Verfassungsrechtler sieht Kopftuchverbot für Schülerinnen als möglich an – VBE ist skeptisch

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BERLIN. Immer wieder wird in Deutschland über ein mögliches Kopftuchverbot an Schulen diskutiert. Ein Rechtsgutachten kommt jetzt zu dem Schluss: Ein Verbot zumindest für Mädchen bis 14 wäre kein Verstoß gegen das Grundgesetz. Der Deutsche Lehrerverband begrüßte das Gutachten. Skeptisch zeigte sich dagegen der Verband Bildung und Erziehung.

Bald ein Fall für eine Ordnungsmaßnahme? Schülerin mit Kopftuch. Foto: Shutterstock

Der Tübinger Verfassungsrechtler Martin Nettesheim hält ein Kopftuchverbot für Mädchen an Schulen bis zu einem bestimmten Alter rechtlich für möglich. Im Auftrag der Frauenrechte-Organisation Terre des Femmes hat der Jurist ein Gutachten erstellt, das am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. Ein Kopftuchverbot würde demnach nicht im Konflikt stehen mit der Religionsfreiheit im Grundgesetz und auch nicht mit dem grundgesetzlich geschützten Recht der Eltern auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder.

Ein Kopftuch in der Schule führt laut Gutachter zu sozialer Ausgrenzung

Ein Kopftuchverbot an Schulen bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres ließe sich rechtfertigen und wäre verhältnismäßig, schreibt der Verfassungsrechtler. Das Kopftuch sei ständig sichtbarer Ausweis der Religionszugehörigkeit. «Derartige Bekleidung» führe zu Segmentierung und Trennung, lasse gerade bei jungen Menschen Vorstellungen von Unterschiedlichkeit aufkommen und führe gegebenenfalls auch zur sozialen Ausgrenzung und zur Diskriminierung. In der Schule geht es seiner Ansicht nach auch um «Erziehung zur Freiheit».

Eine Beschneidung der Religionsfreiheit sähe er bei einem Kopftuchverbot für Mädchen bis 14 Jahren nicht. Nettesheim verweist auf die sogenannte religiöse Unmündigkeit. Kinder bis zu einem bestimmten Alter hätten noch nicht die Reife, «in Glaubens- und Weltanschauungsfragen selbstbestimmt entscheiden zu können». Auch das Recht der Eltern, für ihre Kinder entscheiden zu dürfen, sieht er nicht verletzt. Denn es gehe beim Recht der Eltern auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder nicht um den Willen von Vater oder Mutter, sondern um die Interessen des Kindes.

Aufgabe von Schule: Kinder zu selbstbestimmten Persönlichkeiten erziehen

Terre des Femmes fühlt sich durch das Gutachten bestätigt. Dadurch werde nun erstmalig festgestellt, dass ein solches Verbot mit dem Grundgesetz vereinbar sei, sagte Bundesgeschäftsführerin Christa Stolle am Donnerstag in Berlin. Die Politik dürfe das Thema nicht den Rechtspopulisten überlassen und müsse endlich Einsatz für den Schutz aller Mädchen zeigen.

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Jürgen Dieter Böhm, Vorsitzender des Verbands Deutscher Realschullehrer (VDR) und Vizepräsident des Deutschen Lehrerverbands, sagte am Donnerstag, die Aufgabe von Bildung bestehe darin, junge Menschen zu selbstbestimmten aufgeklärten Persönlichkeiten zu erziehen. Dafür sei ein Verbot oder das Nichttragen eines Kinder-Kopftuchs ein wichtiges Element. «Bildung zu einem demokratischen Staatsbürger beginnt eben auch damit, dass ich nicht künstliche Unterschiede schaffe».

Um wie viele Mädchen mit Kopftuch es eigentlich geht, dazu gibt es keine Zahlen. Islamverbände hatten die Diskussion als «Islambashing» und als «Symboldebatte» bezeichnet. Es handele sich um Fälle im «Promillebereich». Zudem wiesen sie daraufhin, dass die religiöse Pflicht für das Tragen eines Kopftuchs erst «ab der religiösen Mündigkeit, also ab der Pubertät» gelte. Böhm sieht dagegen eine Zunahme des Phänomens in den vergangenen Jahren und «würde es nicht runterreden». Es gebe immer wieder Ausgrenzung in einzelnen Klassen aufgrund des Kopftuchs. Das zeige sich beim Schwimmen oder auch Klassenfahrten.

Aufgabe der Lehrkraft, betroffene Mädchen vom Unterricht auszuschließen?

Der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, zeigte sich skeptisch. Schulen und Lehrkräfte dürften nicht wie so oft im Regen stehen gelassen werden, mahnte er. Wörtlich erklärte Beckmann: „Wenn ein Mädchen der Forderung, das Kopftuch abzulegen, nicht nachkommt, ist es dann Aufgabe der Lehrkraft, es vom Unterricht auszuschließen? Und wenn die Eltern und das Mädchen nicht einlenken, heißt das dann, dass das Mädchen dauerhaft nicht beschult wird? Die Debatte um ein Kopftuchverbot darf nicht zur Phantomdebatte werden. Bevor es also zu einer politischen Entscheidung kommt, muss die Forderung nach einem Kopftuchverbot mit allen Konsequenzen zu Ende gedacht werden.“

Die Debatte über ein Kopftuchverbot war in Deutschland neu entbrannt, nachdem Österreichs Parlament Mitte Mai ein solches Verbot an Grundschulen beschlossen hatte. Eine Mehrheit der Bevölkerung (57 Prozent) hatte sich in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov für ein Verbot an Grundschulen auch in Deutschland ausgesprochen. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), zeigte sich offen dafür, ein Verbot zu prüfen. Mehrere Unionsabgeordnete haben zudem ebenfalls ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das im Herbst vorliegen soll. News4teachers / mit Material der dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Kopftuchdebatte kocht hoch – geht aber wohl an der Realität der Grundschulen vorbei

 

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17 Kommentare
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Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor

Danke für den sachlich fundierten und gut dargestellten Beitrag.

Carsten60
4 Jahre zuvor

Egal wie man das Kopftuch beurteilt: Heute meldet die Tagesschau, dass christliche Symbole aller Art (z.B. das Kreuz) in der Türkei (trotz offizieller Religionsfreiheit) nicht einmal in Fußballstadien wohlgelitten sind:
https://www.tagesschau.de/regional/nordrheinwestfalen/moenchengladbach-istanbul-fahnen-101.html
Die Polizei fühlte sich verpflichtet einzuschreiten. Daran kann man ermessen, wie es in den dortigen Schulen (oder in den Köpfen der Regierungs-Politiker) aussehen mag. Irgendwo habe ich gelesen, dass in Saudi-Arabien sogar einmal die Schweizer Flagge an der Botschaft beanstandet wurde, weil sie ein Kreuz zeigt. So hysterisch reagiert man andernorts. Von „interreligiöser Kompetenz“ keine Spur. Stattdessen gibt’s knallharte und einseitig vertretene Interessen von Funktionären. Ich finde, das muss auch irgendwie berücksichtigt werden.

Bernd
4 Jahre zuvor
Antwortet  Carsten60

Und jetzt brauchen wir das Kopftuchverbot als Rache für die gegängelten Fußballfans – oder wie soll ich Ihren Beitrag verstehen?

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor
Antwortet  Bernd

Bernd, nehmen Sie einfach mal zur Kenntnis, dass Christen in vom Islam dominierten Ländern zum aller größten Teil diskriminiert, unterdrückt, verfolgt, ausgegrenzt, an ihrer Religionsausübung behindert werden, von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen sind und wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden.
In all diesen archaisch strukturierten, reaktionären Staaten, wie dem Iran, Saudi Arabien, Katar und eben solchen Herrschaftsgebieten, werden Frauen, die sich ohne eine Kopfbedeckung in der Öffentlichkeit zeigen, siehe Iran, zu 12 bis 14 Jahren Gefängnis verurteilt und demütigend öffentlich geschlagen, abgeführt, entführt und verschleppt . Es existieren regelrechte Einsatzkommandos der islamischen Sittenpolizei, die brutal gegen aufbegehrende Frauen vorgehen, die sich öffentlich ohne ein Kopftuch zeigen, sich selbst öffentlich filmen und diese Filme danach ins Internet stellen.
Dem gegenüber nimmt die Diskussion um Kopfbedeckungen hierzulande lächerliche Formen an.
Kopfbedeckungen dienen der inszenierten Zurschaustellung einer vermeintlich arabisch-weiblichen Identität, wo doch in den Herkunftsländern der sanktionierte Zwang zum Tragen dieser Kluft der Unterdrückung der Frauen besteht.
Man hat es in Europa aus der Sicht der emanzipierten Frauen der Ursprungsländer in Saudi Arabien und des Iran eben mit unterwürfigen und antiemanzipatorischen Anhängerinnen eines reaktionären Islam zu tun, die sich selbst aufopfernd in den Dienst einer archaischen Männerwelt stellen.
Man will von Seiten dieser Bewegung bewusst provozieren und Reaktionen in der Öffentlichkeit auslösen, um eine vermeintliche Unterdrückung arabischer Frauen inszenieren hierzulande anprangern zu können.

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor
Antwortet  Ignaz Wrobel

„inszenieren“ im Schlusssatz bitte streichen

Bernd
4 Jahre zuvor
Antwortet  Ignaz Wrobel

Und weil Menschen in Diktaturen – übrigens nicht nur muslimisch geprägten – gegängelt und unterdrückt werden, sollen wir das genauso machen?

Der Punkt ist doch, dass Deutschland eine rechtstaatliche Demokratie ist – und zu der gehört nunmal auch eine verbriefte Religionsfreiheit. Wenn Sie die abschaffen wollen, weil Ihnen der Islam nicht passt, sind Sie keinen Deut besser als die Islamisten, die Sie angeblich doch so ablehnen.

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor
Antwortet  Bernd

Niemand hat hier dazu aufgerufen die Religionsfreiheit von Moslems einzuschränken, und so gehört auch das Tragen eines Kopftuches nicht zu den Pflichten einer moslemischen Frau, da Mohamed lediglich sagte, die freien moslemischen Frauen mögen sich durch das Überziehen des Gewandes über den Kopf von den unfreien Sklavinnen abgrenzen.
Die freie Ausübung der Religion ist eine private Angelegenheit, die jeder gerne außerhalb der eigenen Berufswelt ausleben darf, wie es ihm oder ihr gefällt, ohne dass dadurch die Religionsfreiheit eingeschränkt wäre.
Andererseits beschädigen aber die von Ihnen angesprochenen Islamisten christliche Symbole, in dem sie diese von den Wänden schmissen, anschließend anders herum wieder aufhängten.
Außerdem äußerten diese sich abfällig gegenüber Frauen, die durch ihre Kleidung zu offen ihre weiblichen Reize unterstrichen und herauskehrten, sie diffamieren Kritiker der selbst gewählten Abkehr, des inneren Dschihad, als Faschisten und setzten diese mit Nazis gleich.

xxx
4 Jahre zuvor
Antwortet  Bernd

Ich persönlich betrachte das Aufzwingen eines Kopftuchs eher als Gängelung als ein Gesetz, das gerade das verbieten soll.

Bernd
4 Jahre zuvor
Antwortet  Bernd

Sind Sie beide auch als islamische Theologen nebenberuflich tätig, sodass Sie Musliminnen und Muslimen erklären können, was zu deren Religion gehört und was nicht?

Carsten60
4 Jahre zuvor
Antwortet  Bernd

1. Über die Verfassungsmäßigkeit eines etwaigen partiellen Kopftuchverbots entscheiden zum Glück Verfassungsrichter und nicht Bernd. Darum geht es in dem obigen Artikel.
2. Die Unterdrückung der Christen in islamischen Ländern ist kein Produkt der jeweiligen Regierungsform und ist im Normalfall nicht durch Diktatoren verordnet worden. Sie ist ein Resultat christenfeindlicher Sprüche im Koran und natürlich die Folge einer jahrhundertelangen Tradition: Juden und Christen mussten früher eine Sondersteuer zahlen und galten dennoch als Menschen zweiter Klasse.
3. Den Funktionären von Ditib und anderen Organisationen, die sich hierzulande für das Kopftuch stark machen und gerichtliche Prozesse dazu finanzieren, kann man genauso wenig trauen wie der Automobilindustrie, wenn es um Abgaswerte von Dieselmotoren geht. Funktionäre arbeiten nur für ihre knallharten Interessen (wie schon weiter oben gesagt). Dass das Kopftuch den Mädchen und Frauen etwas Gutes tun soll, ist eine von deren Lügen. In Wahrheit geht es um den Einfluss eben dieser Funktionäre, denn ohne das Kopftuch wäre dieser geringer.
4. Der Islam gehört zwar zu Deutschland, aber es gibt schon offizielle schulische Aktivitäten GEGEN den Einfluss einer nahegelegenen Moschee:
https://www.tagesspiegel.de/berlin/modellprojekt-an-brennpunktschule-in-neukoelln-elternbesuche-gegen-den-einfluss-der-al-nur-moschee/25063732

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor
Antwortet  Bernd

Haben Sie denn wenigstens im Gegensatz zu mir jemals im deutschsprachigen Koran gelesen ?
Anscheinend nicht und dann zitieren Sie wenigstens eine derartige die Textpassage, in der diese Vorschrift niedergeschrieben ist.
Sie werden diese nicht finden, weil es eben nur den oben genannten Hinweis gibt.

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor
Antwortet  Bernd

Mein Kommentar bezog sich auf Bernd.

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor
Antwortet  Bernd

@Bernd
Sie scheinen mir weder im Koran belesen zu sein, noch im Alten Testament sich näher auszukennen, aber anscheinend sind Sie immer ein rhetorisch geschickter Schreiber, der anderen auch gerne mal etwas Nichtgesagtes unterstellt oder unterstellt dieses in ihrem Sinne gemeint zu haben, um vielleicht den Gegenüber aus der Raison zu bringen ?
Man sollte sich aber schon in nachlesbar geschriebenen Büchern bewandert sein, auch wenn es sich nur eine deutschsprachige Übersetzung des Quellentextes handelt, um diesen dann gegebenenfalls von ihrem Inhalt für die eigene Argumentation einzusetzen.
Welches der beiden Werke das ältere ist und wer von wem wohl abgeschrieben hat, ist unschwer zu eruieren, so man die ungefähre Entstehungszeit beider zusammengefassten Werke kennt.

Ähnlich sieht es beim Neuen Testament aus, bei welchem bei der Zusammenstellung durchaus auf weitaus ältere und realitätsnähere Quellentexte verzichtete wurde, da wohl die ersten Aufschreibungen nur aus Zitaten bestanden und mit zunehmendem neuerem Datum sehr viel umfangreicher und einfallsreicher das Wirken und die Wunder eines Messias beschrieben.
Wer das für seinen Glauben benötigt, dem verschließt sich ein anderer Zugang zu Ihm und seine Realität.
Sophistische Wortgewalt ist nicht der Weg der Erkenntnis, sie ist leicht durchschaubar, verärgert andere und trägt nicht zum gegenseitigen Verständnis bei. Sie ist ein undurchdringbarer Panzer gegen Verständigung und fördert nicht den sozialen Zusammenhalt.
Ich wünsche noch eine gute Nacht .

Carsten60
4 Jahre zuvor
Antwortet  Bernd

Wenn der von mir angegebene Link nicht funktioniert, dann findet man ihn mit einer Suchmaschine unter „Elternbesuche gegen den Einfluss der Al-Nur-Moschee“, alternativ unter „Mit Hausbesuchen gegen den Einfluss der Moschee.“ Das sind zwei Zeitungsartikel zum selben Thema. Das Kopftuch kommt auch vor.

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor
Antwortet  Bernd

@Carsten60
Danke für den Hinweis zum Artikel über die Neuköllner Grundschule und den negativen Einfluss der Al-Nur-Moschee.
Derartige Indoktrinationsversuche finden auch hier vor Ort ihre Anwendung, wenn der Vorbeter zur Abgrenzung von westlichen einflüssen aufruft, die Gegenkultur zu freiheitlich demokratischen Lebensformen predigt. Allein den Antreiberer kenne ich zu gut aus direkten Komntakten, seine Denkweisen sind allzu bekannt.

Carsten60
4 Jahre zuvor
Antwortet  Bernd

Der Berliner Verfassungsschutzbericht von 2018 benennt neben rechts- und linksextremistischen Organisationen ausdrücklich auch etliche Moscheen, die beobachtet werden, u.a. die Al-Nur-Moschee. Die AfD wird nicht erwähnt, wohl aber Scientology. An Zahlen benennt man ca. 1000 gewaltbereite Linksextremisten, 460 gewaltbereite Salafisten, 40 Mitglieder der „Identitären“, 210 Mitglieder der NPD und ein paar hundert „Reichsbürger“, dazu über 1000 Extremisten in ausländischen Organisationen wie PKK, Ülkücü-Bewegung und andere.

Maren
4 Jahre zuvor
Antwortet  Bernd

„Es hört doch jeder nur, was er versteht.“ (Goethe)