Ein Jahr AfD-„Meldeportale“ gegen parteikritische Lehrer: Angeblich sind Tausende von Beschwerden über Schulen eingegangen

0

BERLIN. Die AfD pflegt ihre Opferrolle. Weil angeblich viele Schulen in Deutschland die AfD im Unterricht diskreditieren, hat die Partei in zahlreichen Bundesländern sogenannte „Meldeportale“ eingerichtet. Über die können sich Schüler und Eltern an die Partei wenden – und anonym über Lehrer beschweren. Vor einem Jahr ging das erste jetzt online. Und die AfD will Tausende von Beschwerden über Pädagogen eingesammelt haben – Konsequenzen aber gab es praktisch keine. Dass es zudem viel Kritik an der Aktion gab, bestärkt die AfD in ihrer Opferrolle.

Über dieses „Meldeportal“ können Schüler in Berlin anonym ihre Lehrer wegen parteikritischer Äußerungen melden – Zielgruppe sind, geht es nach dem Titelfoto, Grundschüler. Screenshot

Von Petz- oder Denunziationsportalen ist die Rede. Seit einem Jahr gibt die AfD in mehreren Bundesländern Schülern und Eltern die Möglichkeit, angebliche Verstöße gegen das Neutralitätsgebot an Schulen zu melden – vor allem, wenn es um Kritik an der eigenen Partei geht. Die Resonanz der Schulbehörden ist unterschiedlich. In wenigen Einzelfällen gab es Reaktionen.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ist eine scharfe Kritikerin der Portale. Die anfängliche Aufregung über die AfD ist allerdings einer gewissen Gelassenheit gewichen. «Es wird nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wurde», sagt Ulf Rödde vom Bundesvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). «Diese Portale hatten auch einen – wenn man so sagen kann – positiven Effekt, denn viele Lehrerinnen und Lehrer haben sich die Frage gestellt: Was darf ich und was darf ich nicht?» Vielen sei dabei bewusster geworden, dass es nicht ihre Aufgabe sei, „neutral“ zu sein, sondern die Schüler zu guten Demokraten zu erziehen, sagt Rödde. «Das hat die Lehrer gestärkt.»

AfD-Fraktionschef Wolf zur Kritik: „Das macht mich traurig“

Alexander Wolf ist Fraktionsvorsitzender und schulpolitischer Sprecher der AfD in der Hamburgischen Bürgerschaft – und Initiator des ersten Portals, das am 20. September vergangenen Jahres online ging. Er spricht von einer Erfolgsgeschichte «unterm Strich»,. Allerdings sei es «den politischen Gegnern» der AfD im Zusammenhang auch gelungen, ein «negatives Framing» herzustellen. «Das, was von uns als positives Informationsportal gedacht war, wird in Teilen der Öffentlichkeit mit negativen Begriffen wie „Petze“ verbunden. Das macht mich traurig, weil es zeigt, dass da nicht die Fakten, sondern das Framing und die Medienmacht ein Stück weit stärker sind.»

Dem Hamburger Beispiel folgten ähnliche Portale der AfD in Berlin, Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und zuletzt Anfang des Monats in Mecklenburg-Vorpommern – wo es aber nach wenigen Tagen vom Landesdatenschutzbeauftragten mit Hinweis auf die Datenschutzgrundverordnung verboten wurde. Sie untersagt die Verarbeitung von Daten, aus denen politische Meinungen hervorgehen. Der AfD-Landesverband will dagegen Widerspruch einlegen. Auch in Hamburg prüfte der Datenschutzbeauftragte schon im vergangenen Herbst die Zulässigkeit des Portals, sah für sich aber keine Handhabe.

Hamburger Schulbehörde schritt ein, ohne zuvor mit der Schulleitung zu sprechen

Schulsenator der Hansestadt, Ties Rabe (SPD), forderte von Anfang an die Schließung des Portals, sah sich aber zum Handeln gezwungen. Im Falle der Ida-Ehre-Schule zum Beispiel: Dort ließ er Aufkleber der vom Verfassungsschutz beobachteten linksextremen Gruppe «Antifa Altona Ost» kurzerhand noch in den Frühjahrsferien entfernen – ohne zuvor mit der Schulleitung Rücksprache gehalten zu haben. Laut Schule waren sie bei einem Oberstufen- Kunstprojekt auf die Pinnwand eines Klassenraums gelangt. Der Aufschrei der Schulgemeinschaft war groß, ebenso bei der Opposition, die Rabe vorwarf, «über das Stöckchen der AfD gesprungen» zu sein. Auch aus der eigenen Partei gab es Kritik.

Hamburg scheint aber eine Ausnahme zu bilden. Zwar hätten auch in Berlin rund 7000 Menschen wegen angeblicher Verstöße gegen das Neutralitätsgebot Kontakt über das Meldeportal zur AfD aufgenommen, behauptet Fraktionssprecher Thorsten Elsholtz. Aber: «Über 99 Prozent der Anliegen konnten durch Tipps, wie man am besten mit seiner Kritik auf den Lehrer zugeht, gelöst werden.» Eine Einbindung der Bildungsverwaltung sei bisher nicht notwendig gewesen.

In Hamburg stellte die AfD zwei Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Lehrer

In Sachsen-Anhalt habe das Bildungsministerium vereinzelt Briefe von AfD-Politikern bekommen, in denen diese Äußerungen von Lehrern gerügt hätten, teilte ein Sprecher mit. Eine Prüfung habe ergeben: «Derzeit existieren keine Fälle, in denen eine Verletzung der politischen Neutralitätspflicht tatsächlich festgestellt werden konnte.» Darüber hinaus dürfe man nicht vergessen, dass Schule die Aufgabe habe, kontroverse Inhalte zu behandeln und sachlich zu bewerten.

Der Sächsische Lehrerverband hält das dortige Portal für einen gescheiterten Versuch, das parteipolitische Neutralitätsgebot auszuhebeln und den Unterricht «im Sinne von Gesinnungsschnüffelei» überwachen zu wollen, wie der Landesvorsitzende Jens Weichelt sagt. Bis dato sei kein einziger Lehrer über die Plattform gemeldet worden. Bei der Landesschulbehörde in Hannover gingen nach Angaben eines Sprechers bisher drei Beschwerden ein. Keinem Lehrer sei Fehlverhalten nachgewiesen worden.

Die Zahl der «seriösen Hinweise» auf Neutralitätsverstöße liege in Hamburg im «unteren dreistelligen Bereich», sagt AfD-Fraktionschef Wolf. «In den ganz überwiegenden Fällen haben wir die Leute, die sich an uns wandten, beraten, wie sie reagieren können, wie sie die Gespräche selbst innerhalb der Schule mit dem betroffenen Lehrer, notfalls auch mit der Schulleitung oder dem Vertrauenslehrer suchen können, um das Problem möglichst schulintern zu lösen.» Pro Woche gingen über das Portal derzeit noch «etwa ein bis zwei seriöse Hinweise ein».

Auch gegen Aufrufe zur Teilnahme an Fridays for Future Aktionen geht die AfD vor

Auch wegen Aufrufen zu Demos gegen die AfD oder kritischer Briefe von Lehrern auf Schul-Homepages sei vorgegangen worden, sagt Wolf. Er kritisiert auch Schulen, die offen für die «Fridays for Future»-Demos geworben hätten – das sei ein Verstoß gegen das Verbot, an Schulen politische Werbung zu betreiben.

Gegen zwei Lehrer der Ida-Ehre-Schule habe die AfD-Fraktion Dienstaufsichtsbeschwerden eingereicht. «Weitere sechs werden in den nächsten Tagen folgen. Die betreffen jedoch Lehrer anderer Schulen», sagt Wolf und versichert: «Solche Maßnahmen sind aber nicht der Hauptfokus des Portals.» News4teachers / mit Material der dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Lehrer wehren sich gegen AfD-Meldeportal – Schulbehörde rüffelt das als “Verstoß gegen das Neutralitätsgebot”. Die AfD frohlockt

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments