unabdingbar“

Dass an einer schwäbischen Realschule zwei Kräfte ohne pädagogische Ausbildung unterrichten, erfüllt den Bayerischen Elternverband mit großer Sorge. „In anderen Bundesländern gehört es schon zum schulischen Alltag, dass Nichtpädagogen an Unterricht erteilen. Für unser Bundesland hat das bayerische Kultusministerium dies stets ausgeschlossen“, erklärt Martin Löwe, Landesvorsitzender des Bayerischen Elternverbands. Bayerns Eltern hätten dies sehr wohl zu schätzen gewusst, denn auch aus ihrer Sicht sei nicht nur fachlich, sondern auch pädagogisch und didaktisch qualifiziertes Personal unabdingbar für guten Unterricht.

Der entsprechende Bericht habe den Bayerischen Elternverband insofern überrascht, als sich der Lehrermangel in Bayern bisher ganz überwiegend an Grund-, Förder- und Mittelschulen manifestiert hatte. Um dem abzuhelfen, wurden und werden beschäftigungslose Realschullehrer für diese Schularten nachqualifiziert. „Anscheinend aber ist nun der Lehrermangel auch an den Realschulen angekommen“, sagt Löwe. Dies verwundere, denn nach den letzten Meldungen soll eine vierstellige Zahl von fertig ausgebildeten Realschullehrern ohne Stelle sein.

Wie die „Schwäbische“ berichtet, hat das Kultusministerium auch umgehend reagiert – und den beiden Junglehrern Unterrichtsverbot erteilt. Es sei den Studenten lediglich erlaubt, die Lehrer bis zum Schuljahresende bei organisatorischen Dingen zu unterstützen, hieß es. Die Rede ist von einem „Einzelfall“. Die Schule habe aufgrund von Krankheitsfällen und Schwangerschaften Aushilfen benötigt.

Anzeige

Lehrer-Kollegium dauerhaft von hohem Krankenstand betroffen

Doch auch im Norden Deutschlands hat der Lehrermangel längst auch die weiterführenden Schulen erreicht. Beispiel Wismar: Dort haben die Lehrer einer Gesamtschule laut „Ostsee-Zeitung“ einen Brandbrief an den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern geschickt, weil die Überlastung aufgrund von Personalmangel neue Dimensionen erreicht habe. Ihre Aufgabe, Schüler möglichst gut zu unterrichten und dabei mit Eltern zusammenzuarbeiten, könnten sie unter den aktuellen Bedingungen nicht erfüllen

Das eigentlich 40-köpfige Kollegium ist laut Bericht ununterbrochen von einem Krankenstand von mindestens 25 Prozent betroffen. Ein Teufelskreis: Durch den Ausfall fehle es an ohnehin knapp bemessener Zeit für einzelne Schüler. Förderstunden müssten zweckentfremdet werden. Von den rund 500 Schülerinnen und Schülern hätten aber 115 festgestellten Förderbedarf, Verhaltensauffälligkeiten nähmen zu – wodurch wiederum die psychische Überlastung der Lehrer und damit der Krankenstand steige. Eine Sieben-Tage-Woche sei für die meisten Mitglieder des Kollegiums „der Regelfall“. Die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts müsse in den Abendstunden und am Wochenende erfolgen – von Weiterbildung gar nicht zu Reden.

Dazu komme die miserable Ausstattung der Schule: Zum Schreiben der Zeugnisse gebe es gerade mal drei Computer und einen Kopierer, der nur schwarzweiß drucke, für 22 Klassen. Unter diesen Umständen würden viele Lehrer vorzeitig in den Ruhestand gehen. Die Folge: weiter steigender Lehrermangel. Agentur für Bildungsjournalismus

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Im Teufelskreis: Lehrermangel sorgt für höhere Belastung im Schuldienst – und immer mehr Lehrer flüchten in Teilzeit

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

9 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Juri Winterberg
4 Jahre zuvor

Wie kommt es denn eigentlich, dass es in nahezu allen Branchen einen Personalmangel gibt? Sind wir zu wenige oder zu viele Menschen geworden? Wir werden doch eigentlich immer mehr (83 Millionen neuerdings).

Bernd
4 Jahre zuvor
Antwortet  Juri Winterberg

Das ist einfach: Die deutsche Wirtschaft brummt seit fast zehn Jahren.

Heinz
4 Jahre zuvor

Ich traue einem 18 jährigen Lehramtsstudenten mehr zu als so manchem älteren Aushilfskollegen die wir bereits hatten, die haben nämlich in der Regel noch KEIN EINZIGES MAL eine Pädagogikveranstaltung besucht, weil sie eigentlich mit Lehre und Lehren nichts zu tun haben.
Unterricht findet bei diesen Kollegen häufig auch einfach garnicht wirklich statt, da diese entweder ständig raus oder in den Computerraum oder sonstiges gehen und die Schüler können dann schön am Handy spielen die Stunde.
Jeder nimmt das so hin, weil es für die Schulleitungen bloß darum geht, dass in der Statistik wenig Unterricht ausgefallen ist, und jeder Kollege einfach froh ist, dass überhaupt jemand die Kinder betreut, da man selbst sonst nur noch unterrichten müsste an einer Ganztagsschule und vollkommen fertig wäre, weil man das nicht über Monate/Jahre hinweg durchhält.

D. Orie
4 Jahre zuvor

Man gewöhnt sich leider ja an viele Missstände. Ich staune jeden Tag, dass wir das alles so hinnehmen. Nichts passiert. Wir zahlen doch alle unsere Steuern und dann lassen wir es zu, dass so vieles so dramatisch schlechter wird (und dieser Trend geht weiter). Welche gesellschaftliche Gruppe ist noch fähig, hier „das Ruder rumzureißen“? Eigentlich müssen wir viel lauter schreien!!!

Bernd Gebert
4 Jahre zuvor

Ich denke, das Problem hat verschiedene Facetten und hier ist nicht der Raum, um alle beleuchten zu können. Der schlechte Zustand von Schulen und die schlechte Ausstattung sind nicht plötzlich vom Himmel gefallen, sondern haben sich im Laufe der Jahre „eingeschlichen“. In dieser Zeit haben die Beteiligten möglicherweise immer wieder die Stimme erhoben und gesagt, dass Mangel besteht. Offensichtlich hat das nicht gereicht. Die Lehre ist also, dass man lauter werden muss und auch unpopuläre Maßnahmen in Erwägung ziehen muss – selbst wenn man Beamter ist oder sogar Schulleiter.

Wir brauchen mehr Zivilcourage, auch an Schulen. Die Flucht in Teilzeit ist kein Ausweg. Außerdem war es schon vor ungefähr zehn Jahren so, wenn ich mich richtig erinnere, dass rund zwei Drittel aller Lehrkräfte in Teilzeit waren. Schon allein dem entgegenzuwirken würde den Lehrermangel an Schulen drastisch reduzieren. Auch vorzeitig in den Ruhestand zu gehen, ist kein Ausweg aus dem Dilemma. Jedenfalls nicht für die Schule und die Schüler.

Grundpfeiler jeden demokratischen Systems sind Eigeninitiative, Verantwortungsübernahme und Gemeinsinn. Und dazu passt nicht der persönliche Rückzug aus der Verantwortung durch Teilzeit und vorzeitigen Ruhestand.
Kurz gesagt: wenn Missstände erkannt werden und Mangel herrscht, aber die bisherigen Mittel um den Mangel zu beseitigen nicht ausreichen, muss man andere Wege wählen. Selbst wenn diese unpopulär sind und möglicherweise disziplinarische Maßnahmen nach sich ziehen. Wo kommen wir denn hin, wenn wir von Schülern mehr Zivilcourage fordern, sie aber selbst nicht bringen?

Und was die fehlende Computerausstattung angeht: bei http://www.das-macht-schule.net gibt es unter http://www.das-macht-schule.net/gratis-hardware gratis Hardware. Inzwischen konnten wir für über 3,5 Millionen € Hardware kostenlos an Schulen vermitteln. Engagierte Lehrkräfte und Eltern fahren dafür manchmal quer durch die Republik. Das ist kein begrüßenswerter Zustand – aber es hilft den Mangel zu beseitigen. Auch wir sind dafür, dass dies von staatlicher Seite geschieht. Aber wir können die Schüler nicht darunter leiden lassen, dass wir Erwachsenen es nicht gebacken bekommen.

Ich weiß, dass ich mich wahrscheinlich mit diesem Beitrag nicht beliebt mache, würde mich aber freuen, wenn er ernsthaft reflektiert wird. Und dabei meine ich eher den Kopf als Ort der Reflexion als spontane Kommentare. Ansonsten: wo wir als Initiative helfen können, gern! Wir helfen Lehrern Praxisprojekte umzusetzen um Schülern Kompetenzen, Werte und Demokratielernen zu ermöglichen – und zu einer aktiven Teilnahme an der Weiterentwicklung der Gesellschaft zu befähigen. Denn die Gesellschaft ist nur so gut, wie die Summe seiner Teile. Deshalb zählt jeder. – Auch du!

C. Domke
4 Jahre zuvor

Kurioserweise warten in Bayern hunderte Realschullehrer auf eine Planstelle, die sie aber nicht bekommen, weil der Staat Geld sparen möchte. Der angebliche Lehrermangel ist hier also hausgemacht.

Mike xtr
4 Jahre zuvor

Selber Schuld!
Wenn man unbedingt studierende Leute mit einem Durchschnitt von max. 2 haben will, dann brauch man sich auch nicht wundern wenn man am Ende nur ca. 20% einstellt, weil der Rest ja einen schlechten Durchschnitt hat.
Lieber mal den schlechteren eine Chance geben, zu unterrichten bzw. zu Schulen, dann wird es bestimmt viele geben, die trotz ihres schlechten Durchschnitts super unterrichten können.
So ist Deutschland heutzutage nun mal, die Augen nur noch auf die Noten 1,0 gut eingestellt 1,5 gut eingestellt alle die unter 2 sind schlecht können nichts usw.
Ihr solltet eure Einstellung mal ändern! Früher seid ihr noch alle froh gewesen, einen Mitarbeiter bzw. Lehrer zu haben. Heute guckt ihr nur noch auf die Noten und die sagen ja sehr viel über einen aus. Es muss nicht sein, dass jemand der schlechte Noten hat, auch ein schlechter Mitarbeiter ist und da ist eure Einstellung einfach daneben!
Jetzt heult ihr alle rum keine Mitarbeiter keine Lehrer usw. Uuhh wir haben Lehrermangel, niemand will mehr Lehrer werden. So ist das NICHT!

Konny Koala
4 Jahre zuvor

Undenkbar, dass vielleicht auch 18-jährige, die noch kein Studium fertig absolviert haben auch qualitativ hochwertigen Unterricht bieten können… Jenen Eltern, die darüber urteilen ohne je im Unterricht anwesend gewesen zu sein, empfehle ich dringend ein Elternstudium 🙂 ! Natürlich ist eine gute Ausbildung wichtig,dennoch wird kein Schulleiter unqualifiziertes Personal einstellen, egal wie hoch der Lehrermangel auch ist.

ysnp
4 Jahre zuvor

Ich denke, der geschilderte Fall ist für Bayern ein Ausnahmefall und nicht die Regel. Die Schule ist öffentlich bekannt. Sie steht in Konkurrenz mit einer privaten Realschule im gleichen Ort mit sehr gutem Ruf. Warum zwei Realschulen? Es gab dort einmal eine Jungenrealschule (eben die besagte) und eine Mädchenrealschule. Beide nehmen aber jetzt Jungen und Mädchen auf. Die besagte Schule hat schon länger einen Schülerrückgang zu beklagen und anscheinend auch noch andere Probleme.
Hier ein Kommentar dazu aus der Augsburger Allgemeinen mit Links zu weitergehenden Artikeln.
https://www.augsburger-allgemeine.de/guenzburg/Guenzburger-Realschule-verdient-bessere-Aussichten-id54792921.html