Mission impossible? GEW beklagt schlechte Bedingungen für Seiteneinsteiger in den Lehrerberuf

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BERLIN. Die Berliner GEW schaut mit Sorge auf das am Montag geginnende Schuljahr in der Bundeshauptstadt. „Wir erkennen an, dass es der Bildungsverwaltung gelungen ist, 2.700 Personen als Lehrkräfte einzustellen. Allerdings haben erneut nur ein Drittel von ihnen eine abgeschlossene Lehramtsausbildung. Damit können wir nicht zufrieden sein“, betont der Vorsitzende Tom Erdmann. Zumal überdurchschnittlich viele der Seiten- und Quereinsteiger ausgerechnet in Bezirken mit sozialen Brennpunkten zum Einsatz kommen, also dort, wo die pädagogischen Herausforderungen am größten sind. Fazit der GEW: „Die Bildungsverwaltung ist mit ihrem Vorhaben, die Quereinsteiger*innen fair zu verteilen, gescheitert.“

Lässt die Berliner Bildungsverwaltung Seiten- und Quereinsteiger in den Lehrerberuf hängen? Die GEW meint das. Foto: Shutterstock

Besondere Sorgen bereiten der GEW die rund 800 Seiteneinsteiger, die zum neuen Schuljahr befristet eingestellt wurden. Als Seiteneinsteiger werden Bewerber mit unterschiedlichsten Hochschulausbildungen in anderen Bereichen bezeichnet, etliche von ihnen haben schon als Vertretungslehrer oder in Willkommensklassen für Flüchtlinge gearbeitet. „Viele dieser Kolleg*innen hangeln sich seit Jahren von Fristvertrag zu Fristvertrag. Sie können aufgrund ihrer Qualifikationen in der Regel nicht in die Quereinstiegs-Ausbildung und werden dauerhaft schlechter bezahlt. Für uns ist das prekäre Beschäftigung. Da gibt es nichts zu beschönigen“, kritisiert Erdmann. Die GEW fordert, dass diejenigen Seiteneinsteiger, die sich im Schuldiesnt bewährt haben, unbefristet übernommen werden und Möglichkeiten bekommen, sich für einen Quereinstieg zu qualifizieren.

In Berlin wird zwischen Quer- und Seiteneinsteigern in den Lehrerberuf unterschieden

Auch für die etwa 700 Quereinsteiger, die zum neuen Schuljahr starten, muss laut GEW die Senatsbildungsverwaltung mehr tun. Als Quereinsteiger gelten in Berlin Bewerber, die ein Studium in einem sogenannten Mangelfach haben, etwa in Mathematik, Naturwissenschaften, Sport oder im künstlerischen Bereich. Ihnen fehlt aber eine pädagogische Ausbildung, deshalb müssen sie sich parallel zu ihrer Tätigkeit qualifizieren. „Das sinnvolle Qualifizierungsprogramm QuerBer muss erweitert werden. Eine Woche Vorbereitungskurs ist einfach zu kurz“, meint Erdmann. Außerdem müsse das Programm auch für die Quereinsteigenden geöffnet werden, die mit zwei anerkannten Fächern unmittelbar das berufsbegleitende Referendariat beginnen. „Wer ganz neu als Lehrer*in anfängt, braucht die wichtigsten pädagogischen Grundlagen und Zeit zur Einarbeitung“, so der GEW-Vorsitzende.

Grundsätzlich sei die Situation in den berufsbegleitenden Studien am Studienzentrum für Erziehung, Pädagogik und Schule (kurz StEPS) unbefriedigend. „Die Kolleg*innen brauchen mehr Unterstützung bei der Prüfungsvorbereitung“, fordert Erdmann. Die Studieninhalte und Prüfungsanforderungen müssten transparent gemacht, die Arbeit der Dozenten regelmäßig evaluiert und die Ausbildungskapazitäten ausgeweitet werden. „Die meisten Quereinsteigenden können erst ein Jahr nach Einstellung mit ihren Studien beginnen. Auch angesichts des dringenden Bedarfs ist das zu lang“, bemängelt der GEW-Vorsitzende.

Ein großes Problem sieht die GEW auch in der Überlastung der Personalstelle der Senatsbildungsverwaltung. Quereinsteiger müssten regelmäßig ein Jahr und länger auf eine korrekte Gehaltszahlung warten. „Das bringt sie nicht nur in finanzielle Probleme, sondern wird auch als persönliche Missachtung erlebt“, weiß Erdmann. Anfragen werden monatelang nicht beantwortet und telefonisch ist selten jemand erreichbar. „Die Senatorin ist in der Pflicht, endlich für eine funktionierende Personalstelle zu sorgen.“

Auch beim Quereinstieg zum Erzieher oder zur Erzieherin fehle es an Unterstützung. Damit die fachfremden Kolleginnen und Kollegen die nötige Zeit bekommen, um in die neuen Aufgaben hereinzuwachsen, verlangt die GEW analog zum Kitabereich zwei Stunden pro Woche für deren Anleitung. Diese Zeit zur Anleitung sollte auch den Quereinsteigern in den Schulen eingeräumt und nicht auf den Personalschlüssel angerechnet werden, so fordert die Gewerkschaft.

Auch baulich häuften sich die Mängel – angesichts des ungebremsten Wachstums der Schülerzahlen. „Der Schulneubau kommt nur schleppend voran und den Bezirken bleibt als einziges Mittel, die Schulen weiter zu verdichten. Immer mehr Teilungs- und Freizeiträume werden zu Klassenräumen umgebaut. So kann Lernen an einer Ganztagsschule nicht funktionieren“, kritisiert Erdmann.

Kostenloses Schulessen: Mehraufwand muss von Lehrern getragen werden

Ein weiteres Thema, das die GEW in Berlin zum neuen Schuljahr intensiv bewegt, ist das kostenbeteiligungsfreie Mittagessen für die Klassenstufen 1 bis 6 (News4teachers berichtete). Selbst wenn nicht alle Schüler vom kostenlosen Schulessen Gebrauch machen werden, rechnet die GEW  mit einem zusätzlichen Bedarf für rund 9.000 Schüler. „Bis zum jetzigen Zeitpunkt hat keine Berliner Schule zusätzliche Räume erhalten, um den Mehrbedarf an Schüler*innen abzudecken“, stellt Erdmanns Co-Vorsitzende Doreen Siebernik fest. „Die ohnehin schon knappen Räume wurden lediglich umfunktioniert. Weichen mussten erneut überwiegend Räume, die der ergänzenden Förderung und Betreuung dienen.“

Um den Mehrbedarf auch zeitlich abzudecken, führen die Schulen zusätzliche Essensschichten ein: Die Zeiträume, in denen mitunter in sechs Etappen gegessen wird, können dann von 11 bis 14 Uhr dauern. Siebernik erklärt: „Dadurch entstehen zusätzliche Betreuungszeiten, für die kein zusätzliches Personal eingeplant ist. Die ohnehin schon knappe Personaldecke wird so zum Zerreißen gespannt.“ Noch kritischer wird es bei der Ausweitung der Essenszeiten nach 13:30 Uhr. Für Kinder, die kein Ganztagsangebot nach 13:30 Uhr wahrnehmen, werden keine zusätzlichen personellen Kapazitäten berechnet. „Uns ist unklar, wer diese Kinder ab 13:30 Uhr betreut“.

Schon jetzt klar sei hingegen, dass der immense Zusatzaufwand von den engagierten Kollegien in den Schulen getragen werden muss. „Die Entscheidung, ein kostenbeteiligungsfreies Mittagessen einzuführen, wurde überstürzt und unüberlegt getroffen. Wir haben große Zweifel, dass unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen eine gesunde Ernährung gelingen und eine gemeinsame Mittagspause pädagogisch gut eingebettet werden kann“, bemängelt die GEW-Vorsitzende.

GEW: Zusätzliches Personal für die Schulen notwendig

Die Gewerkschaft fordert daher mehr Personal für die Verlässliche Halbtagsgrundschule (VHG), entweder durch die Bereitstellung einer zusätzlichen halben Betreuungsstunde pro Kind oder einer Verdopplung der Personalzumessung für die Betreuung am Vormittag. „Das wäre ein Signal an die Erzieher*innen. Nur wenn zusätzliche personelle Ressourcen bereitgestellt werden, kann Mittagessen als ein zentraler pädagogischer Bestandteil einer ganztägigen Schule funktionieren“, unterstreicht Siebernik. News4teachers

Albtraum Lehrermangel: Zwei Drittel der neu eingestellten Lehrer sind gar keine richtigen – immer mehr Seiteneinsteiger in Berlin

 

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Herr Mückenfuß
4 Jahre zuvor

Zitat: „Quereinsteiger müssten regelmäßig ein Jahr und länger auf eine korrekte Gehaltszahlung warten. „Das bringt sie nicht nur in finanzielle Probleme, sondern wird auch als persönliche Missachtung erlebt“, weiß Erdmann. Anfragen werden monatelang nicht beantwortet und telefonisch ist selten jemand erreichbar. „Die Senatorin ist in der Pflicht, endlich für eine funktionierende Personalstelle zu sorgen.““

Das ist aber auch Ausdruck einer falschen Prioritätensetzung, meine ich. Berlin hat Geld, um Gutverdiener noch besser verdienen zu lassen (A/E 13 für alle) und zufrieden sind die dann doch nicht, denn dann wollen sie auch verbeamtet werden; Berlin hat aber kein Geld, um ausreichend Leute in der Verwaltung einzustellen, um oben Geschildertes zu vermeiden, um die Justiz arbeitsfähig zu halten, um die Jugendämter angemessen personell auszustatten und und und …

Berlin gibt Geld aus, wo es nett, aber nicht nötig ist und spart, wo es dringend fehlt!