Gebauer kann über 5.000 Lehrerstellen nicht besetzen – trotzdem werden Studierwillige abgewiesen

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DÜSSELDORF. Für fast 2,5 Millionen Schülerinnen und Schüler in NRW beginnt kommende Woche wieder der Alltag – so gut es geht jedenfalls, angesichts eines sich zuspitzenden Lehrermangels: Mehr als 5.000 Stellen bleiben unbesetzt. Gleichzeitig finden Studierwillige fürs Lehramt keinen Studienplatz. Demgegenüber nehmen sich die übrigen Herausforderungen im Land wie der Start von G9 und die Inklusion fast bescheiden aus.

Probiert mal etwas Neues - aber nur im klitzekleinen Rahmen: die FDP-Schulministerin Yvonne Gebauer. Foto: Magubosc / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)
Konnte die Hälfte der ausgeschriebenen Lehrerstellen nicht besetzen: Schulministerin Yvonne Gebauer. Foto: Magubosc / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Das neue Schuljahr 2019/20 startet an den mehr als 5400 Schulen in Nordrhein-Westfalen kommende Woche mit vielen Neuerungen. Die wichtigste Reform: Die meisten Gymnasien kehren zum neunjährigen Bildungsgang (G9) zurück. Ein Problem aber bleibt: eklatanter Lehrermangel. Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) sagte am Freitag: «Wir lassen nichts unversucht.» Die wichtigsten Details zum neuen Schuljahr:

G9: Mit Ausnahme von drei Schulen starten an den landesweit rund 600 Gymnasien ab Mittwoch die fünften und sechsten Klassen mit dem neunjährigen Bildungsgang. Insgesamt steigen 139.000 Schüler in G9 ein. Im G8-Bildungsgang lernen noch 381.000 Schüler. Der erste reguläre G9-Jahrgang macht 2027 Abitur. Das neue Schulfach «Wirtschaft-Politik» soll ökonomisches Wissen und Verbraucherkompetenzen vermitteln. 21 Kernlehrpläne wurden binnen eines Jahres überarbeitet. Mehr als 100 neue Schulbücher und Lernmittel seien bereits genehmigt worden, sagte Gebauer.

INKLUSION: Das gemeinsame Lernen von Schülern mit und ohne Handicap wird künftig an bestimmten Schulen gebündelt. Insgesamt werden laut Prognose etwa 6800 Schüler mit sonderpädagogischem Bedarf in die Eingangsklassen von 775 weiterführenden Schulen aufgenommen. Kritisiert wird, dass nur wenige Gymnasien Inklusion anbieten. Das Land stellt bis 2025 rund 6000 zusätzliche Stellen bereit – theoretisch. Denn in den nächsten zehn Jahren fehlten etwa 2000 Sonderpädagogen, sagte Gebauer.

Nach Angaben des Ministeriums wurden im Schuljahr 2018/19 mehr als 63.500 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Regelschulen unterrichtet und fast 81.000 an Förderschulen. Gebauer will die Wahlmöglichkeit langfristig erhalten. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) forderte, dass die Inklusion von allen Schulen mitgetragen werden müsse. «Eine Bündelung der Ressourcen auf bestimmte Standorte darf nur eine kurzfristige Maßnahme sein.» Die SPD-Opposition im Landtag sprach von einer «Mogelpackung».

LEHRERMANGEL: Mehr als die Hälfte der fast 10.000 im Sommer ausgeschriebenen Stellen – 57,8 Prozent – wurde nicht besetzt. Vor einem Jahr lag die Quote noch bei 61,6 Prozent. «Die Stellen haben wir, das Problem ist, sie zu besetzen», sagte Gebauer. Die Landesregierung versucht, dem Lehrermangel mit Seiteneinsteigern und Pensionären Herr zu werden. Die Zahl der pensionierten Lehrkräfte, die wieder in den Schuldienst eingestiegen sind, verdoppelte sich fast auf inzwischen mehr als 800.

Besonders dramatisch ist die Situation an Grundschulen und bei Sonderpädagogen. Grund ist auch der Mangel an Studienplätzen. Zwei Drittel der Bewerber müssen abgewiesen werden. Für das Grundschullehramt wurden zum vergangenen Wintersemester 339 zusätzliche Studienplätze geschaffen und für Sonderpädagogik 250.

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BESOLDUNG: Die SPD und Bildungsverbände fordern seit langem den gleichen Lohn für alle verbeamteten Lehrer von der Grundschule bis zum Gymnasium – auch zur Bekämpfung des Lehrermangels. «Die Arbeit der Lehrkräfte ist gleichwertig, die Ausbildung ist gleichwertig, deshalb muss auch die Bezahlung endlich gleich sein», sagte VBE-Landeschef Stefan Behlau. «Dies wäre die effektivste Werbekampagne für die Vielfalt des Lehrerberufs.»

Gebauer reagierte verhalten. Die Landesregierung werde Konsequenzen ziehen, sagte sie. Eine Angleichung der Besoldung müsse aber «sorgfältig vorbereitet werden». Einen Zeitpunkt nannte sie nicht. Die Grünen forderten von Gebauer: «Es wird Zeit, dass sie ihre Versprechen gegenüber den Grundschulen und den Lehrkräften endlich einlöst.»

DIGITALISIERUNG: NRW erhält aus dem Digitalpakt des Bundes bis 2024 1,5 Milliarden Euro – für jede Schule wären das rein rechnerisch fast 200 000 Euro. Das Geld kann eingesetzt werden für ein schulisches WLAN, interaktive Tafeln, digitale Arbeitsgeräte und Endgeräte wie Laptops oder Tablets. Ab Mitte September können Schulträger bei den Bezirksregierungen Anträge stellen. 86 Prozent der Schulen in NRW hätten oder planten einen Gigabit-Anschluss für schnelles Internet, sagte Gebauer. Bis 2022 sollten alle Schulen mit schnellem Internet versorgt sein.

FOTOS ZUR EINSCHULUNG: Rund 158 400 Erstklässler werden kommende Woche eingeschult – und Tausende Erinnerungsfotos von I-Dötzchen mit Schultüten werden wohl das Netz fluten. Gebauer ermahnte Eltern und Schulleitungen eindringlich, die Datenschutzregeln einzuhalten. Sie habe auch die Bezirksregierungen aufgefordert, die Schulleitungen auf die Problematik aufmerksam zu machen. Sie sollten die Eltern bei den Einschulungsfeiern sensibilisieren. «Ein generelles Fotoverbot gibt es nicht.» Es geht um Fotos, auf denen nicht nur der eigene Nachwuchs zu sehen ist, sondern auch fremde Kinder, andere Eltern oder Lehrkräfte. Diese Bilder dürfen ohne die Zustimmung der fotografierten Personen nicht ins Netz gestellt werden.

SCHULSANIERUNG: Nach wie vor verläuft der Abruf der Mittel für Schulsanierungen aus dem Programm «Gute Schule 2020» nur schleppend. Von den für 2017 bis 2020 zugesagten insgesamt zwei Milliarden Euro wurden erst knapp 835 Millionen abgerufen. Allein in diesem Jahr stehen 500 Millionen Euro bereit, aber erst knapp 62 Millionen Euro wurden von den Kommunen abgerufen. Von Dorothea Hülsmeier, dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Sind Lehrer mitschuld am Lehrermangel? Elternrat: Dauernde Klagen über Arbeitsbedingungen schrecken Nachwuchs ab

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Herr Mückenfuß
4 Jahre zuvor

Zitat: „… trotzdem werden Studierwillige abgewiesen“

Das hört und liest man nicht nur aus NRW. Und dann behaupten einige, der Lehrermangel läge an zu schlechten Gehältern?!? Hier haben wir EINEN wahren Grund, denn der ist nicht neu!

dickebank
4 Jahre zuvor
Antwortet  Herr Mückenfuß

Die Studienplätze für Lehramtsstudenten bringen im Vergleich zu „verwertbaren“ Fachrichtungen eben keine Drittmittel ein. Sie taugen ebenfalls nichts für die bewerbung als Exzellenz-Uni.

In der Wirtschaft würde man diese Verlustbringer, die nicht zum Kerngeschäft gehören, outsourcen.

xxx
4 Jahre zuvor
Antwortet  dickebank

Das gilt aber für den gesamten Schulbereich. Der kostet das Land und die Kommunen viel Geld, ohne kurz- oder mittelfristig direkte Einnahmen zu generieren geschweige denn auch nur ansatzweise kostendeckend zu werden.

dickebank
4 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

… und dann kommt noch erschwerend hinzu, dass höherwertige Schulabschlüse auch noch zu höheren Vergütungen im Arbeitsleben führen. Wie soll die notleidende „freie Wirtschaft“ diese zu erwartenden zukünftigen Belastungen für HR bei sinkender konjunktur stemmen.

Die geforderte Akademikerquote der OECD ist nur zu erreichen, wenn wir wieder das Lohnniveau der 60er Jahre erreichen – und das derzeitige rentenniveau beibehalten bzw weiter absenken. Wen interessiert das BIP solange der Außenhandeslüberschuss erreicht wird?

Bildung muss sich wieder lohnen! Frage, nur für wen – den „Kostenstellen mit zwei Ohren“ in jedem Fall nicht. A13 für alle – aber nur, wenn die Besoldung auf die Höhe von A8 abgesenkt werden kann.

emil
4 Jahre zuvor

… und so wird auch diese Regierung aufgrund von Unfähigkeit und Untätigkeit in der Bildung abgewählt werden. In NRW ist das fast schon zur Regel geworden. Wann lernen die Politiker endlich mal dazu? Und wann wachen die Eltern in NRW endlich auf und gehen mal auf die Straße?

dickebank
4 Jahre zuvor

Angenommene Schüler-Lehrer-Relation: In etwa 16 zu 1; es fehlen folglich für 80.000 SuS die entsprechenden Fachstunden. Gehen wir von der Deputatsverpflichrung für Gymnasial- und Gesamtschullehrkräfte aus – 25,5 WS -, obwohl die meisten Lehrkräfte, die fehlen, in der Primarstufe (28 WS) zu verorten sind, dann sind das mindestens 127.500 Wochenstunden. Durch die Wiedereinführung von G9 wird sich dieser Zustand – Unterrichtsausfall wegen lehrkräftemangels – also in Zukunft noch verschärfen. Hinzukommt dass die Babyboomer-Generation bis spätestens 2031 den Schuldienst quittiert haben wird.

xxx
4 Jahre zuvor
Antwortet  dickebank

Die Bundesländer denken aber nicht bis 2031, die denken Jahrzehnte weiter. Nach der Babyboomer-Generation kommt ein großes Loch zumindest auf dem Land. Gemessen an dem Loch wird der Lehrermangel nicht so groß sein.

Palim
4 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Wenn die Bundesländer … oder die dort Zuständigen … wirklich mitgedacht hätten, wäre ihnen aufgefallen, dass Einführung der Oberschule + Einführung der Inklusion + Wiedereinführung von G9 Lehrerstellen generieren,
für die man sofort hätte ausbilden und deren Finanzierung man vorab hätte sichern müssen.

Wenn man jetzt bis 2031 schaut, nimmt man 12 weitere Jahre Mangel in Kauf.
Also weitere 12 Jahre Abordnungen der Gym-LuL an die Grund- und SekI-Schulen, Quereinstiege und Vertretungs-Zeitverträge ohne pädagogische Schulung.

Kinder, die jetzt in der Schule sind, haben ihre gesamte Schulzeit diese Umstände, die sich noch von Jahr zu Jahr verschärfen.

dickebank
4 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Ich lach mich schlapp.

Mandatsträger denken in Legislaturen, also in NRW maximal 5 Jahre weit.

Dass Problem ist doch, dass die Studienplätze jetzt kosten, die auf diesen Plätzen Studierenden aber frühestens in 10 bis 12 Semestern ihren Uni-Abschluss haben werden und dann noch das 2. stEx absolvieren müssen. Bis dahin ist man evtl. gar nicht mehr mandatiert, warum also jetzt was tun?

D. Orie
4 Jahre zuvor

Seit JAHREN bekannt, seit JAHREN passiert NICHTS. Es ist einfach unglaublich, dass man solche Zustände hinnimmt: „Mehr als die Hälfte der fast 10.000 im Sommer ausgeschriebenen Stellen – 57,8 Prozent – wurde nicht besetzt.“ Wenn das keine Bildungskatastrophe ist, was dann?

Heinz
4 Jahre zuvor

Die Werbekampagne war sowas von peinlich, dass viele Freunde und ich am liebsten den Job bei fremden verheimlicht hätten. Da sollten Schüler mit peinliche Sprüchen geworben werden, die einfach nur schlimm waren. Mein Highlight war:
„Job mit Pultstatus – Gönn Dir“

Unterirdisch und nicht angemessen.

unverzagte
4 Jahre zuvor
Antwortet  Heinz

was wäre so schlimm daran, sich einen kultstatus zu gönnen? die sprachwahl biedert sich etwas an, aber die idee dahinter ist doch nicht ganz humorbefreit.