Streit um bundesweites Zentralabitur: Philologen fordern, die (in drei Ländern übliche) sechsjährige Grundschule abzuschaffen

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BERLIN. Die Debatte um ein bundesweites Zentralabitur ist in eine neue Runde gegangen. Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Peter-André Alt, sprach sich für eine einheitliche Reifeprüfung in ganz Deutschland aus. Allerdings sei dieses nur ein Aspekt, wenn es darum gehe, Schule und Hochschule besser aufeinander abzustimmen. Der Philologenverband bekräftigte unterdessen seine Ablehnung eines bundesweiten Zentralabiturs, forderte aber ebenfalls mehr Vergleichbarkeit. Dabei ist ihm auch die sechjährige Grundschule in drei Bundesländern ein Dorn im Auge.

In drei Bundesländern gehen auch Zwölfjährige noch zur Grundschule – ein Problem? Foto: Shutterstock

„Insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund oder aus bildungsfernen Milieus benötigen intensivere und individuelle Unterstützung, um in der Schule erfolgreich sein zu können“, sagte Alt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Diese Herausforderung werde durch ein Zentralabitur nicht gelöst. „Hier werden mehr und besser qualifizierte Lehrerinnen und Lehrer benötigt“, so der Hochschulrektoren-Präsident.

Philologen fordern ein einheitliches „Skelett“ für das Abitur

Der Philologenverband nahm gestern hingegen die unterschiedlichen Rahmensetzungen aufs Korn. „Das Skelett des Abiturs muss für jeden Schüler und für jede Schülerin in jedem Bundesland gleich sein“,  befand Philologen-Chefin Prof. Susanne Lin-Klitzing. „Das ist es bisher nicht! Mehr Vergleichbarkeit auf dem Weg zum Abitur und zwar durch dasselbe Skelett des Abiturs in jedem Land – das ist machbar und besser, als sich in Diskussionen über ein Bundeszentralabitur aufzuhalten.“

Der Philologenverband fordert deshalb konsequentere Vereinbarungen in der Kultusministerkonferenz als bisher. Konkret: Nicht jedes Bundesland wählt wie bisher, ob seine Schülerinnen und Schüler 32 Kursnoten in die Abiturwertung einbringen oder vielleicht 36 oder maximal 40, sondern exakt 40 Kursnoten aus der gesamten gymnasialen Oberstufe müssen in jedem Land in die Abiturwertung eingebracht werden.

„Das ist wahrhaftig nicht zu viel angesichts von fast 55 möglichen Kursen und bedeutet hier ein konkretes Ende von Beliebigkeit und Ungleichheit. Denn die Abiturnote besteht zu fast 70 Prozent aus genau diesen Kursnoten, die die Schülerinnen und Schüler aus der gymnasialen Oberstufe in die Abiturwertung einbringen. Es ist für die Vergleichbarkeit des höchsten Schulabschlusses wichtig, dass dieser Hauptteil des Abitur-Skeletts in allen Ländern gleich ist“,  führte Lin-Klitzing aus. Nur rund 30 Prozent der Abiturnote besteht aus den Abschlussnoten der Abiturprüfungen.

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Ein nur sechsjähriges Gymnasium ist für Lin-Klitzing ein Problem

Ungleichheit und Ungerechtigkeit beginnen aber nach Meinung der Verbandsvorsitzenden schon viel früher: Ginge es Eltern und Politikern wirklich um Bildungsgerechtigkeit für die Schülerinnen und Schüler auf dem Weg zum Abitur, dann müssten sie dem „G6“ in Berlin, Brandenburg und in Mecklenburg-Vorpommern endlich ein Ende setzen, denn alle anderen Schülerinnen und Schüler im gesamten Bundesgebiet hätten mindestens acht Jahre Zeit, sich nach der Grundschule auf den höchsten Schulabschluss Abitur vorzubereiten.

„Bildungsgerechtigkeit für Schülerinnen und Schüler aus Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern heißt: Geben Sie ihnen (mindestens) acht Jahre Gymnasialzeit, in jedem Falle jedoch für die gleichen Voraussetzungen die gleichen Stundenzahlen: in Deutsch, Mathematik und Fremdsprachen 35 Wochenstunden – aber kein Bundeszentralabitur, das sie noch stärker benachteiligen würde“, meinte Lin-Klitzing. Mecklenburg-Vorpommern und Berlin wiesen kontinuierlich höchste und hohe Durchfallquoten beim Abitur auf. „Um unserer Schülerinnen und Schüler willen: Wir brauchen mehr Vergleichbarkeit jetzt!“, verlangt Susanne Lin-Klitzing.

Unter dem Motto „Mondays for Matura“ stellt der Deutsche Philologenverband an die Kultusministerkonferenz montags in der Sommerzeit „konkret umsetzbare Forderungen nach mehr Vergleichbarkeit auf höherem Niveau als bisher“. News4teachers / mit Material der dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Umfrage: Mehrheit der Deutschen für Zentralabitur

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xxx
4 Jahre zuvor

Bei einem entsprechend hohen Niveau in den Szufen 5&6 auf der Grundschule kann man das gerne bundesweit einführen. Ab Klasse 7 aber knallharte Außendifferenzierung. Das halte ich aber für unwahrscheinlich.

Palim
4 Jahre zuvor

Am nächsten Montag fordert der Philologenverband dann die Abschaffung aller Möglichkeiten, an der IGS oder BBS das Abitur abzulegen, weil die Bedingungen nicht gleich sind, aber diese Schulen auch Zentralabitur abnehmen?

ysnp
4 Jahre zuvor
Antwortet  Palim

Dieser Gedanke kam mir auch schon. Der nächste Angriffspunkt wird dann die anderen Wege zum Abitur sein.
Allerdings finde ich es hanebüchend, wenn man liest, dass die Kriterien zur Zusammensetzung der Abiturnote in den verschiedenen Bundesländern so unterschiedlich sind.
Für mich, der das Abitur vor langen Zeiten gemacht hat, zudem unverständlich, dass die eigentlichen Prüfungen gar nicht mehr so viel zählen! Bei uns zählten sie im Vergleich zu den Einreichungsnoten mehr als die Einreichungsnoten.

dickebank
4 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

Alle Schulformen bis auf die GY abschaffen.
Vorteil: Gibt es keine GS mehr, entfällt auch die A13-Debatte-für-alle.
NAchteil: Wenn alle Studienräte sind, kann es per definionem keine „Oberlehre2 mehr geben …

Küstenfuchs
4 Jahre zuvor
Antwortet  Palim

@Palim: Dem Philologenverband ist es schon ein Dorn im Auge, wenn selbst in einem Bundesland für gleiche Leistungen unterschiedliche Noten gegeben werden. Viele Gemeinschaftsschulen geben utopisch gute Vornoten und versuchen dann, ihre Schüler irgendwie noch durch das Zentralabitur zu bekommen, wobei in den nicht-zentralen mündlichen Prüfungen noch mangelhafte Leistungen aus den schriftlichen Prüfungen geradegebogen werden.

Beispiel: In S-H wird statistisch die Note aus der Abiturprüfung eines Fachs mit der Halbjahresnote aus 13.1 verglichen. Als im letzten Jahr mein Kurs mich etwas enttäuscht hatte, lag die Abweichung bei 1,9 Punkten nach unten. Meine Schüler hatten also im Schnitt eine um 0,6 bessere Vornote, was ich schon viel finde und bei mir in der Regel weniger ist (so 1 Punkt Abweichung ist normal).

In der benachbarten Gemeinschaftsschule lag die durchschnittliche Abweichung in Mathematik aber bei gut 6 Punkten, also zwei ganzen Noten. Das wurde bekannt, weil in Ermangelung eines zweiten Mathematiklehrers mit Oberstufenbefähigung die Zweitkorrektur von meienr Schule zu machen war. Diese Schule hat also in den Vornoten Phantasienoten gegeben. Da die Vornoten 2/3 der Abiturnote ausmachen, ist das den Schülern meiner Schule gegenüber höchst ungerecht.

Und die Statistik legt nahe, dass dies kein Einzelfall ist: Die Note, die bei Gemeinschaftsschulen im Mathematikabitur landesweit am häufigten gegeben wird, sind über Jahre hinweg 3 Punkte, also eine 5+. Die zweithäuftigte sind 2 Punkte! Da frage ich mich doch, warum so viele Schüler Mathe im Abitur wählen, wenn sie dann eine 5 schreiben. Da kann es nur eine Antwort geben: Weil sie vorher erheblich bessere Vornoten hatten.
Auf die Gymnasien trifft das nicht zu: Da sind die häufigsten Noten 7 oder 8 Punkte (3- oder 3).

Die beruflichen Schulen (Berufsbildungszentren) müssen in S-H sowieso nicht das Zentralabitur der Gymnasien schreiben. Warum wohl?

Carsten60
4 Jahre zuvor
Antwortet  Küstenfuchs

Richtig. In Berlin, Bremen und demnächst auch in Baden-Württemberg ist die Matheklausur im Abitur nicht mehr Pflicht, man kann sie abwählen, in BW demnächst bei Wahl des Grundkurses. Nur der Leistungskurs schreibt sie dann noch. Das sind so die kleinen Tricks bei dem angeblich großen Ziel eines bundesweiten Zenralabiturs.

Herr Mückenfuß
4 Jahre zuvor

Mich überzeugt das nicht. Der Osten (ehem. DDR) hat bewiesen, dass man auch ab Klasse 8 (zuletzt sogar ab Klasse) 10 ein gutes Abitur absolvieren kann. Alles Akademiker im Osten, die ja für ihr Studium das Abitur brauchten, haben die entsprechende Ausbildung dafür also in 2-4 Schuljahren hinbekommen.

Man sagt doch immer, das Leistungsvermögen war früher (in Ost und West) besser als heute. Es kann also nicht an einer 4- oder 6-jährigen Grundschule liegen.

Carsten60
4 Jahre zuvor
Antwortet  Herr Mückenfuß

Aber Sie wissen doch auch, dass nur 10 % eines Jahrgangs in der DDR das Abitur ablegen durften. Wenn man nur eine Elite in die erweiterte polytechnische Oberschule lässt, dann geht vieles, auch G8 bzw, ein Abitur nach 12 Jahren insgesamt. Heute haben wir viel höhere Gymnasialquoten.
In Berlin gibt es seit 50 Jahren das Abitur an
— Gymnasien, beginnend mit Klasse 5,
— Gymnasien, beginnend mit Klasse 7,
— Gesamtschulen, beginnend mit Klasse 7.
Dazu noch einige Varianten des zweiten Bildungswegs. In diesen 50 Jahren hat die Wissenschaft es nicht für nötig befunden, mal zu untersuchen, wo denn die Schüler am meisten lernen (bei derselben sozialen Zusammensetzung). Vielleicht fürchtete man, die Charts könnten so aussehen wie meine Reihenfolge oben. Anders gefragt: Wodurch hat sich bitte die 6-jährige GS in Berlin nachweislich positiv ausgewirkt? Bei den offiziellen Schulvergleichsstudien ist man nicht besser als die in Hamburg mit einer 4-jährigen GS.

xxx
4 Jahre zuvor
Antwortet  Carsten60

Das stimmt. Es stimmt aber auch, dass ostdeutsche Schüler kurz nach der Wende den westdeutschen weit überlegen waren. Die Übernahme der westdeutschen Gepflogenheiten hat das ganz schnell angeglichen.

Herr Mückenfuß
4 Jahre zuvor
Antwortet  Carsten60

Ja, ich weiß, dass nur rund 10% der Schüler der ehem. DDR nach der 8. bzw. 10. Klasse an die EOS (dem Gymnasium vergleichbar) gingen.

Wieso brauchte man eigentlich im Osten nicht so viele Akademiker? Wieso braucht man jetzt so viel mehr Akademiker?

Carsten60
4 Jahre zuvor
Antwortet  Herr Mückenfuß

Sie weichen aus: Oben hatten Sie die nur 12-jährige Schule gepriesen. Das tun ja viele, es heißt immer, wenn es in der DDR ging … warum nicht auch bei uns?
Wenn man heute nur die 10 % besten aufs G8-Gymnasium ließe, dann gäbe es auch keine Probleme damit, denke ich, und man hätte jetzt nicht zu G9 zurückkehren müssen. Wie viele Akademiker man braucht? Schwer zu sagen. Das wird der Markt regeln und nicht Herr Schleicher. Entscheidend ist ja auch das Niveau, das für einen akademischen Abschluss (und bei einer akad. Tätigkeit) erwartet wird. Das ist nicht in allen Ländern gleich. Und Länder mit einer sehr hohen Akademikerquote haben auch eine hohe Arbeitslosenquote unter jungen Leuten.

Wolfgang Bergmann
4 Jahre zuvor

Die Argumentation des Philologenverbands kann ich nicht nachvollziehen. Wie soll denn eine Angleichung von Einbringungsverpflichtungen zu mehr inhaltlicher und qualitätsorientierter Vergleichbarkeit führen? Wenn in einem Land in den Kursen zuwenig verlangt wird und dann anschließend auch in der Abiprüfung die Maßstäbe zu niedrig angesetzt werden, ist es doch komplett egal, ob ich vier Kurse mehr oder weniger einbringe. Es macht doch viel mehr Sinn, bei der Endabrechnung, also bei der Abiturprüfung klare Qualitätsmaßstäbe zu setzen, beispielsweise durch gleiche Aufgabenstellungen bei vergleichbaren Erwartungshorizonten und Korrekturmaßstäben. Dann gibt es auch eine normierende Rückwirkung auf den Unterricht vorher. Das hat nichts damit zu tun, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Entscheidend ist, ob das Pferd die (möglichst hoch gesetzte) Messlatte überspringt. Diese Messlatte ist das Abitur, am besten vorbereitet sind die Abiturienten bzw. Turnierpferde, die sich schon im Training möglichst oft an diese Höhe gewagt und gewöhnt haben.

Küstenfuchs
4 Jahre zuvor

Dann erkläre ich es mal: In Bayern müssen möglicherweise die 4 Kurse einer zweiten Naturwissenschaft eingebracht werden, in Thüringen aber nicht. Da kann man dann statt 4 Kursen Physik (oder Chemie) 4 Kurse Sport (oder 4 Kurse „Darstellendes Spiel“ für die Unsportlichen) einbringen, in denen die Schüler im Schnitt erheblich bessere Noten bekommen. Das führt dann nebenbei dazu, dass viele Schüler im Physikkurs nur abhängen und sich nicht anstrengen, was dann zu deutlich geringerem Können (auch derjenigen, die eigentlich Lernen wollen) führt als bei einer Einbringungspflicht.

Und für die Berechnung des Abischnitts sind die Vornoten doppelt so wichtig wie die Abiturprüfung selbst. Daher kommt der Einbringungspflicht hier eine entscheidende Rolle bei der Vergleichbarkeit der Abiturnoten zu.

Nebenbei: Die Unterschiede bei den Abituraufgaben sind nun nicht so gravierend, dass ein 4er-Schüler in Bayern in Bremen locken eine 2 bekommt.

Sonja Biermann
4 Jahre zuvor
Antwortet  Küstenfuchs

Nein, auch in Bayern reichen zwei Kurse einer zweiten Naturwissenschaft, müssen also in der Oberstufe nur ein Jahr belegt werden.

xxx
4 Jahre zuvor
Antwortet  Sonja Biermann

Zählt in Bayern Mathematik als erste Naturwissenschaft? Falls nicht, bräuchte man nach Ihrer Rechnung 6 Stunden Naturwissenschaft zzgl. Mathe, sprich neben Biologie auch zwei Stunden Physik, Chemie oder Informatik, was vielen Schülern gegen den Strich gehen dürfte, weil diese Fächer als schwer gelten. In NRW reicht eine Naturwissenschaft, wenn man eine zweite Fremdsprache weiterführt.

Küstenfuchs
4 Jahre zuvor
Antwortet  Sonja Biermann

Ich kenne die Belegpflichten der einzelnen Bundesländer nicht genau und wollte nur ein anschauliches Beispiel bringen, um das Problem zu verdeutlichen.

dickebank
4 Jahre zuvor

Die Frage ist doch nicht die nach der absoluten Anzahl der in den Bundesländern vergebenen Hochschulzulassungsberechtigungen. Die Frage muss sein, wie hoch die relative Zahl ist – also Anzahl der in einer Alterskohorte (Abi-Jahrgang) vergebenen Hochschulzugangsberechtigungen in Relation zur Anzahl aller Personen in diesem Geburtsjahrgang. Wie hoch ist also der Anteil der 19-jährigen Inhaber einer Hochschulzugangsberechtigung in Verhältnis zu allen 19-jährigen in den einzelnen Bundesländern?

Bezogen auf BY lässt sich vermuten, dass der relative Anteil der Abiturienten (AHR) deutlich geringer ist als der in NRW. Nimmt man die Zahlen von Fachabiturioenten (FHR) und Abiturienten (AHR) zusammen, dürften die Quoten aus BY und NRW vergleichbar sein.