Eisenmann will die Hauptschule retten – kann das überhaupt gelingen?

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STUTTGART. Jahrelang ging es mit den Hauptschulen abwärts. Die Eltern stimmten mit den Füßen ab und bevorzugten andere Schularten. Doch nun will Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann den Trend stoppen. Sie hat eine noch stärkere inhaltliche Ausrichtung auf die Basiskompetenzen und auf die Berufsorientierung angekündigt. Zudem möchte sie die Mindestschülerzahl für den Erhalt nach einem neuen Verfahren festlegen. Mit dieser Wende ist nicht jeder einverstanden.

Versucht sie, ein totes Pferd zu reiten? Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann. Foto: Kultusminsterium Baden-Württemberg

Nach einer jahrelangen Schrumpfkur soll Hauptschulen und den sogenannten Werkrealschulen (so heißen in Baden-Württemberg Hauptschulen, an denen auch ein mittlerer Schulabschluss möglich ist) wieder neues Leben eingehaucht werden. Als Schulart für „praktisch begabte junge Menschen“ halten die einen sie für unverzichtbar, so etwa Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU), der VBE und der Realschullehrerverband. Für andere wiederum ist sie ein Auslaufmodell, das durch die Realschule ersetzt werden soll, wie die Grünen im Landtag und der Städtetag fordern.

Schüler sollen besser lesen und schreiben lernen

Eisenmann will die Werkreal- und Hauptschulen möglichst vor der Schließung bewahren – und muss sie dafür attraktiver gestalten. Die Schülerinnen und Schüler dort sollen besser lesen und schreiben lernen. Dazu erstelle das Ministerium gemeinsam mit dem Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) ein Konzept zur Stärkung der Basiskompetenzen das im zweiten Schulhalbjahr 2019/20 an einigen Schulen umgesetzt werden und nach einer Auswertung zum Schuljahresende möglichst rasch an weiteren Standorten ausgebaut werden soll. Profitieren sollen davon die Fünftklässler, wie das Ministerium mitteilte.

Auch die berufliche Orientierung soll an Haupt- und Werkrealschulen stärker in den Mittelpunkt rücken. Dafür soll das Projekt «Praxistage» ausgeweitet werden. Dabei bekommen Schüler der 8. Klasse für eine Woche Unterricht in den Werkstätten der beruflichen Schulen. Das im Schuljahr 2018/19 gestartete Programm werde vom Handwerk begrüßt und unterstützt. Im vergangenen Schuljahr haben sich an den «Praxistagen» 10 berufliche Schulen und 13 Haupt- und Werkrealschulen beteiligt.

Ein weiteres Element, um möglichst viele Hauptschul- und Werkrealschulen zu erhalten, ist eine Änderung des Verfahrens, nach dem die Mindestschülerzahl ermittelt wird. Derzeit erhalten Schulen, die zwei Jahre in Folge weniger als 16 Anmeldungen für die fünfte Klasse haben, in der Regel keine neuen Schüler im dritten Jahr. Der Schulbetrieb läuft dann aus. Kultusministerin Eisenmann meint, der Blick auf mehrere Klassen werde dem Schultyp gerechter. Deshalb sollen ab dem Schuljahr 2020/21 nicht die Anmeldungen für die Eingangsklasse als Maßstab gelten, sondern der Durchschnitt der Klassen fünf bis neun. Richtig ist: Fast die Hälfte der Absolventen kommt nicht gleich zu Beginn in diese Schulen, sondern erst später, wird also von Realschulen und Gymnasien „abgeschult“.

Hauptschule retten? Kritik kommt von Kommunen und vom Koalitionspartner

Doch mit einer Änderung der Berechnungsgrundlage sind längst nicht alle einverstanden. Der Kommunalverband stemmt sich dagegen, dass die Kriterien für den Erhalt von Haupt- und Werkrealschulen aufgeweicht werden. «Wir sehen keinen Änderungsbedarf, die geltenden Bestimmungen haben sich bewährt», sagte Norbert Brugger, Bildungsdezernent des Kommunalverbandes, in Stuttgart. Die Pläne Eisenmanns würden aus Sicht des Städtetags Schulschließungen tatsächlich verhindern oder aufschieben – allerdings zu hohen Kosten. Der Unterhalt kleiner Standorte ist teuer.

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Im Schuljahr 2016/17 gab es noch knapp 700 öffentliche Werkreal- und Hauptschulen im Land. Den Hauptschulabschluss können Schüler laut Städtetag an fast 1000 Standorten in Baden-Württemberg absolvieren – eben auch an Realschulen und Gemeinschaftsschulen. «Auf den Kosten für Parallelstrukturen bleiben die kommunalen Schulträger sitzen», sagte Brugger. Der Erhalt kleiner Schulen komme auch das Land wegen nicht effizienten Einsatzes von Lehrkräften teuer zu stehen. Er plädierte für weitere Verbünde von Werkrealschulen und Realschulen als Alternative zu Schließungen.

Die veränderten Übergänge nach der Grundschule – und damit der Elternwille – müssten auch in der Schulstruktur Niederschlag finden, forderte Brugger. Wechselten im Schuljahr 1995/96 37 Prozent aller Grundschulabgänger auf eine Werkreal- oder Hauptschule, so waren es zum ablaufenden Schuljahr nur noch – einer leichten Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 0,2 Prozentpunkte zum Trotz – 5,9 Prozent.

Auch der Koalitionspartner will nicht mitziehen und mahnt Planungssicherheit für die Kommunen an. Die grüne Bildungsexpertin Sandra Boser erteilte Veränderungen der regionalen Schulentwicklung eine Absage. «Lehrer, Eltern, Schüler und Schulträger brauchen Planungssicherheit und weniger Scheindebatten.» Zwar wechselten zahlreiche Realschüler auf die Werkreal- und Hauptschulen. Aber die Realschulen hätten auch den Auftrag, leistungsschwächere Schüler zum Hauptschulabschluss zu bringen. «Hier sehen wir dringenden Handlungsbedarf an den Realschulen», betonte die Abgeordnete.

„Wir haben sehr, sehr schwache Kinder an unserer Schulart“

Die Chefin des Realschullehrerverbandes, Karin Broszat, will dagegen – kein Wunder – die Werkreal- und Hauptschulen gestärkt wissen: «Wir haben sehr, sehr schwache Kinder an unserer Schulart, die in der Hauptschule besser aufgehoben wären.» Es gebe auch wegen des Wechsels von zahlreichen Schülern des Gymnasiums auf die Realschule viele Klassen mit 30 Kindern. «Schwächere bleiben da auf der Strecke.» CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart lobte Haupt- und Werkrealschulen als Reservoir für den Nachwuchs im Handwerk. Der VBE warnte vor Gleichmacherei auf Kosten einer Schulart, die intensive pädagogische Betreuung biete.

Eisenmann ist CDU-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl 2021. Schulschließungen sind in der Bevölkerung sehr unbeliebt. Die SPD im Landtag sieht Eisenmann auf Stimmenfang. Sie hoffe, dass ihr mit der angekündigten nächsten Rettungsrunde für die Hauptschulen ein paar zusätzliche Wähler ins Netz gingen, sagte SPD-Bildungsexperte Stefan Fulst-Blei. News4teachers / mit Material der dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Eisenmann will Hauptschulen erhalten – VBE zeigt sich skeptisch: „Das Sterben ist wohl nicht aufzuhalten“

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Pälzer
4 Jahre zuvor

in RP hat die Zusammenlegung von Hauptschulen und Realschulen zur „Realschule Plus“ nach meiner Beobachtung an der Nachbarschule und nach Gesprächen mit Kollegen zur Vernichtung der Realschule (damit ist die dort früher erfolgreich durchgeführte Unterrichtskultur und das Niveau gemeint) geführt.