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Bildungsforscher Zierer im Interview: Ein schlechter Unterricht wird durch digitale Medien nicht besser – ein guter schon

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KAISERSLAUTERN. Die Digitalisierung in den Schulen schreitet – aktuell vorangetrieben durch den Digitalpakt Schule – schnell voran. Dabei sind noch wichtige Fragen ungeklärt: Welche professionsbezogenen Anforderungen stellt die digitale Gesellschaft an Lehrkräfte? Worin liegt überhaupt der Mehrwert digitaler Medien in der schulischen Praxis? In den nächsten Tagen wird sich der bak Lehrerbildung, der bundesweite Berufsverband der Ausbilderinnen und Ausbilder im Vorbereitungsdienst, auf seinem prominent besetzten Seminartag in Kaiserslautern mit dem Thema beschäftigen. Wir sprachen im Vorfeld mit einem der Hauptreferenten, dem renommierten Bildungsforscher Prof. Klaus Zierer.

Klaus Zierer war Grundschullehrer – und ist heute einer der renommiertesten Bildungsforscher in Deutschland. Foto: privat

News4teachers: Werden nach Ihrer Einschätzung angehende Lehrerinnen und Lehrer gut auf den Unterricht mit digitalen Medien vorbereitet?

Zierer: Man muss diese Frage differenziert betrachten. Zum einen ist das Thema Medienkompetenz eine grundsätzliche Aufgabe in der Lehrerbildung, zu der es bereits viele Konzepte gibt. Insofern ist Medienbildung immer schon ein Bestandteil der Lehrerbildung. Was jetzt hinzukommt, ist die Forderung, dass Digitalisierung stärker in den Schule berücksichtigt wird. Der Digitalpakt, der fünf Milliarden Euro umfasst, ist ein erster Schritt. Aber wenn man dann fragt, wofür das Geld eingesetzt werden muss, dann lässt sich durchaus feststellen, dass die Gelder anders sinnvoller eingesetzt werden könnten – weil der Großteil dieser Gelder eben in die Technik geht und nicht auch in die Professionalisierung von Lehrpersonen. Aus der Forschung wissen wir nun bestens, dass technische Strukturen zwar wichtig sind, aber ohne die Professionalität von Lehrpersonen letztendlich auf der Strecke bleiben. Zusammengefasst: Man müsste im Hinblick auf die Professionalisierung der Lehrperson mehr machen, um die Digitalisierung als wichtige Transformation im Bildungswesen umsetzen zu können.

News4teachers: Junge Lehrer sind ja „digital natives“. Die müssten doch eine Menge mitbringen, oder?

Vita und Werk

Prof. Dr. Klaus Zierer (geb. 1976) ist Erziehungswissenschaftler und seit 2015 Inhaber des Lehrstuhls für Schulpädagogik an der Universität Augsburg. Zuvor war er von 2011 an Professor für Erziehungswissenschaft an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.

Ursprünglich als Grundschullehrer tätig, wurde er 2003 an der Ludwig-Maximilians-Universität München promoviert und 2009 mit einer international vergleichenden Arbeit über eklektisches Vorgehen in Lehrbüchern der Didaktik und des Instructional Design habilitiert. Seit 2010 ist er Associate Research Fellow am ESRC Centre on Skills, Knowledge and Organisational Performance (SKOPE) der University of Oxford.

Aus Klaus Zierers breitem Spektrum wissenschaftlicher Tätigkeiten sind besonders die Arbeiten im Anschluss an John Hatties Werk „Visible Learning“ bekannt, wie „Kenne deinen Einfluss! Visible Learning für die Unterrichtspraxis“ (2018, 3. erweiterte Auflage, Schneider Verlag), das Zierer gemeinsam mit Hattie verfasst hat. Seine neueste Publikation beschäftigt sich mit der Digitalisierung im Bildungssystem: „Lernen 4.0 – Pädagogik vor Technik. Möglichkeiten und Grenzen einer Digitalisierung im Bildungsbereich“ (2018, 2. Auflage, Schneider Verlag).

Hier lässt sich das Buch bestellen (kostenpflichtig).

Zierer: Auch hier wissen wir aus der Forschung, dass das ein Mythos ist. Nur weil jemand in eine Welt mit digitalen Medien hineingeboren worden ist, kann er sie nicht automatisch sinnvoll und gut einsetzen. Wir wissen zwar, dass Digital Natives häufig mehr Zeit mit digitalen Medien verbringen. Wir wissen aber auch, dass sie diese Zeit nicht unbedingt sinnvoll nutzen. Insofern zeigt das erneut, was ich eben versucht habe anzusprechen: Im Kern geht es um Professionalisierung, also wie nutzen Lehrerinnen und Lehrer diese Medien im Unterricht, welche pädagogischen Grundüberlegungen stellen sie an, damit der Einsatz sinnvoll ist. In der Konsequenz bedeutet das, dass Digitalisierung sowohl für die älteren Lehrerinnen und Lehrer als auch für die jungen eine Herausforderung darstellt.

News4teachers: Welche digitalen Kompetenzen braucht ein Lehrer denn überhaupt, um guten Unterricht mit digitalen Medien machen zu können?

Zierer: Ich spreche lieber von Professionalisierung als von Kompetenzen. Wir wissen nämlich, dass Professionalisierung von Lehrkräften nicht nur eine Frage von Kompetenz ist, nicht nur von Wissen und Können. Natürlich ist es wichtig, dass ich weiß, welche Technik es gibt, dass ich damit umgehen kann etc. Aber eine zweite wichtige Seite der Professionalisierung ist die Frage der Haltung. Also welche Überzeugungen, Einstellungen, Wertungen bringe ich mit, mit welchem pädagogischen Grundverständnis gehe ich ins Klassenzimmer?

An einem Beispiel verdeutlicht: Es gibt Lehrpersonen, die durchaus wissen, dass Feedback ein wichtiger Impuls für sie in ihrem Professionalisierungsprozess sein kann. Wenn aber diese Lehrpersonen die Haltung nicht mitbringen, dass Feedback für sie wichtig ist, dass es das Lernen der Schülerinnen und Schüler sichtbar macht, dass die Interaktion mit den Lernenden davon profitieren kann, dass ohne Feedback vielleicht etwas völlig falsch laufen kann, dann werden sie ihr Wissen gar nicht nutzen. Wenn wir über Professionalisierung sprechen, müssen wir Kompetenz und Haltung zusammenbringen – damit die Lehrkraft am Ende auf einem breiten pädagogischen Fundament steht. Vor dem Hintergrund müssen wir uns auch immer klarmachen: Der Einsatz von digitalen Medien um der Medien willen wird dem Lernenden nichts bringen. Ein schlechter Unterricht wird durch digitale Medien nicht besser, obschon ein guter Unterricht von digitalen Medien profitieren kann. Vielerorts werden die Tafeln rausgeschoben und digitale Whiteboards reingestellt, aber sonst ändert sich nichts. Entscheidend ist vielmehr, dass Lehrpersonen Unterrichtsqualität ins Zentrum rücken und hinterfragen, warum kann welches Medien sinnvoll für wenn wann eingesetzt werden, wann ist es vielleicht besser, doch bei traditionellen Medien zu bleiben. Genau diese Reflexionen sind entscheidend. Sie müssen wir berücksichtigen, wenn wir von Professionalisierung sprechen.

News4teachers: Dann gehört auch dazu, um die Grenzen des sinnvollen Einsatzes von digitalen Medien im Unterricht zu wissen?

Zierer: Eindeutig. Die empirische Forschung weist nach, dass digitale Medien nicht nur positive Effekte nach sich ziehen, sondern durchaus auch negative. Die negativen Effekte können wir heute beobachten, wenn wir beispielsweise feststellen, dass Kinder unter einer Smartphone-Sucht leiden. Wenn wir feststellen, dass bei Kindern die Lernleistung geringer wird, je mehr Zeit sie vor Bildschirmen verbringen. Wenn wir feststellen, dass bei manchen Lehrpersonen, die ihre klassische Tafelmitschrift durch eine PowerPoint ersetzen, der Unterricht sogar schlechter wird – weil sie schneller sprechen, weil sie die Folien immer wieder aus der Schublade ziehen und damit auf die Lernenden nicht eingehen, weil die Lernenden vor dem Konflikt stehen, folgen sie den Folien oder folgen sie der Lehrkraft. Man sieht hier die Fallstricke der digitalen Medien und deswegen ist eine kritische Perspektive immer eine zentrale, wenn es um digitale Bildung geht.

News4teachers: Und das gilt, nehme ich an, auch für Lehrerausbilder?

Zierer: Richtig. Wir sind in der Lehrerbildung in der Situation, dass wir eine Vorbildfunktion einnehmen. Das, was wir versuchen zu vermitteln, müssen wir selbst auch umsetzen. Und insofern ist diese kritische Perspektive auch auf Seiten der Lehrerausbildner eine sehr zentrale.

Dabei positioniere ich mich bei der Digitalisierungsdebatte weder euphorisch, noch apokalyptisch. Vielmehr möchte ich eine realistische Position einnehmen. Wir haben nämlich mittlerweile Forschungsergebnisse, die uns zeigen, wo digitale Medien wirken – und wo eben nicht. Beide Facetten zusammenzubringen und letztendlich einen empirisch basierten, realistischen Fokus auf das Thema zu werfen, das ist für mich das Entscheidende. News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek führte das Interview.

„Das ist nicht mal eben zu machen“: Warum der schulpraktische Teil der Lehrerausbildung so wichtig ist – ein Interview

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